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72.
Wüst, schandbar Wort reizt auf und rüttelt
An guten Sitten unvermittelt,
Wenn man zu fest die Sauglock schüttelt. D.h. derbe und unflätige Reden führt.

Von groben Narren

Ein neuer Heilger heißt Grobian, Eigentlich: grober Johann; wohl von Brant zuerst als Schutzpatron aller rohen, sich unflätig benehmenden Menschen erfunden. Der Grobian wurde zu einer Lieblingsfigur der Zeit; von diesem Kapitel des Narrenschiffs ausgehend, bildete sich im 16. Jh. eine eigene satirische Literaturgattung, die den Grobianismus, namentlich in Form negativer Tischzuchten, zur Zielscheibe des Spottes machte. Vgl. Kap. 110 a.
Den will jetzt feiern jedermann
Und ehren ihn an jedem Ort
Mit schändlich wüstem Werk und Wort,
Und will das ziehn zu einem Schimpf. Zu einem Scherz machen.
Wiewohl der Gürtel hat wenig Glimpf. Wenig Anstand. Glimpf bezeichnete auch ein Anhängsel der männlichen Bekleidung, das am Gürtel der Geistlichen, dem Ordensgewand, fehlte; der Sinn der vieldeutigen Anspielung auf den neuen Orden der Grobiane ist also: Roheit verträgt sich nicht mit Scherz.
Herr Glimpfius Ebenfalls eine Wortbildung Brants = Herr Anstand. ist tot für die Welt:
Der Narr die Sau bei den Ohren hält
Und schüttelt sie, daß die Sauglock klingt
Und sie den Moringer Das Lied vom edlen Moringer war ein bekanntes Volkslied; hier ist zugleich ein Saulied gemeint (zu mhd. môre = schwarze Sau). ihm singt.
Die Sau führt jetzt allein den Tanz,
Sie hält das Narrenschiff am Schwanz,
Daß es nicht untergeh vor Schwere,
Was schade doch auf Erden wäre;
Denn wenn die Narren nicht tränken Wein,
Gält er jetzt kaum ein Örtelein. Einen Heller.
Aber die Sau jetzt viel Junge macht,
Die wüste Rotte der Weisheit lacht;
Sie läßt niemand beim Brettspiel sein,
Die Krone trägt die Sau allein;
Wer gut die Sauglock läuten kann,
Der muß jetzt immer sein vornan.
Wer jetzt kann treiben solches Werk,
Wie einst der Pfaff vom Kalenberg, Der Pfaffe vom Kalenberg bei Wien trieb allerlei Schwänke und Possen, die im 15. Jh. gesammelt und aufgeschrieben wurden. Der erste bekannte Druck stammt aus dem Jahre 1550.
Oder Mönch Eilsam Ilsan aus dem Rosengarten, ein kampflustiger Mönch der deutschen Heldensage, dessen Doppelrolle zu vielen burlesken Späßen Anlaß gab. mit seinem Bart,
Der meint, er tu eine gute Fahrt.
Von manchem ist Wort und Tat geschehn,
Wenn das Orestes gehört und gesehn,
Der doch der Sinne war beraubt,
Er hätt es von keinem Verständgen geglaubt.
Sauberinsdorf Sufer jns dorff, sprechender Name eines ordentlichen Bauern, auf ein Sprichwort zurückführend. ist worden blind,
Das macht, die Bauern jetzt trunken sind.
Herr Ellerkunz Herr Ellerkuontz, d.h. grober Klotz, hanebüchener Kerl. Ähnliche Wortbildungen bei wüst genuog und seltten satt. den Vortanz hat
Mit Wüstgenug und Seltensatt.
Ein jeder Narr will Sauwerk treiben,
Daß ihm die Büchse möge bleiben,
Die man umträgt mit Eselsschmer.
Die Eselsbüchse wird selten leer,
Wiewohl ein jeder drein will greifen
Und damit schmieren seine Pfeifen. Die Sackpfeife, die er als Narr spielt; vgl. Kap. 54.
Die Grobheit breitet jetzt sich aus
Und wohnt beinah in jedem Haus,
Daß man nicht viel Vernunft mehr treibt.
Was man jetzt redet oder schreibt,
Das ist aus dieser Büchs entnommen.
Zumal wenn Prasser zusammenkommen,
Dann hebt die Sau die Mette Dieser und die folgenden Namen bezeichnen die septem horae canonicae, die sieben verschiedenen Gebetszeiten, die in den Klöstern zur Erinnerung an die Leiden Christi innegehalten werden mußten. Zu jeder gab es eine Anzahl von Liedern und Gebeten. an:
Die Prim' erschallt im Eselston,
Die Terz ist von Sankt Grobian,
Hutmacherknechte D. h. grobe Burschen, da sie es mit groben fyltzen zu tun haben. singen die Sext,
Von groben Filzen ist der Text;
Die wüste Rott sitzt in der Non',
Die schlemmt und demmt aus vollem Ton,
Darnach die Sau zur Vesper klingt,
Unflat und Schamperjan Unflot und schamperyon, wieder als sprechende Namen von Brant gebildet. dann singt,
Bis die Complet den Anfang nimmt,
In der man »All sind voll!« anstimmt. all vol, ein bekanntes Lied des 15. Jh.
Das Eselsschmalz ist ohne Ruh,
Mit Schweinefett vermischt dazu;
Das streichet einer dem andern an,
Den er möcht haben zum Kumpan,
Der wüst will sein und es nicht kann.
Man schont nicht Gott noch Ehrbarkeit,
Vom Wüstesten weiß man Bescheid;
Wer kann der Allerschlimmste sein,
Dem bietet man ein Glas mit Wein.
Das Haus erdröhnt, man lacht und johlt
Und bittet, daß ers wiederholt.
Man ruft: »Das ist ein guter Schwank,
Dabei wird uns die Zeit nicht lang!«
Ein Narr den andern schreiet an:
»Sei ein guter Gesell! Und lustig, Mann!
Feti gran schier, e belli schier! Faites grand chère et belle chère, d. h., laßt etwas drauf gehen, seid lustig!
Welch Erdenfreud sonst haben wir
Als bei so guten Gesellen sein?
Drum laßt uns fröhlich prassen und schrein!
Uns bleibt nur wenig Zeit auf Erden,
Die möge uns vergnügt doch werden;
Denn wer einst Todes stirbt, liegt so
Und ist zu keiner Zeit mehr froh!
Wir haben von keinem je vernommen,
Der von der Hölle sei wiederkommen
Und uns nun sagte, wie's da stünde!
Gesellig sein ist keine Sünde!
Die Pfaffen reden, was sie wollen,
Daß dies und jenes wir nicht sollen; Die pfaffen reden was sie went / Und das sie diß und jhens geschend; der Sinn ist durchaus doppeldeutig: und dies und jenes mögen sie (die Pfaffen, da sie nun einmal reden, was sie wollen) schänden (wir kehren uns nicht daran!), oder: möge sie (die Pfaffen) dies und jenes schänden, verflucht mögen sie sein!
Wär es so sündig, wie sie schreiben,
Sie täten es nicht selber treiben!
Wenn nicht der Pfaff vom Teufel sagte,
Der Hirt vom Wolf sein Leiden klagte,
Wo bliebe denn dann ihr Gewinn?«
Das ist der Narren Wort und Sinn,
Die leben mit der groben Rott,
Der Welt zur Schande und auch Gott –
Doch werden sie zuletzt zum Spott!


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