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Auf der breiten Landstraße von Bregenz nach Konstanz, auf der alten Heerstraße, auf der schon die römischen Legionen marschierten, die der heilige Gallus mit seinen Mönchen beschritten, auf der die großen Planwagen mit Leinwand, der berühmten Tela di Costanza, gezogen, trafen sich an einem schönen Herbsttag zwei Gefährte. Ein schöner Landauer, mit Seide ausgeschlagen, zwei feurige Rappen in Silbergeschirr, Kutscher und Diener in blitzender Livree. Und im Wagen lehnte eine Dame, elegant und lässig. Im Reifrock und Schutenhut, mit braunen Schmachtlocken. Leicht gepudert, mit duftigem Hauch von rouge auf den Lippen und ein kokettes Schönpflästerchen am Kinn. Lächelnd schaute sie in die Landschaft. Der Nebelduft des Herbstes lag über dem See, im Westen neigte sich die Sonne in Purpurglut zum Untergang. Leises, müdes Gezwitscher der Stare klang in den Rhythmus des Hufgeklappers und Räderrollens, sonst friedliche Stille. Da – merkwürdiges, unmelodisches Geräusch! Immer näher! Die Pferde wollten schon scheu werden, aber der Kutscher hielt sie fest, obwohl auch er erschrocken auf das heranbrausende Gefährt blickte.
Was war das?
Ein Automobil. Tief lag es auf der Straße, der Motor surrte regelmäßig. Eine Dame saß aufrecht am Steuer. Eine Automütze gab dem Gesicht eine Ähnlichkeit mit Dantes Relief. Die Lippen waren brennend rot gemalt und brauner Puder half dem sportlichen Ausdruck nach. Sie fuhr allein. Das Auto stoppte und der Landauer hielt. Verwundert schauten die scharfen Augen der Fahrerin auf den Wagen und die unruhigen Pferde. Auch die Dame aus dem Landauer beugte sich neugierig vor.
»Merkwürdig altmodisch,« sagte die Dame im Auto. »Halten Sie die Gäule, daß ich vorbei komme!« rief sie dem Kutscher zu.
»Guten Abend,« sagte die Dame im Landauer liebenswürdig. »O was haben Sie für einen merkwürdigen Wagen? Und so ganz allein? Wo kommen Sie denn her? Wollen wir nicht ein wenig rasten und plaudern?«
»Ich habe keine Zeit.«
»O warum denn nicht? Es ist so schön hier und der Abend noch lang. Ich brauche erst heute nacht in Konstanz zu sein.«
»Ich muß heute noch weit in die Berge hinein, ich habe wirklich keine Zeit!«
»Warum müssen Sie?«
»Weil – weil – nun, weil ich eben will …«
Der Motor sprang an, und mit kurzem Gruß brauste das Auto mit der Dame davon.
Die andere im Landauer schüttelte lächelnd den Kopf, daß die Locken hin und her schaukelten.
»Keine Zeit? Warum denn nicht? Ist es nicht schön hier zum Verweilen? Ist die Zeit nicht dazu da, um sie manchmal zu vergessen?«
Und sie sah beglückt in den stillen, verglühenden Abend.
Die Pferde zogen langsam an und trabten weiter die Straße entlang und die Duftwellen des Abendnebels schlossen Wagen und Pferde langsam ein.
Wer waren die Beiden?
Es waren Dame Vergangenheit und Dame Gegenwart. –
Es war ein Spuk, und doch ist er für mich Wahrheit, denn vor hundert Jahren fuhr wirklich ein solcher Landauer an einem Herbstabend gen Konstanz, und meine Urgroßtante Fräulein Joséphine Hoffmann von Leuchtenstern saß darin – und ungefähr sechzig Jahre später fuhr das erste neuerfundene Automobil die gleiche Straße entlang, und der Erfinder Benz lenkte es selber und führte es dem ersten Käufer am Bodensee zu, dem Großneffen des Fräuleins Hoffmann von Leuchtenstern, meinem Onkel Eugen Zardetti von Bayer in Bregenz.
Der alte Landauer stand lange Jahre noch in der Remise meines Großpapas, und das Automobil steht heute noch im Museum zu Wien.