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Als Oberstabsarzt Kuhlenbeck und Dr. Kessel den Speisesaal des Gasthofs betraten, saß der Major an seinem gewohnten Platz. Er las die eben eingelangte Kölnische Zeitung. Die beiden Herren grüßten, und der Major erhob sich und bat die Herren an seinen Tisch.

Der Oberstabsarzt wies in höchst taktloser Weise auf die Zeitung: »Werden wir das Vergnügen haben, Sie auch in anderen Blättern zu lesen, Herr Major?«

Der Major schüttelte bloß den Kopf, reichte dem Oberstabsarzt das Blatt, deutete auf die Kriegsberichte: »Schlechte Nachrichten.«

Der Oberstabsarzt überflog den Bericht: »Eigentlich nicht schlechter als sonst, Herr Major.«

Der Major sah fragend auf.

»Nun, es gibt doch bloß eine gute Nachricht, Herr Major, und die heißt: Friede.«

»Da haben Sie recht«, sagte der Major, »aber es soll ein ehrenvoller Frieden sein.«

»Schön«, sagte Kuhlenbeck und hob sein Glas, »also auf den Frieden.«

Die beiden anderen Herren stießen mit ihm an, und der Major wiederholte: »Auf einen ehrenvollen Frieden … wofür wären sonst alle Opfer gebracht worden?« Als wollte er noch etwas sagen, behielt er das Glas in der Hand, blieb aber stumm; endlich brach er die Erstarrung und sagte: »Ehre ist keine bloße Konvention, … früher wäre Giftgas als Waffe verpönt gewesen.«

Die Herren schwiegen und tranken ihren Wein.

Dann sagte Dr. Kessel: »Was nützen die schönsten Theorien über die Kriegsernährung … wenn ich abends heimkomme, kann ich mich kaum auf den Beinen halten; für einen älteren Menschen reicht es eben nicht aus.«

Kuhlenbeck sagte: »Sie sind ein Defaitist, Kessel; Diabetes ist erwiesenermaßen auf ein Minimum zurückgegangen, und mit Karzinom scheint es auch so zu gehen … es ist einfach Ihr persönliches Unglück, daß Sie kein Diabetiker sind … im übrigen, lieber Kollege, wenn Sie Ihre Beine spüren … wir werden alle nicht jünger.«

Major v. Pasenow sagte: »Ehre ist nicht Trägheit des Gefühls.«

»Ich verstehe nicht recht, Herr Major«, sagte Oberstabsarzt Kuhlenbeck.

Der Major sah ins Leere: »Ach nichts … Sie wissen … mein Sohn fiel vor Verdun … er wäre jetzt bald achtundzwanzig.«

»Sie haben aber noch Familie, Herr Major?«

Der Major antwortete nicht sogleich; mag sein, daß er die Frage als Indiskretion empfand. Schließlich sagte er: »Ja, der Jüngere und die beiden Mädchen … der Junge … der wird nun auch bald eingezogen werden … man muß dem König geben, was des Königs ist …« er stockte, dann fuhr er fort: »Sehen Sie, daß man Gott nicht gibt, was Gottes ist, das ist der Grund des Übels.«

Dr. Kuhlenbeck sagte: »Man gibt nicht einmal dem Menschen, was des Menschen ist, … ich meine, wir müßten erst damit anfangen.«

»Zuerst Gott«, sagte Major v. Pasenow.

Kuhlenbeck hob das Kinn; sein schwarz-grauer Bart stand in die Luft: »Wir Ärzte sind eben schnöde Materialisten.«

Der Major wehrte begütigend ab: »Das sollten Sie nicht aussprechen.«

Dr. Kessel war auch nicht dieser Ansicht; ein richtiger Arzt sei stets ein Idealist. Kuhlenbeck lachte: »Richtig, ich vergaß Ihre Krankenkassenpraxis.«

Nach einer Weile sagte Dr. Kessel: »Wenn es wieder halbwegs möglich sein wird, nehme ich meine Kammermusik wieder auf.«

Und der Major sagte, daß auch seine Frau gerne musiziere. Er dachte eine Weile nach, und dann fügte er hinzu: »Spohr, ein tüchtiger Komponist.«

 


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