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Caton kommt wieder an den See

Frühnebel lag auf der Baar, aber langsam mußte er der Sonne weichen, die nun siegreich über die weite Hochfläche schien. Sie spiegelte sich im Wasser der jungen Donau, die sich durch Schilf und Wiesen schlängelte, sie ließ den Streifen dunkler Tannen, die gen Nordwesten den Schwarzwald anzeigen, noch dunkler erscheinen gegen den blaßblauen Morgenhimmel. Sie glitzerte auf den Dächern von Donaueschingen und ließ Kirche und Schloß lange Schatten werfen.

Es schlug auf der Kirchenuhr die neunte Stunde, als mit Peitschenknallen die gelbe Postkutsche vom Gasthaus zur »Post« abfuhr, nachdem der Postillon seine bekannte lustige Weise zum Abschied geblasen hatte. Immer noch lockte sie manche Donaueschinger Schöne ans Fenster. Ankunft und Abfahrt eines Postwagens waren stets ein kleines Ereignis, ja oft ein großes – und das Geschlecht derer von Thurn und Taxis, das die gelbe Postkutsche in der Farbe ihres Wappens eingeführt hatte, konnte ihrem Ahnen, dem von Karl V. ernannten Generalpostmeister Johann Baptista von Taxis schon dankbar sein für den Erfolg des Postwesens, nicht nur für den der gelben Farbe, sondern auch der silbernen im vollen Säckel.

Rasch, soweit das bei der Schwerfälligkeit der Kutsche möglich war, ging's über das holprige Pflaster, dann aber trabten die Gäule gemächlich die lange Allee hinauf gen Pfohren zu. Sie hatten nicht schwer zu ziehen, es war eine Extrapost und nur zwei Passagiere saßen im Wagen – »aber zwei feine«, wie der Postillon befriedigt festgestellt hatte. Er hoffte auf ein reichliches Trinkgeld.

Es war das junge Fräulein Katharina von Seyfried aus Salem und der Kammerherr Nepomuk von Kleiser, der in Donaueschingen seinen Kammerherrnpflichten genügt hatte. Die junge Demoiselle war am gestrigen Tage aus Karlsruhe gekommen. Nun hatte es sich günstig getroffen, daß sie unter dem Schutz des Kammerherrn bis Radolfzell fahren konnte. Dort würde ein anderer Kavalier zur Stelle sein und sie weiter geleiten, während der Kammerherr nach Konstanz zu seiner Familie zurückkehrte. In jenen Tagen schickte es sich nicht für ein junges Fräulein vom Stande, allein zu reisen, und so mußten immer Freunde und Bekannte zur Begleitung aufgeboten werden.

Die Unterhaltung im Wagen war sehr angeregt, denn Demoiselle Caton, wie sie von allen Freunden genannt wurde, war lebhaft und voll Interesse für alles, was sie sah. Da war zuerst die Donau, die sie interessierte. Der Kammerherr, obwohl er nicht mehr zu den Jüngsten gehörte, war nicht unempfindlich gegen Jugend und Anmut und gab sich alle Mühe, seine Schutzbefohlene zu unterhalten.

»Es sieht alles so anders aus, jetzt im Frühling,« rief sie. »Als ich vor drei Monaten hier vorbei fuhr, lag die ganze Landschaft in dichtem Schnee. Man sah nichts als eine weiße Decke und dahinter die schwarzen Tannenwälder, in die wir hineinfuhren, es war ganz unheimlich. Und Bruder Eugen, der mit mir fuhr, schlief die ganze Zeit. Es war nicht so hübsch wie heute. Heute ist Frühling, die Sonne scheint, und ein liebenswürdiger Hofmann und Kavalier begleitet mich und wird mir alles erklären, nicht wahr?« Und sie sah den guten Kammerherrn schmeichelnd an.

»Aber mit dem größten Vergnügen.«

»Nicht wahr, das ist die Donau? Im Kloster haben wir den kleinen Vers gelernt: die Brigach und die Breg bringet d'Donau z'weg. Jetzt seh ich wirklich, wie sie zuweg' gebracht wird. Noch ein wenig klein, aber dann wird sie ja die große Donau bei Wien, wo Bruder Eugen jetzt eben die Nase in die große Politik steckt.«

Sie lachte, aber ihr Begleiter sagte ganz respektvoll:

»Nicht wahr, Ihr Herr Bruder war beim Kongreß in Rastatt dem Plenipotentiaire Metternich zugeteilt?«

»Ja. Er kam oft zwischen den Tagungen nach Salem und erzählte viel. Ich habe aber nicht recht zugehört, denn Politik interessiert mich nicht, auch nicht dieser große Plenipo–po–,« sie stockte und errötete, »ach, diese Titel sind so schwer auszusprechen.«

Der Kammerherr hatte hell aufgelacht.

