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XLIV.
Kates Wahlkampf.

Horace hatte jahrelang »seine Netze ausgelegt« im Hinblick auf den Kongresswahlkampf, den er nun aufnahm. Er war der Nominierung so gut wie sicher gewesen, seit sein einziger möglicher Rivale, der letzte Repräsentant, durch den Larkin-Einfluss zum Gesandten einer südamerikanischen Republik berufen und nach endlosem Schwierigkeiten zur Annahme bewegt worden war. Es schien nun alles für Horace einigermaßen glatt zu gehen, weil es kaum denkbar war, dass ein von den Demokraten Nominierter als Außenseiter überhaupt eine Chance haben würde.

Dies war die in Torryville allgemeine Auffassung, als Horace und seine Gattin Anfang Juni ihren triumphalen Einzug in die Stadt begingen und ihre palastartige Villa am westlichen Hügelhang bezogen. Horace war nun ohne Frage der erste Bürger von Torryville. Der ehrwürdige Obed wurde vollständig in den Schatten gestellt, und, was noch bemerkenswerter war, akzeptierte seine Verdunklung mit philosophischer Heiterkeit. Er schüttelte zwar gelegentlich seinen Kopf über die Extravaganz von Horace' Einrichtung und die Schnelligkeit, mit der er voranschritt; doch vertraute er ihm noch immer vorbehaltlos und setzte sich zu Gunsten seiner Interessen ein.

Mrs. Larkin, um deren Gesundheit es schlechter als je stand und die entschlossen war, sich mit Kate anzulegen, hielt man trotz ihrer Klagen unter Kontrolle. Sie brachte hundert Beschwerden gegen die Gattin ihres Neffen vor, die sie, wie sie beharrlich behauptete, wie eine Taschendiebin behandle. Als die ältere Dame (in Übereinstimmung mit der städtischen Sitte) den Tag mit Mrs. Horace in ihrem neuen Haus verbringen wollte und natürlich erwartete, ihren Kleiderbestand examinieren und Ratschläge in Bezug auf Dienerschaft und Haushalt erteilen zu können, sah sie sich höflich brüskiert. Kate verhielt sich nicht im Mindesten vertraulich, und obwohl sie nach einigem Zureden bereit war, durch die Zofe ihre Garderobe Mrs. Larkins verwunderten Augen vorzuführen zu lassen, behauptete sie, die Kosten ihrer Kleider nicht zu kennen, was ihre Besucherin als durchsichtiges Täuschungsmanöver einstufte.

Und es war nicht allein Mrs. Larkin, die zu dieser Meinung neigte. Mrs. Dallas, Mrs. Graves und die Gattinnen der Professoren, eigentlich alle Damen, die einen Anspruch auf gesellschaftliche Stellung erhoben, empfanden Mrs. Horace eingebildet und insgesamt unsympathisch. Sie hatten alle ihrer Ankunft mit den erfreulichsten Erwartungen entgegen gesehen, und jede von ihnen war entschlossen gewesen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu ihrer besonderen Freundin zu machen. Es war für sie daher doppelt bitter, dass ihre ersten Avancen so kalt aufgenommen wurden.

In Wahrheit freilich verstanden die Damen sie nicht, und Kate verstand diese Damen nicht. Es wäre ihr nie in den Sinne gekommen, dass diese Mrs. Dallas, die von »Soße« sprach anstatt von » sauce« und deren Vater einen Mietstall unterhalten hatte, die Kühnheit haben könnte, eine Intimfreundin ihres Hauses werden zu wollen. Und was die Übrigen anging, so war sie zwar durchaus gewillt, sich höflich und sogar freundlich ihnen gegenüber zu verhalten in der ihr eigenen herablassenden Weise; aber wenn sie aufgrund dieser Höflichkeit sich anmaßten, in ihre Schränke spähen, impertinente Ratschläge geben und sogar mit ihrer Dienerschaft Konversation anspinnen zu wollen, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als sie sich auf Armeslänge vom Leib zu halten.

