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Dr. Flurschütz half Jaretzki beim Anlegen der Prothese. Auch Schwester Mathilde stand daneben.

Jaretzki ruckte an den Riemen: »Na, Flurschütz, bricht Ihnen nicht das Herz, daß es jetzt ans Abschiednehmen geht … von Schwester Mathilde ganz zu schweigen!«

»Wissen Sie, Jaretzki, eigentlich hätte ich Sie noch ganz gern hier und unter meine Aufsicht behalten … Sie sind jetzt in keiner guten Periode.«

»Weiß nicht … warten Sie …« Jaretzki bemühte sich, eine Zigarette zwischen die Finger der Prothese zu klemmen, »... warten Sie … wie wär's, wenn wir dies als Zigarettenhalter ausbilden würden … oder als Dauer-Zigarettenspitze … das wäre ganz ingeniös …?«

»Halten Sie einen Augenblick still, Jaretzki«, Flurschütz schnallte die Gurten, »...so, wie fühlen Sie sich?«

»Wie eine neugeborene Maschine … eine Maschine in einer ausgezeichneten Periode … wenn die Zigaretten besser wären, wär's noch ausgezeichneter.«

»Können Sie nicht lieber das Rauchen ganz sein lassen … natürlich auch das andere.«

»Die Liebe? ja gerne.«

Schwester Mathilde sagte überflüssigerweise: »Nein. Dr. Flurschütz meint, daß Sie das Trinken aufgeben sollten.«

»Ach so, das habe ich nicht kapiert … wenn man nüchtern ist, kapiert man nämlich immer so schwer … daß Ihnen das noch nicht aufgefallen ist, Flurschütz: erst wenn der Mensch besoffen ist, versteht einer den andern.«

»Das ist ein kühner Rechtfertigungsversuch!«

»Na, Flurschütz, erinnern Sie sich bloß, wie prachtvoll besoffen wir August vierzehn waren … mir kommt vor, als ob es damals das erste und das letzte Mal gewesen ist, wo man richtig zusammengehört hat.«

»So ähnlich sagt es Scheler …«

»Wer?«

»Scheler. Genius des Krieges … kein gutes Buch.«

»Ach so, ein Buch … das ist nichts … aber ich will Ihnen was sagen, Flurschütz, und das ist mit allem Ernst gesagt: geben Sie mir irgendeine andere, irgendeine neue Besoffenheit, meinetwegen Morphium oder Patriotismus oder Kommunismus oder sonstwas, das den Menschen ganz besoffen macht … geben Sie mir etwas, damit wir wieder alle zusammengehören, und ich lasse das Saufen sein … von heut auf morgen.«

Flurschütz dachte nach; dann sagte er: »Etwas Richtiges ist ja dran … aber wenn's durchaus Besoffenheit und Zusammengehörigkeit sein soll, da gibt's doch eine einfache Remedur, Jaretzki: verlieben Sie sich.«

»Auf ärztlichen Befehl, jawoll … haben Sie sich schon auf Befehl verliebt, Schwester?«

Schwester Mathilde errötete; auf ihrem Hals mit den Sommersprossen zeigten sich zwei rote Streifen.

Jaretzki sah nicht hin: »Schlechte Periode fürs Verlieben … mir scheint, wir sind alle in einer schlechten Periode … mit der Liebe ist's auch aus …« er probierte an den Gelenken der Prothese, »... eigentlich müßte eine Gebrauchsanweisung beiliegen … da müßte es doch irgendwo ein Spezialgelenk für Umarmungen geben.«

Flurschütz war sonderbar beleidigt. Vielleicht weil Schwester Mathilde dabei war. Schwester Mathilde errötete noch tiefer: »Was Sie für Einfälle haben, Herr Jaretzki.«

»Warum? durchaus nette Ideen … Prothesen für die Liebe … das wäre überhaupt 'ne feine Sache, Spezialausführung für Stabsoffiziere vom Oberst aufwärts … ich richte mir 'ne Fabrik ein.«

Flurschütz sagte: »Müssen Sie immer das enfant terrible mimen?«

»Nein, ich habe bloß Ideen für die Rüstungsindustrie … jetzt wollen wir abschnallen.« Jaretzki nestelte an den Gurten; Schwester Mathilde half ihm. Er bog die Gelenke der Metallfinger gerade: »So, und jetzt kriegt er seinen Handschuh … Ringfinger, Goldfinger, und das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen.«

Flurschütz besah die Narben an dem nackten Armstumpf: »Ich glaube, es sitzt ganz gut, geben Sie bloß acht, daß Sie sich im Anfang nicht wundscheuern.«

»Es scheuern die braven Scheuerfrauen … der schüttelt die Pflaumen.«

»Na, mit Ihnen, Jaretzki, gibt es wirklich keine Verständigungsmöglichkeit.«

 


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