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Wenige Tage darauf floß folgendes Schreiben aus Huguenaus Feder:

Hochgeboren

dem Herrn Stadtkommandanten und Major
Joachim v. Pasenow

Loco

Betr. Geheimbericht No. 1

Hochgeborener Herr Major!

Unter höfl. Bezugnahme auf dsbzgl. Unterredung, die zu führen ich die Ehre hatte, erlaube ich mir höfl. mitzuteilen, daß ich gestern mit beregtem Herrn Esch und mehreren Elementen eine Zusammenkunft hatte. Wie bekannt, trifft Herr Esch mehrmals wöchentlich subversive Elemente in der Wirtschaft »Zur Pfalz« und lud mich derselbe frdl. ein, gestern mitzugehen. Außer einem Meister der Papierfabrik, einem gewissen Liebel, befand sich daselbst ein Arbeiter der genannten Fabrik, dessen Namen ich wegen absichtlich undeutlicher Aussprache nicht verstand, weiters zwei Insassen des Militärkrankenhauses, welche Ausgang hatten, u. zw. ein Unteroffizier namens Bauer und ein Kanonier polnischen Namens. Etwas später kam noch ein Kriegsfreiwilliger der Minenwerferabteilung. Er heißt Betger, Betzger oder so ähnlich, und wurde von dem genannten E. mit Herr Doctor angesprochen. Es bedurfte nicht einmal meiner Aufforderung, um das Gespräch auf die Kriegsereignisse zu lenken und wurde vor allem über das mögliche Kriegsende geredet. Insbesondere der obberegte Kriegsfreiwillige äußerte, daß die Sache ihrem Ende entgegengehe, weil die Österreicher schlapp machten. Er hat von den Leuten eines durchfahrenden Panzerzuges unserer Bundesbrüder gehört, daß die größte Pulverfabrik bei Wien von italienischen Fliegern oder Verrat in die Luft gesprengt wurde und daß die österreichische Flotte nach Ermordung ihrer Offiziere zum Feinde übergegangen ist und ist dieselbe erst von deutschen Unterseebooten daran gehindert worden. Der Kanonier sagte darauf, er könne dies nicht glauben, weil auch die deutschen Matrosen nicht mehr mittun wollen. Als ich ihn fragte, woher er dies weiß, sagte er, er habe es von einem Mädchen in dem hier errichteten Freudenhause erfahren, bei der ein Marinezahlmeister auf Urlaub gewesen ist. Nach der ruhmreichen Schlacht am Skagerrak berichtet sie, resp. der Zahlmeister, resp. der Kanonier, daß die Matrosen sich weigerten, weiter zu dienen und sei die Verpflegung der Mannschaft auch unbekömmlich. Es kamen demnach alle überein, daß Schluß gemacht werden muß. Der Werkmeister betonte hiezu, daß der Krieg niemand Gewinn bringe als dem Großkapital und daß die Russen die ersten gewesen sind, die dieses erkannt haben. Diese umstürzlerischen Ideen wurden auch von E. vertreten, welcher sich hiebei auf die Bibel berief, doch glaube ich aus meinen Erfahrungen mit Herrn E. mit Bestimmtheit sagen zu können, daß er damit scheinheilige Zwecke verfolgt und daß ihm das Kirchengut ein Dorn im Auge ist. Offenbar zur Deckung des in Vorbereitung befindlichen Komplottes schlug er vor, eine Bibelgesellschaft zu gründen, was jedoch bei dem größten Teil der Anwesenden Hohn erregte. Um einerseits von ihm, andererseits von dem Zahlmeister weiteres zu erfahren, wurde, nachdem sich die beiden Insassen des Krankenhauses und die Fabriksarbeiter entfernt hatten, über meine Anregung das Freudenhaus besucht. Mehrere Mitteilungen über den Zahlmeister konnte ich dort zwar nicht erhalten, hingegen wurde mir das Verhalten des Herrn E. immer verdächtiger. Der Doctor, welcher in dem Hause zweifelsohne Stammkunde ist, stellte mich nämlich mit den Worten: das ist ein Herr von der Regierung, dem müßt Ihr es gratis machen, vor, woraus ich entnehmen konnte, daß E. gegen mich einen bestimmten Verdacht hatte und daher seine Komplicen mir gegenüber zur Vorsicht ermahnt hätte. Ich konnte demnach Herrn E. nicht veranlassen, aus seiner Reserve herauszutreten und obwohl er auf meine Einladung und Kosten sehr viel getrunken hat, war er trotz Zuspruchs nicht zu bewegen, das Zimmer aufzusuchen, sondern blieb augenscheinlich völlig nüchtern, welchen Zustand er benutzte, um im Salon lärmende Reden über die Unchristlichkeit und das Laster in derartigen Etablissements zu halten. Erst als ihn der kriegsfreiwillige Doctor darüber aufklärte, daß diese Häuser von der Heeresverwaltung aus Sanitätszwecken der Armee gefördert werden und demnach als Heereseinrichtungen geachtet werden müssen, gab er seinen oppositionellen Standpunkt auf, den er allerdings auf dem Heimweg wieder aufnahm.