Die althergebrachte ländliche Sitte, der viele Damen regelrecht verfallen waren, am frühen Vormittag herein zu schneien und den ganzen Tag mit Tratsch und Ausspionieren zu verbringen, stellte für Kate eine besondere Heimsuchung dar. Nachdem sie zwei- oder dreimal in eine solche Lage geraten war, wurde sie äußerst wachsam und ließ sich gegenüber Besuchern mit Hang zur Aufdringlichkeit verleugnen. Der Diener richtete dann aus, sie sei krank oder nicht zu Hause, obwohl die ganze Stadt über ihr Kommen und Gehen Bescheid wusste; denn sie war nie zu Fuß unterwegs, und ihr Wagen mit seinem glitzernden Aufputz erschien zu überwältigend, um irgendwo unbemerkt vorbei zu kommen. Seine Fahrt durch die städtischen Straßen oder den See entlang waren ein Ereignis, dem man freudig entgegen sah und das danach eine Stunde lang Gesprächsstoff lieferte.

Es konnte demnach kaum verwundern, dass Horace über die Unbeliebtheit seiner Gattin sehr ungehalten war. Er erkannte in völliger Klarheit, dass sie die Chance seiner Wahl gefährdete. Ehe der Sommer halb vergangen war, besaß er glaubwürdige Informationen, dass sein Freund Dallas falsches Spiel mit ihm trieb und einen viel versprechenden kleinen Donnerschlag in eigenem Interesse im Schilde führte. Es nützte sehr wenig, dass er sich mit Schlachtern, Bäckern und Kerzenziehern ›gemein machte‹, auf schlechte Hypotheken an einflussreiche Iren Geld verlieh und einen frei zugänglichen Leseraum für die Feuerwehr eröffnete; ein Funke von Feindseligkeit glomm gegen ihn in seinen Stadtgenossen, und er hätte zu einer Feuersbrunst werden können, bevor die Nominierungsversammlung zusammentrat.

Eine amerikanische Landstadt bildet einen Kristallisationspunkt des demokratischen Geistes; sie ist ebenso frei von Snobismus wie jede andere Versammlung von Männer auf dem gesamten Erdenrund. Horace' großartiges Haus machte den Kandidaten nicht beliebt, sondern verdächtig; und sein prächtiger Wagen sowie die Lakaien erweckten offene Feindseligkeit. Die Haltung seiner Gattin gegenüber den Damen der Stadt trieb dies noch auf die Spitze und schuf ihm in jedem Haushalt Gegner.

Und trotzdem ahnte Kate seltsamer Weise nicht, welch ein Sturm des Missfallens gegen sie in den Damen von Torryville tobte. Vielmehr schmeichelte sie sich, dass sie sie sehr nett behandelt habe und dass sie Grund hätten, ihr dankbar zu sein, weil sie sich so weit herab gelassen hatte, um sich ihnen angenehm zu machen. Als Horace ihr zu verstehen gab, dass sie Gefühle genau gegenteiliger Art hegten, war sie ehrlich erstaunt.

»Du weißt selbstverständlich,« sagte sie, »dass sie kaum von mir erwarten konnten, dass ich sie an meine Brust drücke und Freundschaft mit ihnen schließe.«

»Doch, genau das haben sie erwartet,« erwiderte ihr Ehemann.

»Aber gewiss wirst du mir zustimmen, dass eine solche Erwartung grotesk ist,« rief sie mit ungewohnter Lebhaftigkeit.

»Nein, ich glaube nicht, dass ich das kann.«

»Willst du etwa, dass ich herumgehe und mit meinem Metzger über Politik rede, wie du es tust, und diesen albernen kleinen Buchhändler Dabney gnädig anlächle, der bei meinem Eintritt in seinen Laden auf Händeschütteln besteht?«

»Ich weiß nicht, was dich daran verletzt, ihm die Hand zu schütteln. Er ist ein sehr anständiger Bursche.«

»Ich muss sagen, Horace, ich habe mich oft deiner geschämt, wenn ich gesehen habe, wie du diesen Händlern schmeichelst, mit ihnen scherzst und sie behandelst, als seien sie deinesgleichen. Aber ich habe eingewilligt, dies zu übersehen, weil ich dachte, es geschehe vielleicht aus politischer Notwendigkeit. Wenn du jedoch verlangst, dass auch ich mich zu solchen Praktiken erniedrige, dann ist es, glaube ich, Zeit für mich, Widerspruch zu erheben.«

»Meine Liebe,« rief er mit komischer Verzweiflung (denn er kannte mittlerweile ihre Grenzen), »ich verlange gar nichts von dir, sondern bitte dich nur, die Leute nicht mehr vor den Kopf zu stoßen, als du unbedingt musst.«

