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Drei Bälle

Ihr Frauen von Konstanz, die ihr jetzt Mütter von jungen Mädchen seid oder vielleicht schon Großmütter tanzfähiger Enkelinnen, erinnert ihr euch noch an eure Jugend in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts?

Erinnert ihr euch noch, wie ihr aus der Pension nach Hause kamt? Aus dem berühmten Viktoria-Pensionat in Karlsruhe unter dem Protektorat der Großherzogin Luise, aus dem Sacré coeur oder aus einer Pension der französischen Schweiz? Das war damals so Sitte und es war eine gute Sitte. Sie führte die behüteten Mädchen hinaus in eine andere Welt, die wohl auch behütet war. Aber die Mädchen aus verschiedenen Ländern, aus verschiedener geistiger Atmosphäre – der äußere Familienrahmen war immer derselbe – erweiterten sich doch gegenseitig den Gesichtskreis, die Studien erstreckten sich auf alle Gebiete. Sie legten den Grund zur freiwilligen späteren Universalbildung, die so viele Frauen des letzten Jahrhunderts den Männern mit ihrer einseitigen Berufsbildung überlegen machte.

Erinnert ihr euch noch, wie ihr euch als erwachsen fühltet und das erste lange Kleid dies äußerlich dokumentierte? Wie ihr begeistert waret für Wagnermusik, Brandmalerei und den neuen Jugendstil? Wie euer Kopf voll Ideen und Plänen war und euer Herz voll von den Huldigungen der neuen Verehrer, die euch Fensterparade machten, auf der Eisbahn mit euch Hand in Hand Bogen fuhren und euch auf den Bällen im Tanze führten?

Erinnert ihr euch noch an den ersten Ball, ja an den ersten »Lämmerhupf«?

*

Im Haus des Obersten Kleinhans in Konstanz ist sein Sohn Fritz mit zwei Freunden aus dem Kadettenhaus in die Ferien gekommen. Sie sind Selektaner und fühlen sich schon als Leutnants. Die Schwester Elsa geht in die oberste Klasse der Töchterschule. Die beiden dürfen ihre Freundinnen und Freunde zu einem »Lämmerhupf« einladen. Die eine Freundin hat ihre zwölfjährige Schwester mitgebracht. Wie fühlt sich das kleine Mädchen stolz unter all den »Großen«. Beim Kaffee und Kuchen sitzt es neben dem Erich Zeppelin, einem der Zeppelinsbuben, den Söhnen des Grafen Eberhard Zeppelin, den sie gut kennt. Er ist sehr lustig und erzählt Geschichten, denn er will sich von den Kadetten, die etwas hochnäsig sind und arg preußisch reden, nicht übertrumpfen lassen. Das kleine Mädchen denkt, es muß sich auch ein wenig hervortun und zeigen, daß es würdig ist, heute dabei zu sein. Es wird etwas erzählen, was es neulich in den »Fliegenden Blättern« gelesen und was ihm preußisch vorkam und das jetzt seiner Meinung nach hierher paßt.

»Ich möcht auch einen Witz verzählen,« ruft es in eine Stille, die durch den Anmarsch von Erdbeertörtchen verursacht ist. »Nun erzähle, mein Kind!« sagt der Oberst, und die anderen schauen etwas geringschätzig auf. Das kleine Mädchen setzt sich recht aufrecht hin und seine helle Stimme klingt über den Tisch:

»Ein junges Ehepaar sitzt beim Frühstück und der Ehemann sagt: Wollen wir heute ins Theater? Es wird ein Stück von Kotzebue gegeben? – Aber lieber Mann, drücke dich nicht so gewöhnlich aus, sage wenigstens ›Überjebungsknabe‹!«

Tödliches Schweigen, Entrüstung bei den Jünglingen, rote Köpfe bei den Mädchen, nur der Oberst lacht. Das kleine Mädchen ist arg verwundert; es hat wollen »den Preuße eine Freud machen«.

Ja, Witze erzählen ist manchmal eine schwierige Sache!

*

Das kleine Mädchen ist größer geworden, es ist aus dem Pensionat zurückgekommen, aus dem Viktoria-Pensionat in Karlsruhe, wo es den schönsten Abschluß der schönen, sorglosen Schulzeit erlebt hat.

Der erste Ballwinter steht bevor. Als Auftakt darf es auf einen Ball bei einer Bauernhochzeit auf der Reichenau. Wie lustig geht's da zu, wie glänzend tanzen die Bauernburschen. Kein Takt wird ausgelassen. Fein säuberlich nimmt jeder ein Taschentuch in die Hand, wenn er die Tänzerin umschlingt. Das junge Mädchen fliegt nur so dahin. Viel geredet wird nicht. Nur einmal, als ein Tanz zu Ende, sagt der Bursch angelegentlich:

»Jetzt saget Se, Fräule Lilly, wo schwitzet Se jetzt am meischte?« Mit der letzten Fassung sagt das junge Mädchen: »Im G'sicht!«

O diese Ballgespräche!

*

Der Dreikönigsball ist heute abend. Der Dreikönigsball, der für die Konstanzer Mädchen von damals so wichtig ist wie der Beginn der Londoner season mit der Vorstellung bei der Königin Viktoria. Wurden sie doch der Konstanzer Gesellschaft vorgestellt, von Müttern, Tanten und deren Freundinnen kritisiert und begutachtet, und – hoffentlich – von der Männerwelt bewundert.

