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7

Das Haus lag in der Fischerstraße, einem der krummen Gäßchen, die zum Flusse hinabführen; es war ein Fachwerkbau in dem ersichtlich seit Jahrhunderten allerlei Handwerk geübt worden war. Neben der Haustür zeigte ein schwarzes, rissiges Blechschild in blassen Goldbuchstaben: »Kurtrierscher Bote, Redaktion und Verlag (Im Hofe).«

Durch den schmalen gangartigen Flur, in dessen Dunkelheit er über die Falltüre der Kellerstiege stolperte, an der Mündung der Wohnungstreppe vorüber, kam Huguenau in den überraschend geräumigen hufeisenförmigen Hof. An den Hof schloß sich der Garten an; dort blühten einige Kirschbäume, und dahinter weitete sich der Blick auf das schöne Berggelände.

Das Ganze zeugte von dem halbbäurischen Charakter der ehemaligen Besitzer. Die beiden Flügelgebäude hatten wohl Speicher und Stallungen enthalten; das linke war einstöckig, hatte eine schmale hühnersteigartige Holztreppe an der Außenmauer; wahrscheinlich waren da droben einstens die Knechtkammern gewesen. Das Stallgebäude rechts besaß statt des ersten Stockwerks ein hohes Heubodendach, und eine der Stalltüren war durch ein großes nüchternes Eisenfenster ersetzt worden, hinter dem man eine Druckmaschine arbeiten sah.

Von dem Mann bei der Druckmaschine erfuhr Huguenau, daß Herr Esch drüben im ersten Stock anzutreffen sei.

Huguenau erklomm also die Hühnerleiter und geriet unmittelbar an die Tür mit der Aufschrift »Redaktion und Verlag«, allwo Herr Esch, Besitzer und Herausgeber des »Kurtrierschen Boten« seines Amtes waltete. Es war ein hagerer Mann mit bartlosem Gesicht, in dem ein beweglicher Schauspielermund zwischen zwei langen scharfen Wangenfalten sarkastisch grimmassierte und lange gelbliche Zähne entblößte. Manches erinnerte an einen Schauspieler, manches an einen Pfarrer, manches an ein Pferd.

Das überreichte Inserat wurde mit der Miene eines Untersuchungsrichters und wie ein Manuskript geprüft. Huguenau griff nach der Brieftasche, der er einen Fünfmarkschein entnahm, gewissermaßen andeutend, daß er diesen Betrag für das Inserat anlegen wolle. Aber der andere gab darauf nicht acht, sondern fragte unvermittelt: »Sie wollen also die Leute hier auspowern? spricht sich wohl schon herum, das Elend unter unseren Weinbauern … he?«

Das war eine unvermutete Aggression, und Huguenau hatte den Eindruck, daß sie auf eine Emporschraubung des Annoncenpreises angelegt sei. Er brachte also noch eine Mark zum Vorschein, erzielte damit aber bloß das gegenteilige Resultat: »Danke … das Inserat wird nicht gebracht … Sie wissen offenbar nicht, was feile Presse heißt … sehen Sie, ich bin weder für Ihre sechs Mark feil, noch für zehn, noch für hundert!«

Huguenau wurde immer sicherer, einem gerissenen Geschäftsmann gegenüberzustehen. Doch eben deshalb durfte man nicht lockerlassen; vielleicht zielte jener auf die Anbahnung eines Kompagnieverhältnisses, und auch dies erschien nicht unvorteilhaft.

»Hm, ich habe gehört, daß man solche Inseratengeschäfte auch gerne auf perzentuelle Beteiligung macht … wie wäre es mit einem halben Prozent Provision? allerdings müßten Sie dann die Annonce mindestens dreimal bringen …, natürlich steht es Ihnen auch öfters frei, der Wohltätigkeit sind keine Schranken gesetzt …«; er riskierte ein Lachen des Einverständnisses und ließ sich neben dem rohen Küchentisch nieder, der Herrn Esch als Arbeitsplatz diente.