»Leute vor den Kopf stoßen, Horace! Oh, ich stoße sie überhaupt nicht vor den Kopf. Wenn es etwas gibt, worauf ich stolz bin, dann ist es das Taktgefühl im Umgang mit den niederen Klassen. Ich habe nie irgend welche Schwierigkeiten mit der Dienerschaft, weil ich weiß, wie ich sie in ihre Schranken weisen kann. Ich bin freundlich zu ihnen, aber ich lasse sie wissen, wo sie hin gehören.«

»Aha, ich verstehe,« antwortete er ironisch, »du besitzst Taktgefühl im Umgang mit den niederen Klassen (er übertrieb dabei ihre betont englische Aussprache). Tja, meine Liebe, du bist eine richtige amerikanische Komikerin! Mir läuft's kalt über den Rücken, wenn ich mir vorstelle, du hättest in der Zeit der französischen Revolution gelebt. Die niederen Klassen! Das ist unglaublich!«

Er stieß ein lautes, freudloses Lachen aus, steckte die Hände in die Taschen und schritt mit verzweifeltem Kopfschütteln durch den Raum. Es lag fast etwas Mitleid Erregendes in ihren Wahnvorstellungen, in ihrer völligen Entfremdung gegenüber dem Geist ihres Landes und ihrer Unfähigkeit, dessen Erscheinungsformen zu begreifen.

Und doch, wenn er auch ihre exklusive, aristokratische Haltung verabscheute, schmeichelte es ihm irgendwie, dass diese hohe, mächtige Dame, die auf alle hinunter schaute, sich herabgelassen hatte, ihn durch ihre Gunst und ihr Vertrauen zu ehren. Er wusste, wie leicht diese Gunst verwirkt werden konnte, wie eine mal- àpropos-Bemerkung, die den entferntesten soupçon persönlicher Kritik oder eine nichtige gaucherie enthielt, oder eine unbeabsichtigte Grobheit sie erstarren und für einen ganzen Tag verstummen ließ.

Es war ein gottloses Verlangen, aber manchmal wünschte er sich, er könnte sie nur ein Zehntel so elend machen, wie sie es ihm oft antat. Nicht ein bloß rachsüchtiges Verlangen nach Vergeltung trieb ihn, sondern der Wunsch, seine Selbstachtung aufrecht zu erhalten, und seine Sehnsucht nach jenem unerreichbaren Ziel: eheliche Ebenbürtigkeit.

Es würde ein endloses Kapitel ergeben, wollte man alle komischen und tragischen Zwischenfälle erwähnen, die Horace' Wunsch hervorrief, sowohl mit Kate als auch mit der Stadt auf gutem Fuß zu stehen. Er machte sich zu ihrem Gesandten und Schlichter zwischen ihr und der beleidigten Gemeinde und strengte seinen ganzen Einfallsreichtum an, um ihren Reden und Handlungen die günstigste Deutung zuzuschreiben.

Besonders ihre Weigerung, Leute zu empfangen, wenn sie vorbei schauten, machte schlechtes Blut; wenn sie zum Beispiel Mrs. Graves bestellen ließ, sie sei krank, sah er sich, um der Glaubwürdigkeit ihrer Ausrede Nachdruck zu verleihen, manchmal gezwungen, auch ihre Symptome zu beschreiben. Dann schaute vielleicht eine Viertelstunde später Mrs. Professor Dowd vorbei, und Horace wiederholte nun ihr gegenüber sein Bedauern, dass seine Gattin aus Krankheitsgründen sie leider nicht empfangen könne, und – siehe da! – Kate erschien frisch wie eine Lilie und begrüßte die Besucherin mit heiterer Umgänglichkeit.

Nach einigen Erfahrungen dieser Art wurde er so misstrauisch, dass er es ablehnte, sich auf etwas die Gesundheit seiner Gattin Betreffendes ferner einzulassen; als einmal Mrs. Professor Wharton fragte, wie es Mrs. Larkin gehe, antwortete er verlegen:

»Es geht ihr ziemlich … das heißt … ich bin nicht sicher … aber ich werde den Diener hinaufschicken, um sich zu erkundigen.«

Es hatte keinen Zweck, Kate auseinander zu setzen, dass die gesellschaftliche Strategie der Metropole nicht auf eine Stadt von zwölftausend Einwohner übertragen werden könne, wo jeder wisse, was sein Nachbar zu Abend esse. Eine gewisse Verlogenheit, die bei einer Einwohnerzahl von einer Million vielleicht straflos bleibe, sei bei Eintausend unsicher. Großstädtische Verlogenheit sei ungeeignet für das Landleben.

