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Freundschaften

Unzertrennlich mit dem Haus meiner Großeltern war die alte, treue Nanett, und alles, was ich von meiner Großmutter weiß, stammt hauptsächlich von ihr. Ich habe meine Großmutter nicht gekannt, denn sie starb, als mein Vater, der Älteste, noch sehr jung war. Die prachtvolle, klare, tätige Frau war nach langer, schwerer Krankheit gestorben. Heldenhaft hatte sie die Schmerzen ertragen, nur Nanett wußte eigentlich, wie es um ihre Herrin stand.

»Ich will doch den Kindern die Jugend nicht verderben, und mein Mann soll nicht zu arg leiden unter einer kranken Frau,« hatte sie immer wieder zu ihrer vertrauten Dienerin gesagt, und Nanett, die treue Seele, half bei dem schweren, stillen Kampf. Viel, viel später, als ihr Ältester, mein Vater, Arzt war, konnte er ermessen, was seine Mutter schweigend ertragen, und die stille Heldin ward ihm zum Vorbild.

Nanett versorgte nun das mutterlose Haus und die Jahre gingen hin. Aus den Kindern wurden erwachsene Menschen.

Jugendfreundschaften! Im Alter lächelt man oft über die Gefühlsausbrüche jugendlicher Freundschaftsbriefe, über Tagebuchergüsse, die von all den Vorzügen einer Freundin handeln. Aber man sollte es nicht tun; die Jungmädchenfreundschaften waren immer wertvoll für das Leben, besonders in jener Zeit, in der die Beziehungen der Jugend untereinander viel enger begrenzt waren. Besonders die Beziehung zum anderen Geschlecht. Da bildete oft die Jungmädchenfreundschaft die natürliche Brücke. Die Freundinnen hatten Brüder und Vettern, und im behüteten und umschlossenen Rahmen der Familie trafen sich die jungen Menschen.

Die jungen Mädchen untereinander kamen in »Kränzchen« zusammen. Da gab es Kaffeekränzchen, wobei gestickt, gestrickt, gehäkelt wurde, Lesekränzchen mit der Lektüre von Dramen mit verteilten Rollen. Dann ein Sprachkränzchen mit einer alten Mademoiselle oder Miß, die den jungen Mädchen die richtige Aussprache beizubringen hatte und dafür reichlich mit Kaffee und Kuchen bewirtet wurde.

Aber in den Ferien, in den Feiertagswochen, wenn die Brüder und Vettern von der Universität kamen oder von der Garnison oder Amtsstadt, wo sie in junger Würde sich aufhielten, dann war's aus mit den Mädchenkränzchen. Dann gab es the's dansants, Landpartien, Schlittenfahrten, Liebhabertheater und zum Abschluß einen Ball. Eine Verlobung war meistens der sichtbare Erfolg.

Von heimlichem Liebesleid, von Enttäuschungen und Bitternis wurde nur im stillen Kämmerlein geflüstert – es war eine schamhafte Zeit.

Die junge Frieda Honsell, die einzige Schwester ihrer vier Brüder, hatte sich mit den Schwestern Marie und Lina Seiz innig angefreundet. Sie hatten sich in den Privatstunden der Fräulein Partenheimer gefunden, die eine Konstanzer Madame Campau war. Und nach dem Muster dieser berühmten französischen Erzieherin lehrte sie vor allem ihren Schülerinnen »die Kunst, zu gefallen«, eine Kunst, in der seinerzeit die Königin Hortense Meisterin war. Aber auch die Konstanzer jungen Mädchen nahmen die Lehre gerne auf.

Wenn ich heute in den alten, in Plüsch oder Leder gebundenen Photographie-Alben blättere und die jungen Mädchen aus den sechziger Jahren anschaue, die da sitzen oder stehen in schlichten, weiten Kleidern, die über einen Reifrock fallen, in der Taille geschnürt, einen kleinen Spitzenkragen mit einer Schleife am Hals, das Haar gescheitelt, so fällt mir überall der liebenswürdige, ungekünstelte Ausdruck auf, der auch die weniger hübschen Gesichter anmutig macht.

Heute war Kränzchen bei Frieda Honsell. Aber es wurde weder gestickt, gestrickt noch gehäkelt. Auch dem guten Gugelhupf, den Nanett gebacken hatte, wurde wenig Ehre angetan, die Unterhaltung war zu wichtig. Sie handelte von dem Gartenfest, das die Kaiserin Eugénie der Konstanzer Jugend morgen auf Schloß Arenenberg geben wollte.

Arenenberg war wieder im Besitz des Kaisers Napoleon, der seine Jugend als Prinz Louis Napoleon mit seiner Mutter, der Königin Hortense, dort verlebt hatte. Weil er jene Zeit immer als seine schönste Erinnerung bezeichnete, hatte seine Gattin den Besitz wieder zurückgekauft, den der Prinz aus Geldknappheit bald nach dem Tod der Mutter hergegeben hatte.

Der Kaiser war nun mit seiner Gattin für kurze Zeit eingekehrt im schönen sommerlichen Besitz. Die alten Zeiten sollten wieder aufleben. Seine alten Konstanzer Bekannten, lauter würdige Ehepaare, hatte er gestern schon empfangen, weil er heute nach der Schweiz weitergereist war. Die Kaiserin wollte noch einige Tage bleiben und hatte die Jugend zu einem Sommerfest eingeladen. Die Eltern hatten viel erzählt von der Liebenswürdigkeit des Kaisers, der in tadellosem Deutsch die Unterhaltungen geführt hatte; aber begeisterte Schilderungen machten sie von der wunderbaren Schönheit der Kaiserin.

»O, sie gilt mit Recht als die schönste Frau der Zeit!« riefen sie. Und dann berichteten sie von der Eleganz der Hofherren und Hofdamen, von der Pracht der Tafel, den feinen Genüssen und der rauschenden Musik einer italienischen Kapelle. Und nun sollten die jungen Mädchen das alles sehen und genießen. Das klang in ihr ruhiges bürgerliches Leben wie Fanfarenmusik aus alter Zeit.


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