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Als Huguenau nach einer Respektszeit von zwei Tagen wieder bei Esch erschien, fand er in dem Korbsessel neben Eschs Arbeitstisch eine breithüftige, reiz- und geschlechtslose Person unbestimmten Alters. Es war Frau Esch, und Huguenau wußte, daß er nun gewonnenes Spiel haben würde. Er brauchte sich ihr bloß vorteilhaft zu präsentieren: »Oh, die gnädige Frau wird uns bei unsern so schwierigen Verhandlungen zur Seite stehen.«

Frau Esch ruckte ein wenig ab: »Ich verstehe nichts von Geschäften, das ist Sache meines Mannes.«

»Ja, der Herr Gemahl, der ist allerdings ein Geschäftsmann comme il faut! der ist, wie man so sagt, mit allen Wassern gewaschen, an dem wird sich noch mancher die Zähne ausbeißen.«

Frau Esch lächelte ein wenig, und Huguenau fühlte sich ermutigt:

»Ausgezeichnete Idee von ihm, die Konjunktur auszunützen und sich von der Zeitung zu befreien, die ihm sowieso bloß Ärger und Kummer bereitet, und wo das Geschäft immer nur schlechter und schlechter geht.«

Frau Esch sagte höflich: »Ja, mein Mann muß sich mit der Zeitung recht viel ärgern.«

»Trotzdem geb' ich's nicht auf«, sagte Esch.

»Aber, aber, Herr Esch, Ihre Gesundheit ist Ihnen wohl gar nichts wert, da hat doch die Frau Gemahlin auch noch ein Wörtchen dreinzureden, … übrigens«, Huguenau überlegte, »... wenn Sie sich partout nicht von ihrer Tätigkeit trennen wollen, so können Sie sich ja Ihre fernere Mitarbeit ausbedingen, die Käufergruppe wird es nur begrüßen, wenn ich ihr eine so wertvolle Kraft sichere.«

Darüber ließe sich reden, meinte Esch, aber unter 18 000 Mark sei es nicht zu machen, das habe er soeben mit seiner Frau besprochen.

Nun, es sei immerhin vernünftig, daß Herr Esch schon etwas von dem Phantasiepreis nachgelassen habe, doch wenn er an dem Geschäft beteiligt bleiben wolle, so müsse er wohl dies ins Kalkül ziehen.

Inwieferne, fragte Herr Esch.

Huguenau fühlte, daß Fixigkeit geboten wäre.

»Am einfachsten, meine Herrschaften, ist es wohl, wenn wir einen Probevertrag aufsetzen und dabei die einzelnen Punkte besprechen.«

»Meinetwegen«, sagte Esch und nahm ein Blatt Papier, »diktieren Sie.«

Huguenau setzte sich in Positur: »Also schön. Überschrift: Gedächtnisprotokoll.«

Es ergab sich demnach unter vielem Hin- und Herreden, das den ganzen Vormittag in Anspruch nahm, der Vertrag:

§ 1. Herr Wilhelm Huguenau als Machthaber und Treuhänder einer kombinierten Interessentengruppe tritt dem Zeitungsunternehmen offene Handelsgesellschaft »Kurtrierscher Bote« als öffentlicher Gesellschafter bei, so zwar, daß das Firmenvermögen folgendermaßen verteilt wird:

10 % verbleiben im Besitze des Herrn August Esch,

60 % erhält die von Herrn Huguenau vertretene »Industriegruppe«,

30 % erhält die gleichfalls von Herrn Huguenau vertretene Gruppe lokaler Interessenten.

Die von Herrn Esch ursprünglich gewünschte Halbbeteiligung wurde von Huguenau abgelehnt: »Es geht gegen Ihr eigenes Interesse, lieber Esch, je größer Ihre Beteiligung, desto geringer Ihr Barerlös, … Sie sehen, daß ich Ihr Interesse im Auge behalte.«

§ 2. Das Firmenvermögen besteht aus den Verlags- und sonstigen Rechten, sowie aus der gesamten Büro- und Druckereieinrichtung. Über die neue Besitzverteilung werden interimistische Anteilscheine ausgegeben.

Die Freiheitsstatue und die Ansicht von Badenweiler wurden von Herrn Esch als Privateigentum reklamiert und aus dem Firmenvermögen ausgeschieden. »Bitte«, sagte Huguenau großzügig.

§ 3. Die Nettogewinne werden im Verhältnis der Anteilscheinbesitze unter den Partnern aufgeteilt, soweit sie nicht einem Reservefonds zugeführt werden. Die Verluste werden im gleichen Verhältnis getragen.

Die Bestimmung über die Verluste wurde auf Verlangen des Herrn Esch in den Vertrag aufgenommen, da Herr Huguenau Verluste überhaupt nicht in Erwägung gezogen hatte. Auch der Reservefonds war eine Erfindung Eschs.

