Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Dieses Tier hier? Selbstverständlich ist es ein Kater. Ich verkaufe nicht zum erstenmal einen, wie Sie sich denken können. Sehen Sie nur den runden Schädel an und die abstehenden Ohren. Jetzt schon kann man das Löwenschnäuzchen erkennen. Und sehen Sie einmal die kräftigen Pfoten …«
Wir haben das alles gesehen. Wir haben wirklich alles gesehen – nur das nicht, worauf es ankommt. So gut hatten wir alles betrachtet, daß der kleine persische Kater, Schah genannt, sich nach vierzehn Tagen in eine Katze verwandelte. In eine Katze, zart grau-blau wie der aufsteigende Rauch einer Zigarette oder wie die silbrigen Blüten der Stranddistel.
»Und jetzt ist es eine Katze! Was sollen wir denn nur mit ihr anfangen?«
»Was wollten Sie denn mit einem Kater anfangen?«
»Das weiß ich eigentlich nicht recht … Nichts Besonderes … Wir wollten ihm ein grünes Halsband umbinden … und ihn sehr verwöhnen … Er sollte ein königliches Tier sein, müssen Sie wissen, und Schah heißen …«
»All das können Sie doch mit der Katze auch machen. Nennen Sie sie Schah, binden Sie ihr ein grünes Halsband um und geben Sie ihr gezuckerte Milch zu trinken, bis sie dick wie ein voller Schlauch auf ihr gelbes Seidenkissen kriecht und dort einschläft.«
Schließlich fügt man sich in alles. Der Kater ist eine Katze, behält aber trotzdem den Namen Schah. Wir rufen zärtlich: »Schah, süße kleine Schah!« loben begeistert ihre Schönheit: »Wie ist Schah doch entzückend!« – und alle vernünftigen Leute – das will sagen, jene, die weder Bullterriers, noch Collies, noch persische Katzen besitzen – betrachten uns voll verächtlichen Mitleids.
Eine persische Katze ist das Tier wirklich. Das wenigstens stimmt. Jeder muß sehen, daß sie nicht von hier ist. Sie wächst sehr schnell, und zwar mehr in die Breite als in die Länge, hat geschickte, weiche Pfoten, einen buschigen Schwanz, der ebenso lang ist wie sie selbst, kurze Ohren und ein samtiges Stumpfnäschen.
Ihr Spiel ist ein wenig wild. Sie ist reizbar und scheint ihre Wut auszukosten wie ein Vergnügen. Die Augen geschlossen, die Zähne zusammengepreßt, umklammert sie heftig ihre Beute. Sie wählt sich gerne das Gesicht des Gegners zum Ziel und wendet unter unserem Blick die Augen nicht ab – sanfte, drohende Augen, die grau-grün sind wie die Blätter einer jungen Weide …
Fröhlich wühlt sie im dichten Fell der großen Colliehündin, so wie man Brotteig knetet. Wolfshunde und Doggen, ja selbst lärmende Kinder mag sie gern. Aber manche musikalische Klänge, gewisse heimtückische, kaum hörbare Geräusche machen sie rasend. Da sträubt sich ihr ganzes Fell, die Haare schließen sich zu starren Büscheln zusammen … Sie gähnt heftig, wenn man eine Schere vor ihr öffnet und schließt. Sie ist von orientalischem Aberglauben erfüllt: Streckt man zwei Finger wie Hörner vor ihr aus, so rennt sie schleunigst davon. Um sie von diesem Bann zu heilen, habe ich ein gabelförmiges kleines Korallenamulett an ihrem Halsband befestigt …
Sie ist eine vornehme Katze. Eine Haremsprinzessin, die nicht im geringsten an Flucht denkt. Ein sehr weibliches Geschöpf, kokett, schamhaft und viel mit ihrer Schönheit beschäftigt, die von Tag zu Tag zunimmt. Hat es jemals eine prächtigere Katze gegeben? Am Morgen ist sie schiefergrau, mittags wird sie blau wie die Blüten des Immergrüns, und im Sonnenlicht schimmert sie wie eine Taube violett, perlgrau, silbern und stahlfarben. Abends wird sie zum Schatten, zu Rauch, zur Wolke. Als wäre sie körperlos, schwebt sie dahin, wirft sich wie eine durchsichtige Schärpe auf die Lehne eines Fauteuils. Sie huscht an der Mauer entlang wie der Reflex eines perlmutterfarbigen Fisches …
Das ist die Stunde, da wir hoffen, sie sei eine Fee, ein Kobold, ein Wicht, ein Geist … Im Stil literarisch überbildeter Leute bringen wir ihr kindische Huldigungen dar. Wir nennen sie Scheherezade. Aber die Zeit ist noch nicht erfüllt, noch wirft Schah ihr elektrisch knisterndes seidenes Gewand nicht ab, ebensowenig ihre reiherartigen Schnurrbarthaare, ihren blauen Eichhörnchenschwanz, noch ihre Krallen aus glatter Jade.
