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Winterliche Dämmerung. Das Feuer erlischt. Die Katze sitzt und träumt. Schweigen.
Sie: »Katze, was siehst du dort in der Ecke?«
Die Katze: »Nichts. Die Dunkelheit.«
Sie: »Langweilst du dich?«
Die Katze: »Nein.«
Sie: »Ich langweile mich …«
Die Katze: »Mach es wie ich: schau ins Dunkle.«
Sie: »Nein, nein … Möchtest du nicht vielleicht den Wollball?«
Die Katze: »Jetzt nicht. Jetzt spiele ich etwas anderes. Mach es wie ich: spiel'. Öffne die Augen ganz weit, blinzle nicht, und schaue.«
Sie: »Aber was soll ich denn anschauen?«
Die Katze: »Schau nur einfach! Such nichts, ruf nichts herbei: alles kommt dann von selbst … Was siehst du?«
Sie: »So gut wie nichts … Eine graue Vase – ich weiß, daß sie dort steht – und nebelfarbene Rosen vor dem Fenster … Den schlanken Fuß einer Lampe … Einen Seidenvorhang, den eine unsichtbare Hand zusammenzuraffen und festzuhalten scheint.«
Die Katze: »Eine unsichtbare Hand?«
Sie: »Ja … Ich meine, es ist in Wirklichkeit keine Hand da.«
Die Katze: »Keine Hand? Ich aber sehe sie.«
Sie: »Du machst mir Angst!«
Die Katze: »Ich will dir nicht Angst machen, ich will dich nur das Spiel lehren. Du mußt die Hand sehen, die den Vorhang rafft!«
Sie: »Nein …«
Die Katze: »Eine lange Hand. Sie ist unter den Falten des Vorhangs fast verborgen, aber ich höre, wie die Nägel leise in der Seide knirschen … Hörst du es?«
Sie: »Nein …«
Die Katze: »Du wirst es gleich hören. Horche nur scharf hin. So scharf, daß sich deine Ohren unter den Haaren bewegen. Hörst du es jetzt?«
Sie: »Ich höre etwas … Aber es ist nur das Knistern meiner Haare, die mir über die Ohren hängen.«
Die Katze: »Du verstehst das Spiel noch nicht. Das wird schon kommen … Ah, jetzt hat sich der Vorhang bewegt! Hast du es gesehen?«
Sie: »Ich weiß nicht … Ich bin nicht ganz sicher …«
Die Katze: »Doch! Die Hand hat eben den Seidenvorhang ein wenig stärker gerafft. Das Fenster ist jetzt größer und blau wie Schnee im Mondlicht …«
Sie: »Wie Schnee … im Mondlicht …«
Die Katze: »Ja, draußen liegt Schnee, und der Mond scheint … Siehst du jetzt die Hand auf dem Vorhang?«
Sie: »Ja …«
Die Katze: »Und was siehst du noch?«
Sie: »Ich sehe auch den schlanken Fuß der L…«
Die Katze: »Still! … Du siehst ein schlangenartiges Tier, das sich vor dieser Fläche aus durchsichtigem Wasser aufrichtet …«
Sie, schüchtern: »Aber da war doch eben Schnee …«
Die Katze, gebieterisch: »Jetzt ist es durchsichtiges, bläuliches Wasser! Spiel' mit mir, oder ich verlasse dich!«
Sie: »Verlaß mich nicht! …«
Die Katze: »Also dann spiele! Siehst du den dünnen Hals des schlangenartigen Tieres? Er beugt sich herab, immer tiefer, und nun kriecht es, kriecht gegen …«
Sie, gehorsam: »… kriecht gegen die graue Vase hin, in der die Rosen stecken … Aber wo sind die Rosen?«
Die Katze: »Verfolge das Tier mit den Augen! Kannst du es verfolgen?«
Sie: »Ja … Warte ein wenig … Es kriecht weiter. Es ist schwarz, aber an jedem Schuppenring seines Rückens leuchtet ein fahler Schimmer auf … Sieh! Die Rosen sind doch da. Hörst du, wie sie sich entblättern? Leise gleiten die Blütenblätter an den Stielen herab … In der Dunkelheit könnte man glauben, daß eine sanfte Hand über ein glattes Bein streicht …«
Die Katze: »Du spielst schlecht. Die Rosen entblättern sich nicht, sondern es streicht wirklich eine weiche Hand über ein glattes Bein.«
Sie, auffahrend: »Hör auf oder ich zünde die Lampe an!«
Die Katze, sehr sanft: »Sei mir nicht böse, ich habe mich geirrt. Es sind doch die Rosen … Ein ganzer Garten voll Rosen …«
Sie: »Ja, aber so fahle Rosen! Aschgrau, milchweiß … Bist du sicher, daß niemand in dem Garten ist?«
Die Katze: »Niemand. Aber an jeder Wegbiegung schlängelt sich der Hals der Viper.«
Sie: »Was erzählst du da von einer Viper? Es ist ein Bach. Ein ganz schmaler Bach, schmal wie ein Armband. Sein Murmeln macht mir Durst. Könnte ich nicht von seinem Wasser trinken?«
Die Katze: »Trink nicht! Es ist eine Schlange!«
Sie: »Dann will ich sie mir um den Arm schlingen oder um den Hals … Ah! wie weich und glatt sie ist! Man könnte meinen …«
Die Katze: »… daß eine glatte Hand liebkosend über warmes, zitterndes Fleisch streicht …«
Sie, flehentlich: »Nein, nein! Wir wollen Licht machen. Ich habe Angst!«
Die Katze, sehr sanft: »Wie furchtsam du bist! Die vertraute Nacht beschützt uns. Verhülle dir das Gesicht mit den Haaren, wenn du willst. Niemand wird sehen, wie sehr die Furcht, die dich verstört, dich auch beglückt. Es ist niemand in dem Garten, in den ich dich führe. Pfade, auf denen Fußtritte keine Spur zurücklassen. Blumen ohne Gesichter, und kein anderer Spiegel als der bläuliche Fischteich dort …«
Sie: »Aber das war ja das bläulich schimmernde Fenster –?«
Die Katze: »… der bläuliche Fischteich, in dem die Schwänze der Fische den Widerschein des Mondlichtes zittern machen … Tauch die Spitze deines nackten Fußes in das schwere Wasser. Die freundliche Schlange, die dir eben vom Arm geglitten ist, schläft darin … Steig eine Stufe hinab … noch eine … Willst du baden?«
Sie: »Wie wohl tut das Wasser! … Es umfängt meine Knöchel wie zwei warme Armbänder, es steigt bis an meine Knie …«
Die Katze: »… es ist wie zwei seidenweiche Hände, die liebkosend über glattes Fleisch hingleiten …«
Sie: »Ach! …«
Die Katze: »Wehre dich nicht. Lege dich zwischen den schimmernden Wasserkreisen und den Ringen der Schlange nieder. Nun verlasse ich dich. Ich gehe in meine Gärten, in die du mir nicht folgen kannst, du, die Dämmerung, Traum und Schlaf unerbittlich stets in dieselbe wollüstige Erinnerung versinken lassen. Sei ein anderes Mal vorsichtiger, störe nicht wieder den wachen Traum einer Katze, die bei einbrechender Nacht vor einem Seidenvorhang sitzt, zwischen einer Lampe mit schlankem Fuß und einer Vase, in der Rosen welken …«