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Die leicht hingeworfenen Abschiedsworte der Kaiserin Eugénie blieben den beiden Schwestern Seiz fest eingegraben im Gedächtnis. Sie hatte liebenswürdig gesagt: »Ihr Vater will mit Ihnen zur Weltausstellung kommen. Ich hoffe, Sie bringen mir einen Gruß vom See in die tuilérien. Au revoir!«
Sie sagten aber nichts davon zu Haus; denn Papa Seiz liebte nicht, von außen in irgendeiner Weise bestimmt zu werden. Er wollte selbstherrlich entscheiden. Die Töchter kannten ihren Vater. Und so bereiteten sie sich sozusagen heimlich auf die Reise vor. Sie sprachen mehr denn je französisch und wenn sie ein besonders hübsches Taschentuch gestickt hatten, so hieß es, das ist für Paris!
Und die Reise kam wirklich zustande; denn unter den alten Photographien liegt ein reizendes Bild der jungen Lina Seiz, das als passe-partout für die Weltausstellung diente; denn auf der Rückseite ist ein großer Stempel: Exposition Universelle de 1867 à Paris. Commission impériale. No. 10 003.
Der Brand der alten Rheinbrücke 1856
L'Exposition Universelle de 1867 à Paris
Titelbild der Illustrierten Ausstellungs-Zeitschrift
Mit diesem passe – partout ist die junge Lina Seiz mit ihrem Vater und ihrer Schwester Marie durch die Ausstellung auf dem Champ de Mars gewandelt – und hat dort den jungen Doktor Adolf Honsell getroffen, der mit seinem Freund, dem Freiherrn Marschall von Bieberstein, dem späteren bekannten Diplomaten und Gesandten, auch in Paris war. Nicht zufällig, was ja auch möglich gewesen wäre, denn es gibt im Leben solche Zufälle. Nein, vier Briefe, die vor mir liegen, erzählen den Zusammenhang und erzählen von der Reise nach Paris. Zwei sind vom jungen Doktor Honsell und zwei von der jungen Lina Seiz, gerichtet an die Schwester und Freundin Frieda und ihren Vater.
Ma chère petite soeur!
Liebes Friedele!
Die letzte Anrede klingt mir halt doch vertrauter; aber da ich hier nur französisch parliere und der cavalier servant schöner Damen bin, so muß ich mich einer gewählten Sprache befleißigen. Dank Deines lieben Briefes mit der ersehnten Adresse habe ich Vater Seiz mit den beiden Töchtern aufgespürt und – wandere nun ungestraft unter den Pariser Damen und Dämchen; denn an meiner Seite führe ich sehr oft die schöne Lina Seiz, während ein Schweizer Vetter Zardetti Marie begleitet. Vater Seiz ist hier nicht so streng und schulmeisterlich wie in Konstanz. Im Gegenteil. Die gallische Luft hat seinen glänzenden Humor, seinen treffenden Witz zur Entfaltung gebracht, und die leichteren Sitten haben auch ihn beeinflußt. So läßt er uns oft allein und geht seine eigenen Wege.
Wir hatten gestern einen herrlichen Tag. Papa Seiz war zu einer Audienz bei Napoleon III. befohlen. Die Töchter sollten sich eigentlich auch melden; aber der Papa wollte nichts davon wissen und blieb hart und unerbittlich, trotzdem sicher ein paar Tränen aus den schönen blauen Augen geflossen sind. Nun, Marschall Zardetti und ich haben jedenfalls alles getan, um die Tränen zu trocknen und unsere beiden Schönen zu entschädigen.
Nicht auf der Ausstellung, die wir nun sattsam kennen. Nein, wir sind nach Versailles gefahren, dem Schloß der Schlösser, das man schon aus dem Grunde kennen muß, weil es sozusagen die Mutter aller deutschen Fürstenschlösser ist. Und eine Mutter, auf deren Ähnlichkeit die verschiedenen Kinder in deutschen Landen schon stolz sein dürfen.
Wir haben aber nicht das Schloß besehen. Wir haben keine historischen Studien gemacht und Betrachtungen angestellt über den roi soleil, den petit caporal und den jetzigen Herrscher – trotzdem es sehr nahe lag und die Mädels, als Töchter eines Professors, sehr gebildet sind. Das Wetter war zu schön, und so sind wir durch die herrlichen Alleen gewandert, haben uns im Gras gelagert und geschwätzt und gelacht.
