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VII.
Stadtgespräch.

In Kleinstädten, wo sich niemals etwas Folgenschweres ereignet, wird das Gerede zu einer Macht und tritt in gewisser Weise an die Stelle von Ereignissen. Was Leute sagen, erscheint deshalb so besonders wichtig, weil sie außerhalb ihrer Alltagsgeschäfte und häuslichen Aufgaben nichts zu tun haben. Wenn ein launischer Mann seine Frau vermöbelt, um sich von der Eintönigkeit des Daseins zu befreien, wird er eine Art Held und kann sich im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit sonnen. Obwohl man sein Verhalten nicht lobt, wird es dermaßen gierig und gründlich diskutiert, dass man es fast entschuldigen könnte, wenn er aus Selbstgefälligkeit schlechten Ruf mit Ruhm verwechselte und es ablehnte, sich ins Dunkel gewöhnlichen Verhaltens zurück zu begeben. Es fehlt ihm auch nicht an Fürsprechern, die in den Lebensmittelläden die Zuchtrute zum geeigneten Mittel häuslicher Autorität erklären und die Heilige Schrift zur Unterstützung ihrer Ansicht zitieren. Andere schlechte Charaktere der Stadt sind – abwegig genug – nicht weniger stolz darauf, die Diskussion mit weiterer Nahrung zu versorgen. Und die örtlichen Trunkenbolde, die in der Regel große Familien haben, erheben Anspruch auf das zusätzliche Verdienst, die gemeinnützigen Antriebe der Leute handlungsfähig zu halten.

In Torryville waren die Möglichkeiten, irgend etwas zu tun, ohne zu sündigen, nun einmal begrenzt. Wenn bisweilen eine zweitklassige Theatertruppe eintraf, strömten all diejenigen, die fünfzig Cent übrig und keine religiösen Skrupel hatten, zu ›Tappan's Opernhaus‹ und verfolgten die schlichte Vorführung mit beharrlicher Aufmerksamkeit. Religiöse Skrupel überwogen jedoch gewaltig, und der Gewinn solcher Vorführungen war daher nie besonders ermutigend. Vorträge und Lesungen erhielten gewöhnlich mehr Zuspruch; und spiritistische Medien blieben oft wochenlang, veranstalteten Séancen in Privathäusern und fuhren reiche Ernte ein. Mehrere Hochschulprofessoren waren bekannt für ihr Interesse am Spiritismus; sie gaben vor, das Phänomen in rein wissenschaftlichem Sinn zu erforschen. Ihr Anspruch auf wissenschaftliche Unvoreingenommenheit war allerdings beeinträchtigt durch den von ihnen bezeigten propagandistischen Eifer und ihre Bereitschaft, sich von den zumeist durchsichtigen Betrügereien hinters Licht führen zu lassen.

Besonders Professor Wharton untergrub seine eigene Glaubwürdigkeit bei sachlich denkenden Leuten, indem er jedes Medium verteidigte, dessen Kunstgriffe entlarvt worden waren. Einer oder mehrere dieser verfolgten Heiligen wurde gewöhnlich in seinem Haus bewirtet, und er ließ Einladungen zu Séancen zum Unkostenbeitrag von fünfzig Cent an diejenigen verteilen, von denen er annahm, sie seien »offen, sich überzeugen zu lassen«. Man behauptete, dass er zum Zwecke weiteren Vergnügens lange Nächte mit Medien verbringe, um mit indianischen Geistern, Klabautermännern und anderen ungebildeten Spukgestalten Umgang zu pflegen, die ihn schlugen und streichelten und sich alle möglichen Freiheiten gegen seine Würde heraus nahmen. Gelegentlich zankte er mit seinen Medien und schickte sie ohne Umschweife zum Bahnhof, nicht etwa weil er ihre Betrügereien durchschaute, sondern weil sie ihn, ermutigt durch seinen Langmut, auf das Banalste durch zu große Vertraulichkeit oder Freizügigkeit des Benehmens empört hatten.

Anfang Dezember, etwa vier Wochen nach der Wahl, erhielten die jüngeren Mitglieder der Familie Larkin Einladungen zum üblichen Preis für den Besuch einer Séance im Haus Professor Whartons. Den alten Herrn einzuladen, hätte keinen Sinn gehabt, weil man wusste, dass er nicht ›offen war, sich überzeugen zu lassen‹. Auch Horace und Alexander waren mehr als skeptisch, während Gertrude von der Preisgabe ihrer Leichtgläubigkeit nur dadurch abgehalten wurde, dass für sie schon mit der Bezeichnung ›Spiritismus‹ eine Art schmuddliger Anrüchigkeit verknüpft war. Dr. Hawk, ein halber Anhänger, hatte ihr freilich so viele wundervolle Dinge erzählt, die er gesehen hatte und bei denen jeder Versuch des Nachweises nutzlos war, dass ihr Vorurteil überwunden und ihre Neugier erregt wurde.

