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Geschichte des Heilsarmeemädchens in Berlin (5)

Der welke Frühling steinerner Gesetze,
Der welke Frühling einer Judenbraut,
Der welke Lärm der Stadt, der gleichsam ohne Laut
Gefangen liegt im unsichtbaren Netze,
Ein Sommertag aus Stein, dem keine Milde taut,
Ein welker Himmel blickt auf Asphaltplätze,
In Straßenschluchten, und wie eine Krätze
Breitet sich Stein auf grauer Erdenhaut.
Oh, Stadt voll falschem Licht, oh, Stadt voll falschem Grölen,
Der Büßende mag keine Bäume sehn,
Er sucht den Ort, in dessen Büßerhöhlen
Aus dem Gesetz das Heiltum wird erstehn
Springbrunnengleich aufsteigend aus Gedanken
Aus heiligem Buch, aus Zweifel und aus Schwanken.
Es ist die Stadt der Wanderer, Angstbüßer und Asketen,
Die Stadt des Volks, das Gott sich auserwählt,
Des Volks, das ohne Lust sich mehrt und bloß die Söhne zählt,
Des Volks der Greise, die am Fenster beten,
Mönchsbärtig Volks, das stets sich Gott vermählt
Mit harten Festen, Riemen, Kultgeräten,
Indes die Weiber fette Klosterbrote kneten
Und zu Jahrzeiten blasses Öllicht schwelt;
Volk, das die Weiber nimmt, um in dem Bett zu zeugen
Den blassen Jüngling mit Theaterbart,
Den Jakobsjüngling, dem sich Engel beugen
Und dem die Wahrheit wird, Wegweiser auf der Fahrt
Zu jenem Bronn, an dem die Engel sanken,
Zu jenem Bronn, wo Rachels Schafe tranken.
Oh, graue Stadt, Station blasser Nomaden
Am Zionswege, der zu Gott hinführt,
Gottlose Stadt, ins leere Netz geschnürt,
Der leere Steinraum, fluch- und schmerzbeladen,
In dem die Heilsarmee die dünne Trommel rührt,
Auf daß der Sünder lasse seinen Schaden
Heimfand auch er zum Wahrheitsweg voll Gnaden,
Zum Zionswege, den die Liebe kürt. –
In dieser Stadt Berlin, in jenen Frühlingstagen
Traf Nuchem Sussin auf die Heilsmarie
Und eine Weile war ein süßes Zagen
Und ihre Seelen fielen in die Knie;
Sie fühlten nicht des Schicksals schwere Pranken,
Sie sahen Zion und ihr Sein war Danken.

 


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