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110 a.
Bei Tisch begeht man Grobheit viel,
Die zähl man auch zum Narrenspiel,
Von der zuletzt ich sprechen will. Die Stücke 110 a und b sind Zusätze der zweiten Auflage (Basel 1495).

Von schlechten Sitten bei Tische

Wenn ich die Narrheit ganz durchsuche,
Setz billig ich zuletzt im Buche
Etliche, die für Narrn man acht't,
An die zuvor ich nicht gedacht.
Denn ob sie schon viel Mißbrauch treiben
Und feiner Hofzucht treu nicht bleiben,
Auch grob und ungezogen sind,
So sind sie doch nicht also blind,
Daß sie die Ehrbarkeit verletzten,
Wie die, die wir zuvor hinsetzten;
Sie haben auch nicht Gott vergessen,
Sondern beim Trinken und beim Essen
Sind sie so grob und unerfahrn,
Daß man sie heißt bäurische Narrn. unhoflich narren, d.h. unhöfisch (impliziert den Gegensatz bäurisch).
Sie waschen ihre Hände nicht,
Wenn man die Mahlzeit zugericht't,
Oder wenn sie sich zu Tische setzen,
Sie andre in dem Platz verletzen, an dem sytzen letzen, d.h. um ihren Platz bringen.
Die vor ihnen sollten sein gesessen;
Vernunft und Hofzucht sie vergessen,
Daß man muß rufen: »Heda, munter,
Mein guter Freund, rück weiter runter!
Laß den dort sitzen an deiner Statt!« Vgl. Lukas 14, 8 ff.
Ein andrer nicht gesprochen hat
Den Segen über Brot und Wein,
Eh er bei Tische Gast will sein;
Ein andrer greift zuerst in die Schüssel
Und stößt das Essen in den Rüssel
Vor ehrbarn Leuten, Frauen, Herrn,
Die er vernünftig sollte ehrn,
Daß sie zum ersten griffen an
Und er nicht war zuvorderst dran.
Der auch so eilig essen muß,
Daß er so bläst in Brei und Mus,
Strengt an die Backen ungeheuer,
Als setzte er in Brand 'ne Scheuer.
Mancher beträuft Tischtuch und Kleid,
Legt auf die Schüssel wieder breit,
Was ihm ist ungeschickt entfallen,
Unlust bringt es den Gästen allen.
Andre hinwieder sind so faul,
Wenn sie den Löffel führen zum Maul,
Dann hängen sie den offnen Rüssel
So über Platte, Mus und Schüssel,
Daß, fällt ihnen etwas dann darnieder,
Dasselbe kommt in die Schüssel wieder.
Etliche sind so naseweise:
Sie riechen vorher an der Speise
Und machen sie den andern Leuten
Zuwider, die sie sonst nicht scheuten.
Etliche kauen etwas im Munde
Und werfen das von sich zur Stunde
Auf Tischtuch, Schüssel oder Erde,
Daß manchem davon übel werde.
Wer einen Mundvoll gegessen hat
Und legt es wieder auf die Platt',
Oder lehnt sich über den Tisch
Und lugt, wo sei gut Fleisch und Fisch,
Wenn das auch andern näher lag,
Er packts und nimmt es in Beschlag
Und läßt es vor sich stehn allein,
Daß es nicht andern sei gemein;
Einen solchen man Schlingrabe nennt,
Der über Tisch sich selbst nur kennt
Und darauf legt Mühe und Fleiß,
Daß er allein ess' alle Speis
Und er allein sich füllen könne
Und andern nicht das gleiche gönne.
Einen solchen heiß ich: Räumdenhagen, D. h., mach reine Bahn!
Leersnäpfli, Schmierwanst, Fülldenmagen
.
Ein schlechter Tischgenoß ist das
Und wird geheißen wohl ein Fraß,
Der solcher Unart fern nicht bleibt,
Daß er auch andern läßt ihr Teil,
Gewährt gut Essen ihm das Heil.
