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31.
Wer singt »cras, cras« Morgen (lat. cras); schon bei Ovid, Martial u.a. sprichwörtlich. gleichwie ein Rab,
Der bleibt ein Narr bis hin zum Grab;
Hat morgen eine noch größere Kapp.

Vom Aufschubsuchen

Der ist ein Narr, dem Gott gebeut,
Daß er sich bessern soll noch heut
Und soll von seinen Sünden lassen,
Ein besser Leben anzufassen,
Und der nicht gleich sich bessern mag,
Nein, Frist sich setzt zum andern Tag
Und singt »cras, cras!« des Raben Sang,
Und weiß nicht, ob er lebt so lang.
Viel Narren sind verlorngegangen,
Die allzeit: »Morgen! Morgen!« sangen.
Was Sünd und Narrheit sonst angeht,
Da eilt man zu so früh wie spät;
Was Gott betrifft und Rechtes tun,
Das schleicht gar langsam näher nun,
Dem suchen Aufschub stets die Leute.
»Morgen ist besser beichten denn heute!
Wir lernen Rechttun morgen schon!«
So spricht gar mancher verlorne Sohn.
Derselbe Morgen kommt nimmer je,
Er flieht und schmilzt gleichwie der Schnee;
Erst wenn die Seel nicht bleiben kann,
Dann bricht der morgige Tag heran,
Dann wird von Schmerz der Leib bedrängt,
Daß er nicht an die Seele denkt.
So sind auch in der Wüste vergangen
Der Juden viel; es sollte gelangen
Kein einziger in jenes Land,
Das Gott verhieß mit milder Hand. Vgl. 4. Mose 14, 22 f.
Wer heut nicht fähig zur Reue ist,
Hat morgen noch mehr, was ihm gebrist. Vgl. Ovid, Remedia Amoris V. 94.
Wen heute beruft die Gottesstimm,
Weiß nicht, ob sie ruft morgen ihm,
Drum sind viel Tausend jetzt verloren,
Die morgen sich zu bessern schworen!


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