§ 4. Herr Huguenau bringt als Machthaber und Vertreter der neuen Teilhabergruppe ein Kapital von M. 20 000.– (sage zwanzigtausend Mark) in die Firma ein. Ein Drittel des Kapitals ist sofort zu erlegen, je ein weiteres Drittel kann, auf Wunsch der einzahlenden Partner, nach einem halben, resp. einem ganzen Jahr spätestens fällig gemacht werden. Für verspätete Einzahlung ist der Firma eine Vergütung von 4 % pro Halbjahr zu leisten. Die Anteilscheine werden nach Maßgabe der Einzahlung ausgefolgt.

Da die Anteilscheine sofort bei Einzahlung ausgefolgt werden sollten und die hohe Verzinsung von 4 % ein genügendes Abschreckungsmittel bildete, fürchtete Huguenau nicht besonders, daß die lokalen Interessenten von dem Recht auf Ratenzahlung Gebrauch machen würden. Und wenn sie's trotzdem täten, so wird sich schon ein Weg finden, die Sache zu überbrücken. Auch machte es Huguenau wenig Sorge, wie er selber die Raten der legendären Industriegruppe aufbringen würde, die nächste Rate war ohnehin erst in einem halben Jahr, also Neujahr 1919 fällig, und bis dahin hatte es gute Weile und vielerlei konnte sich ereignen; Kriegsverhältnisse bringen allerhand Unordnung, vielleicht gibt es dann Frieden, vielleicht wird die Zeitung jene Beträge selber in Verdienst bringen und es wird sich sogar als notwendig erweisen, diese Verdienste durch fiktive Verluste zu verschleiern und verschwinden zu lassen, vielleicht würde Esch bis dahin tot sein, – man wird sich schon zu helfen wissen und durchs Leben schlagen.

§ 5. Die Zahlungen des Herrn Wilhelm Huguenau per insgesamt M. 20 000.– werden auf zwei Konti u. z. M. 13 400.– auf Konto »Huguenau-Industriegruppe« und M. 6600.– auf Konto »Lokalgruppe« verbucht.

Nun kam aber der schwierigste Punkt der Verhandlung. Denn Esch beharrte auf seinen M. 18 000.–, während Huguenau behauptete, daß von diesem Preis vor allem 10 % für die restliche Beteiligung Eschs, weitere M. 2000.– aber für die Teilhaberschaft an dem erhöhten Geschäftskapital in Abzug gebracht werden müßten, insgesamt also M. 4000.–, so daß Esch, würde man sogar seine eigene Einschätzung akzeptieren, bloß M. 14 000.– zu bekommen hätte, daß dies aber noch immer viel zu viel sei, daß ein Makler objektiv sein müsse, und er werde auch niemals einen solchen Preis bei seiner Gruppe durchsetzen können, so sehr er es auch Esch und seiner liebenswürdigen Gattin gönnen würde, nein, es wäre einfach unmöglich, denn er müsse mit einem seriösen Vorschlag vor seine Auftraggeber treten und er habe keine Lust, sich auslachen zu lassen; er sei in dieser Angelegenheit sicherlich nicht Partei, sondern objektiv, und als objektiver Beurteiler könne er für die verkauften 90 % M. 10 000.– vorschlagen und nicht um einen Pfennig mehr.

Nein, schrie Esch, achtzehntausend wolle er.

»Wie kann ein Mann nur so schwerhörig sein«, wandte sich Huguenau an Frau Esch, »ich habe ihm doch eben vorgerechnet, daß er selbst nach seiner eigenen Einschätzung bloß vierzehntausend zu fordern hätte.« Frau Esch seufzte.

Schließlich einigte man sich auf M. 12 000.– und auf einen Dienstvertrag:

§ 6. Herr August Esch als bisheriger Alleineigentümer erhält:

a) eine Abfertigung von M. 12 000-, von denen ein Drittel, d. i. M. 4000.– sofort und je weitere M. 4000.– am 1. Januar und am 1. Juli 1919 von der Firma an Herrn Esch auszuzahlen sind. Die beiden ausständigen Raten werden mit 4 % pro anno verzinst;

b) einen Dienstvertrag als Schriftleiter und Buchhaltungschef mit einem Monatssalär von M. 125 – für die Dauer von zwei Jahren.