Ein andrer füllt die Backen so,
Als ob sie steckten ihm voll Stroh;
Er pflegt beim Essen rings zu gaffen
In alle Winkel wie die Affen
Und schaut auf jeden mit Begehr,
Ob der vielleicht mehr ißt als er,
Und eh der einen Mund voll zuckt,
Hat er vier oder fünf verschluckt,
Und daß ihm sonst auch nichts gebreste,
Trägt er noch Teller voll zum Neste,
Und daß er sich ja nicht versäume,
Lugt er, wie er die Platten räume.
Eh er die Speis herunterschluckt,
Er einen Stich D. h. einen Schluck, franz. un coup. in den Becher guckt,
Macht sich 'ne Suppe mit dem Wein Er trinkt, ehe er die Speise verschluckt hat.
Und schwenkt damit die Backen rein,
Und hat damit oft solche Eil,
Daß aus der Nas ihm rinnt ein Teil,
Oder spritzt gar einem andern wohl
Das Trinkgeschirr und Antlitz voll.
Neun Taubenzüge, ein Bapphart, Taubenzug bedeutet wohl ein bestimmtes Maß beim Trinken; Bapphart ist ein Mund voll Brei (nach Goedeke).
Das ist beim Trinken jetzt die Art.
Den schmutzgen Mund wischt keiner mehr:
Im Becher schwimmt das Fett umher;
Schmatzen beim Trinken ist nicht fein,
Kann andern Leuten nur widrig sein.
Durch die Zähne sürfeln Schlürfen. klingt nicht schön,
Solch Trinken gibt ein schlecht Getön.
Manch einer trinkt mit solchem Geschrei,
Als käme eine Kuh vom Heu.
Nachtrinken Ehre sonst gebot,
Jetzt ist dem Weinschlauch nur noch Not,
Daß er schnell möge trinken vor:
Das Trinkgeschirr hebt er empor
Und bringt dir einen »frohen Trunk«,
Damit sein Becher macht glunk, glunk;
Er meint, daß er den andern ehrt,
Wenn er den Humpen leer umkehrt. D.h. die Nagelprobe macht.
Ich misse gern die feine Sitte,
Daß man vor mir das Glas umschütte
Oder daß man mich zu trinken bitte;
Ich trink für mich, doch keinem zu:
Wer sich gern füllt, ist eine Kuh.
Ein andrer schwätzt bei Tisch allein,
Läßt nicht das Wort sein allgemein,
Es muß vielmehr ihm jedermann
Zuhörn, wie er gut schwätzen kann.
Keinem andern er das Wort vergönnt,
Doch sein Wort gegen jeden rennt
Und verleumdet gern zu jeder Frist
Manchen, der nicht zugegen ist.
Ein andrer kratzt sich derb am Grinde
Und lugt, ob er kein Wildbret finde
Mit sechs Füßen und dem Ulmer Schild, Das Ulmer Schild zeigt ein Kreuz, wie die Läuse.
Das er erst auf dem Teller knillt, Zerdrückt, knickt.
Dann in die Schüssel die Finger taucht,
Weil er just Nägleinbrühe Wortspiel, da näglyß brüg auch eine Nelkensoße bezeichnet.braucht;
Der eilt, daß er die Nase wische
Und putzt die Finger ab – am Tische!
Andre sind so höflich erzogen,
Daß sie auf Arm und Ellenbogen
Sich lehnen und den Tisch bewegen,
Sich drauf mit allen vieren legen,
Wie jene Braut von Geispitzhain, Ein Dorf in der Nähe von Straßburg, aus dem wohl die folgende Anekdote stammt, die später in den Schildbürgern erzählt wird: die Mutter hatte der bäurischen Braut gesagt, sie müsse die Beine (= Knochen) neben den Teller legen; sie streckte deshalb ihre Beine auf den Tisch.
