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Natürlich hatte es nichts genützt, daß Huguenau sich damals beim Mittagstisch vor Esch versteckt hatte. Noch am selben Abend war es zu einem fürchterlichen Auftritt gekommen. Allerdings war Esch bald entwaffnet gewesen, denn Huguenau hatte nicht nur auf das verbriefte Herausgeberrecht gepocht, das ihm die beliebige Einschaltung von Artikeln völlig anheimstellte, sondern er hatte auch Eschs eigene Argumente angewendet: »Lieber Freund«, hatte er gehöhnt, »Sie haben oft genug gejammert, daß man Ihnen Prügel vor die Füße wirft, weil Sie die öffentlichen Mißstände aufdecken wollen, … nun wenn ein anderer den Mut aufbringt, es wirklich zu tun, dann ziehen Sie den Schwanz ein … na freilich, man will sich die Protektion eines Herrn Stadtkommandanten nicht verscherzen … nur immer hübsch den Mantel nach dem Wind, was?« Ja, diese Reden hatte Esch sich anhören müssen, und obwohl es ein niederträchtiger hinterhältiger Angriff war, mit dem ihm da in den Rücken gefallen wurde, hatte er nichts anderes zu erwidern gewußt als das Götzzitat, und im übrigen hatte er geschwiegen.

Huguenau aber, das Steuerruder geschickt herumwerfend, war daraufhin zu Frau Esch gegangen, um sich bitter über den Mann zu beklagen, der einen gewissenhaften Mitarbeiter roh behandelte, und warum? bloß weil der gewissenhaft und selbstlos seine Pflicht erfüllte. Das war nicht ohne Wirkung geblieben, und als Esch am nächsten Tag zum Mittagstisch hinaufgekommen war, hatte er einen schmollenden und beleidigten Huguenau vorgefunden, sowie eine Gattin, welche die Unschuld des Herrn Huguenau mit versöhnlichen Worten unter ihren Schutz nahm, so daß man, ehe man sich dessen versah, wieder einträchtig und gemeinsam die Suppe gelöffelt hatte, sehr zur Zufriedenheit der Frau Esch, welche bereits in großer Angst gewesen war, einen Gast zu verlieren, der niemals mit Lob gespart hatte.

Aber vielleicht war es sogar auch Esch ganz recht gewesen, daß sich der definitive Krach mit anschließendem Hinauswurf Huguenaus hatte vermeiden lassen; man konnte nicht wissen, was für Anschläge gegen den Major dieser Bursche noch im Schilde führte … es war jedenfalls gut, ihn unter den Augen zu behalten. Und so war Huguenau geblieben, wenn auch die Mittagsmahlzeiten nicht eben gemütlich zu verlaufen pflegten, besonders, da Esch nun die Gewohnheit angenommen hatte, den Tischgenossen über die Schüsseln hinweg mit mißtrauischen Blicken zu mustern.

Huguenau, das muß zu seiner Ehre gesagt werden, gab sich alle Mühe, die Stimmung aufzuheitern; doch der Erfolg war bloß mäßig. Auch heute, obwohl es schon über acht Tage her war, zeigte sich Esch wieder einmal von seiner unerträglichsten Seite. Und auf die zaghafte Frage seiner Gattin gab er nur ein Brummen von sich: »Nach Amerika auswandern …«

Dann wurde nichts mehr gesprochen.

Schließlich aber lehnte sich Huguenau gesättigt in seinem Stuhl zurück und unterbrach das unbehagliche Schweigen mit den verheißungsvollen Worten. »Mutter Esch«, sagte er und hob einen Finger, »Mutter Esch, ich habe einen Bauern aufgetrieben, der uns Mehl liefern wird, vielleicht auch mal einen Schinken.«

»So?« sagte Esch mißtrauisch, »wo haben Sie den nun wieder aufgegabelt?«

Natürlich existierte dieser Bauer noch gar nicht, aber was nicht ist, kann werden, und Huguenau ärgerte sich, daß sein guter Wille niemals anerkannt wurde. Doch er wollte sich nicht schon wieder mit Esch überwerfen, im Gegenteil, er wollte ihm etwas Verbindliches sagen: »Man muß es Mutter Esch doch 'n bißchen erleichtern … vier Münder … ich staune, daß sie's überhaupt zuwege bringt … man muß ja auch die Kleine dazu rechnen.«

Esch lächelte: »Ja, die Kleine.«

Huguenau sagte zuvorkommend: »Wo steckt sie denn jetzt?«

Frau Esch seufzte: »Sie haben recht, es ist heutzutage keine Kleinigkeit, vier Münder zu stopfen … es wäre auch besser gewesen, wenn mein Mann uns nicht die Sorge um die Kleine aufgehalst hätte.«

»Da lasse ich mir nicht dreinreden«, fuhr Esch auf. Er sah zornig zu seiner Frau hin, die mit seltsam steifem Lächeln dasaß, als wäre sie schuldbewußt. Esch war etwas besänftigt: »Wenn's kein neues Leben gibt, ist alles tot.«

»Ja, ja«, sagte Frau Esch.

Huguenau sagte: »Aber den ganzen Tag treibt sie sich auf der Straße herum … mit den Jungens; passen Sie auf, die wird Ihnen noch auskneifen.«

»Na, es schmeckt ihr ganz gut bei uns«, sagte Frau Esch. Und Esch, beinahe behutsam, beinahe als berührte er eine Schwangere, griff nach dem dicken Oberarm seiner Frau: »Das will ich meinen, daß sie gern bei uns ist, was?«

Huguenau ärgerte sich über das Ehepaar. Er sagte: »Mir schmeckt es ebenfalls bei Ihnen, Mutter Esch … möchten Sie mich vielleicht auch adoptieren?« Er hätte gerne hinzugefügt, daß Esch dann den Sohn hätte, von dem er immer faselte und der das Haus bauen soll, – aber aus irgendeinem, ihm selbst unverständlichen Grunde war er tief indigniert und die ganze Sache kam ihm nicht mehr scherzhaft vor. Wenn Esch plötzlich aufgesprungen wäre, ihn zu bedrohen, Huguenau hätte sich nicht gewundert. Kein Zweifel, es war besser, das Lokal zu verlassen und Marguerite zu suchen; sie wird wohl im Hofe drunten sein. Am besten wäre es, mit Marguerite auf und davon zu gehen.

Auch Frau Esch schien über das Ansinnen, das Huguenau ihr gestellt hatte, erschrocken zu sein. Sie fühlte ihren Arm von Eschs knochiger Hand umklammert, und mit offenem Munde starrte sie Huguenau an, der sich inzwischen erhoben hatte; erst als er bei der Tür war, stotterte sie: »Warum nicht, Herr Huguenau …«

Huguenau hörte es noch, aber es minderte nicht seine erbitterte Indignation gegen Esch. Unten traf er Marguerite und er schenkte ihr eine ganze Mark. »Für die Reise«, sagte er, »aber du mußt dich dazu ordentlich anziehen … warme Hosen … laß mal sehen … mir scheint gar, du bist ganz nackt … im Herbst wird's kühl.«

 


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