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45

Huguenau hatte mit Frau Esch Mittagspension vereinbart. Das war in jeder Beziehung zweckmäßig, und Frau Esch gab sich alle Mühe, das mußte man ihr lassen.

Als er eines Tages zum Essen hinaufkam, fand er Esch bei dem gedeckten Tische, vertieft in ein schwarzgebundenes Buch. Neugierig schaute er ihm über die Schulter und erkannte die Holzschnitte einer Bibel. Da er sich selten über etwas erstaunte, außer wenn es jemandem gelang, ihn bei einem Geschäft zu übertölpeln, was aber selten genug vorkam, sagte er bloß: »Aha«, und wartete, daß das Essen serviert werde.

Frau Esch ging durchs Zimmer breithüftig, reiz- und geschlechtslos; ihre irgendwie blonden Haare waren unordentlich zu einem Knoten aufgesteckt. Im Vorübergehen aber berührte sie unvermittelt und überflüssigerweise ihres Mannes harten Rücken, und Huguenau hatte plötzlich die Empfindung, daß sie sich ihrer Ehelichkeit allnächtlich recht wohl zu bedienen wisse. Der Gedanke war ihm nicht angenehm, und so fragte er: »Na, Esch, bereiten Sie sich aufs Kloster vor?«

Esch blickte vom Buche auf: »Es ist die Frage, ob man flüchten darf«, und in gewohnter Grobheit hinzufügend, »aber das verstehen Sie nicht.«

Frau Esch brachte die Suppe herein, und Huguenau wurde von seinem unangenehmen Gedanken nicht losgelassen. Die beiden leben wie ein Liebespaar ohne Kinder, wollen wohl deshalb das Mädel, die Marguerite, adoptieren, um das zu bemänteln. Eigentlich saß er auf dem Platz, auf den ein Sohn hingehörte. Also nahm er, einfachen Gemütes, den Scherz wieder auf und erzählte Frau Esch, daß ihr Mann ins Kloster gehen werde. Worauf Frau Esch fragte, ob es wahr sei, daß in allen Klöstern unzüchtige Beziehungen zwischen den Herren Mönchen herrschten. Und sie lachte über eine in ihr aufsteigende wüste Vorstellung. Dann aber wandten sich ihre Augen langsam und mißtrauisch zu ihrem Manne hin:

»Dir ist wohl alles zuzutrauen.«

Herrn Esch war es offenbar peinlich; Huguenau bemerkte, wie er errötete und ihren Blick mit Zorn erwiderte. Doch in dem Bestreben, vor dem Weibe die Haltung nicht zu verlieren, ja, sich zu steigern, erklärte Esch, daß es schließlich bloß auf die Gewohnheit ankomme, im übrigen aber allgemein bekannt sei, daß man auch im Mönchsleben durchaus kein warmer Bruder zu sein brauche, vielmehr meine er, daß er auch als Kuttenträger recht gut seinen Mann stellen würde.

Frau Esch war völlig ernst und starr geworden. Sie strich mechanisch ihre Haare zurecht und sagte schließlich: »Schmeckt's, Herr Huguenau?«

»Prächtig«, sagte Huguenau und löffelte seine Suppe.

»Wollen Sie noch einen Teller«, Frau Esch seufzte, »ich habe ohnehin nichts Besonderes mehr für heute, bloß einen Maiskuchen.«

Sie nickte zufrieden, als Huguenau sich den Teller nochmals füllen ließ. Huguenau indes blieb bei seinem Thema: wahrscheinlich habe Herr Esch die Kriegskost schon über; im Kloster gebe es keine Fleisch- und keine Mehlkarten, dort lebe man noch wie im tiefsten Frieden; das wäre bei dem Grundbesitz der Pfaffen nicht weiter verwunderlich. Dort schlage man sich noch den Bauch voll. Wie er in Maulbronn gewesen sei, da habe ihm ein Angestellter des Klosters erzählt …

Esch unterbrach ihn: wenn die Welt wieder wahrhaft frei werden würde, dann brauchte sie keine Gefängniskost zu fressen …

»Kraut und Rüben«, sagte Frau Esch.

»Dörrkraut«, sagte Huguenau, »was nennen Sie wahrhaft frei?«

Esch sagte: »Die Freiheit eines Christenmenschen.«

»Meinetwegen«, sagte Huguenau, »möchte wissen, wie das mit dem Dörrkraut zusammenhängen soll.«

Esch griff nach der Bibel: »Mein Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt es gemacht zur Mördergrube.«

»Mhm, Mörder kriegen Dörrkraut«, Huguenau feixte; dann wurde er ernst: »Sie meinen also, daß der Krieg so eine Art Mord ist, Raubmord gewissermaßen, wie die Sozialisten sagen.«

Esch beachtete ihn nicht; er blätterte weiter: »Weiters steht in der Chronik … zweites Buch … sechster Abschnitt, Vers acht … da: Weil es in deinem Herzen ist, ein Haus zu bauen meinem Namen, so hast du wohlgetan, daß es in deinem Herzen ist; doch sollst du das Haus nicht bauen, sondern dein Sohn, der aus deinen Lenden kommen wird, der soll meinem Namen das Haus bauen.« Esch hatte einen roten Kopf bekommen: »Das ist sehr wichtig.«

»Möglich«, sagte Huguenau, »warum?«

»Mord und Gegenmord … viele müssen sich opfern, damit der Erlöser geboren wird, der Sohn, der das Haus bauen darf.«