»Passen Sie gut auf! Öffnen Sie im Zug den Korb ja nicht!«
»Doch, doch, machen Sie den Korb auf, sowie der Zug fährt. Sonst bekommt Schah einen epileptischen Anfall.«
»Geben Sie ihr gleich ein bißchen Milch zu trinken.«
»Nein, nein, geben Sie ihr keine Milch unterwegs, sonst wird sie seekrank!«
»Und ins Freie dürfen Sie sie erst nach zwei Tagen lassen. Sonst läuft sie Ihnen davon, und Sie sehen sie niemals wieder.«
»Ach, Unsinn, glauben Sie das ja nicht. Sie können sie sofort ins Freie lassen, eine Katze findet immer wieder nach Hause zurück …«
Von Verantwortung beschwert, belastet mit so vielen, einander widersprechenden Ratschlägen, nehmen wir unseren tyrannischen Hausdämon mit uns, dieses zerbrechliche Juwel, diese kostbare Katze, und führen sie dem graugrünen Meer entgegen, dem Frühling der Bretagne, der es so eilig hat, daß er zuweilen früher erscheint als der des Südens.
Der März hat kaum begonnen, und schon öffnet das Geißblatt, das oberhalb der weißen Wellenkämme an den Felsen emporklimmt, seine bräunlich-grünen Blätter wie lauschende kleine Ohren. Schon gibt es blaßgoldene Primeln und stacheligen Mäusedorn mit roten Beeren. Es gibt Veilchen und rosafarbene Grasnelken, die wie Pfirsichblüten duften. Es gibt …
Es gibt auch einen Trupp Dachdecker auf dem Dach unseres Hauses und im Schlafzimmer halbnackte Parkettleger. Im Badezimmer sind zwei spöttisch-vergnügte Maurer damit beschäftigt, aus Kacheln ein blauweißes Puzzle zu legen. Und im Hof gibt es ein Schmiedefeuer, und teuflische Jünglinge rühren da einen dicken milchigen Brei aus Kalk, eine bröcklige Creme aus Zement …
»Mein Gott, und Schah! Wenn Schah all diese Leute sieht! Sie wird weder fressen noch trinken können, noch schlafen … Sie wird uns vor Angst sterben. Sie ist doch so empfindlich! Übrigens, wo ist die Katze? Wo ist Schah? Wo ist sie?«
Da haben wir es – jetzt ist sie verlorengegangen! Zunächst stimmen wir ein Klagelied an, dann laufen, fliegen, stürzen wir davon. Wir befragen den Brunnen, suchen im dunklen Wald, auf dem düsteren Dachboden, im schimmeligen Keller, im Stall, in der Garage, zwischen den Felsen am Meeresufer. Wir versprechen den Maurerjünglingen, die Mörtel mischen, eine hohe Belohnung. Wir beschuldigen den Wachhund und schicken den Bullterrier, der noch niemals eine Spur gefunden hat, auf Suche aus. Wir horchen auf den Wind, der unsere stummen Tränen trocknet. Wir machen unserem Kummer durch bittere Vorwürfe Luft:
»Habe ich es dir nicht gesagt? Man hätte sie eben nicht so bald ins Freie lassen dürfen!«
»Was nützt die Weisheit nun? Schah ist verloren. Übrigens hatte ich schon eine böse Ahnung, als wir hierher kamen … Sie hätte nicht von Paris weg sollen, diese edelrassige Katze, die so leicht Schaden nimmt, die kein grelles Licht vertragen kann, keinen Luftzug und keine laute Stimme … Dieses zarte Geschöpf, das aus einem feinen Porzellannapf fraß und aus einem venezianischen Kristall trank …«
»Genug der Worte. Gehen wir nach Hause zurück. Ich will Schah in aller Stille betrauern, meine schöne, schöne Schah!«
Wir gehen also nach Hause. Doch bei einer Biegung der Allee bleiben wir mit einem Male stehen und starren sprachlos auf das Bild, das sich uns bietet.
Inmitten eines Kreises von Arbeitern, die, auf der Erde lagernd, ihr Mittagbrot verzehren – zwischen schmutzigen Stiefeln, kalkbespritzten Hosen und verblichenen blauen Arbeitskitteln – zwischen Most- und Weinflaschen, fettigem Papier und derben Taschenmessern – sitzt sehr behaglich lächelnd, den Schwanz wie eine Kerze aufgestellt, den Schnurrbart halbmondförmig hochgezwirbelt, umschwirrt von Flüchen und johlendem Gelächter – Schah, die göttliche Katze! Sie läßt sich mit Käserinden, ranzigem Speck und Wursthäuten füttern, schnurrt, hascht, sich im Kreise drehend, ihren Schwanz, spielt, um die Maurer zu bestricken.