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Die Frau Doktor

Wenn im Märchen ein Königskind geboren wird, so erscheinen an seiner Wiege die Feen, böse und gute, und bringen ihre Geschenke.

Ist es nicht immer noch so? Aber wir, heute in der Gegenwart, reden von Erbmassen. Auch die bringen ihre Geschenke dem Königskind. Ist nicht jedes Kind, das geboren wird, ein Königskind? Ist das Leben nicht das schönste Königreich, das seiner wartet, und helfen ihm nicht die Feen, die Erbmassen, es zu beherrschen und zu meistern? An der Wiege der Lina Seiz hatte die Fee der Schönheit ihr Geschenk niedergelegt, und neunzig Jahre hat dies Geschenk sie begleitet auf ihrem Lebensweg.

Es ist ein gutes, aber auch ein gefährliches Geschenk, die Schönheit. Ich meine, der Gegensatz von Schönheit und Häßlichkeit ist ein viel tiefgreifenderer im Menschenleben wie der Gegensatz von Reichtum und Armut.

Wieviel fällt der Schönheit in den Schoß, unerworben, unverdient? Wie geht sie durch die Welt, siegreich und beherrschend! Aber wie stellt sie Forderungen, wie ist sie egoistisch! Und wie wirkt sie auf die Häßlichkeit niederdrückend.

Wie beglückend ist sie, wenn ihre Freundinnen Anmut und Liebenswürdigkeit an ihrer Hand wandern, wie gefährlich, wenn Eitelkeit und Herrschsucht ihre Begleiterinnen sind. Wie bereichert sie das Leben, wenn sie stark und gut ist, und wie unglücklich macht sie, wenn sie schwach und böse ist!

Man sollte schöne Menschen nicht zu sehr bewundern und verwöhnen, aber auch nicht zu sehr beneiden und anfeinden. Es ist nicht so leicht, schön zu sein.

Was ist aber eigentlich Schönheit? Oft sie nicht wandelbar, zeitbedingt? Gewiß, aber vielleicht kann man ihren Begriff doch auf eine einfache Formel bringen?

Ist sie nicht die Eigenschaft des Wahrnehmbaren, Wesenhaften, Harmonie im Wahrnehmenden auszulösen? Ein Lustgefühl zu erzeugen, das ihn beglückt? Diese Harmonie, dieses Lustgefühl ist natürlich bedingt von der Einstellung des Wahrnehmenden, von der Zeitströmung, ja von der Mode, die ihn beeinflußt.

Man kann wohl sagen, daß seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts durch den ungeheuren Einfluß Griechenlands – für uns Deutsche gebracht durch Winckelmann, Goethe, Schiller und die ganze klassizistische Zeit – das griechische Schönheitsideal das ganze Jahrhundert beherrscht hat. Frauenschönheit bedeutete weibliche Formen in leichter Fülle, ebenmäßige Züge, langes, reiches Haar, Anmut und Würde und »edles Maß«.

Es gab viele schöne Frauen, überall. Nicht wie heute als Berufsschönheiten, als Filmstars und Tanzgrößen, nein, in jeder Familie, in den Privatgesellschaften und Damenkränzchen – sie hatten alle Zeit, schön zu sein. So merkwürdig es klingt: zum Schönsein gehört Zeit. Zum Schönsein noch viel mehr wie zum Schönwerden mit allen Hilfsmitteln der Kosmetik, die ja nur ein Schönsein vortäuschen.

Zeit hatten die Frauen in den Jahren nach dem Siebzigerkrieg, und so gab es viele schöne Frauen in Konstanz, und meine Mutter gehörte dazu.

Ich kann ruhig von ihrer Schönheit sprechen, denn – als sie mich nach Karlsruhe ins Viktoriapensionat brachte, sagte nach ihrer Abreise die Oberin zu mir: »Mein liebes Kind, ich habe selten eine so schöne Frau gesehen wie deine Mutter – schade, daß du ihr so gar nicht ähnlich siehst.« Spiegel und Bilder haben es mir bestätigt.

Da liegt ein Bild meiner Mutter vor mir als junge Frau, von der Hochzeitsreise.

Wohin ging damals schon jede Hochzeitsreise? Natürlich nach Italien. Durch Oberitalien nach Venedig und dann nach Triest, wo der jüngste Bruder sich als Kaufmann schon eine schöne Stellung errungen hatte und durch seine Heirat mit einem Fräulein Strudthoff in die große Familie des Begründers des bekannten stabilimento tecnico gekommen war.