Huguenau fragte vorsichtig: »Meinen Sie den Zukunftsstaat?«

»Mit Gewerkschaften allein ist's nicht getan.«

»So … das steht auch im Artikel des Majors?«

»Nein, das steht in der Bibel, nur hat's noch keiner herausgelesen.«

Huguenau drohte Esch mit dem Finger: »Sie sind ein ganz geriebener Bursche, Esch … und Sie glauben, daß der alte Kerl, der Major es nicht merken wird, daß Sie es jetzt von hintenherum mit der Bibel machen?«

»Was?«

»Na, die kommunistische Propaganda.«

Esch grinste mit seinen gelben starken Zähnen: »Sie sind ein Idiot.«

»Grob sein kann leicht einer, … was meinen Sie denn mit Ihrem Zukunftsstaat?«

Esch dachte angestrengt nach: »Ihnen kann man ja nichts begreiflich machen … aber eines lassen Sie sich gesagt sein: wenn die Menschen einmal wieder die Bibel zu lesen verstehen werden, dann braucht es keinen Kommunismus und keinen Sozialismus mehr … so wenig es eine französische Republik oder einen deutschen Kaiser geben wird.«

»Na, da haben wir also doch die Revolution … erzählen Sie das nur mal dem Major.«

»Das erzähle ich ihm auch ruhig.«

»Da wird er sehr erfreut sein … und was wird dann geschehen, wenn Sie den Kaiser abgeschafft haben werden?«

Esch sagte: »Die Herrschaft des Erlösers über alle Menschen.«

Huguenau blinzelte zu Frau Esch hinüber: »Also Ihres Sohns?«

Auch Esch schaute auf seine Frau; es war fast, als wäre er erschrocken: »Meines Sohnes?«

»Wir sind kinderlos«, sagte Frau Esch.

»Sie haben doch gesagt, daß Ihr Sohn das Haus bauen wird«, grinste Huguenau.

Das aber war Esch denn doch zu viel: »Herr, Sie lästern … Sie sind so dumm, daß Sie lästern oder einem die Worte im Munde verdrehen …«

»Er meint es doch nicht so schlimm«, begütigte Frau Esch, »das Essen wird ganz kalt, wenn Ihr streitet.«

Esch schwieg und ließ sich vom Maiskuchen vorlegen.

»Na, ich bin schon öfters mit einem schweigsamen Pfarrer bei Tisch gesessen«, sagte Huguenau.

Esch antwortete noch immer nicht, und Huguenau hob wieder an: »Also was hat es mit der Herrschaft des Erlösers auf sich?«

Frau Esch machte erwartungsvolle Augen: »Sag's ihm.«

»Symbol«, knurrte Esch.

»Interessant«, sagte Huguenau, »und das sind dann die Pfaffen?«

»Heiliger Gott, da soll doch gleich … Ihnen was beizubringen, ist auch eine hoffnungslose Aufgabe … von der Herrschaft der Kirche haben Sie wohl noch nie etwas gehört … und das will ein Zeitungsherausgeber sein!«

Nun war Huguenau seinerseits ehrlich empört: »So also sieht Ihr Kommunismus aus … wenn er wirklich so aussieht … den Pfaffen wollen Sie alles zuschanzen. Deshalb wollen Sie ins Kloster gehen … damit die Pfaffen noch fetter leben … für uns bleibt dann nicht mal Dörrkraut … das sauer verdiente Geld will er dieser Gesellschaft in den Rachen werfen … nein, da ist mir mein ehrliches Geschäft wirklich noch lieber als Ihr Kommunismus.«

»Zum Teufel, dann gehen Sie ihr Geschäft betreiben, aber wenn Sie nichts zulernen wollen, dann versteifen Sie sich nicht, mit Ihren beschränkten – ja, ich sage, beschränkten! – Ansichten eine Zeitung herausgeben zu wollen. Das läßt sich nicht vereinen!«

Worauf Huguenau auftrumpfend kundtat, daß man froh sein könne, ihn gefunden zu haben; an dem Inseratengeschäft, wie ein gewisser Herr Esch es betrieben habe, wäre der Kurtriersche, das könne man sich an den Fingern ausrechnen, binnen Jahresfrist zugrunde gegangen. Und erwartungsvoll zwinkerte er Frau Esch zu, annehmend, daß sie ihm auf diesem praktischen Gebiet Gefolgschaft leisten werde. Jedoch Frau Esch räumte den Maiskuchen vom Tische und war milde gestimmt: wieder mußte Huguenau mißbilligend bemerken, daß sie die Hand auf des Gatten Schulter gelegt hatte, sie hörte nicht auf die Rede, sondern stellte bloß fest, daß es Dinge gäbe, die unsereins, Sie, lieber Herr Huguenau, und ich, nicht so leicht erlernen. Und Esch, in Apotheose die Tafel aufhebend, schloß die Diskussion: »Lernen müssen Sie, junger Mann, lernen Sie die Augen öffnen.«

Huguenau verließ das Zimmer. Pfaffengerede, dachte er. Haïssez les ennemis de la sainte religion. Ja, merde, blagueurs, er war schon bereit zu hassen, aber wen er zu hassen habe, das ließ er sich nicht vorschreiben. D'ailleurs je m'en fous. Das klappernde Geräusch abgewaschener Teller und der fade Spülichtgeruch der Küche begleiteten ihn über die Holzstiege und erinnerten ihn sonderbar deutlich an sein Elternhaus und an die Mutter in der Küche.

 


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