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46.
Die Narrheit hat ein großes Zelt;
Es lagert bei ihr alle Welt,
Zumal wer Macht hat und viel Geld. Die Narrheit als eine Heerführerin, die ihre Gefolgsleute um sich sammelt und mit ihnen zu Felde zieht, ist eine schon im Mittelalter beliebte Vorstellung. In diesem Sinne ist auch das Aufschlagen des Zeltes zu verstehen, vgl. V. 68 ff.

Von der Narren Macht

Notwendig man viel Narren findet,
Denn viel sind an sich selbst erblindet,
Die mit Gewalt wollen weise sein,
Da jedermann mit klarem Schein
Wohl ihre Narrheit sieht. Doch wagt
Es keiner, daß »du Narr!« er sagt.
Und wenn sie großer Weisheit pflegen,
Ists fast nur solcher Gäuche wegen;
Und wenn sie niemand loben will,
So loben sie sich oft und viel,
Da doch der weise Mann gibt Kunde,
Daß Lob stinkt aus dem eignen Munde.
Die in sich selbst Vertrauen setzen,
Sind Narren und törichte Götzen,
Wer aber klug im Wandel ist,
Der wird gelobt zu aller Frist. Vgl. Sprüche Salomonis 28, 26. Von hier an bis V. 42 liegen dem Kapitel Stellen aus den Sprüchen und dem Prediger Salomo zugrunde.
Das Land ist selig, dessen Herrn
Die Weisheit leitet wie ein Stern,
Des Rat auch ißt zur rechten Zeit
Und sucht nicht Gier noch Üppigkeit. Prediger Sal. 10, 17.
Weh, weh dem Erdreich, das gewinnt
Einen Herren, der noch ist ein Kind,
Des Fürsten essen in der Früh
Und achten nicht der Weisheit Müh! Prediger Sal. 10, 16.
Ein armes Kind, das weise ist,
Ist besser noch zu jeder Frist
Als ein König, der – ein alter Tor –
Die Zukunft nicht bedenkt zuvor. Prediger Sal. 4, 13.
Weh dem Gerechten über weh,
Wenn Narren steigen in die Höh!
Jedoch wenn Narren untergehn,
Gar wohl Gerechte dann bestehn. Vgl. Sprüche Sal. 28, 28.
Das ehrt ein Land so nah wie fern,
Wenn ein Gerechter wird zum Herrn,
Aber sobald ein Narr regiert,
So werden viel mit ihm verführt. Sprüche Sal. 28, 12 (hier ist der Vulgatatext zu vergleichen).
Der tut nicht recht, wer bei Gericht
Nach Freundschaft und nach Ansehn spricht,
Der selbst auch um den Bissen Brot
Wahrheit und Recht zu lassen droht. Vgl. Sprüche Sal. 28, 21.
Gerechtes Urteil steht Weisen wohl,
Ein Richter niemand kennen soll. Sprüche Sal. 24, 23.
Gericht soll sein für Freundschaft blind;
Susannen-Richter Vgl. Anm. 5 zu Kap. 5. noch viel sind,
Die Mutwill treiben und Gewalt;
Gerechtigkeit, die ist ganz kalt.
Die Schwerter sind verrostet beide Die Zeichen der kaiserlichen und der päpstlichen Gewalt.
Und wollen nicht recht aus der Scheide;
Sie schneiden nicht, wo es ist not:
Gerechtigkeit ist blind und tot!
Dem Geld ist alles untertan;
Jugurtha, Ein König Numidiens († 104 v.Chr.), der den Krieg mit Rom durch Bestechung der römischen Gesandten und Feldherren verzögern konnte; nach Sallust, Bellum Jugurthinum, cap. 35. als er Abschied nahm
Von Rom, sprach: »O du feile Stadt,
Wie wärst du bald so schach und matt,
Wenn sich ein Käufer stellte ein!«
Man findet Städte groß und klein,
Wo man Handschmierung Bestechung. gerne nimmt
Und alsdann tut, was sich nicht ziemt.
Freundschaft und Lohn Wahrheit verkehrt,
Wie Moses' Schwäher Vgl. 2. Mose 18, 21: gemeint ist Moses' Schwiegervater Jethro, der die Einsetzung von weisen und gottesfürchtigen Männern als Richter empfahl. schon ihn lehrt,
Neid, Pfennige, Freundschaft, Macht und Gunst
Zerbrechen jetzt Recht, Siegel und Kunst. brieff und kunst, d.h. alle Urkunden (verbriefte Rechte) und erfahrene Kenntnis.
Die Fürsten einstmals weise waren,
Die Räte alt, gelehrt, erfahren,
Da stand es wohl in jedem Lande,
Da ward gestrafet Sünd und Schande
Und Friede war rings in der Welt.
Jetzt hat die Narrheit ihr Gezelt
Geschlagen auf und liegt zur Wehr; lyt zuor wer, d.h. liegt zu Felde, ist kampfbereit.
Sie zwingt die Fürsten und ihr Heer,
Daß Weisheit sie und Kunst aufgeben
Und nur nach eignem Nutzen streben
Und sich wählen kindische Rät'.
Darum es leider übel steht
Und künftig hat noch schlimmre Gestalt:
Groß Narrheit ist bei großer Gewalt.
Gar mancher Fürst hätt lang regiert
Durch Gottes Gnade, wenn nicht verführt
Und karg er würde und ungerecht
Auf Anreiz falscher Räte und Knecht'.
Die nehmen Gaben, Geschenk und Miete; Lohn, Bezahlung.
Vor solchen ein Fürst sich billig hüte!
Wer Gaben nimmt, der ist nicht frei,
Geschenk bewirkt Verräterei,
Wie von Ehud geschah Eglon Richter 3, 15 ff.: Ehud verbarg ein Schwert unter dem Kleide und tötete den König der Moabiter, als er ihm Geschenke überbrachte.
Und Dalida verriet Samson. Richter 16, 4 ff..
Andronicus güldne Gefäße nahm,
Drob Onias 2. Makkabäer 4, 32 ff. zu Tode kam;
Um Benhadads Bündnis wars geschehn,
Als er die Gaben angesehn; 1. Könige 15, 18 ff.
Tryphon voll Trug bewirken wollte,
Daß Jonathas ihm glauben sollte, 1. Makkabäer 12, 42 ff.
Drum schenkt' er Gaben ihm vorher,
Daß jener würd beschissen sehr.


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