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Der Tierausstopfer und die Katze

»Oh, dieser hier! Ja, der große rötlichgraue und braune mit dem bläulichen Schimmer … Wieviel kostet der? Ich möchte ihn kaufen.«

»Das können Sie … das können Sie gewiß.«

Das ist kaum eine Einwilligung. Der Tierausstopfer ermutigt mich nicht. Im Gegenteil. Er schüttelt den grauen Kopf, und seine noch jugendlich blauen Augen wenden sich ab, als wollte er sagen: »Mich geht das nichts an. Wenn Sie Ihr Geld so leichtsinnig hinauswerfen wollen … Ich wasche meine Hände in Unschuld …«

»Er ist so schön! Sagen Sie, ist er sehr teuer?«

Das ehrliche Gesicht verdüstert sich, zögernd kommt die Antwort:

»Ja … Dieser Schmetterling ist teuer … sehr teuer.«

»Also, was kostet er denn?«

»Er ist teuer … Ich muß wohl … hm … ja, es geht nicht anders! Hm … Ich muß fünf Francs fünfzig dafür haben.«

Fünf Francs fünfzig … Für fünf Francs fünfzig soll dieser Schmetterling mir gehören, diese voll entfaltete Blume mit den vier samtenen Blütenblättern, auf denen ein flüchtiger Schimmer zittert, verschwindet, wenn man ihn ins Auge fassen will, und sich unerwartet in der Ecke eines Flügels neu entzündet … Wo gäbe es um fünf Francs fünfzig etwas Schöneres zu kaufen? …

Der Ausstopfer kümmert sich nicht mehr um mich. Er hat sich an die Schmalseite des langen Tisches gesetzt und seine Arbeit wieder aufgenommen, seine mühsame, chirurgische Arbeit, bei der winzig kleine Zangen in Tätigkeit treten, Wattestückchen, in eine desinfizierende Flüssigkeit getaucht, zahllose Stecknadeln und feine Pinsel. Es ist, als hätte eine Katastrophe in den Lüften ausgerissene Flügel, gespaltene Flügeldecken und zusammengefaltete haarfeine Füßchen als kostbare Trümmer rings um ihn gestreut. All dies flog einst auf der anderen Seite der Erde umher. Nun liegt es hoch oben in einem schwarzen Hause des linken Seine-Ufers bei einem bedächtigen, sanftmütigen Mann, der Paris verachtet, es übrigens auch gar nicht kennt. Der Geruch nach Kampfer und Chlor läßt an Verwesung denken und paßt gut zu dem Stillschweigen, das hier herrscht. Bälge von Stinktieren und Fischottern verbreiten überdies einen Geruch nach verbranntem Holz, nach Moschus und Fischtran. Ein Baumast, an der Wand befestigt, trägt das zum Sprung ansetzende Körperchen eines ausgestopften fliegenden Eichhorns. Man könnte meinen, es habe hier ein Wink von allmächtiger Hand tausend zum Laufen, Springen, Fliegen geborene Geschöpfe für alle Zeit in die Haltung gezwungen, die ihrer Tätigkeit entspricht.

Ein Brief liegt auf dem Tisch, bläulich und ausgefranst wie ein zerbrochener Flügel. Auch er kommt von der anderen Seite der Erde, ist vierzig Tage lang gereist. »Die Saison ist zu Ende«, schreibt ein Mann, der Jagd auf Schuppenflügler macht, »und ich bin mit dem Ergebnis zufrieden: sechzig Schmetterlinge, alles in allem. Dabei muß man bedenken, daß vielleicht Jahrzehnte verstreichen werden, ehe wieder ein Exemplar dieser Gattung nach Frankreich kommt …«

Mörderische Sonnenhitze, Fieber, Sümpfe, wie fleischige Blumen, trunkene Schmetterlinge und metallisch schimmernde Insekten sie lieben, die heiße Savanne, durch deren Gras die Schlange schlüpft – nichts hat den Mann von der Jagd auf einen Schmetterling abschrecken können, auf einen Käfer, der einer Kartätschenkugel aus Nickel oder einem Tropfen geschmolzenen Goldes gleicht …

Trocken und leicht, zwischen zwei dünnen Papieren, mit verrunzeltem, leerem Leib, überqueren sie die Meere und kommen hierher, um bei meinem Freund, dem Ausstopfer, zu schlafen. Eine Liegestätte aus benäßtem Sand, ein feuchtes Löschblatt macht sie in wenigen Tagen wieder geschmeidig, und dann kann die Hand des Präparators ihre verschrumpften Leichname zurechtmachen und herausputzen. Die Schmetterlinge erhalten ihren satanischen Kopfputz wieder, die Fühler, ihre Tänzerinnentaille, dazu jenes ungeduldig erwartungsvolle Aussehen, das toten Schmetterlingen mit ausgespannten Flügeln eigen ist …

