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103.

Vom Antichrist

Der Holzschnitt nimmt hier, ähnlich wie bei Kap. 48, die ganze Seite ein, so daß Mottoverse und Titel fehlen; der letztere wurde aus dem Register ergänzt. Vom endkrist entspricht zwar etymologisch völlig dem lat. Antichristus, doch ist in dieser umgelauteten Sprachform zugleich die Vorstellung vom Ende der Welt enthalten, dem Jüngsten Gericht, vor dessen Eintritt der Antichrist nach altkirchlicher Überlieferung seine Herrschaft ausüben sollte (= Endechrist).

Nachdem ich die voran gelassen,
Die da mit Falschheit sich befassen, Vgl. Kap. 102; der Sinn ist: die rechten Fälscher behandele ich nun erst.
Find ich nun erst die rechten Knaben,
Die um das Narrenschiff her traben
Und sich und andre viel betrügen,
Die Heilge Schrift verkrümmen und biegen;
Die geben erst dem Glauben Püff'
Und netzen das papierne Schiff; Das papierne Schiff des Glaubens, d. h. die heiligen Bücher.
Ein jeder reißet etwas ab,
Daß desto weniger Bord Rand, Höhe über dem Wasserspiegel. es hab,
Nimmt Ruder und Riemen weg davon,
Daß ihm der Untergang mög' drohn.
Viele sind in ihrem Sinn so klug,
Die dünken weise sich genug,
Aus eigener Vernunft Einfall
Die Heilge Schrift zu deuten all,
Darin sie fehlen doch gar sehr,
Und wird gestraft ihre falsche Lehr.
Denn sie könnten aus andern Schriften wohl
– Deren allenthalben die Welt ist voll –
Genugsam unterrichten sich,
Wenn sie nicht wollten sonderlich
Gesehen sein vor andern Leuten;
Dabei fährt irr das Schiff zuzeiten.
Man kann dieselben trunken nennen,
Da sie die Wahrheit wohl erkennen
Und doch das Schiff umkehren ganz,
Zu zeigen ihren Schein und Glanz.
Das ist der falschen Propheten Lehr,
Vor denen sich hüten heißt der Herr,
Welche anders die Schrift umkehren,
Als sie der heilge Geist tut lehren;
Deren Hände führen falsche Waagen,
Drauf legen sie nach ihrem Behagen,
Machen eines leicht und andres schwer,
Darunter der Glaube leidet sehr. Do mit der gloub yetz vast hyn zücht, d. h. stirbt, vergeht.
Inmitten der Verkehrten wir stehn;
Man kann den Skorpion Vgl. Ezechiel 2, 6 (von Brant hier wohl mit der astrologischen Bedeutung des Skorpions in Verbindung gebracht). schon sehn
Sich regen, gereizt von solcher Macht,
Die Ezechiel vorausgesagt. Ezechiel 13 (Weissagung gegen die falschen Propheten) und 14 (Gericht über Jerusalem)..
Die das Gesetz hier übertreten
Und zu dem Antichristen beten,
Die schaffen ihm gar viel voraus;
Wenn seine Jahre sind dann aus,
So hat er viel, die bei ihm stehn
Und mit ihm in der Falschheit gehn.
Deren hat er viele in der Welt!
Wenn er austeilen wird sein Geld
Und an das Licht die Schätze bringen,
Braucht er nicht viel mit Streichen zwingen:
Die Mehrzahl wird selbst zu ihm laufen,
Durch Geld wird er sich viele kaufen,
Die helfen ihm, damit er dann
Die Guten zu Falle bringen kann –
Doch werden lange sie's nicht machen,
Ihnen wird bald fehlen Schiff und Nachen,
Wiewohl sie fahren um und um –
Er wird die Wahrheit machen krumm,
Die wird zuletzt doch Wahrheit bleiben
Und wird die Falschheit ganz vertreiben,
Die jetzo herrscht in jedem Stand.
Ich fürcht, das Schiff kommt nicht zum Land.
Sankt Peters Schifflein Sant Peters schyfflin gilt, anknüpfend an den Fischerberuf des ersten Apostels, als Sinnbild der katholischen Kirche. schwanket sehr,
Ich sorg den Untergang im Meer,
Die Wellen schlagen allseits dran,
Ihm wird viel Sturm und Plage nahn.
Gar wenig Wahrheit man jetzt hört,
Die Heilige Schrift wird ganz verkehrt
Und jetzt viel anders ausgelegt,
Als sie der Mund der Wahrheit hegt.
Verzeih mir recht, wen dies betrifft!
