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Die Krinoline und ein Wiener Walzer

Was war das eigentlich für ein unpraktisches Kleidungsstück, das da wieder aus dem vorigen Jahrhundert auferstanden war?

Doch – was ziehen die Frauen nicht alles an, wenn es ihre Beherrscherin Mode befiehlt? Wenn es auch nur das Gebilde einer Kaprize der schönsten und eitelsten Frau ist, der Kaiserin Eugénie, die die Zeit ihrer veränderten Gestalt graziös verhüllen wollte? Und graziös war trotz allem dieses »Reifengerüst«, wenn die Trägerin es verstand, sich zu bewegen und duftige Stoffe mit Spitzen, Volants, vieilles ruches und Blumengewinde darüber fielen.

Die Männer lachten und berühmte Karikaturisten, wie Gavarni, Beaumont und Cruikshauk, wie die Künstler der »Fliegenden Blätter«, des damals führenden Witzblattes in Deutschland, zeichneten und malten lustige, witzige Spottbilder. Das focht die Modekünstler nicht an, und ihre phantastischen Gebilde wurden von den Schönen stolz getragen. In den kleinen Städten war die Phantasie der Schneiderinnen nicht so »ausschweifend«, und so fielen die Reifröcke bescheidener aus.

Aber jetzt, heute, galt es vor der höchsten Modekritik zu bestehen. Sämtliche Krinolinen ließen an Weite und Breite nichts zu wünschen übrig. Die jungen Mädchen standen stolz vor den trumeaux, nur etwas bedenklich, wie sie in die Kutschen Hineinkommen sollten, die sie auf den Arenenberg zu führen hatten.

Nur das Fräulein Annette von Debatis stand traurig ohne Krinoline vor ihrem Spiegel, in einem weißen, schlichten Mullkleid. Ihr Vater war ein Gegner der Krinoline und hatte gesagt: »Du kannst auf das Fest gehen, aber ohne dieses Gestell um dich herum. Sonst bleibst du halt daheim.««

Das wollte sie nun auch nicht, und so stand sie, einer heroischen Tragödin gleich, die bereit ist, große Schmach zu erleiden, am Fenster und wartete auf die Kutsche. Sie wußte nicht, daß sie in ihrem fließenden Mousselinekleid sehr reizend aussah.

Das waren die Vorbereitungen in der Stadt.

Und auf Schloß Arenenberg?

Da war im kleinen Speisezimmer zu ebener Erde, unverändert wie zu Hortenses Zeiten, ein kleines exquisites déjeuner serviert worden. Die Kaiserin war in glänzender Stimmung, denn zwei junge Neffen ihrer guten Freundin Pauline Metternich waren aus Wien angekommen. Sie erzählten von Wien, und schwärmten von der neuen Musik des Johann Strauß, der Walzer, echte Wiener Walzer, komponierte, die ganz Wien berauschten.

»Man fliegt nur so dahin, die Bewegungen der Tanzenden fließen ineinander, das ist ein Rhythmus und ein Schwung bei den hinreißenden Walzermelodien!«« rief der junge Graf ganz begeistert.

»O, ich möchte heute abend einen Straußschen Walzer hören!«« rief Eugénie.

»Das kann geschehen, Majestät. Ich habe Noten für Paris von Wien gebracht, sie stehen zur Verfügung.««

» Eh bien, so wird die Kapelle den Walzer spielen!«« befahl die Kaiserin.

Dann hob sie die Tafel auf, der Graf reichte ihr den Arm, draußen wartete der Wagen zur Nachmittagsspazierfahrt. Huldvoll lächelnd wünschte sie die Begleitung des Grafen – er gefiel ihr. Es war eine etwas aufregende Fahrt für den jungen Attaché, denn nicht kaiserliche, nein weibliche Huld überschüttete ihn verheißungsvoll.

Ein lauer Sommerabend brach an. Die Bäume des Parks rauschten im leisen Sommerwind und flüsterten von vergangenen Zeiten, von jener anderen Fürstin, die hier gelebt. Eine Frau, die Höhen und Tiefen des Lebens durchschritten, die unter diesen Bäumen gewandelt und der sie mit ihrem Rauschen Ruhe gebracht hatten.

Wie schön ist das Rauschen der Bäume. Im leisen Abendwind gibt es Ruhe, im starken Tagessturm gibt es Kraft. Und sie wissen es wohl, die alten Bäume.

Heute rauschten sie nur leise, sie wollten das Fest nicht stören, und der Abendwind legte sich hinter die Büsche; er wollte die Fackeln und Lichter, die den Park erhellen sollten, nicht löschen.