»Ja, ja, Demoiselle Caton, ich glaube, es ist besser, Sie lassen's. Metternich wäre wohl mit dieser Abkürzung nicht zufrieden.«

Und nun stimmte Caton in das Lachen ein.

»Aber schad ist's doch, daß Sie mir nichts erzählen können, denn es muß sehr interessant in Rastatt gewesen sein. Wir leben in einer bewegten, kriegerischen Zeit. Der große Korse drüben läßt niemand zur Ruhe kommen. Auch uns nicht. Wenn ich nur an all die kriegerischen Bewegungen hier herum denke. Zum Beispiel an das arme Stockach, das zu seinem Unglück an einer der bedeutendsten Heerstraßen nach Württemberg liegt. Was hat es vor einigen Jahren gelitten durch den Durchzug der Armeen, der österreichischen und der französischen! Es ist nicht abzusehen, ob die kriegerischen Aktionen nicht weiter gehen und sich bis an den See ausdehnen. Der Kongreß ist ja noch nicht zu Ende. Einstweilen hat er nicht viel für uns gezeitigt, höchstens daß der schöne Badeort Baden sehr in Mode gekommen ist. Es sollen oft viertausend Menschen dort sein – nicht nur wegen der heißen Quellen, glaube ich, eher wegen der Spielbank und – der schönen Französinnen …« Er schwieg rasch und schaute besorgt auf das junge Mädchen.

Das sagte aber ganz unbefangen: »Das glaube ich gern, das muß man den Französinnen lassen, élégance und charme, das haben sie.«

»O, unsere Frauen und Fräuleins können es getrost mit ihnen aufnehmen,« rief der Kammerherr, nahm die kleine Hand der Demoiselle und küßte sie galant.

Caton lachte: »Nun haben wir glücklich das kriegerische Gespräch überwunden, das so gar nicht in den friedlichen, sonnigen Morgen paßte,« und sie beugte sich aus dem Fenster und schaute mit frohen Augen in die Landschaft.

Sie lag im lichten Glanz eines Frühlingstages. Noch blühten keine Bäume, noch schimmerte das erste Grün zart und schüchtern in hellen Schattierungen. Die Nordhänge waren noch mit gelblichem Gras bedeckt; aber dort, wohin die Sonne mit ihren Strahlen kam, leuchteten die Wiesen in frischem Grün, geschmückt mit den saftigen gelben Sumpfdotterblumen und dem zarten, lilaweißen Wiesenschaumkraut.

Auf das Hochplateau der Baar kommt der Frühling spät, aber dieses langsame Kommen ist von besonderem Reiz.

Der Postwagen hatte die Höhe von Pfohren erreicht. Das alte, graue Wasserschloß, das mit den festen Mauern, den schweren Eckpfeilern und wenigen Fenstern gar düster ins Land schaute, erregte die Neugier des jungen Mädchens, und der Kammerherr gab gerne Bescheid.

»Sage und Wahrheit berichten hier bei dieser alten Burg zweierlei.«

»O, ich bin mehr für die Sage,« rief Caton, »Sage ist meist interessanter.«

»Und geheimnisvoller, Sie haben recht. Die Sage berichtet, daß Karl der Große für eine seiner Frauen die Burg erbaut habe.«

»Hat er denn so viele Frauen gehabt?«

»Ja, ich glaube drei oder vier – aber es kann auch eine Freundin gewesen sein,« brummte er für sich – »diese Frau hauste in dem einsamen Schloß,« fuhr er fort, »er war vielleicht eifersüchtig und hat sie hier sozusagen eingemauert.«

»Wie romantisch, wie gruselig, aber es paßt zu der alten Burg.«

»Ich muß Sie nun von diesen gruseligen Gedanken, die aber gar nicht zu Ihnen passen, mein kleines Fräulein, ablenken, denn die Wahrheit sagt anders. Es war ein Jagdschloß der Fürstenberger und wurde Entenburg genannt. Und der Name soll vom Kaiser Maximilian stammen, der 1507 auf dem Schloß wohnte und jagte und hauptsächlich Enten schoß – gottlob nicht alle, denn dort fliegt eben ein großer Schwarm auf … Wie schön das bunte Gefieder glänzt,« unterbrach er sich und deutete gegen den Himmel, wo in keilförmigem Flug ein Entenzug dahinflog.