Esch hörte ihm nicht zu, sondern ging mürrischvergrämten Gesichts im Zimmer auf und ab, mit schweren ungelenken Schritten, die schlecht zu seiner Hagerkeit paßten. Der gescheuerte Fußboden knarrte unter dem schweren Tritt, und Huguenau betrachtete die Löcher und den Mauerschutt zwischen den Dielen, sowie Herrn Eschs schwere schwarze Halbschuhe, die merkwürdig nicht mit Schuhbändern, sondern mit einer an Sattelzeug gemahnenden Schnalle verschlossen waren und über deren Ränder graugestricktes Sockenzeug sich wulstete. Esch führte Selbstgespräche: »Jetzt kommen schon die Aasgeier über die armen Leute … aber wenn man die Öffentlichkeit auf das Elend aufmerksam machen will, dann hat man's mit dem Zensor zu tun.«

Huguenau hatte die Beine übereinandergeschlagen. Er besah die Dinge auf dem Tisch. Eine leere Kaffeetasse mit brauneingetrockneten Trinkspuren, eine bronzene Nachbildung der New Yorker Freiheitsstatue (aha, ein Briefbeschwerer!), eine Petroleumlampe, deren weißer Docht im Glasgefäß von ferne her und unartikuliert an einen Fötus oder an einen Bandwurm in Spiritus erinnerte. Aus einer Zimmerecke tönte jetzt die Stimme Eschs: »Der Zensor sollte einmal all den Jammer und das Elend selber mit ansehen … zu mir kommen die Leute … geradezu Verrat wäre es …«

Auf einem wackligen Regal lagen Papiere und zusammengeschnürte Zeitungsstöße. Esch hatte seine Wanderung wieder aufgenommen. In der Mitte der gelbgetünchten Wand, an einem zufälligen Nagel hing ein kleines vergilbtes, schwarzgerahmtes Bild, »Badenweiler mit dem Schloßberg«; vielleicht war es eine alte Ansichtskarte. Huguenau überlegte: solche Bilder oder Bronzestatuetten würden sich auch in seinem Büro recht hübsch ausnehmen. Doch da er sich nun dieses Büro und die dortige Tätigkeit ins Gedächtnis zurückrufen wollte, da gelang es nicht, da war es so ferne und fremd, daß er es aufgab, und sein Blick suchte wieder den aufgeregten Herrn Esch, dessen brauner Samtrock und helle Tuchhose so wenig zu dem groben Schuhwerk paßten wie die Bronzestatuette auf den Küchentisch. Esch spürte wohl seinen Blick, denn er schrie: »Zum Teufel, warum sitzen Sie überhaupt noch hier?«

Natürlich hätte Huguenau weggehen können, – aber wohin? Ein neuer Plan war nicht leicht zu fassen. Huguenau fühlte sich von einer fremden Macht auf Schienen gesetzt, die man nicht ohne weiteres und auch nicht ungestraft verlassen konnte. Also blieb er ruhig sitzen und putzte seine Brille, wie er dies, um Haltung zu wahren, bei schwierigen kaufmännischen Unterhandlungen zu tun pflegte. Es verfehlte auch diesmal nicht seine Wirkung, denn Esch, gereizt, pflanzte sich vor ihm auf, platzte von neuem los: »Wo kommen Sie eigentlich her? wer hat Sie hergeschickt …, von hier sind Sie nicht, und Sie werden mir nicht weismachen, daß Sie selber hier Weinbauer werden wollen … Sie wollen hier nur spionieren. Einsperren sollte man Sie!«

