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(Winter 1913–1914.)
Der Wind bläst aus Osten, und der Schnee schmilzt nicht auf den Höhen von Meudon. Doch Nelly und Polo, die »Sanitätshunde«, haben es warm unter ihrem rauhen Gewand aus Haaren. Wenn sie den Kopf zu Capitaine X…. emporheben, sieht man ihr offizielles Abzeichen, das Rote Kreuz der Krankenträger.
… Im Wald ist ein Mann verborgen, er hat sich auf den Schnee hingestreckt; ein zweiter liegt weit weg in einem gefrorenen Graben. Die Hunde sollen die beiden finden und »melden«.
»Vorwärts, Nelly! Vorwärts, Polo!«
Nelly ist eine betagte deutsche Schäferhündin, im Alter rundlich geworden, weiß an der Schnauze. Sie hat Erfahrung in ihrem Beruf, »sucht« brav und vorsichtig, schont ihre Kräfte. Polo hingegen, von flandrischer Rasse, mit goldfarbigem Auge, ist jung und ungestüm; er schnuppert in den Wind, schüttelt sich und stürzt dann geradeaus davon … Nelly hat sich entfernt, sie sieht ganz klein aus inmitten einer Wiese. Unter ihrem Trott zerspringen die Eisspiegel auf dem Boden, wir hören den knackenden Ton. Plötzlich bleibt sie stehen, beugt sich über irgend etwas für uns Unsichtbares und lacht mit dem ganzen Körper: der Schwanz wedelt, die Lenden bewegen sich, wir erraten aus der Ferne, daß sie wie ein Fuchs mit hochgezogener Lippe lächelt … Dann springt sie davon und verschwindet in einer Vertiefung des Bodens.
Polo kommt schon wieder zurück. Rötlichgrau auf dem Schnee, galoppiert er heran, ein Käppi zwischen den Zähnen. Das Wasser eines Baches, den er durchquert hat, gefriert auf ihm und verklebt ihm die Haare, ein scharfkantiges Stück Eis hat ihn an der Pfote verletzt, aber er triumphiert, er fühlt weder die Kälte noch den Schmerz. Er bringt das Käppi, das »Beweisstück« seinem Herrn und führt ihn zu dem im Walde Liegenden …
»Und Nelly? … Ach, da ist sie!«
Die betagte Hündin kommt über dieselbe Wiese zurück, überquert dieselben gefrorenen Pfützen. Bei jedem Sprung sieht man ihren dicken Wölfinnenrücken wackeln …
»Aber … sie bringt nichts? Sie hat nichts gefunden? Oh! Nelly!«
Das brave Tier legt bei dem Tadel die Ohren nicht zurück, sondern läßt ein kleines Stück Käserinde in die Hand des Capitaine X…. fallen. Der Mann, den sie aufgespürt, hatte nämlich weder ein Käppi noch ein Taschentuch. So hat die geschickte Schnauze, die in einer Tasche des unbeweglich Daliegenden wühlte, nur dieses Beweisstück gefunden, verlockend, aber geheiligt: die Zähne Nellys haben kaum eine Spur darauf hinterlassen.
Wir lachen – auch die beiden »Verwundeten«, die über und über von Reif bezuckert herbeikommen, stimmen mit ein – und doch denkt wohl jeder unter uns an den Tag, da das Spiel, der Unterricht bitterer Ernst geworden sein wird … Hunderte, Tausende von Männern fühlen, auf den Erdboden hingestreckt, ihr warmes Blut im Schnee erkalten … sie warten … die Nacht sinkt herab … sie warten auf das kluge Tier, hoffen auf den vierfüßigen Krankenträger, der keine Furcht kennt, niemals müde wird, in der Dunkelheit sieht und wittert … Sie warten … das Leben schwindet dahin … Da, plötzlich der Atem eines Hundes, eine kühle Schnauze, eine freundschaftliche Zunge, die Blut und Tränen der Erschöpfung fortleckt … die Hilfe ist gekommen, das warme Leben kehrt wieder …