Wer kannte sie nicht, die Hochzeitsreisenden in Italien? Arm in Arm, elegant, strahlend wanderten sie durch die Kirchen und Galerien oder fuhren in den lustigen kleinen carrozzellas durch die Straßen.

Aber es gab auch Konflikte und kleine Streitereien, denn damals lernten sich die jungen Menschen oft erst richtig auf der Hochzeitsreise kennen. War das vielleicht auch der tiefere Grund, warum Italien zur Reise gewählt wurde? Italien, das Land der Leidenschaft, aber auch der Leichtigkeit!

Auch Adolf und Lina hatten in Mailand eine kleine Auseinandersetzung. Lina hatte ein wunderhübsches Jaconettekleid mitgenommen, hatte es in Mailand waschen lassen und zog es wieder an. Adolf schnupperte schon im Zimmer in der Luft herum, es roch so – so merkwürdig! Aber er sagte nichts.

Auf der Straße bot er ihr nicht, wie sonst, den Arm und sie stolzierte, etwas pikiert, aber doch befriedigt neben ihm. Sie wußte, das Kleid stand ihr gut, und sie sah es aus den bewundernden Blicken der Italiener.

Plötzlich sagte der junge Ehemann: »Du, Lina, das Kleid ist es, das riecht, nein – ich muß es sagen! – das stinkt ja schrecklich.«

Entrüstet blieb sie stehen. »Wenn ich dir nicht gut genug rieche, dann kann ich ja gehen!« Und sie stürmte um eine Straßenecke. Aber kaum war sie allein, als schon ein bewundernder Italiener sie ansprach und mit Schmeicheleien über ihre Blondheit, über » la sua bellezza« überschüttete. Da wurde ihr angst und sie flüchtete wieder zu dem Gatten, der noch ganz verblüfft war über die escapade. Es war ja nur das Kleid und die schlechte Stärke der Wäscherin; aber Vorsicht in Behandlung der jungen Gattin schien geboten. Das war das résumé seiner Betrachtung.

Das Leben in Konstanz begann für die junge Frau Doktor auf der gleichen Basis wie ihr Mädchenleben. Das gleiche Haus, in dem sie geboren war und bis jetzt gelebt hatte, blieb ihr Heim. Ihr Vater hatte sich durch seinen Architektenschwiegersohn die alte Kirche St. Peter zur Fahr als Wohnhaus umbauen lassen. Es stand im gleichen Garten. Jeden Sonntag kamen er und der Schwiegervater Honsell zu Gast, und in dem Pavillon der tante Joséphine wurde nach Tisch der Kaffee getrunken.

Die gleichen Freundinnen kamen, obwohl manche mit ihren Ehemännern fortgezogen waren. Aber da war noch das Berthele Rahn, das Annele von Friedeburg, Annette von Debatis und andere. Behaglich und sorglos, umhegt von der bewundernden Liebe ihres Mannes, so begann die Ehe der Frau Lina Honsell. Und dann kamen die beiden Kinder in die Welt, meine Schwester Johanna, getauft nach der Großmama Seiz, und ich, Marie Louise, nach der Großmutter Honsell. Aber wir wurden Mimi und Lilly genannt, und unter diesen Namen mit dem beigefügten »die beiden Honselle« verbrachten wir eine wundervolle Jugend.

Wenn ich jetzt zurückdenke, so will mir scheinen, als lebte die Zeit der tante Joséphine in meiner Kindheit wieder auf, als knüpfte meine Mama das Band wieder an jene Zeit der sorglosen Feste, der geistreichen Geselligkeit, nur ohne Königinnen, aber mit vielen schönen Frauen. Denn an die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts kann ich mich selber erinnern, und sie erscheinen mir als glückliche Zeit.

Der große Geschichtsschreiber Karl Lamprecht bestätigt in seiner »Deutschen Geschichte« meinen Eindruck, der sich ja nur auf den winzigen Ausschnitt im Leben einer kleinen Stadt von damals bezieht, mit den gleichen Worten: »Es waren glückliche Zeiten, und es waren klare Zeiten.«

Ja, es waren glückliche Zeiten, denn die Menschen waren aufbauend tätig, nicht nur genießend. Ihr Genuß war verdiente Erholung.