Sehr vergnügt, aber sehr müde trafen wir dann Papa Seiz im Hotel. Er war noch erfüllt von der Audienz beim Kaiser; aber eine kleine Enttäuschung schwang doch mit. Es ist eben etwas anderes, wenn zwei junge Männer freundliche Beziehungen haben, oder wenn zwei gereifte Menschen sich wieder treffen, von denen der eine ein Kaiser geworden ist. Es war sehr interessant, was er berichtete. Das werde ich morgen dem Vater schreiben; denn mein kleines Schwesterlein hat nicht viel Interesse für die Politik. Es möchte wohl lieber von zarten Fäden, Sommerfäden, die durch den Versailler Park flogen, hören, an denen rote Herzen hängen. Die Fäden flogen wohl, doch sind sie noch zu dünn. Sie schillern zwar in allen Farben, sie schlingen sich schon ein wenig um – nun um Deinen Bruder. Damit laß mich schließen.
*
Lieber Vater!
Ich weiß, daß Deine Gedanken viel bei mir sind oder vielmehr bei mir in Paris, mit der Betonung auf dem letzten Wort. Und ich stehe gern zurück vor der Allbezwingerin Lutetia. Sie hat wohl ein anderes Gesicht als damals 1822, als Du, lieber Vater, Monate des Studiums hier verbracht hast. Aber sie ist die ewig junge, die ewig strahlende. Und strahlender heute denn je, unter dem Zeichen der Weltausstellung und des Kaisertums.
Von der Ausstellung habe ich ja schon manchen Bericht an Euch geschickt, heute mochte ich vom Kaiserreich erzählen, d. h. durch den Mund Deines Freundes Seiz, der uns gestern nach seiner Rückkehr aus den tuilerien einen kleinen professoralen Vortrag hielt. Das »professorale« soll aber keinen Vorwurf bedeuten, im Gegenteil, es gibt dem Bericht eine gedrängte Form. Zuerst gab er eine Schilderung des berühmten lundi de l'Imperatrice, des Empfanges bei der Kaiserin Eugénie, der jeden Montag stattfindet, und zu dem eingeladen zu sein eine Bevorzugung bedeutet. Aller Glanz, alle Pracht des zweiten Kaiserreiches entfaltet sich dabei und alle Berühmtheiten erscheinen dort. So traf Seiz den alten Freund der Kaiserin, Prosper Maimée, den alten Musiker Auber, der noch zu allen Gelegenheiten Festsymphonien komponiert, und den neuen deutschen Stern am Musikhimmel, Richard Wagner.
Von der Schönheit der Kaiserin war er natürlich, soweit das ein ernster Schulmann und Vater vor seinen Töchtern zugesteht, begeistert. Das Aussehen des Kaisers dagegen gefiel ihm nicht und auch vieles, was er äußerte. Der Kaiser, der, das muß man ihm lassen, sein Frankreich zu neuer Blüte gebracht und im Innern wirklich Großes geleistet hat, läßt sich von der Kaiserin, die eine viel stärkere Natur ist, in der Außenpolitik ungeheuer beeinflussen. Und nicht nur darin. Er steht, wie wir sagen würden, tüchtig unterm Pantoffel und schlupft nur heimlich, zu seinem Privatvergnügen, drunter durch.
Er soll geäußert haben: »Um in meinen vier Wänden Ruhe und Frieden zu haben, brächte ich es fertig, Europa an allen vier Enden zugleich in Brand zu stecken.« Ein Ausspruch, der zeigt, daß die schöne Frau sich recht eingehend mit Politik beschäftigt, und zwar tut sie es in militärisch-klerikaler Richtung.
Das machte Seiz sehr bedenklich für die Zukunft. Durch die siegreiche Teilnahme am Krimkrieg ist die Militärpartei obenauf, und durch die Frömmigkeit der schönen Kaiserin und ihre Hingabe an die Kirche haben die Klerikalen große Macht. Und der Kaiser ist ein guter Mann; aber kein Soldat und kein frommer Katholik. Und so läßt er sich beeinflussen.
Da hast Du in kurzen Worten den Eindruck Deines Freundes Seiz aus nächster Nähe, den ich aus der Entfernung teile. Alles weitere kannst Du deutlich oder zwischen den Zeilen in den journaux lesen, die ich Dir zuschicke. Die französische Presse wie auch das ganze Volk läßt sich den Mund nicht verbinden – ein gutes, gesundes Ventil, denn das meiste verpufft ohne Folgen.