Der Antichrist kommt angeschifft, Der endkrist sytzt jm grossen schiff: wie diese und andere Stellen zeigen, geht Brant im Gegensatz zu früheren Kapiteln hier von dem großen Glaubensschiff aus, in dem alle Christen fahren; dieses wird vom Antichrist besetzt und wird scheitern, ebenso wie die kleineren Narrenschiffe, während sich die wahrhaft Gläubigen in St. Peters Schifflein retten werden. Vgl. die Erläuterung des Holzschnitts S. 459.
Hat seine Botschaft ausgesandt,
Falschheit verkündigt durch das Land,
Denn falscher Glaub und falsche Lehr,
Die wachsen von Tag zu Tage mehr,
Wozu die Drucker tüchtig steuern.
Man könnte manches Buch verfeuern
Mit Unrecht viel und Falsch darin.
Viele denken einzig auf Gewinn;
Nach Büchern überall sie trachten,
Doch Korrektur sie wenig achten;
Auf großen Beschiß sie jetzt studieren,
Viel drucken, wenig korrigieren,
Die schauen übel auf die Sachen,
Wenn Männlein Nachdrucke, die dem ersten Druck Seite für Seite, also auch in den Druckfehlern, entsprechen. sie um Männlein machen!
Sie tun sich selber Schaden und Schande,
Gar mancher druckt sich aus dem Lande,
Die kann das Schiff dann nicht mehr tragen,
Sie müssen an den Narrenwagen,
Wo einer kann den andern jagen.
Die Zeit, sie kommt! Es kommt die Zeit!
Ich fürcht, der Endchrist ist nicht weit!
Man merke dies und nehme wahr:
Auf drei Dingen steht der Glaube gar,
Auf Ablaß, D. h. Absolution, Vergebung der Sünden. Büchern Heiligen Schriften. und auf Lehr,
Deren man jetzt schätzt keines mehr.
Vielheit der Schrift spürt man dabei:
Wer merkt die Menge Druckerei!
Ein jedes Buch wird vorgebracht,
Was unsre Eltern je gemacht;
Deren sind jetzt so viel an Zahl,
Daß sie nichts gelten überall,
Daß man sie schier nicht achtet mehr,
Und ähnlich ist es mit der Lehr;
So viele Schulen man nie fand,
Als man jetzt hat in jedem Land;
Fast ist auf Erden keine Stadt,
Die nicht 'ne hohe Schule hat,
Da gibts auch viel gelehrte Leut,
Die man jetzt achtet keinen Deut.
Die Wissenschaft verachtet man
Und sieht sie über die Achseln an;
Die Gelehrten müssen sich schier schamen,
Zu tragen ihr Kleid Die Gelehrten trugen eine besondere Tracht. und ihren Namen,
Die Bauern zieht man jetzt herfür,
Die Gelehrten müssen hinter die Tür.
Man spricht: »Schau an den Schluderaffen! Faulpelz, Träumer (von schludern = schlendern, nachlässig arbeiten); vgl. Kap. 108.
Der Teufel bescheißt uns wohl mit Pfaffen!«
Das ist ein Zeichen, daß die Kunst Wissenschaft.
Nicht Ehre mehr hat noch Lieb und Gunst.
Drum wird auch schwinden bald die Lehre,
Denn Kunst gespeiset wird durch Ehre Vgl. Cicero, Tusculanae Disputationes I, 2 ( Honos alit artes).
Und will man sie nicht hoch mehr achten,
So werden wenig nach ihr trachten.
Der Ablaß ist so ganz unwert,
Daß niemand seiner mehr begehrt;
Niemand will mehr den Ablaß suchen,
Ja, mancher möcht ihn sich nicht fluchen,
Und mancher gäb keinen Pfennig aus,
Wenn ihm der Ablaß käm ins Haus,
Und wird ihm doch einst jagen nach,
Erreicht ihn ferner als zu Aach . Als an diesem weit entfernten Wallfahrtsort.
Darum dasselbe uns einst droht
Wie denen mit dem Himmelsbrot, 4. Mose 11, 4 ff.
Die waren dessen übersatt,
Sie sprachen: ihre Seel sei matt;
Und was gegeben ihnen Gott,
War ihnen unnütz und ein Spott;
So tut man mit dem Ablaß auch,
Den schätzt gering gar mancher Gauch.
Daraus entnehm ich den Bericht:
Es ist der Glaube wie ein Licht,
Eh das will ganz erloschen sein,
Gibt es noch einmal Glanz und Schein.
Daher ich frei es sagen mag:
Es naht sich uns der Jüngste Tag! Im Original: Das ich es frylich sagen mag / Es nah sich vast (ganz ernstlich) dem jungsten tag.
Weil man das Licht der Gnad veracht't,
Wird es bald gänzlich werden Nacht,
Und was man nie zuvor gehört:
Das Schiff den Kiel nach oben kehrt.


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