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Huguenaus Freude an der Zeitung hatte nicht lange gewährt, nicht einmal einen ganzen Monat. Man schrieb noch Juni, und Huguenau hatte es satt. Im ersten Überschwang war ihm die große Tat der Festnummer und der Festartikel gelungen; da ihm aber nicht gleich wieder etwas Neues einfiel, verlor er die Lust. Es war, als hätte er ein Spielzeug in die Ecke geworfen; er mochte es nicht mehr. Und wenn auch vielleicht die klarere Einsicht dahinter steckte, daß man aus einem Provinzblatt eben keine große Zeitung machen könne, so war er eigentlich doch nur gelangweilt, wollte einfach nichts mehr wissen und fühlte sich von der Realität des Zeitungsgetriebes gestört. Hatte er es einstens nie eilig genug gehabt, in sein Geschäft zu kommen, so verzögerte er sich jetzt gerne im Bett, dehnte das Frühstück über Gebühr und machte sich nur widerwillig auf den Weg ins Hinterhaus, ja, es geschah sogar öfters, daß er sich in der Küche bei Frau Esch aufhielt, um mit ihr die Lebensmittelpreise zu besprechen. Und war er endlich im Redaktionsbüro, so kletterte er meistens bald wieder hinunter und schlich zur Druckmaschine.

Marguerite spielte im Garten. Huguenau rief ihr über den Hof zu: »Marguerite, ich bin in der Druckerei.«

Das Kind kam herbeigelaufen, und gemeinsam traten sie ein. »'n Morgen«, sagte Huguenau kurz, denn seitdem Lindner und der Hilfssetzer seine Untergebenen geworden waren, bestrebte er sich, möglichst kurz mit ihnen zu sein. Die beiden Leute scherten sich allerdings nicht viel darum, und er hatte wieder das Gefühl, daß sie ihn, der von Maschinen nichts verstand, recht sehr verachteten. Jetzt arbeiteten sie in der Setzerei, und Huguenau, die Kleine an der Hand, bemühte sich, ihnen fachmännisch über die Schulter zu schauen, war aber froh, als er aus der Setzerei wieder draußen und bei seiner Druckmaschine war.

Die Druckmaschine liebte er noch immer. Denn ein Mann, der zeitlebens von Maschinen erzeugte Waren verkauft hat, dem aber die Fabriken und die Maschinenbesitzer etwas im Range Übergeordnetes und eigentlich Unerreichbares sind, ein solcher Mann wird es sicherlich als besonderes Erlebnis empfinden, wenn er selber plötzlich Maschinenbesitzer geworden ist, und es mag wohl sein, daß sich dann in ihm jenes liebevolle Verhältnis zur Maschine herausbildet, wie man es bei Knaben und jungen Völkern fast immer findet, ein Verhältnis, das die Maschine heroisiert und sie in die gehobene und freiere Ebene eigener Wünsche und mächtiger Heldentaten projiziert. Stundenlang kann der Knabe die Lokomotive am Bahnhof betrachten, tief erfreut, daß sie die Waggons von einem Gleis auf das andere überstellt, und stundenlang konnte Wilhelm Huguenau vor seiner Druckmaschine sitzen und mit ernsthaftem leerem Knabenblick hinter den Brillengläsern ihr liebevoll zusehen, restlos befriedigt, daß sie sich bewegte, Papier schluckte und wieder herausgab. Und das Übermaß seiner Liebe zu diesem lebendigen Wesen erfüllte ihn so sehr, daß kein Ehrgeiz in ihm aufkeimen oder gar der Versuch entstehen konnte, diese unverständliche und wunderbare Maschinenfunktion je zu begreifen; bewundernd und zärtlich und fast ängstlich nahm er sie hin, wie sie war.

Marguerite war auf die Papierballen gekrochen und Huguenau saß auf der rohen Bank, die dort stand. Er schaute auf die Maschine, schaute auf das Kind. Die Maschine war sein Eigentum, sie gehörte ihm, das Kind gehörte dem Esch. Eine Zeitlang warfen sie sich einen zusammengeballten Papierbogen zu; dann war Huguenau des Ballspiels müde, er schlug die Beine übereinander, putzte seine Brille und sagte: »An den Inseraten wäre noch etwas zu holen.«

Das Kind spielte mit dem Papierball.