»Es muß dem Kaiser Maximilian gut gefallen haben, denn 1510 kam er wieder. Irgend ein kaiserlicher Brief ist datiert: escript en nostre logis de Entenbourch,« er buchstabierte bedächtig das alte Französisch.

»Die Sage gefällt mir besser. In Jagdschlössern sieht es eigentlich immer gleich aus und geht immer gleich zu bis auf heute, das kenne ich vom Vater,« meinte Caton.

»Nun, es gab halt doch manchmal allerhand unterschiedliches Wild auf den Jagdschlössern,« sagte der Kammerherr; aber er hütete sich, das näher auszuführen. Das war nichts für die Ohren einer kleinen feinen Demoiselle.

»Eigentlich hätten wir aussteigen sollen, aber Sie sehen, der Postillon hat keinen Sinn für alte Baudenkmäler, ihn zieht es an den See.«

»Mich auch, mich auch!« rief Caton, »und – hören Sie das Pferdegetrappel auf der alten Holzbrücke, über die wir fahren? – das erinnert mich an die Rheinbrücke in Konstanz.«

Sie hatten die kleine, gedeckte, uralte Holzbrücke über die Donau passiert, und das Dorf Kirchenhausen lag an der Biegung, die zur Engener Steige führte. Auch dort war eine kleine Brücke über einem Bach, der zur Donau floß. Ein zierlicher heiliger Nepomuk aus Sandstein bewachte sie – und tut es heute noch.

Caton hatte ihn gleich erspäht.

»Wie hübsch! Nicht wahr, der Heilige Nepomuk ist der Schutzheilige aller Brücken?«

»Ja,« schmunzelte der Kammerherr, »und mein Namenspatron und sozusagen mein Ehestifter.«

»Wieso?« fragte Caton neugierig.

»Nun, es geht jetzt im Schritt die Steige hinauf, da sollen Sie die Geschichte hören.«

Er lehnte sich behaglich zurück.

»Meine Frau war als junge Hofdame sehr, sehr spröde. Ich warb um sie, aber ich wußte nie, ob sie mich wählen würde, denn sie hatte so viele Anbeter. Da machten wir eine Schlittenfahrt von Donaueschingen aus. Ich war leider nicht ihr Kavalier, aber ich fuhr allein dicht hinter ihrem Schlitten. Wir kamen an diese Brücke, die aber damals nur ein niederer Steg ohne Geländer war, und – wie es zuging, weiß ich nicht – der Schlitten vor mir warf um, und die schöne Hofdame samt ihrem Kavalier fielen in den Bach. ›O Nepomuk, o Nepomuk!‹ rief die geliebte Stimme. Ich sprang nach, holte meine Angebetete aus dem eisigen Wasser, setzte sie in meinen Schlitten und jagte zurück. Und dann nahm ich sie in meine Arme, nicht, wie sie meinte, um sie zu erwärmen und vor einem Schnupfen zu bewahren, nein, ich küßte sie und nannte sie meine Braut, weil sie ja nach mir gerufen hatte. Sie wehrte sich und behauptete, sie hätte nach dem heiligen Nepomuk, dem Brückenheiligen, gerufen. Aber ich ließ es nicht gelten, es half ihr nichts. – Und dann ließ ich die kleine Steinbrücke bauen und den heiligen Nepomuk aufstellen zum Andenken – und ich freue mich jedesmal, wenn ich ihn sehe.«

»Das ist das Beste an der hübschen Geschichte, daß Sie sich immer wieder freuen.«

»Sie haben recht, mein kleines Fräulein. Es hätte auch anders kommen können, denn die Ehe ist ja ein Sprung ins Dunkle, nicht nur in einen Bach.«

Inzwischen hatten sie die Höhe der Engener Steige erreicht. Die Pferde blieben einfach stehen, sie wußten, was sie zu tun hatten. Und der Postillon auch. Er sprang vom Bock, zog sein Pfeiflein aus der Tasche, um ein paar Züge zu rauchen, während die Insassen der Kutsche die Aussicht betrachteten. Das war immer so bei einer Extrapost. Da fuhren meist Leute mit höherer Bildung, und dazu gehörten Ausrufe des Entzückens. Manche stiegen aus und fielen sich begeistert in die Arme. Das kannte er nun sattsam, ihm war seine Pfeife lieber.

Der Kammerherr und das Fräulein waren dann auch ausgestiegen. Aber Ausbrüche und Entzückungen erfolgten nicht. Beide kannten ja die Landschaft als ihre Heimat, und sie genossen den vertrauten Anblick schweigend. Sie genossen ihn aus starkem Heimatgefühl und aus den Empfindungen und Anschauungen ihrer Zeit. Caton von Seyfried kam nicht umsonst aus Weimar, wo sie in der Atmosphäre des Werther-Dichters einige Monate verbracht hatte, sie war nicht umsonst im Kreis der Empfindsamen um Merck, den Freund Goethes, in Darmstadt gewesen, um nicht beeinflußt zu sein in der Betrachtung der Natur. Obwohl sie schon vorher, nur unbewußter, in inniger Beziehung mit ihr gelebt hatte.