Ein Käfer von der Größe einer Lerche stellt auf einem Brett aus weichem Holz seinen geöffneten Leib zur Schau, der mit Watte ausgestopft wird wie eine billige Puppe. Er verbreitet einen fauligen Geruch … Ein wenig weiter badet ein »Morpho Sulkowsky« sein prächtiges, aber ein wenig fettig gewordenes Perlmutter in Benzin … Ein hellbrauner Schmetterling gleicht einem toten Blatt, er zeigt die Rippen und feucht schimmernden Flecken herbstlichen Laubes auf seinen geschlossenen Flügeln. Der »Memnon«, den ich soeben erstanden habe, betrachtet mich mit den Eulenaugen, die seine Flügel schmücken. Schweigen …

»Rrrrrr …«

Ein warmes Tier, ein durchaus lebendiges diesmal, streift meinen Rock und springt so leise und sicher auf den Tisch, daß weder die Papierstreifen auf dem großen Käfer in Unordnung geraten, noch ein Haufen schimmernder Kanthariden aufstiebt …

»Ah! Sie ist aufgewacht!«

Sie … Die Betonung, die der Ausstopfer dem Wort gibt, verrät nur zu deutlich, welche Herrscherrolle Sie in dieser Wohnung spielt. Es ist eine siamesische Katze, klein und vollkommen, von der Farbe einer Turteltaube. Nur die kurzen Haare des Gesichts, der Pfötchen und der Ohren sind beinahe schwarz.

Sie ist vor zwei Jahren nach Frankreich gekommen, und zwar auf demselben Schiff, das auch seltene Schmetterlinge und kostbare Hartflügler brachte. Und sie ist in zwei Jahren nicht zahm geworden, nicht zahm im Sinne von unterwürfig.

Der lange Tisch ist ihr Reich, aber nicht in dem Maße wie das Herz ihres Herrn, ihres ehrerbietigen Herrn, der furchtsam von ihr spricht und mit halblauter Stimme von den Launen dieser siamesischen Prinzessin berichtet:

» Sie hat heute schon wieder ein Handtuch aufgefressen, Madame. Daran war ein Kunde schuld, der heute kam. Er kannte sie nicht und wollte sie am Halse krauen. Sie hat ihn gebissen, und da hab' ich sie strafen müssen. Darauf ist Sie ins Schlafzimmer gegangen und hat aus Wut ein Handtuch zur Hälfte aufgefressen.«

Sie lauscht seiner Rede, und in ihren unergründlichen Augen, die blau sind wie der Schimmer auf dem bräunlichen Samt des »Memnon«, zeigt sich etwas wie ein Lächeln. Dann entfernt Sie sich, legt sich trotzig zwischen ein Brett, das mit zerbrechlichen Schmetterlingen besteckt ist, und etliche Glaskästen und beginnt ihren dunklen Bauch zu lecken. Der Ausstopfer sieht ihr voll Stolz zu.

» Sie hat mir in zwei Jahren noch nicht einen Schmetterling zerbrochen«, vertraut er mir an. »Sie nascht nicht, sie schwindelt niemals. Aber sie will kein Halsband tragen und läßt sich nicht streicheln.«

Verlockt, strecke ich die Hand gegen sie aus … Sofort bedeckt sich das Fell der Katze mit dunklen Flecken, und die blassen Augen, in denen die furchtbare Aufrichtigkeit des ungezähmten wilden Tieres leuchtet, warnen mich … Ich lasse mich nicht beirren: Blut rötet den schönen reinen Blick, eine Trunkenheit überkommt sie, und Kralle und Zahn strafen meine kühne Hand … Die allzu lebendige kleine Göttin dieses exotischen Friedhofs sitzt aufrecht vor uns auf einem dicken Teppich aus Fischotterfell. Sie ist bereit, es auf einen Kampf ankommen zu lassen oder eine Züchtigung hinzunehmen …

»Wie schön sie ist! und wie tapfer! …«

»Pst! lachen Sie nicht, lachen Sie ja nicht über Sie!« flüstert ihr Sklave.

»Warum denn nicht?«

»Weil … Sie weiß sehr gut, was Spott ist, muß ich Ihnen sagen. Und wenn Sie dann fort sind … wenn ich mit ihr allein bin … geht sie auf mich los.«


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