Esch stand vor ihm. Ein lederner Leibgurt kroch unter der braunen Samtweste hervor. Ein Hosenbein war heller verfärbt. Da nützt keine chemische Reinigung, dachte Huguenau, er müßte die Hose schwarz einfärben lassen, ich sollte es ihm sagen, was will er eigentlich von mir? wenn er mich tatsächlich hinauswerfen will, braucht er doch nicht erst einen Streit provozieren, … er will also, daß ich bleibe. Etwas war da nicht in Ordnung. Huguenau spürte irgendwo Kameradschaftlichkeit mit diesem Mann und gleichzeitig witterte er einen Vorteil. Einlenkend suchte er sich also zu vergewissern: »Herr Esch, ich habe Ihnen ein loyales Geschäft gebracht, und wenn Sie es ausschlagen wollen, so ist das Ihre Sache. Wollen Sie mich aber bloß beschimpfen, so hat unsere Unterredung weiter keinen Zweck.«

Er klappte die Brille zusammen, lüftete ein wenig seinen Sitz, solcherart mit dem Körper symbolisierend, daß er auch weggehen könne, – man brauche es nur zu sagen.

Esch schien nun tatsächlich keine Lust zu haben, die Unterhaltung abzubrechen: er hob begütigend die Hand und Huguenau vertauschte die symbolische Hockstellung wieder mit seinem Sitz: »Ja, ob ich hier selber Wein bauen werde, das ist allerdings fraglich, damit dürften Sie schon recht haben, – obwohl auch dies nicht ausgeschlossen wäre; man sehnt sich ja nach Ruhe. Aber kein Mensch will auspowern«, er redete sich in Hitze, »ein Makler ist ebenso ehrenwert wie jeder andere Mensch, und er will bloß ein Geschäft zusammenbringen, das beide Teile befriedigt, dann hat auch er seine Freude dran. Im übrigen möchte ich Sie bitten, mit Ausdrücken wie Spion etwas vorsichtiger umzugehen, das ist in Kriegszeiten nicht ungefährlich.«

Esch war beschämt: »Na, ich wollte Sie nicht beleidigen, … aber manchmal steigt einem der Ekel zum Halse, und da muß es heraus, … ein Kölner Baumeister, ein ausgesprochener Schwindler, hat Grundstücke zu Schleuderpreisen angekauft … hat die Leute von Haus und Hof vertrieben … und der Apotheker hier hat's ihm nachgemacht … wozu braucht der Herr Apotheker Paulsen Weinberge? können Sie mir das vielleicht sagen?«

Huguenau wiederholte beleidigt: »Spionieren …«

Esch hatte sich wieder in Bewegung gesetzt: »Auswandern sollte man. Wohin immer. Nach Amerika. Wäre ich jünger, ich würde alles hinschmeißen und von vorne anfangen …« Er blieb neuerdings vor Huguenau stehen, »aber Sie, Sie sind ein junger Mann, – warum sind Sie eigentlich nicht an der Front? wie brachten Sie es fertig, sich hier herumzutreiben?« Jäh war er wieder aggressiv geworden. Nun, Huguenau wünschte nicht, auf das Thema einzugehen; er wich aus: es sei doch unbegreiflich, daß ein Mann in angesehener Position und an der Spitze einer Zeitung stehend, umgeben von einer schönen Gegend und der Achtung seiner Mitbürger und überhaupt, jetzt in vorgerückten Jahren Auswanderungspläne hege.

Esch grimmassierte sarkastisch: »Achtung meiner Mitbürger, Achtung meiner Mitbürger … wie die Hunde sind sie hinter mir her …«

Huguenau betrachtete den Schloßberg von Badenweiler, dann sagte er: »Nicht zu glauben …«

»Na, nehmen Sie vielleicht gar Partei für die Gesellschaft, wundern würde es mich nicht …«

Huguenau steuerte sein Schiff ins Oberwasser: »Schon wieder diese vagen Anwürfe, Herr Esch, wollen Sie sich wenigstens präziser ausdrücken, wenn Sie mir etwas vorzuwerfen haben.«

Allein Herrn Eschs sprunghaftes und reizbares Denken war nicht so leicht zu bändigen: »Präzise Ausdrücke, präzise Ausdrücke, auch das wieder so ein Gerede, … als ob man alles beim Namen nennen könnte …« er schrie Huguenau ins Gesicht, »junger Mann, ehe Sie nicht wissen, daß alle Namen falsch sind, wissen Sie gar nichts, … nicht einmal die Kleider an Ihrem Leib sind richtig.«

Huguenau war es unheimlich. Das begreife er nicht, sagte er.

