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Woraus ist sie wohl gemacht? Aus Bronze oder aus altem Chinaholz, schwarz, hart und glänzend? Oder aus dunkel geflammtem Sandstein, der sehr lange gebrannt worden ist? Im hellen Tageslicht kann man an ihren Flanken längliche rötliche Flecken sehen, als hätte Feuer darüber hingezüngelt …
Sie fühlt sich warm an, wenn man sie berührt, und härter dabei als ein Möbelstück. Ihre kurzen Schenkel haben Muskelstränge wie die Beine eines japanischen Boxers.
In ihrem Gesicht entdeckt jeder, was er mag. Der Leser kann, wenn es ihm beliebt, so wie ich, ein Krötenmaul darin finden, das dem Schlitz einer Sparbüchse gleicht, eine höckrige Delphinstirn über zwei Spritzlöchern, wie die Wale sie haben, zusammengekniffene, schlaue Schweinsaugen und das Lächeln eines Negerkindes. Auf dem Kopf des Ungeheuers sitzen zwei große Fledermausohren, die sich bald öffnen, bald schließen, wie Muscheln zusammenklappen, sich aufstellen und dann wieder zurücklegen …
Sie heißt Poucette, weil sie ganz klein ist. »Klein, aber kräftig«: voll Stolz kann sie sich diesen Wahlspruch des Bubu von Montparnasse zu eigen machen.
Wenn sie läuft, sieht es so aus, als ob sie schwömme, so weich bewegt sie ihre kurzen und leichten kleinen Elefantenbeine. Schwimmt sie aber, so meint man, sie wolle sich ertränken. Ganz flach liegt sie auf den Wellen, ihre Pfoten schlagen wie die Schaufeln eines Mühlrades, und mit Nase, Maul, Augen und Ohren schluckt sie Wasser. Jedesmal fragt man sich: »Wird sie mit dem Leben davonkommen?« Ihr freiwilliges Bad ähnelt einem Selbstmord.
Fürchterlich gefräßig, schnappt sie im Fluge, was man ihr zuwirft. Mit einem Hap! verschluckt sie die großen Stücke, aber die kleinen kaut sie lange. Fünfzigmal am Tage trinkt sie, ohne bei der Sache zu sein. Sie trinkt aus Langweile, um die Zeit totzuschlagen, so wie ein Erdarbeiter sich besäuft, wenn er keine Arbeit hat.
Müßiggang verzehrt sie. Sie will nämlich durchaus nicht schlafen, solange wir wach sind. Wenn ich lese, schreibe oder in der Sonne liege, zwingt sich Poucette, sich ebenso still und unbeweglich zu verhalten wie ich. Aber ich fühle, ja, ich höre ihre Muskeln vor Ungeduld zittern, und sie schließt die Augen nur, um ihren lauernden Blick zu verbergen. Gereizt schreie ich sie manchmal an:
»Schlaf! Oder nimm ein Buch! Oder mach eine Handarbeit!«
Aber sie hat für nichts Interesse – außer für mich. Sie beobachtet mich, sie versucht meine Gedanken zu ergründen, sie urteilt über mein Tun und Lassen – sie ist mir lästig.
Zuweilen geschieht es doch, daß sie mit einem Hund spielt. Durch ihre Schnelligkeit und Roheit gelingt es ihr fast immer, den Gegner zu besiegen. Aber sie läßt sich auf den Kampf nur ein, um nachher zu mir zurückzukommen und sagen zu können:
»Na, hast du gesehen, wie ich ihn zugerichtet habe, den Hund da?«
Sie jagt Spatzen, Wildenten, Krabben, Hasen und Grillen – aber auch das tut sie nur, um sich vor mir zu brüsten. Von Wasser triefend, mit Schlamm bedeckt, eine Krabbe im Maul, stellt sie sich stolz vor mich hin, ohne zu winseln, lächelnd.
Wovor fürchtet sie sich? Nicht vor mir noch vor sonst jemandem, nicht vor dem Feuer des Himmels, nicht vor dem Stock noch vor der Peitsche. Sie ist durch und durch von Stolz erfüllt, von blinder Tapferkeit, von Eifersucht und uneingestandener Liebe. Wenn ich heimkehre, befragt sie mich aufgeregt:
»Was für einen unbekannten Geruch hast du an dir? Bist du allein, ganz allein? Bringst du nicht irgendein neues Tier mit, das hier heimisch werden soll? Bei dir ist man ja nie sicher! … Hast du nicht etwa einen Hund mitgebracht, einen kleinen Hund, den du im Muff versteckst oder hier in diesem Paket oder in der Handtasche? Einen kleinen Hund, der auf deinen Knien säße, den du streicheln würdest? Hüte dich! Sieh meine Zähne! …«
Da murmle ich dann etwas wie »zudringliches Tier« oder »widerwärtiges Geschöpf«. Darauf zucke ich die Achsel, streichle den harten, runden Kopf, der sich warm in meine Hand schmiegt, und bedaure und tröste Poucette. Ich tröste sie darüber, daß sie mich liebt und durch diese Liebe ihre Ruhe verloren hat …