Die auf den Teller legte die Bein',
Und da sie sich bückte nach dem Sturz, Nach dem entfallenen Kopftuch.
Entfuhr ihr über dem Tisch ein Furz;
Sie ließ ein Rülpsen sich entwischen,
Wenn man nicht kommen wär dazwischen
Mit Kübeln und sie nicht aufgetan
Das Maul – ihr bliebe nicht ein Zahn.
Etliche lieben so zu hofieren, Feine Sitte zu zeigen.
Daß sie das Brot recht tüchtig beschmieren
Mit schmutzigen Händen im Pfefferbrei, Soße.
Damit es wohl gesalbet sei.
Es bringt auch Vorteil, vorzulegen:
Das beste Stück so zu bewegen,
Daß, was nicht will gefallen mir,
Ich lege einem andern für,
Dadurch wird dann ein Weg gemacht,
Auf dem ich nach dem Besten tracht;
Einem andern wird, was ich nicht will,
Das Beste mir – und ich schweig still.
So hat mir mancher oft hofiert!
Ich wünscht, daß er nicht angerührt
Die Schüssel, denn dann blieb mir das,
Was vor mir lag und schmeckte baß. Besser.
Mancher auf Schlendrian schlenttrianum, von schlendern, umhertreiben. ausgeht
Und die Schüssel auf dem Tische dreht,
Bis das Beste ist vor ihn gekommen.
Ich habe das oft wahrgenommen,
Daß mancher trieb solch Abenteuer
Und listig sich verschaffte Steuer, Hilfe, Unterstützung.
Daß ihm gefüllet ward sein Bauch.
So gibts bei Tisch seltsamen Brauch,
Wenn alles ich erzählen sollte,
Ein ganzes Buch Eyn gantz legend, wie weiter unten: ich wolt sunst wol eyn bibel machen. ich schreiben wollte,
Wie man sieht in den Becher pfeifen,
Mit Fingern in das Salzfaß greifen,
Was mancher achtet für sehr grob;
Doch hat dasselbe mehr mein Lob,
Als daß man Salz nimmt mit dem Messer:
Gewaschene Hand ist wahrlich besser
Und sauberer als jene Klingen,
Die wir in der Scheide mit uns bringen
Und wissen nicht, ob wir vor Stunden
Vielleicht 'ne Katze damit geschunden.
Für Unvernunft kann man auch halten
Die Eier zu schlagen und zu spalten
Und ander dergleichen Gaukelspiel,
Wovon ich jetzt nicht schreiben will;
Denn das soll feine Sitte sein,
Ich schreib von Grobheit hier allein,
Nicht von subtilen, feinen Sachen.
Ich müßt sonst eine Bibel machen,
Sollt ich den Mißbrauch all beschreiben,
Den man beim Essen pflegt zu treiben.
Desgleichen acht ichs auch nicht viel,
Wenn etwas in den Becher fiel,
Ob man durch Blasen das wegbringe
Oder mit einer Messerklinge
Oder vom Brot mit einer Schnitte –
Wiewohl das letztre feinre Sitte,
So halte ichs doch also nun,
Daß man ein jedes könne tun.
Wo man es aber hält für gut,
Daß aus dem Glas man alles tut
Und lieber ein ganz frisches nimmt,
Wie sich bei Reichen das wohl ziemt,
Kann man es schelten nicht mit Glimpf; Mit Recht.
Für Arme ist nicht solcher Schimpf: Scherz, harmlose Sitte.
Ein armer Mann läßt sich begnügen;
Was Gott ihm gibt, muß ihm genügen,
Er braucht nicht jede Hofzucht pflegen.
Zum letzten spreche man den Segen;
Und wenn man satt sich trank und aß,
Sag man auch Deo gratias! Gott sei Dank.
Denn wer gering hält diese Pflicht,
Den achte ich für weise nicht;
Vielmehr ich billig von ihm sage,
Daß er die Narrenkappe trage.


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