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Nichts regt wohl die Jungmädchenphantasie mehr an wie das Betrachten von altem Schmuck. Man will nicht wissen, wie wertvoll er ist, wie teuer er war, daß mancher ein kleines Vermögen bedeutet, man will wissen, wer ihn getragen hat. Man sieht im Geiste das Stirnband mit dem hängenden Perlentropfen auf einer weißen Stirn, die Brillantboutons in rosigen Ohrläppchen, die glitzernde Kette um einen schlanken Hals und die Ringe an weißen, gepflegten Händen. Und dann die Armbänder, die Agraffen, die Gürtelschnallen, die Broschen, Busennadeln und Gemmen!
Alle haben ihre Träger geschmückt bei festlichen Gelegenheiten. Man sieht die Säle im Lichterglanz, die prächtigen Toiletten, man hört Ballmusik, Lachen und Gläserklirren. Sorglose Lebensfreude strömen die Schmuckstücke aus für ein junges Mädchen. Es denkt nicht daran, daß manches getragen wurde, um Sorgen, Enttäuschungen zu verdecken, und daß an manchem Kummer und Leid, ja auch Schuld und Sünde hängen können. Man ist jung und sorglos und träumt nur von Festesfreuden mit Tanz und Lachen, die einem selber bevorstehen – wenn man fünfzehn Jahre alt ist.
Wenn ich meinen Großpapa besuchte, fand ich ihn manchmal vor seinem Kassenschrank, der geheimnisvoll in einem Wandschrank eingebaut war. Wenn er dann gut gelaunt war, durfte ich hineinschauen auf ein Regal, auf dem schöne Lederetuis standen. Er holte sie heraus und öffnete eins nach dem anderen. Da lag der ererbte Familienschmuck der tante Joséphine und der Bayerschen Familie. Aber daneben lagen einige Etuis in rotem, goldverziertem Leder mit einer Krone und einem H. Die stammten nicht aus der Familie. Den Schmuck hatte die Königin Hortense meiner Urgroßtante Joséphine verkauft.
Als ihr Sohn Louis Napoleon im Jahre 1836 den Straßburger Putsch unternahm, brauchte er Geld, viel Geld. Sie eilte zu ihrer guten Freundin Joséphine und bat sie um Hilfe und bot ihr den Schmuck an. Tante Joséphine kaufte den wunderbaren Brillantschmuck, lauter Fuchsienblüten, die, aus Brillanten zusammengesetzt, beweglich an goldenen Stielen hingen. Auch jedes Staubgefäß war ein glitzernder Brillant. Da lagen auf dem dunkeln Samt Diadem, Halsband, Agraffe, Ohrgehänge und Brosche. Sie kaufte auch eine lange Perlenkette mit kostbarem Schloß aus Saphiren, Ringe, Broschen und Armbänder.
Da lagen sie nun, die toten Steine, und doch – Leben, Leben sprühten sie für mich, das reiche, bunte, wilde Leben der französischen Kaiserzeit. Napoleons Augen hatten auf den Steinen geruht, die Perlen hatten sich um den schlanken Hals der graziösen Hortense geschmiegt, während sie den berühmten Shawltanz tanzte und ihr aus den Augen des Grafen Flahault heimliches Liebesfeuer entgegenfunkelte. Sie haben in Malmaison in ihren Etuis gelegen, matt und traurig, während die Herrlichkeit und der Glanz ihrer Besitzerin versanken. Und sie sollten helfen, den Sohn zu neuem Glanz zu führen – vergebens; denn der Straßburger Putsch mißlang.
Es war so aufregend, sich all das auszudenken.
Aber es war doch fremdes Schicksal, was diese Steine kündeten. Der Familienschmuck sagte mir mehr. Da lag in einem ovalen Etui das Stirnband mit der fallenden Perle, das Stirnband, das tante Joséphine bei festlichen Anlässen getragen hatte und das sie auf dem großen Ölbild trägt, das die bekannte Konstanzer Malerin Ellenrieder gemalt hat, und das drüben im Saal hing.
Daneben lag mein Lieblingsschmuck: Türkisen in feinster, altmodischer Goldfassung. Nie habe ich den Großpapa solch milde Handbewegung machen sehen, als wenn er dies Etui öffnete und wieder schloß.
»Das hat deine Großmama als junges Mädchen getragen,« sagte er dann nur.
Und dieser Satz öffnete meiner Phantasie eine Tür ins Leben meiner Großmama. Und dann schaute ich auf ihr Ölbild, das neben dem der tante Joséphine hing, in ihre sanften Augen, und sie stand leibhaftig vor mir als junges Mädchen. Denn als meine Großmama habe ich sie nicht gekannt. Sie ist früh gestorben.