Die Geistesrichtung, die von J. J. Rousseau ausging, fand hier am Bodensee leichtere Aufnahme, denn die Landschaft, die man überall von hoher Warte überschauen konnte, war schön.

Die Lieblichkeit des Sees, die Wucht der Vulkanberge der Hegaulandschaft, die Großartigkeit der hereinragenden Alpenwelt, die Landschaft in ihrer großen Schönheit war da, sie war nur mit dem Bewußtsein zu erfassen und zu genießen. Daß dies die Menschen lernten, das war der beglückende Gewinn, den das achtzehnte Jahrhundert dem neunzehnten mitgab.

Catons Augen wollten im Schauen überfließen, sie war geneigt, im Stil der Empfindsamen den guten Kammerherrn zu umarmen; aber – war sie doch ein zu natürliches Mädchen und war ihr der Kammerherr zu alt – sie unterließ beides und sagte nur leise vor sich hin: »Wie schön ist meine Heimat!«

Es war ein klarer, ein wenig föhniger Frühlingstag mit fast sommerlicher Wärme. Hier war der Frühling in all seiner Pracht eingekehrt. Das Land lag im Blütenschmuck der Obstbäume zwischen Hängen mit dunkeln Tannen, hellgrünen Birken und Buchen. Gelbe Rapsfelder, Wiesen mit leuchtendem Löwenzahn prangten zwischen der grünen, sprießenden Wintersaat. Die Dörfer mit den braunen und roten Dächern und weißen Giebeln schauten mit weitgeöffneten Fensteraugen fröhlich in die Weite.

Die trotzigen Kegel der Hegauberge standen eigenwillig gegen den Himmel, mit Burgruinen gekrönt, die den Eingriff der Menschen im Aufbauen und Zerstören als starke Note in die Harmonie der Landschaft setzten. Der Bodensee schimmerte, und die Alpenkette türmte sich weiß verschneit in der Ferne auf.

»Wir haben Glück mit dem Wetter,« sagte der Kammerherr. »Föhnwetter ist günstig im Frühjahr und schenkt uns immer den grandiosen Anblick der Berge. Wie ist alles durch die Föhnbeleuchtung soviel näher gerückt! Wieviel deutlicher sind alle Konturen! Sehen Sie doch, wie das wuchtige Säntismassiv alles beherrscht! Aber überall liegt noch Schnee, bis herunter auf die Vorberge. Da hat die Sonne noch viel zu tun, bis wir ihn als grünes, klares Wasser unter der Rheinbrücke in Konstanz durchströmen sehen. Doch,« unterbrach er sich, »unser Postillon hat seine Pfeife ausgeraucht, und die Pferde stampfen schon ganz ungeduldig – darf ich Ihnen beim Einsteigen behilflich sein?«

Und mit beifälligen Blicken half er der graziösen Demoiselle in die hohe Kutsche hinein.

In lustigem Trab ging's die Windungen der Engener Steige hinunter. Das Städtchen Engen, das »hochgetürmt« und geschlossen mit Mauern und Schloß weit in die Hegaulandschaft schaute, wurde links liegen gelassen, es ging weiter am Hohenkrähen und Hohentwiel entlang, durch den kleinen Ort Singen dem See entgegen.

Der Kammerherr erging sich in Geschichtsbetrachtungen, die er jedesmal gerne seinen Reisegenossen vortrug, wenn er diese Strecke dahinfuhr. Heute wählte er den Hohentwiel, den mächtigsten der Bergkegel, und er gedachte, seine Begleiterin mit der Erzählung der Herzogin Hadwig, die als junge Gattin des Herzogs Burkhard II. in frommen Werken sich hervortat, sehr gelehrt war, mit dem Mönche Ekkehard von St. Gallen lateinische Studien trieb und als Witwe ein Kloster auf dem Hohentwiel gründete, zu zerstreuen. Aber unwillkürlich kam er auf die bewegteren kriegerischen Zeitläufte zu sprechen, in denen der Hohentwiel eine Festung war. Damals wurde ein Fürstenhaus erbaut, und die Geschichte erzählt von der ungewöhnlichen Bauweise. Jeder Gast mußte einen Stein hinauftragen, dafür wurde ihm aus silbernem Becher der Willkommtrunk gereicht.