Ohne Mehranlaß für heute, zeichnet sich in ausgezeichneter Hochschätzung und empfehle mich zu weiteren Diensten gerne bereit

Hochachtungsvoll
Wilh. Huguenau

PS. Ich gestatte mir erg. nachzutragen, daß während der Sitzung im Wirtshaus »Zur Pfalz« Herr Esch davon Erwähnung machte, daß im hiesigen Gefangenenhaus ein oder mehrere Deserteure untergebracht sind, welche erschossen werden sollen. Es wurde darauf die auch von ihm vertretene allgemeine Meinung geäußert, daß es keinen Sinn hat, jetzt vor Kriegsende, mit welchem diese Leute also sicher rechnen, noch Deserteure zu erschießen, weil ohnehin genug Blut geflossen ist. Herr Esch meinte, man solle eine dsbzgl Aktion einleiten. Ob er damit eine gewaltsame oder eine andere gemeint hat, hat er nicht geäußert. Ich möchte nochmals erg. betonen, daß ich genannten E. für einen Wolf im Schafspelz halte, der sein reißendes Wesen hinter frommen Gesprächen verbirgt. Nochmals

hochachtungsvoll empfohlen

d. O.

 

Nach Beendigung seines Berichtes schaute Huguenau in den Spiegel und prüfte, ob ihm eine ähnlich ironische Grimasse gelänge, wie sie ihn an Esch schon so oft geärgert hatte. Ja, das Briefchen war eine Meisterleistung; es tat wohl, dem Esch eins am Zeug zu flicken, und Huguenau war von diesem angenehmen Gedanken so sehr bewegt, daß er sich die Freude ausmalte, die der Major beim Empfang des Dokuments empfinden würde. Er überlegte, ob er es persönlich überreichen solle, doch dann schien's ihm angemessener, daß der Major es mit dem dienstlichen Posteinlauf in die Hände bekäme. Also gab er den Brief eingeschrieben auf, nicht ohne vorher auf den Umschlag ein großes, dreimal unterstrichenes »Persönlich« gemalt zu haben.

Nun, Huguenau hatte sich getäuscht; der Major freute sich durchaus nicht, als er den Brief unter den Akten auf seinem Schreibtisch vorfand.

Es war ein trüber gewitteriger Morgen, der Regen floß an den Scheiben der Kanzleifenster herab und die Luft roch schweflig oder nach Ruß. Etwas Häßliches und Gewalttätiges steckte hinter dem Brief, etwas Untergründiges, und wußte der Major auch nicht, und war es auch nicht seines Amtes, es zu wissen, daß es immer Gewalt und Vergewaltigung ist, wenn einer den Versuch unternimmt, die eigene Wirklichkeit mit der Wirklichkeit der anderen zu verbinden und in sie einzudringen, so fiel ihm doch das Wort »Nachtalben« ein, und es war, als müßte er sich, als müßte er seine Frau und seine Kinder vor etwas schützen, das nicht seine Welt, sondern ein Pfuhl war. Zögernd griff er nochmals nach dem Brief; im Grunde konnte man dem Manne nichts vorwerfen, dessen Gewalttätigkeit sozusagen bloß eine unmerkliche war, der bloß eine patriotische Pflicht erfüllt und Meldung erstattet hatte, und wenn es mit den widerlichen unehrenhaften Praktiken eines Agent provocateur geschah, so durfte man es dem ungebildeten Mann nicht zur Last legen. Aber weil dies alles eigentlich unbegreiflich und nicht zu fassen war, so fühlte der Major nur die Beschämung, einem Menschen niederer Geistesart Vertrauen geschenkt zu haben, und das Gesicht unter den weißen Haaren wurde vor Scham noch etwas röter. Nichtsdestoweniger durfte sich der Stadtkommandant nicht für berechtigt erachten, das Dokument einfach dem Papierkorb zu überantworten, vielmehr war es ein Gebot dienstlicher Pflicht, den Verdächtigen mit maßvollem Mißtrauen weiter zu beobachten, ihm gewissermaßen aus der Ferne zu folgen, auf daß ein etwaiges Unheil verhütet werde, das dem Vaterland von Seiten des Herrn Esch vielleicht doch drohen könnte.

 


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