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81

Es war Sonnabend; Huguenau zahlte in der Druckerei die Wochenlöhne aus.

Das Leben war in gewohnter Weise weitergegangen, nicht einen Augenblick war es Huguenau in den Sinn gekommen, daß er als offen gesuchter und verfolgter Deserteur eigentlich hätte flüchten müssen. Er war einfach dageblieben. Nicht nur, weil er seinem Wirkungskreis schon allzusehr verbunden war, nicht nur, weil es einem kaufmännischen Gewissen schwer erträglich ist, ein Unternehmen im Stiche zu lassen, in dem ein schönes Stück Geld, fremdes oder eigenes, investiert ist, nein, es war viel eher ein Gefühl allseitiger Unabgeschlossenheit, das ihn zurückhielt und das ihn nicht kapitulieren ließ, ein Gefühl, das ihn zwang, seine Wirklichkeit gegenüber der der anderen zu behaupten. Und war's auch ein wenig wie ein Nebel, alles in allem ergab es dennoch eine sehr deutliche Vorstellung: daß der Major und Esch sich hinterher wieder finden und ihn verhöhnen werden. Er blieb also und traf mit Frau Esch bloß eine Vereinbarung betreffs Rückvergütung nicht konsumierter Mahlzeiten, so daß er nun ohne materielle Einbuße dem verhaßten Mittagstisch öfters fernbleiben konnte.

Natürlich wußte er, daß die Verhältnisse nicht danach angetan waren, Einzelaktionen gegen einen kleinen elsässischen Deserteur zu begünstigen; er befand sich in relativer Sicherheit und außerdem hatte er den Major in geradezu erpresserischer Gewalt. Er wußte es, aber er wollte es nicht wissen. Im Gegenteil, er spielte mit dem Gedanken, daß sich das Kriegsglück noch wenden und der Major wieder ein großer Herr sein werde, daß der Major und Esch bloß darauf warteten, um ihn sodann zu vernichten. Da hieß es, solche Pläne beizeiten konterkarieren. Vielleicht war's purer Aberglaube, aber er durfte die Hände nicht in den Schoß legen, er mußte seine Zeit ausnützen, allzu viel Dringliches hatte er noch zu erledigen, und weil er nicht genau anzugeben vermocht hätte, wohin ihn diese Dringlichkeit eigentlich trieb, so beruhigte er sich dabei, daß seine Feinde es sich selbst zuzuschreiben hätten, wenn er Konterminen legte.

Nun zahlte er die Löhne aus. Lindner besah das Geld, zählte nochmals nach, besah nochmals das Geld und ließ es auf dem Tische liegen. Der Setzergehilfe stand daneben und sagte auch nichts. Huguenau begriff nicht: »Na, Lindner, warum nehmen Sie's nicht? … haben Sie am Ende was gegen das Geld?«

Schließlich sagte Lindner mit offenkundigem Widerstreben:

»Der Tariflohn beträgt 92 Pfennig.«

Das war was Neues. Aber Huguenau fand sich zurecht: »Ja, ja, in großen Betrieben … aber in so einer Quetsche … Sie, ein alter erfahrener Arbeiter, Sie müssen doch wissen, wie's um uns bestellt ist. Angefeindet von allen Seiten, nichts als Feinde, … wenn ich nicht das Blatt so weit wieder auf den Damm gebracht hätte, gäb's heute überhaupt keine Löhne mehr … das ist der Dank. Oder glauben Sie vielleicht, daß ich Ihnen nicht das doppelte Salär gönnen würde … aber woher soll ich's denn nehmen? Sie meinen wohl, daß wir eine Regierungszeitung mit Subventionen sind, … dann hätt's allerdings einen Sinn, der Organisation beizutreten und Tariflöhne zu verlangen. Dann träte ich selber der Organisation bei, da ging's mir besser.«

»Ich bin nicht bei der Organisation«, brummte Lindner.

»Wo haben Sie denn die Tariflöhne her?«

»Das weiß man bald.«

Huguenau hatte inzwischen überlegt. Natürlich war der Liebel daran schuld mit seiner Gewerkschaftspropaganda. Also der war auch ein Feind! Doch mit Liebel mußte man sich gerade jetzt verhalten. Er sagte also: »Na, wir werden uns schon einigen … sagen wir, neue Tarife ab November, bis dahin wollen wir's besprechen.«

Die beiden Leute gaben sich zufrieden.

Abends ging er ins Wirtshaus »Zur Pfalz«, um Liebel zu treffen. Eigentlich war die Affäre mit Lindner bloß ein Vorwand. Huguenau war nicht eben schlecht gelaunt, er sah klar in die Welt; man muß bloß wissen, wo der Feind steht, dann kann man, wenn's drauf ankommt, einen Frontwechsel vornehmen. Na, er wußte, wo der Feind stand. Jetzt haben sie den Puff und zwei Kneipen draußen gesperrt, … aber wie er ihnen seine Hilfe zum Kampfe gegen die subversiven Elemente angetragen hat, da hat's der Major ausgeschlagen. Na, morgen soll der Alte wieder mal im Blatte belobt werden, diesmal für die Bordellschließung. Und Huguenau summte vor sich hin: »Herr Gott, Zebaoth.«

In der »Pfalz« saßen Liebel, der kriegsfreiwillige Doktor Pelzer und noch einige. Pelzer fragte sofort: »Und wo haben Sie den Esch gelassen? den sieht man ja gar nicht mehr.«

Huguenau feixte.