Mein Vater liebte mehr die Erholung draußen in der Natur; aber die Mama liebte die Geselligkeit, und mein Vater war – er hätte kein Honsell sein müssen – ein glänzender Gesellschafter.

Da war nun der Ball im »Inselhotel«. Ganz still und bewundernd saß ich vorher daheim auf einem Hocker neben dem großen Spiegelschrank und sah der Vollendung von Mamas Toilette zu. Die Näherin Fräulein Zimmermann und unsere alte Mina knieten vor ihr, die eine gab der langen Schleppe noch den richtigen Wurf, die andere heftete Blumen in die tunique. Die Mama stand wie eine Statue. Das schöne blonde Haar war künstlich frisiert, die Friseuse war schon um sechs Uhr gekommen. Hals und Arme blendend weiß, und – da ging die Tür auf, der Großpapa kam herein, ein Etui in der Hand. Bald strahlte der wunderschöne Brillantschmuck der Fuchsienblüten auf Hals und Taille der Mama, im Haar blitzte die Agraffe, und von den Ohren tropften die brillantenen Blüten. Wie eine Märchenprinzessin kam sie mir vor.

»Pompös!« sagte der Großpapa anerkennend.

Das war das richtige Wort, und pompös waren sicher alle die Damen, die heute auf den Ball kamen. Sie alle kannten und übten die » mise en scène« und die Mode der Zeit mit prunkendem Stoffaufwand – aber nur nach unten, denn die décolletage ging tief –, mit coiffuren, Schmuck und Blumen unterstützte sie.

Und dann kam mein Vater rasch herein aus seinem Zimmer. Seine Toilette hatte nicht so lange gedauert, aber für mich war er auch der eleganteste, flotteste Mann. Die Eltern fuhren ab, und wir mußten ins Bett. Aber meine Kinderphantasie sah den Ballsaal, die Lichter, die schönen Frauen und hörte die Musik und nahm alles mit in den Traum.

Aber am schönsten war es, wenn wir selber Gesellschaft hatten. Die Mama verstand es, alles vorzubereiten mit feinstem Geschmack, und bewundernd stand jedesmal der Papa vor der gedeckten Tafel und ging durch die blumengeschmückten Räume.

Und dann kamen die Gäste. Und wir beguckten uns heimlich die Toiletten der Damen. Und einmal schlich ich in die Garderobe der Herren, zog aus jedem Überzieher das fein säuberlich eingesteckte Reservetaschentuch heraus, putzte die Nase hinein und steckte es wieder in die Tasche. Es war nicht sehr artig, aber doch nicht so arg wie das, was der kleine Erich Zeppelin in der gleichen Woche ausführte. Er machte mit einem kleinen Federmesser in jeden chapeau claque einen feinen Schnitt. »Sie merken's nicht gleich,« sagte er pfiffig.

Das Schönste bei unseren Gesellschaften war, wenn die Mama sang mit ihrer wunderschönen, in Berlin ausgebildeten Stimme. Alle Arien der Mozart-Opern, alle Lieder von Schumann und Schubert lernte ich schon als Kind kennen und lieben. Wir saßen dann in unseren Betten und hörten zu und sahen in der Phantasie die ganze Oper, die uns die Mama erzählt hatte, manchmal schöner wie später in der Wirklichkeit. Denn kann die Wirklichkeit jemals eine Kinderphantasie erreichen, die in einer reich bewegten, künstlerischen und kultivierten Umwelt ihre Anregung findet?

Und daß unsere Umwelt so schön war, das verdankten wir der Mama. Erst jetzt kommt mir oft zum Bewußtsein, wieviel ich ihr verdanke. Als Kind empfand ich soviel als Zwang und Einengung. Die Aussprüche, die sie in energischem Ton sagte: » Ce n'est pas bon ton« oder » ce n'est pas comme il faut« waren mir sehr unsympathisch, denn sie waren ja gleichbedeutend mit einem Verbot. Aber diese Sätze blieben doch fest haften und haben mir später oft gute Dienste getan.

Neunzig Jahre hat meine Mama gewußt, was bon ton und was comme il faut war, und sie hat dadurch aus ihrem Leben ein einheitliches Kunstwerk gemacht, das unberührt blieb von allen anderen Anschauungen, Änderungen, Umwälzungen, die die langen Jahre brachten.


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