Das Ballkleid liegt ausgebreitet auf dem weißen Mädchenbett. Ein Weihnachtsgeschenk und schöner und eleganter als irgendein im Laufe des Jahres benötigtes Kleid: rosa, himmelblau, weiß mit Rüschen, crêpe de chine-volants und Blumen, mit der tiefen, damals schulterfreien décolletage, mit Blumen, die, zur Toilette passend, sich weich und kühl am Ausschnitt auf die Haut legen – so sind die Kleider in den neunziger Jahren.

Das junge Mädchen steht vor dem Spiegel, die alte Mina hilft beim Anziehen. Die Mama ist nicht da, sie mußte – zwar mit großem Widerstreben, welche Mutter versäumte gern den ersten Ball der Tochter! – verreisen. So wird der Papa den Ballvater spielen. Auch er ist schon bereit, denn es ist ihm ein wenig unbehaglich in dieser Rolle. Um vorzubeugen, wird er jetzt der Tochter einige Verhaltungsmaßregeln geben, denn im Tanzsaal wird er es vergessen, aufzupassen. Er ist ja selber noch ein flotter Tänzer und glänzender Gesellschafter.

»Hör zu!« sagt er, ins Zimmer tretend, zu dem jungen Mädchen, das sich strahlend umdreht mit der Frage:

»Wie gefalle ich dir, Papa?«

»Gut, gut, aber höre jetzt zu! Erstens laß dich nicht verblüffen und glaube nicht alles, was deine Kavaliere sagen. Zweitens: wenn einer deiner Verehrer einen kleinen Schwips bekommt, so paß gut auf; denn da lernst du ihn am besten kennen, wie er wirklich ist. Und drittens: bleibe natürlich, werde nicht affektiert und gebrauche nicht zuviel Fremdwörter! Sonst geht es dir wie dem jungen Mädchen in den ›Fliegenden Blättern‹, das, neben seinem Verehrer in eleganter Pose sitzend, sich besonders hervortun will und ihrem Vater, der eben vorbei geht, in verfeinerter Sprache zuruft: › Aprapas, Popo, ist dir's auch so heiß?‹«

Beide lachen herzlich, nur die alte Mina denkt: Gut, daß die Mama nicht da ist und das gehört hat; sie hätte es sicher nicht bon ton gefunden.

Nun geht es in den Ballsaal. Das junge Mädchen ist nicht schüchtern, sie weiß von der Mama, daß das Eintreten in einen Raum etwas sehr Wichtiges ist. Warum soll es auch nur so neben dem Papa hineingehen, so nebenbei, fast bedeutungslos? Nein, das junge Mädchen »schreitet« in den Saal. Ist es nicht hübsch, ist seine Toilette nicht tadellos, ist es nicht die Hauptperson in einem Ballsaal? Die Kavaliere sind ja alle da, um mit ihm zu tanzen, es zu bewundern!

Ein junges Mädchen von damals war eine kleine Königin, und es teilte Gnaden aus. Wenn auch manchmal das Herz ein wenig klopfte bei der Frage: wird die Tanzkarte ganz vollgeschrieben?, so läßt es sich das nicht merken und reicht sie gnädig den Kavalieren.

Aber heute ist die Tanzkarte voll! Das junge Mädchen fliegt durch den Saal bei den Walzerklängen von Strauß und Waldteufel, es verneigt sich graziös in der française und quadrille und im cotillon kann es die Blumensträußchen kaum halten. Natürlich hat es »einen« gefunden, der ihm am besten gefällt! Sein Sträußchen wird an den Ausschnitt gesteckt und »er« hat es beglückt gesehen. Denn auch damals waren die kleinen Liebesgötter am Werk, nur ein wenig heimlicher.

Der erste Teil des Balles geht zu Ende. Neben den Klängen der »Donauwellen«, des »Sirenenzaubers« rauscht die Melodie der Huldigungen in vielen Variationen in die Ohren des jungen Mädchens auf seinem ersten Ball.

Nun ist das souper beendet; der zweite Teil des Balles soll mit dem Tischwalzer beginnen. Man sitzt noch bei den Knallbonbons und Knackmandeln, die Vielliebchen enthalten. Eben sagt ein poetischer Leutnant zu dem jungen Mädchen:

»Ach, gnädiges Fräulein haben einen so wunderschönen Augenaufschlag!«, was es natürlich vorher noch nicht wußte.

Da tritt der Papa hinter seinen Stuhl. Er hat sich plötzlich erinnert, daß er eine Tochter hat und will seiner Ballvaterpflicht genügen und ihr etwas zuflüstern. Aber was ist das Flüstern eines Mannes, der gewohnt ist, unbekümmert und ungeniert alles zu sagen? Und so tönt es ganz vernehmlich:

»Du, Kind, mußt du nicht einmal verschwinden?«

Ganz rot wird das junge Mädchen, die Herren verbeißen das Lachen und der poetische Leutnant hat Mitleid mit seiner Nachbarin, die einen so derben Vater hat. Der zieht sich nach dem Kopfschütteln der Tochter befriedigt zurück. Vom väterlichen und ärztlichen Standpunkt hat er seiner Pflicht genügt.


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