*
Meine liebe Frieda!
Nun sind wir in Paris, à Paris! Es ist wahr geworden, was wir uns erträumt. Ich bin noch ganz verwirrt. Wo soll ich anfangen zu erzählen? Was soll ich Dir schildern? Die herrliche Stadt? Die Weltausstellung? Einstweilen bin ich von beiden überwältigt. Da fallen mir zwei Sachen ein: erstens die Regeln, die uns Fräulein Partenheimer in der deutschen Stunde beim Aufsatzschreiben immer vorhielt: Disposition und Beschränkung. »In der Beschränkung zeigt sich der Meister.««
Denk aber nicht, daß Du einen »Meisterbrief«« bekommst! Ich beschränke mich also und sage nur: die beiden, Stadt und Ausstellung, sind überwältigend schön.
Zweitens mußte ich daran denken, daß ich in Konstanz, wenn ich an dem Ausstellkasten des Photographen Halm in der Augustinerstraße vorbei ging, immer zuerst ausschaute, ob ein Bild von mir oder von einer Freundin drin hing.
Und so schaute ich zuerst in der Ausstellung nach den deutschen sections aus, natürlich vor allem nach der süddeutschen. München ist da die führende Stadt, und der Pavillon der Kunstausstellung ist sehr schön und immer überfüllt. In der illustrierten Zeitschrift » l'Expositon Universelle« ist ein begeisterter Artikel über München, worin es heißt:
» Dans cette Allemagne, qui s'est avancée d'un pas si rapide à la recherche de tous les progrès, la Bavière, n'hésitons pas à le proclamer, tient le sceptre de l'art et Munich y rayonne, comme jadis rayonnait Athènes au milieu des petites républiques de la Grèce!«
So geht es weiter und zum Schluß heißt es:
» L'exposition allemande en resumé est parfaitement belle et on ne peut la quitter sans se rappeler cette parole de Victor Hugo: Si je n'étais pas Français, je voudrais être Allemand!«
Ist das nicht erhebend für uns?
Dann sah ich die Meißner Porzellan-Ausstellung, eine prachtvolle Vase, die gleich die Ehrenmedaille bekommen hat, und dann die entzückendsten Figürchen, die man sich vorstellen kann. Man lernt auch die Geschichte des Porzellans kennen, und da ist es ein Deutscher, der das richtige Porzellan, das wie das der Chinesen ist, erfunden hat. Er hieß Böttger und hat 1710 unter dem Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen die erste berühmte Porzellanfabrik eingerichtet.
Man lernt hier so viel und so spielend, und Papa kann uns immer noch das Fehlende ergänzen. Geographie, Geschichte, Kunst und das neue, uns noch recht fremde Gebiet der Technik, alles steht leibhaftig vor uns und man wandert wie in einem lebendigen, riesigen Bilderbuch. Es ist ganz märchenhaft. Weißt Du, in den Märchen von Andersen, ich glaube, es ist in den »Wilden Schwänen«, da hat ein kleiner Prinz so ein lebendiges Bilderbuch. Ob Andersen sich so etwas wie die Weltausstellung vorgestellt hat, oder ob es nur ein Dichtertraum war?
Doch aus der Märchenstimmung zur Wirklichkeit! Zur fröhlichen Wirklichkeit der Heimat! Gestern war » un événement du domaine de l'art musical et pourtant sans précédent dans son histoire«, nämlich ein großes Konzert, ein Wettbewerb der besten Militärkapellen, und da hat die Grenadierkapelle unseres Großherzogs in Karlsruhe glänzend abgeschnitten, unter der Leitung von Kapellmeister Burk, den der Papa durch seine Tätigkeit in Musikvereinen kennt. Wir waren sehr stolz auf den Erfolg. Die Kapelle sah auch sehr gut aus:
» à la tenue sévère, roide mais imposante, coiffés d'un casque noir écussonné de l'aigle ducal à crinière rouge, la taille prix dans une tunique, bleue à boutons blancs, bombée et galonnée d'argent aux paraments et au collet!«
Bist Du nun ein wenig zufrieden mit meinem Bericht? Das beste wird sein, ich bringe Dir alle Nummern der » l'Exposition Universelle Illustrée 1867, autorisée par la Commission impériale« mit, die wir hier mit Vergnügen immer nachlesen, um zu kontrollieren, was wir gesehen haben.