Vielleicht hätte Esch noch immer nicht nachgegeben, auch nicht, als Huguenau den Streit geschickt auf das Nebenthema der Raten Verzinsung verschob, um sich nach hartem Scheingefecht die 4 % abringen zu lassen, hätte auch dann noch immer nicht nachgegeben, wäre er nicht von den in Aussicht stehenden komplizierten Buchungen geblendet gewesen und so sehr entzückt, daß es ihm gar nicht in den Sinn kam, es könnten die aushaftenden Raten – von denen er freilich nicht wußte, daß deren Einzahlung ein besonderes Wunder erfordert haben würde – es könnten also die Raten etwa unberichtigt bleiben oder es könnte gar die Differenz zwischen den M. 12 000.– und den M. 20 000.– trotz aller bestechenden Buchungsaussichten in die fraudulös geöffnete Tasche Huguenaus fließen. Allerdings dachte Huguenau ebensowenig an etwas derart Häßliches, sowenig es ihm zu Bewußtsein kam, daß ihm mit der Zahlung der lokalen Interessengruppe der »Kurtriersche Bote« via facti geschenkt wurde; er kämpfte mit aller Ehrlichkeit für die Interessen seines hypothetischen Auftraggebers und sagte erschöpft: »Uff, also meinetwegen M. 12 000.– und wie Sie's wünschen 4 %, damit wir zu einem Ende kommen; ich will's auf meine Kappe nehmen … aber jetzt krieg ich auch was …«:

§ 7. Gegenseitige Rechte und Pflichten:

a) Herr Huguenau fungiert als Herausgeber. Die kommerzielle und finanzielle Führung des Unternehmens ist ausschließlich ihm überlassen. Er hat ferner das Recht, Artikel für das Blatt nach seinem Gutdünken aufzunehmen oder abzulehnen. Für diese Tätigkeit garantiert ihm die Firma einen Mindestgewinn von M. 175.– pro Monat, d. i. M. 2100.– vom Jahresgewinn.

b) Herr Esch hat während der Dauer seines Dienstvertrages das Recht und die Pflicht, die Buchhaltung des Unternehmens zu besorgen und fungiert als zweiter Schriftleiter.

Auf die Beschränkung seiner Schriftleiterbefugnisse mußte Esch mit Rücksicht auf die Industriegruppe eingehen; die Buchhalterrechte bildeten eine Art Entschädigung.

§ 8. Die von der Zeitung im Hause des Herrn Esch bisher benützten Räumlichkeiten verbleiben dem Unternehmen für weitere 3 Jahre überlassen. Weiters stellt Herr Esch für die gleiche Zeit zwei gutmöblierte Zimmer mit Frühstück dem Herausgeber im Vordertrakt des obgenannten Hauses zur Verfügung. Herr Esch erhält für diese Leistungen vom Unternehmen eine Vergütung von M. 25.– pro Monat.

§ 9. Bei einer späteren Verwandlung der offenen Handelsgesellschaft in eine G. m. b. H. oder A.-G. sind die obigen Bestimmungen sinngemäß zu berücksichtigen.

Bei dieser projektierten Umwandlung in eine Gesellschaft mit öffentlicher Rechnunglegung würde das Kartenhaus natürlich zusammenstürzen müssen. Aber Huguenau machte sich keine Gedanken; für ihn war das Ganze ein durchaus legales Geschäft, und bloß daß es ihm freies Quartier und Frühstück eingetragen hatte, empfand er als kleine Spitzbüberei, die ihn aber herzlich freute. Esch bemängelte dagegen, daß es nicht zehn Paragraphen geworden waren. Sie dachten eine Weile nach und dann fanden sie:

§ 10. Etwaige Streitigkeiten aus diesem Vertrag werden vor dem öffentlichen Gericht ausgetragen.

So konnte Huguenau in erstaunlich kurzer Frist melden – man schrieb den 14. Mai –, daß die Transaktion in glatter Weise erledigt worden sei. Die Honoratioren zögerten nicht, ihren vollen Kapitalseinschuß von M. 6600.– zu leisten; hievon wurden M. 4000.– vertragsgemäß Herrn Esch übergeben, M. 1600.– bestimmte Herr Huguenau als vorsichtiger und solider Kaufmann für die Deckung von Betriebsspesen, während er die restlichen M. 1000.– mit dem Titel Dispositionsfonds versah und für sich verwendete. Die interimistischen Anteilscheine wurden den Zeichnern ausgefolgt, und bereits nach wenigen Tagen wurde in gebührender Form angekündigt, daß die Zeitung ab 1. Juni unter neuer Leitung und in neuer Aufmachung erscheinen werde. Huguenau hatte den Major zu bewegen vermocht, die neue Ära mit einem Leitartikel zu eröffnen, und ebenso sollte die Festnummer durch teils patriotische, teils nationalökonomische, zumeist aber patriotisch-ökonomische Aufsätze aus den Federn der am Blatte beteiligten Honoratioren geziert werden.

Doch Huguenau bezog zur Feier der neuen Epoche die ihm eingeräumten zwei Zimmer im Hause Eschs.

 


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