Huguenau fuhr fort: »So arg habe ich mir's nicht vorgestellt. Die Zeitung ist überzahlt … immerhin, wir haben die Druckerei, … du hast doch die Druckmaschine gern?«

»Ja, spielen wir Druckmaschine, Onkel Huguenau!«

Marguerite kam von ihrem Papierballen herunter und kroch auf seine Knie. Dann nahmen sie einander bei den Armen, warfen den Oberkörper taktmäßig vor und zurück und skandierten die Bewegung: »Pum, pum.«

Huguenau bremste. Marguerite blieb rittlings auf seinen Knien sitzen. Huguenau war ein wenig atemlos: »Die Zeitung ist überzahlt … wenn's hoch geht, bringt man es auf vierhundert Exemplare … aber wenn wir zwei Seiten Inserate haben, ist es ein gutes Geschäft und wir werden reich. Nicht wahr, Marguerite?«

Marguerite hüpfte auf seinem Knie, und Huguenau setzte sie in wippende Trabbewegung; sie lachte, weil er ihr damit die Worte durcheinanderschüttelte: »Ja, du wirst reich, du wirst reich.«

»Freut dich das, Marguerite?«

»Dann gibst du mir viel Geld.«

»So?«

»Viel Geld.«

»Weißt du, Marguerite, wir werden Burschen aufnehmen, die werden die Inserate einsammeln … in den Dörfern … überall. Gegen Provision.«

Das Kind nickte ernsthaft.

»Ich habe es mir schon zurechtgelegt, Heiratsannoncen, Verkäufe etcetera, etcetera … hol mal die Vorlagen von Herrn Lindner«, und er rief in den Setzraum hinüber: »Lindner, die Inseratenvorlagen.«

Das Kind war hinübergelaufen und brachte die Vorlagen.

»Sieh mal, solche Vorlagen geben wir den Agenten mit, … wirst sehen, wie das zieht.« Er hatte das Kind wieder auf den Schoß genommen und sie studierten gemeinsam die Vorlagen. Dann sagte Huguenau: »Also mit dem Geld willst du ihnen durchbrennen … wohin willst du denn?«

Marguerite zuckte die Achseln: »Fort.«

Huguenau überlegte: »Über die Eifel kommst du nach Belgien. Dort wohnen gute Leute.«

Marguerite fragte: »Gehst du mit?«

»Vielleicht … vielleicht später, ja.«

»Wann später?«

Sie schmeichelte sich an ihn heran, aber Huguenau sagte plötzlich und brüsk: »Schluß«, nahm sie und setzte sie auf die Druckmaschine. Sonderbar deutlich stieg wieder das Bild jenes Mörders auf, jenes Kinderschänders, der an die Pritsche angekettet war, und das Bild beunruhigte ihn. »Alles zu seiner Zeit«, sagte er und betrachtete das Kind, das leicht und beweglich auf der soliden unbewegten Maschine saß und das trotzdem irgendwie dazu gehörte. Würde die Maschine in Gang geraten, sie würde Marguerite ebenso schlucken wie das Papier, und er vergewisserte sich, daß der Riemen richtig abgeworfen war. Beinahe furchtsam wiederholte er: »Alles zu seiner Zeit, die Zeit wird schon noch kommen … hier stört er uns ohnehin nicht.«

Und während er darüber nachdachte, wofür die Zeit noch kommen werde, fiel ihm ein, daß dieser Esch mit seinem Pferdegebiß, daß dieser hagere unleidliche Lehrer ihm keine Ruhe ließ und unter Berufung auf den Vertrag immer wieder versuchte, ihm Redaktionsarbeiten anzuhängen, – beruft sich auf den Vertrag und verlangt, daß er den ganzen Tag bei ihm sitzen und arbeiten soll, verlangt wahrscheinlich auch noch, daß er sich eine blaue Bluse anziehe. Auf seinen Schein bestehen, das kann so einer, aber Ideen nicht um einen Dreier! Und Huguenau war nun von einem außerordentlichen Wohlbehagen erfüllt, weil's dem Herrn Lehrer noch kein einziges Mal gelungen war, ihn zur Arbeit zu zwingen.

Die Inseratenvorlagen ordnend, sagte er: »Dem Herrn Lehrer werden wir's schon noch eintränken, – was, Marguerite?«

»Nimm mich runter«, sagte das Kind.

Huguenau ging zur Maschine, doch als die Kleine den Arm um seinen Hals legte, blieb er einen Augenblick lang sinnend stehen, denn nun hatte er es gefunden: im geheimen war er ja über den Lehrer gesetzt! er hatte sich ja selbst angeboten, diesen verdächtigen Menschen zu überwachen und auszuspionieren und der Major hatte es gutgeheißen! Da war es Huguenau, als sei er bloß hierher verschlagen worden, um seinen eigentlichen Lebenszweck zu finden, als würde das Leben restlos sich erfüllen, wenn es gelänge, die Geheimbündelei des Herrn Esch restlos aufzudecken. Ja, so war es, und Huguenau gab Marguerite einen herzlichen Kuß auf die mit Druckerschwärze verschmierte Wange.

Herr Esch aber saß oben in der Redaktion, zufrieden, daß er seine Arbeit fortsetzen und sie nicht an Huguenau abgeben mußte. Denn er war zu allem andern überzeugt, daß Huguenau niemals imstande sein würde, die Zeitung jenen Richtlinien gemäß zu führen, die der Major ihr vorgezeichnet hatte, und sein Trachten ging dahin, es selber zu besorgen, auf daß er dem Major und der guten Sache damit diene.

 


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