Noch eines: gestern war der König von Preußen auf der Ausstellung. Natürlich war er bald in der deutschen section, wo wir auf ihn warteten. Es sah so komisch aus, als er selber lebendig unter der großen Reiterstatue stand, die ein Bildhauer Drake aus Berlin von ihm in der preußischen section aufgestellt hatte. Ich denke mir, er war doch ein wenig verlegen, vielleicht war es ihm sogar peinlich, sich selber so riesenhaft groß ausgehauen zu sehen. Ich habe bis jetzt gedacht, Standbilder werden erst aufgestellt, wenn die Leute tot sind.
Nun noch einen süßen Schluß. Franz Stollwerck aus Köln hat in einer hohen Vitrine die herrlichsten Bonbons ausgestellt. Von weitem sieht es aus, wie wenn lauter bunte Blumensträuße hinter den Glasscheiben wären. Aber es sind lauter Bonbons und Schokolade-Gutsele! Verlockend und arg süß.
Laß Dir einen ebenso süßen Kuß schicken, liebes Friedele, von Deiner
Lina
*
Liebe Frieda!
Das war eine hübsche Überraschung, als vorgestern morgen, beim Herunterkommen ins vestibule, heimatliche Laute ertönten. »Grüß Gott, Fräulein Seiz!« sagte eine bekannte Stimme und Dein Bruder Adolf stand vor mir. Er behauptet, es hätte im » Moniteur« gestanden, daß »das schöne Fräulein Seiz« angekommen sei; aber das ist natürlich geschwindelt, Du hast ihm unsere Adresse gegeben. Und das war wirklich gut, denn wir brauchten gerade eine kleine Auffrischung von außen. Marie und ich waren ein wenig böse auf Papa und Vetter Zardetti, weil wir nicht zu dem Empfang der Kaiserin gehen durften. Und wir hatten uns doch so gefreut. Aber Du kennst unsern Papa!
Den Ausspruch der Kaiserin beim Abschied auf dem Arenenberg, daß wir ihr einen Gruß vom See bringen sollten, nannte er eine » façon de parler«, und dann meinte er, dieser Empfang würde uns ganz den Kopf verdrehen. Und Vetter Zardetti schlug sich auf Papas Seite, weil auch er fand, es würde unserm Seelenheil schaden. Wir sind recht böse auf ihn. Und wir hatten so schöne Toiletten! Hier in Paris hatten wir sie machen lassen von der couturière der Madame de Chaulieux, die um sieben Ecken mit Maman verwandt ist und der wir unseren Knicks gemacht haben. Mein Kleid ist aus weißer orientalischer Gaze mit Atlasstreifen über einem hellblau seidenen Unterkleid. Die Tunika ist aus weißem Seidentüll mit hellblau seidenen vieilles ruches reich verziert. Der Gürtel ist ein schweres hellblaues Seidenband und die Schuhe dazu in hellblauer Seide. Marie hat dasselbe Kleid mit lila Seide. Das Modell heißt » Impératrice«. Wie hätten diese Toiletten zum » lundi de l'Impératrice« gepaßt!
Wir haben nun aber den versagten Genuß verschmerzt; denn gestern durften wir in diesen Toiletten in die »Große Oper«, wo ein Werk von einem deutschen Musiker namens Richard Wagner aufgeführt wurde. Er soll ein protégé der Kaiserin sein. Davon muß ich Dir berichten, es war ein großer Eindruck. Wir haben unsere Toiletten ganz vergessen, obwohl es ein sehr angenehmes Gefühl war, so hübsch angezogen zu sein und sich neben all den eleganten Damen sehen lassen zu können. Auch vor unseren drei Kavalieren. Ja drei, denn Dein Bruder hatte noch seinen Freund, den Baron Marschall, mitgebracht. Sie sahen sehr elegant aus, ihre Fräcke waren bestimmt auch hier angemessen und nicht in Konstanz. Übrigens kannst Du der Frau Katzenmeier sagen, daß die Kleider, die sie uns für die Reise geschneidert hat, ganz gut bestehen können, besonders das schottisch-karierte Taftkleid und das weiße Alpacakleid. Doch ich will die Toilettenbetrachtung beenden, sonst denkst Du, daß ich eine recht eitle Person bin. Aber das Äußere, die Aufmachung, der elegante Rahmen spielen hier eine große Rolle; ob was dahinter steckt, da kommt man nicht so leicht dahinter! In der Großen Oper, im »Tannhäuser« von Wagner, habe ich etwas davon verspürt; denn die Pariser waren von dem Werk ergriffen, das so ganz anders ist wie die Mozart-Opern, wie »Faust« von Gounod. Und wir auch. Nur Dein Bruder Adolf sagte leise zu seinem Freund: »Weißt, ich wäre, glaube ich, bei der Venus geblieben, da war es sicher amüsanter wie bei der frommen Elisabeth. Es ist mir überhaupt zu fromm. Und die Musik ist mir zu schwer.« – Ich tat, wie wenn ich nichts gehört hätte, ich fand es recht ketzerisch von Deinem Bruder.