Wie damals, als Hortense hier Hof hielt, war der Empfang vor dem zeltartigen Teehäuschen. Die jugendlichen Gäste waren versammelt, es war ein bewegtes, farbenfrohes Bild. Der berühmte Maler Winterhalter, der als Gast auf Arenenberg war, schwelgte im Anblick und erzählte später oft, daß das Bild der jungen Menschen im Park von Arenenberg ihm den Gedanken zu dem weltbekannten Bild der Kaiserin mit ihren Hofdamen gegeben habe.

Alles wartete auf die Schloßherrin; die Hofkavaliere machten die honneurs.

»Wie reizend die Kleine ist, ohne Krinoline. Ach, da kann ich tüchtig Walzer tanzen,« rief der eine Wiener, als er Annette von Debatis entdeckt hatte.

»Wenn dich die Kaiserin vom allerhöchsten Dienst dispensiert.«

»Höre, lieber Freund, wir sind solidarisch, wir vertreten die gleiche Nation, also hast du die Pflicht, mich auch im Tanz zu vertreten. Ich will mit der Kleinen tanzen. Das soll halt ein bisserl wienerisch werden in all dem französischen steifen Drehen. Die anderen Mädel haben ja Krinolinen, die grad aus Paris zu kommen scheinen,« fuhr er fort und betrachtete kritisch den Mädchenflor.

Ja, ganz pariserisch kamen sich die jungen Mädchen vor. Stolz erwarteten sie die Majestät der Krinoline.

Da kam die Kaiserin den Parkweg entlang, der fast nicht breit genug war, um die Fülle von Volants ruches, Spitzen und Blumenguirlanden durchzulassen, die die Krinoline schmückten. Das war eine Pracht, und die schönste Frau der Zeit trug sie anmutsvoll den harrenden Gästen entgegen, die sich im tiefen Hofknicks verbeugten. Huldvoll hatte sie für jeden ein Lächeln. Als sie an dem Grafen vorbei kam, sagte sie: »Ich bin begierig, Ihren Walzer zu hören.««

Das Fest begann, und die Bäume sahen das gleiche Schauspiel wie vor Zeiten. Nur die Herrin war eine andere. Nicht die feine, durch Leid gegangene, mit edlem Maß waltende Gastgeberin, nein, eine strahlend schöne, junge Frau, auf der Höhe des Lebens, mit spanischem, feurigem Blut beherrschte das Fest. Die italienische Kapelle spielte hinter den Büschen; man gruppierte sich zwanglos und plauderte. Nach der ersten Musikpause winkte die Kaiserin dem Grafen:

»Nun, bitte, den Walzer von Strauß!«

Der junge Mann eilte zum Kapellmeister, dann aber zu der jungen Annette von Debatis, bot ihr den Arm und führte sie vor die Kaiserin.

»Majestät, darf ich mit dieser Dame den Walzer vorführen?« Die Kaiserin nickte etwas überrascht.

»Man tanzt ihn nämlich am besten ohne Krinoline«, und er umschlang fest die zierliche Gestalt.

Das Paar schwebte graziös im Walzertakt dahin, in weichen Bewegungen, die durch die Falten des sich anschmiegenden Kleides reizvoll erhöht wurden – ein neuer Anblick in jener Zeit. Der Maler Winterhalter war entzückt und auch alle anderen Gäste standen bewundernd. Was waren françaises, éccossaises, quadrilles à la cour gegen einen Wiener Walzer mit der hinreißenden Musik von Johann Strauß?

Wieviel Unheil hat schon ein Wiener Walzer angerichtet! Die Wiener selber nehmen es leichter, der Walzer liegt ihnen im Blut. Aber die anderen? Und damals, als die ersten Straußschen Walzermelodien erklangen?

Die kleine Annette von Debatis hatte sich unsterblich in den flotten Wiener Grafen verliebt.

Die Kaiserin saß ein wenig fassungslos da. Die schmeichelnden Melodien verklangen ungehört; sie war enttäuscht, denn sie hatte ja Walzer tanzen wollen. Aber Enttäuschung zu fühlen, lag ihr nicht, und so erhob sie sich kühl und hoheitsvoll, als der Tanz zu Ende war.

»Sehr hübsch, sehr graziös und – sehr intim«, sagte sie lächelnd zu den Zuschauern, »aber ich glaube, die quadrille à la cour paßt besser für uns. Engagieren Sie, meine Herren!« rief sie und klatschte leicht in die Hände. Und dann wogten die Krinolinen über die Wiese in den althergebrachten Figuren, und die Trägerinnen reichten zierlich die Fingerspitzen ihren Kavalieren und versanken im grand compliment.

Aber Annette von Debatis und der junge Graf vergaßen den Walzer nicht, den sie beim Fest der Kaiserin auf Arenenberg getanzt hatten. Als nach dem Krieg 1870/71 der Graf von Paris nach Konstanz kam, fand er seine Walzerpartnerin bereit, seine Ehepartnerin zu werden, und die Walzermelodien blieben für die beiden immer die schönste Musik.


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