Die besondere Gelegenheit für dieses Argument ergab sich aus einer Einladung zu einer Abendgesellschaft bei Mr. Dallas, die Kate bereits angenommen hatte. Das Kleid, das sie tragen wollte, lag schon ausgebreitet auf dem Bett, und ihre Zofe stand zum Aufschnüren bereit.

»Horace,« rief sie ins Nachbarzimmer, wo er mit einem aufsässigen Stiefel kämpfte, »ich kann da wirklich nicht hingehen. Du weißt genauso gut wie ich, wie überaus dämlich das wird.«

Er erschien in Hemdsärmeln in der Tür, schwitzend, mit über die Augen hängendem Haar und einem Stiefel in der Hand.

»Was ist los?« fragte er.

Sie bedeutete dem Zimmermädchen, den Raum zu verlassen, und wiederholte dann ihre Erklärung.

»Du kannst Mrs. Dallas sagen,« fügte sie ausdruckslos hinzu, »dass es mir überhaupt nicht gut geht; andernfalls hätte es mir großes Vergnügen bereitet, bei ihrem Amüsement zugegen zu sein.«

Er starrte sie eine Weile in stummer Verblüffung an.

»Noch mehr Lügen, die du mir sagen willst?« platzte er grob heraus.

»Also wirklich, Mr. Larkin, ich muss es ablehnen zu antworten. Ich bin eine solche Sprache nicht gewöhnt.«

»Und ich bin nicht daran gewöhnt, Frauen lügen zu hören.«

»Tatsächlich?« (mit hochmütiger Ironie); »nun, wie du weißt, bist du keine Autorität für gesellschaftliche Gepflogenheiten.«

»Das vielleicht nicht, aber mir ist immer noch einige Autorität anderer Art geblieben. Wenn ich dir sage, dass ich es sehr wünsche, dass du zu Mrs. Dallas mit kommst, dass es für mich politisch äußerst wichtig ist, dass du sie nicht beleidigst: wirst du dann bei deiner Ablehnung bleiben?«

»Ich habe dir schon gesagt, Mr. Larkin, dass ich mit mit kommen werde.«

»Aber wenn ich es dir befehle mit zu kommen?« schrie er wütend; doch die Worte hatten kaum seinen Mund verlassen, als er begriff, wie töricht sie waren. Mit einer Autorität zu drohen, die er nicht durchzusetzen vermochte, war eine klägliche Taktik.

»Du vergisst dich, Mr. Larkin,« lautete ihre mit erkältender Würde erteilte Antwort, und er wusste, dass alles weitere Verhandeln nutzlos sein würde.

Aber dieser Hass – dieser wilde Hass – der in seiner Brust aufflammte, als er nach dem Schließen der Tür auf seinem Bett saß, verzweifelt seinen frisch gewichsten Stiefel umklammerte und ihn gegen die Decke schüttelte! Wollte sie seine Karriere ruinieren, bloß aus einer Laune oder um ihrer weiblichen Boshaftigkeit Genüge zu tun? Das sah ihr gewiss nicht ähnlich; aber sie schien zu vielem fähig, das er ihr nicht zugetraut hatte. Er war ziemlich erschrocken über den Zorn, der da in ihm brodelte und kochte! Sollte alles, wofür er gelebt hatte, um dieser Frau willen scheitern?

Der Stiefel, den er in seiner Hand hielt und der unterdes sein Gesicht und seine Hemdbrust geschwärzt hatte, flog mit einem Knall gegen die Hartholzverkleidung der gegenüber liegenden Wand, wo er eine tiefe Kerbe hinterließ. Für den gutmütigen, liebenswürdigen Burschen, als den er sich bis dahin betrachtet hatte, war das ein ziemlich ungewöhnliches Verhalten. Aber das Leben spielte ihm auch auf ungeheuerliche Art mit und weckte all jene verborgene Gewalttätigkeit, die von barbarischen Vorfahren in seiner Seele hinterlegt worden war. Der heilige Antonius selbst hätte nicht ein solches Benehmen seiner Frau ausgehalten, ohne sie erwürgen zu wollen. Aber schließlich war der heilige Antonius ja auch ein Junggeselle.

Der Gedanke, dass sie tot wäre, kam ihm in den Kopf, und er wurde ruhig; aber diese Ruhe war von Bitterkeit und vergeblicher Reue erfüllt.



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