Nachher, im Café de la Paix, mitten im Trubel der begeisterten Theaterbesucher, sprachen auch wir über die Oper. Ich wollte Deinen Bruder ein wenig ducken, da lachte er nur: »Ach, Fräulein Lina, ich bin halt unmusikalisch. Das weiß besonders Ihr Papa. Ich bin nämlich auch Mitglied gewesen von der Sängerrunde ›Bodan‹ in Konstanz, als Ihr Papa Vorstand war. Wenn Probe war, hieß es immer: Wer singt denn so falsch da hinten? Und das war halt immer ich. Da bin ich aus Rücksicht für den Ruf des ›Bodan‹ ausgetreten. Aber ich meine, beim Wagner klingt es auch manchmal, wie wenn einer da hinten falsch sänge.«
Wir mußten lachen, halb empört, halb belustigt. So ist halt Dein Bruder.
Weißt Du, wen wir dann noch trafen? Den österreichischen Attachée vom Arenenberg. Er saß am Nebentisch und erkannte uns zuerst. Er war sehr liebenswürdig und erkundigte sich nach Annette von Debatis, seiner krinolinenlosen Walzertänzerin von damals. Sage das der Annette, es wird sie freuen. Dann versprach er uns eine Einladung zu einem Empfang bei der Fürstin Metternich, die beinahe eine so große Persönlichkeit ist wie die Kaiserin selber. Jedenfalls soll sie es sein, die den kaiserlichen Hof belebe und die Langeweile und Steifheit verbanne.
»Unsere Fürstin Paulin' hält sich der Kaiserin mindestens für ebenbürtig. Neulich gab es einen kleinen Konflikt zwischen den beiden. Da hat unsere Fürstin zur Kaiserin gesagt: › Madame, Sie vergessen, daß ich als grande dame zur Welt gekommen bin und daher keine Zurechtweisung annehme.‹ Aber sie haben sich wieder versöhnt, denn ohne unsere Fürstin geht's am Hofe nicht. Ach, sie versteht es, Feste zu feiern, sie ist halt eine Wienerin.«
Papa hat erlaubt, daß wir mit dem Grafen hingehen und auch Dein Bruder und Marschall sind eingeladen. Vetter Zardetti ist nicht mehr dabei, er reist morgen ab. Und wir fahren in acht Tagen heim. Ich mag noch gar nicht daran denken, denn Paris ist halt einzigartig und unvergleichlich schön. Ein Trost ist nur, daß wir ungeheuer viel gesehen haben, denn Papa ist ein glänzender Führer. Zum Abschluß fahren wir noch zwei Tage nach Trouville, dem berühmten Badeort. Ganz Paris soll dort zu sehen sein, und zwar in den entzückendsten Badekostümen, welche die Pariser Modekünstler geschaffen haben. Wir haben uns auch zwei kaufen dürfen, allerdings nur im »Bon Marché«, aber sie hatten die Etikette »Composition irréstistible«.
Also unwiderstehlich werden wir darin aussehen! Auch Du wirst Augen machen, denn es sind keine Badekleider mit langen Schößen bis über die Knie, wie wir sie am Bodensee tragen, sondern eng anliegend, weit ausgeschnitten und kurz, ein bißle unpassend, aber reizend.
Bin ich schon pariserisch angesteckt, daß ich mich freue, die composition irréstistible anzuziehen? Dein Bruder und Marschall werden uns drin sehen, sie begleiten uns. Sie fahren noch nach London, wie Du wohl weißt.
Hier lege ich Dir noch ein paar Nummern des »Moniteur de la Mode« bei. Es sind reizende gravures drin. Man sagt, die Kaiserin inspiriere die Modekünstler; das glaube ich gern.