»Bibelstunde am heiligen Sabbath … jetzt wird er sich bald auch noch beschneiden lassen.«

Alles grölte und Huguenau war stolz. Pelzer aber sagte: »Macht nichts, der Esch ist doch ein patenter Bursche.«

Liebel schüttelte den Kopf: »Man sollte nicht meinen, was es heute alles gibt …«

Pelzer sagte: »Gerade in solchen Zeiten macht sich jeder seine Gedanken … ich bin Sozialist und Sie sind es, Liebel … aber trotzdem ist der Esch ein patenter Bursche … ich mag ihn gut leiden.«

Die etwas turmartige Stirne Liebels wurde rot und die darüber laufende Ader schwoll an: »Meiner Ansicht nach ist dies Volksverdummung und müßte abgestellt werden.«

»Jawohl«, sagte Huguenau, »destruktive Ideen.«

Einer am Tisch lachte: »Herrjeh, wie jetzt sogar schon die Großkapitalisten reden!«

Huguenaus Brillengläser blitzten den Sprecher an: »Wenn ich Großkapitalist wäre, so säße ich nicht hier, sondern in Köln, wenn nicht gar in Berlin.«

»Na, ein Kommunist sind Sie gerade auch nicht, Herr Huguenau«, sagte Pelzer.

»Bin ich auch nicht, mein verehrtester Herr Doktor … aber ich weiß, was Recht und was Unrecht ist … wer hat als erster die Mißstände im Gefangenenhaus aufgedeckt? he?«

»Niemand leugnet Ihre Verdienste«, gab Pelzer zu, »wo hätten wir so einen schönen Eisernen Bismarck, wenn Sie nicht gewesen wären.«

Huguenau wurde zum Biedermann; er schlug Pelzer auf die Schulter: »Uzen Sie Ihre Großmutter, mein Lieber!«

Aber dann legte er los: Verdienste hin, Verdienste her. Gewiß war er stets ein guter Patriot gewesen, gewiß habe er die Siege seines Vaterlandes gefeiert, wer wage es, ihn deswegen zu tadeln! aber er habe dabei ganz genau gewußt, daß dies das einzige Mittel war, die Bourgeosie, die den Beutel gewiß nicht locker im Sacke sitzen hat, in Schwung zu bringen, damit für die Kinder armer gefallener Proletarier etwas getan werde; so viel er sich erinnerte, dürfte er es gewesen sein, der dies zustande gebracht hat! und der Dank? es würde ihn nicht wundern, wenn jetzt schon geheime Polizeibefehle gegen ihn liefen! aber er fürchte sich nicht, sie mögen nur kommen, er habe schon noch Freunde, die ihn gegebenenfalls aus dem Gefängnis befreien würden, mit der geheimen Gerichtsbarkeit müsse überhaupt aufgeräumt werden! ein Mensch verschwindet, man weiß nicht wie, und hinterher wird man erfahren, daß er im Gefängnishof verscharrt worden ist, weiß Gott, wie viele ihrer sind, die noch in den Kerkern schmachten! Nein, wir haben keine Justiz, wir haben eine Polizeijustiz! und das Ärgste ist die Scheinheiligkeit dieser Polizeibüttel, die Bibel haben sie immer bei der Hand, aber lediglich, um einen damit auf den Kopf zu dreschen. Und vor und nach dem Fressen gibt es ein Tischgebet, die andern aber dürfen mit oder ohne Tischgebet verhungern …

Pelzer hatte mit Wohlgefallen zugehört; nun unterbrach er ihn: »Mir scheint, Huguenau, Sie sind ein agent provocateur.«

Huguenau kratzte sich den Scheitel: »Und meinen Sie, daß mir solche Anträge noch nicht gestellt worden sind? wenn ich Ihnen erzählen wollte … na, lassen wir das … ich war immer korrekt und werde korrekt bleiben, und wenn's den Kragen kostet … ich vertrage bloß keine Scheinheiligkeit.«

Liebel sagte zustimmend: »Mit der Bibel ist das schon so eine Sache … das Volk mit Bibelsprüchen abspeisen, das haben die Herren gern.«

Huguenau nickte: »Jawohl, erst Bibelsprüche und nachher erschießen … es gibt Leute genug, die damals die Schießerei im Gefängnis mit anhörten … na, ich will nichts gesagt haben. Aber ehe ich mich in so 'ne Bibelstunde setze, gehe ich noch lieber in den Kintopp.«

So bezog Huguenau seine Stellung in dem beginnenden Kampf zwischen Oben und Unten. Und wenn ihm die bolschewistische Propaganda auch höchst gleichgültig war und er als erster nach Schutz gerufen hätte, wenn es um sein eigenes Hab und Gut gegangen wäre, ja, wenn er auch die zunehmende Anzahl der Einbrüche bloß mit großem Unbehagen im »Kurtrierschen Boten« meldete, so sagte er jetzt mit aufrichtiger Überzeugung: »Die Russen sind ganz gescheite Kerle.«

Und Pelzer sagte: »Das will ich glauben.«

Als sie das Lokal verließen, drohte Huguenau dem Meister Liebel mit dem Finger: »Sie sind mir auch so ein Scheinheiliger .. hetzen da den braven alten Lindner auf, wo ich ohnehin eigentlich bloß für die Leute arbeite … das wissen Sie doch ganz gut. Na, wir werden die Chose schon miteinander ins reine bringen.«

 


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