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23

Dr. Flurschütz und Leutnant Jaretzki gingen vom Krankenhaus in die Stadt. Die Straße war voller Löcher und Gruben, aufgerissen von den Lastautos, die mit Eisenreifen fuhren, weil es keinen Gummi mehr gab. Eine stillgelegte Dachpappefabrik streckte dünne schwarze Blechschlote in die stille Luft. Im Wald zwitscherten die Vögel. Jaretzkis Ärmel war mit einer Sicherheitsnadel an der Tasche seines Uniformrocks befestigt.

»Merkwürdig«, sagte Jaretzki, »seitdem ich den linken los bin, hängt mir der rechte wie ein Gewicht herunter … am liebsten würde ich auch den abschneiden.«

»Sie sind eben ein symmetrischer Mensch … Ingenieure haben Sinn für Symmetrie.«

»Wissen Sie, Flurschütz, manchmal vergesse ich völlig, daß ich so einen Beruf gehabt habe … Sie verstehen das nicht, Sie sind ja in Ihrem Beruf geblieben.«

»Na, das kann man nicht eben behaupten …, ich war doch eher Biolog als Arzt …«

»Ich habe ein Offert bei der A.E.G. eingereicht, Leutemangel haben sie ja jetzt überall … aber daß ich wieder beim Reißbrett sitzen werde, das kann ich mir nicht vorstellen … was meinen Sie wohl, wieviel Tote es so insgesamt gibt?«

»Weiß nicht, fünf Millionen, zehn Millionen … vielleicht zwanzig, bis es zu Ende sein wird.«

»Ich bin überzeugt, daß das nie zu einem Ende kommen kann … das geht ewig so weiter.«

Dr. Flurschütz blieb stehen: »Sagen Sie, Jaretzki, begreifen Sie, daß man hier so ruhig herumspaziert, daß überhaupt das Leben so ruhig weiterläuft, während ein paar Kilometer von hier lustig drauflos geknallt wird?«

»Na, ich begreife manches nicht …, übrigens haben wir beide unser Teil draußen abbekommen …«

Dr. Flurschütz tastete mechanisch nach der Einschußnarbe unter dem Mützenschild: »So meinte ich's nicht … das war am Anfang, wie man sich dazu gedrängt hat, weil man sich schämte … nein, jetzt müßte man von Rechts wegen wahnsinnig werden.«

»Das fehlte noch …, danke schön, dann lieber noch sich besaufen …«

»Das Rezept befolgen Sie ja gründlich.«

Der Wind trug den Teergeruch von der stillgelegten Dachpappefabrik zu ihnen herüber.

Dr. Flurschütz, dünn und gebeugt, mit seinem blonden Spitzbart und dem Kneifer, sah in der Uniform etwas linkisch aus. Sie schwiegen eine Weile.

Die Straße senkte sich. Verstreute Parterrehäuschen, in neuerer Zeit hier vor den Toren der Stadt errichtet, schoben sich zur Zeile zusammen und machten einen friedlichen Eindruck. In allen Vorgärten wurde kümmerliches Gemüse gezogen.

Jaretzki sagte: »Kein Vergnügen, das ganze Jahr im Teergeruch zu wohnen.«

Flurschütz sagte: »Ich war in Rumänien und war in Polen. Sehen Sie … und überall stehen die Häuser ebenso friedlich da … so mit den gleichen Tafeln, Maurermeister, Schlosser und so … in einem Unterstand bei Armentieres da gab's unter den Brettern der Zimmerung eine Tafel ›Tailleur pour Dames‹ … es ist vielleicht kitschig, aber dort ist mir der ganze Wahnsinn erst richtig aufgegangen.«

Jaretzki sagte: »Jetzt mit dem einen Arm könnte ich mich auch in irgendeinen Heeresbetrieb als Ingenieur stecken lassen.«

»Das wäre Ihnen lieber als die A.E.G.?«

»Nee, mir ist überhaupt nichts lieber … vielleicht melde ich mich mit dem einen Arm nochmals hinaus … zum Handgranatenschmeißen genügt der eine … helfen Sie mir die Zigarette anzünden.«

»Was haben Sie heute schon getrunken, Jaretzki?«

»Ich? nicht der Rede wert, ich habe mich nüchtern gehalten für den Wein, zu dem ich Sie jetzt führen werde.«

»Also wie ist's mit der A.E.G.?«

Jaretzki lachte: »Um ehrlich zu sein: ein sentimentaler Versuch, ins Bürgerliche zurückzufinden, eine Karriere vor sich haben, nicht mehr Herum vögeln, Heiraten … aber daran glauben Sie ebensowenig wie ich.«

»Warum soll ich denn nicht daran glauben?«

Jaretzki skandierte mit der Zigarette: »Weil … der … Krieg … nie … zu … einem … Ende … gelangen … kann … wie oft soll ich's Ihnen denn noch sagen!«

»Auch das ist eine Lösung«, sagte Flurschütz.

»Es ist die einzige Lösung.«

Sie waren beim Stadttor angelangt. Jaretzki stellte den Fuß auf den Prellstein, holte die Handschuhe aus der Tasche, und, die Zigarette schief im Mund, klopfte er sich den Staub der Landstraße von den Schuhen. Dann strich er den dunklen Schnurrbart glatt, und durch den kühlen Torbogen betraten sie die enge stille Gasse.

 


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