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Cavaliers à droite – à gauche – en avant! Tiefe Reverenzen mit graziösen Portebras begleiteten die Ausführung der Befehle des maître de plaisir im zierlichen Menuett. Und dazu spielte die Kapelle Mozarts köstliche Musik. Die Kapelle des Klosters, die der Abt seinem Kanzler für den bal champêtre zur Verfügung gestellt hatte. Seine Gnaden selber beehrte das Fest, das Johannes Willibald von Seyfried und seine Gattin ihrer Tochter Caton zu Ehren gaben.
Ich kann mir sie gut vorstellen, die beiden. Sie sahen gewiß so aus wie auf den Ölbildern im Saal im alten Familienhaus auf der Reichenau. Er: stattlich, wohlbeleibt, in rotem, goldgesticktem Rock und geblümter Brokatweste, das Haar sorgfältig gepudert und frisiert, Spitzenjabot am Hals und Spitzen an den Ärmeln. Mit seinem jovialen und doch würdigen Ausdruck ist er sicher seinen Gästen entgegengeschritten. Und sie? Eng geschnürt, in steifer Seide, die feste corsage in einer Spitze verlaufend, einen kleinen manteau mit Seidenschnur um die Schulter, etwas Pelz, viel Schmuck, Perlen und blitzende Steine. Das Haar zum toupet aufgetürmt, in dem ein Brillant funkelt. Sehr kühl und streng, doch von vollendeten Formen. So hatte sie wohl die Honneurs als Hausfrau gemacht, mit den üblichen Reverenzen, hatte dem Bischof von Konstanz, der sich gerade in Meersburg aufhielt und herüber gekommen war, die Hand geküßt und die weniger illustren Gäste mit etwas kühlem Lächeln begrüßt.
Und Caton? Sie hatte sich nicht in eine enge corsage gepreßt, kein Puder lag auf den Locken und keine Schminke färbte ihr Gesicht.
»Keine Pariserin trägt mehr toupet, Puder und Schminke,« hatte ihr auf der Reise zwischen Karlsruhe und Baden-Baden eine junge Französin mitgeteilt. Und sie fand es viel schöner, sich im leichten Mousselinekleid, mit einem Band unter der Brust gegürtet, einem frischen Blumenkranz im Haar, zu präsentieren.
Aber wer war der maître de plaisir?
Niemand anders, als der junge Obervogt aus Bodman, das hatte Caton mit vieler List durchgesetzt. Und er machte seine Sache sehr gut, er nahm es mit all den adeligen Kavalieren auf und sein Französisch war tadellos.
» Cavaliers en avant!« kommandierte er und dann verneigte er sich tief vor seiner Partnerin, die natürlich Caton war.
Und das Menuett ging weiter in all seinen Figuren, in graziösem Neigen und Beugen, und die Jugend gab sich unbeschwert der Lust des Tanzes hin, wenn auch manche Fäden sich spannen und knüpften, denn die Mozartschen Töne lockten die Liebesgötter herbei, die ihre Schlingen auswarfen in lustigem Spiel. Aber die Fäden waren leicht und lose und die Liebesgötter huschten oft nach einem flüchtigen Küßchen davon. Es war alles nur leichtes Spiel, das zu Menuett und Mozartmusik gehörte auf einem bal champêtre.
Die älteren Damen saßen in ihren Prachtroben pompös in den Nischen der weit geöffneten Fenster und bewegten ihre Spitzenfächer mit lässigen, graziösen Händen. Sie schauten den Tanzenden zu, lächelnd triumphierend oder besorgt und unruhig, je nach dem Erfolg ihrer Töchter, Nichten oder Schutzbefohlenen.
Die Herren waren in den Garten getreten und saßen jetzt unter einer mächtigen Linde, die in Blüte stand und ihren Duft ausgoß über Schloß und Park.
Neben dem Hausherrn saß würdevoll der Bischof, während der Abt seinen jungen Freund Eugen von Seyfried, den Sohn des Hauses, an seine Seite gezogen hatte. Die anderen Herren, darunter Graf Bodman, Baron von Enzberg aus Singen und Baron von Kleiser aus Konstanz, gruppierten sich zwanglos dazwischen. Eugen von Seyfried, der von Rastatt, wo wieder einmal eine Tagung stattgefunden hatte, gekommen war, mußte das Neueste erzählen.
»Ach, dieser Napoleon Bonaparte, wie souverän verändert er jene berühmten Worte: liberté, égalité, fraternité!« rief er, halb bewundernd, halb grollend.
»Die liberté nimmt er für sich allein in Anspruch, indem er sich die Freiheit seines gewalttätigen Handelns anmaßt. Alle Länder will er unter die égalité seines Willens zwingen.«
»Aber die fraternité, wo übt er die?« fragte der Abt.
»Wissen Euer Gnaden nicht,« fiel Baron Enzberg ein, »daß er sich als parvenu mit allen Fürstenhöfen verbrüdern will, voilà sa fraternité!« Alles lachte.
»Es ist doch eine ungeheure Gestalt mit allen Licht- und Schattenseiten einer überragenden Persönlichkeit, die im wahrsten Sinn des Wortes mehr im Lichte steht wie andere, aber auch tiefere Schatten wirft,« sagte Graf Bodman.
»Wir spüren nur die Schattenseiten,« rief Enzberg, »alles wankt und wackelt, Throne, Regierungen, ja auch die Klöster, Herr Abt,« fügte er ein wenig giftig hinzu. Er hatte letztlich einen Prozeß gegen das Kloster verloren und war deshalb nicht gut auf Salem zu sprechen.
Der Abt lächelte. Alle Ansichten kamen doch immer aus dem Allerpersönlichsten heraus, auch die, welche objektiv sein sollten, nie würde sich der Mensch zu einer wirklichen Objektivität durchringen. Dann aber sagte er ruhig: »Vielleicht, lieber Baron. Aber mag auch unser Kloster fallen – die Kirche fällt nicht. Und sie wird diesen französischen ersten Konsul überdauern, dessen seien Sie sicher – aber, meine Herren,« unterbrach er sich, »sind diese Gespräche nicht zu ernst für einen bal champêtre, der noch außerdem zu Ehren unserer reizenden Caton veranstaltet ist? Gehen wir zu der Jugend, sie regiert heute abend und wohl immer, denn sie hat die Zukunft.«
Ja, es war das Fest der Demoiselle Caton, das Fest der Jugend, da gehörte keine Politik hinein, da spielte sich etwas ganz, ganz anderes ab, da begann die Liebesgeschichte zwischen dem Fräulein Katharina von Seyfried und dem Obervogt Dr. Honsell.
Im Herbst gab es Hochzeit, und die beiden wurden meine Urgroßeltern.