»Ich hab die Verse im Willkommbuch gelesen,« schloß der Kammerherr heiter, »da kann man so recht die Geistesart der Besucher erkennen. Der eine, bieder und ehrlich, schreibt:

In Regen und Schnee
trug ich hundert Pfund in die Höh'!

Aber ein anderer:

Ich habe getragen gar nit schwer,
hergegen gesoffen um so mehr!

»Der hat Recht gehabt,« rief Caton, »so hätt ich's auch gemacht.«

»Aber, aber Fräulein Caton, was muß ich da hören!« lachte der Kammerherr, »da wäre der Hohentwiel nie unbezwingbar geworden, wenn alle so gedacht hätten.«

»Er scheint mir doch bezwungen worden zu sein, er sieht heut recht zerfallen aus,« sagte Caton etwas ungeduldig. Sie hatte eigentlich genug von den Erklärungen. Aber der Kammerherr ließ sich nicht beirren, die Erwähnung vom Helden Widerhold, der im Dreißigjährigen Krieg auf der Burg herrschte, und die Burgen auf dem Hohenkrähen und Mägdeberg einfach niederbrannte, blieb ihr nicht erspart. Sie hörte aber nicht mehr richtig zu, sie war ungeduldig, ja unruhig, endlich nach Radolfzell an den See zu kommen.

War es nur der See, nach dem sie sich sehnte?

Denn in Radolfzell tut er sich auf an jedem Tag wie ein schimmernder Festsaal mit spiegelndem Parkett, auf dem die Lebensfreude tanzt, unter einer blauen, leuchtenden Decke, an der die Sonne wie eine goldene Ampel hängt. Oder in der Nacht wie eine weite, gewölbte Halle, von tausend Sternenkerzen beleuchtet, mit einem dunkeln Sammetteppich belegt, auf dem die Träume lautlos schreiten.

So empfand Caton jedesmal den See, und daß sie den Anblick ersehnte, war nicht zu verwundern. Aber es war noch etwas anderes, was sie ungeduldig werden ließ. Wer würde sie in Radolfzell abholen? Nur der Bodmansche alte Kutscher? Oder würde der junge Doktor, der Obervogt beim Grafen Bodman war und der sie vor drei Monaten im Schlitten an die Postkutsche gebracht hatte, sie abholen?

Sie hatte ihn in den drei Monaten nicht vergessen, obwohl viele Kavaliere ihr gehuldigt hatten und ihr Herzlein manchmal ein wenig rascher geklopft hatte.

»Er hat einen guten Alemannenkopf und einen prächtigen Humor, der junge Reichenauer Doktor,« hatte sie den Grafen zu ihrem Vater sagen hören. Viel mehr wußte sie nicht von ihm, denn die Unterhaltung im Schlitten hatte sich nur auf ihre große Reise nach dem Norden bezogen. Der Doktor hatte bescheiden einige Ratschläge erteilt. Aber die hatten gezeigt, daß er selber wohl schon weit gereist war, und das hatte ihr gewaltig imponiert. Nun war sie aber auch weit gereist, wenn auch nicht nach Rom und Paris, nun wollte sie sich nicht mehr imponieren lassen. Sie kam sich sehr weltgewandt vor, die junge, zierliche, dunkeläugige Caton von Seyfried.

Aber was wollte sie dann?

Der Antwort vor sich selber wurde sie enthoben, denn ein lustiges Hornsignal schmetterte durch die Luft, die Postkutsche näherte sich dem kleinen Seestädtchen Radolfzell, und – da lag der See im Glanz des Frühlingstages. Schon klapperten die Hufe auf dem Pflaster, und dann hielt die Kutsche vor der Posthalterei.

Neugierig beugte sich Caton aus dem Fenster – ein helles Rot schoß ihr in die Backen.

Da stand der junge Doktor neben einem schönen Reitpferd und dahinter die Kutsche von Schloß Bodman.

Er würde also neben ihr herreiten. Das war gut so, besser wie im engen Wagen – sie war so derangiert von der Reise, auch ein wenig müde von dem Gerüttel des Postwagens – und sie wollte ja besonders hübsch sein für den jungen Doktor.

Der Abschied von ihrem Begleiter war herzlich, aber kurz, denn beide Reisenden drängten weiter. Aber der Postillon wurde nicht vergessen, er profitierte sichtlich von der Wiedersehensfreude des Fräuleins und des Doktors. Auch bei der Ankunft in Konstanz gab es ein reichliches Trinkgeld, denn Baron von Kleiser war froh, wieder daheim zu sein nach der absolvierten Kammerherrenzeit mit Frack und Schlüssel.


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