»Natürlich begreifen Sie das nicht … aber daß ein Apotheker um einen Pappenstiel Grundstücke zusammenhamstert, jawohl, das begreifen Sie … und es ist Ihnen wohl auch begreiflich, daß man einen Menschen verfolgt, der die Dinge beim richtigen Namen nennt, daß man ihn als Kommunisten in Verruf bringt … daß man ihm den Zensor auf den Hals hetzt, was, das heißen Sie gut … Sie sind wohl auch der Meinung, daß wir in einem Rechtsstaat leben?«

Das wären unliebsame Verhältnisse, sagte Huguenau.

»Unliebsam! auswandern sollte man … ich habe es satt, mich damit herumzuschlagen …«

Huguenau fragte, was Herr Esch mit der Zeitung zu tun gedenke.

Esch machte eine wegwerfende Handbewegung, er habe schon so manches Mal zu seiner Frau gesagt, daß er am liebsten die ganze Pastete verkaufen würde, das Haus würde er behalten, – er habe auch schon daran gedacht, einen Buchhandel einzurichten.

»Da hat das Blatt unter den Anfeindungen wohl sehr gelitten, Herr Esch? ich meine, mit dem Absatz wird es wohl nicht mehr sehr weit her sein?«

Nein, das nicht, der Bote habe seine Stammkundschaft, die Kneipen, die Frisöre, vor allem die Dörfer draußen; die Anfeindungen beschränkten sich auf gewisse Kreise in der Stadt. Aber er habe es satt, sich damit herumzuschlagen.

Ob Herr Esch schon eine Preisidee hätte?

Ja doch, … 20 000 Emm sei das Blatt mit der Druckerei sicher unter Brüdern wert. Überdies wolle er die Räumlichkeiten auf längere Zeit, sagen wir etwa auf fünf Jahre, dem Zeitungsunternehmen kostenlos zur Verfügung stellen; das wäre für einen Käufer auch ein Vorteil. So habe er sich das gedacht, das wäre anständig, er wolle niemanden überhalten, er habe es bloß satt. Das habe er auch seiner Frau gesagt.

»Nun«, sagte Huguenau, »ich frage nicht aus bloßer Neugier … ich sagte Ihnen ja, daß ich Makler bin, und vielleicht kann ich etwas für Sie tun. Sehen Sie, lieber Esch«, – und er klopfte dem Zeitungsbesitzer gönnerhaft auf den knochigen Rücken, – »wir werden doch noch ein Geschäftchen miteinander machen; man soll eben nie jemanden vorzeitig hinauswerfen. Aber zwanzigtausend müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen. Phantasie zahlt heutzutage kein Mensch mehr.«

Selbstgewiß und jovial kletterte Huguenau die Hühnerleiter hinab.

Vor der Druckerei saß ein Kind.

Huguenau musterte das Kind, musterte den Eingang zur Druckerei. »Fremden ist der Eintritt verboten« war auf der Tafel zu lesen.

Zwanzigtausend Emm, dachte er, und die Kleine als Draufgabe.

Fremd war er, aber den Eintritt konnte man ihm nicht mehr verbieten; wer einen Kauf vermitteln soll, muß die Ware vorher kennen. Der Esch wäre eigentlich verpflichtet gewesen, die Druckerei herzuzeigen. Huguenau überlegte, ob er ihn herunterrufen sollte, doch dann ließ er es bleiben: in ein oder zwei Tagen wird man ohnehin wieder hierherkommen, vielleicht sogar mit konkreten Kaufanträgen, – Huguenau war dessen völlig sicher, und außerdem war es jetzt Essenszeit. Also begab er sich zum Gasthof.

 


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