In jenem Zustand einer sozusagen leidenschaftlichen Leere, in dem Gertrude sich befand, seit sie aus der Schule zurück gekommen war, erschien alles als gottgesandt, was die Monotonie dieses Lebens durchbrach. Sogar Professor Ramsdales unentwegtem Werben, so ungelegen es zeitweise auftrat, haftete ein schwacher Duft von Abenteuer an, wodurch es immerhin »besser als nichts« wurde. Ein Heiratsantrag, wenn er auch unannehmbar war, stellte dennoch ein Ereignis dar, und ein Ereignis, egal von welcher Sorte, wurde in Torryville immer mit einiger Erregung behandelt und durfte daher als solches nicht missachtet werden.

Gertrudes zweijähriger Aufenthalt auf einer modischen Schule in New York hatte sie nur schlecht auf die leere Eintönigkeit ihres heimatlichen Daseins vorbereitet. Sie fühlte sich von tödlicher Langweile wie von einer wirklichen Last niedergedrückt. Ihr Vater und ihre Mutter standen ihr beide nicht sonderlich nahe, und ihre beiden Cousins, obwohl sie auf ihre Art gute Burschen waren, kümmerten sich ziemlich wenig um sie.

Sie war unglücklicherweise so veranlagt, dass sie nichts mit Mäßigung zu tun vermochte. Wenn sie Geschmack am Lesen fand, schloss sie sich oben in ihrem Zimmer von morgens bis abends ein, ließ sich die Mahlzeiten hoch schicken und verschlang Buch um Buch mit hungriger Gier. Darauf folgte dann eine Rückschlag: sie hasste Bücher und konnte es nicht ertragen, auch nur eines anzusehen. In solchen Zeiten ritt sie zu Pferde aus, und zwar mit derselben maßlosen Heftigkeit, die sie zuvor der Literatur hatte angedeihen lassen. Und wenn dieses Fieber vorüber war, schloss sich eine Phase matter Trägheit an; der Dämon namens Katzenjammer klopfte an und wurde ihr ständiger Begleiter. Inmitten eines luxuriösen Leben, dem unbefriedigte Bedürfnisse fremd waren, kam sie sich selbst vor wie das elendeste der Geschöpfe.

Ihre Erziehung hatte ihr oberflächliche Kenntnisse in alle Richtungen vermittelt, jedoch keine wirklichen Interessen. Sie hatte sie gelehrt, sich zu beugen und gefällig zu sein, aber nicht zu denken; sie hatte sie in allen Künsten des Benehmens gedrillt – wie ein Raum zu betreten und zu verlassen sei, wie sie ihr Grüßen in bewunderswerter Genauigkeit abzustufen habe, von Herzlichkeit bis zu kalter Abfuhr; aber sie hatte ihr Leben nicht mit intellektuellen Inhalten ausgestattet, die ihm Zweck und Würde hätten verleihen können.

Manchmal überkam sie eine regelrechte Vergnügungssucht; und dann schien es, als schreie etwas aus ihr heraus, das sie antrieb, jede Beschränkung beiseite zu fegen. Aber andererseits bewahrte sie tief in ihrer Seele eine Achtung für die Konventionen, die sie zu hassen wähnte. Töchterliche Zuneigung und die Bande des Blutes, durch die so viele stürmische Naturen sich bändigen lassen, kannte sie kaum, und elterliche Führung genoss sie nicht. Mr. Larkin war zu beschäftigt, um sich mit ihr abzugeben; und wie wir sahen, war er ohnehin der Meinung, dass bei Mädchen, wenn man sie nur in Ruhe ließ, am Ende immer etwas Brauchbares heraus komme; Mrs. Larkin wiederum, die zwar zu einer gegensätzlichen Meinung neigte, wurde von Gertrudes leidenschaftlichem Schwanken nur abgestoßen; ihr ständiges Sichsorgen war eher lästig als hilfreich.

Das einzige ausgesprochene Talent, das das Mädchen besaß und das bei entsprechender Kultivierung zu einer Quelle des Glücks hätte werden können, wurde von beiden ignoriert und entwickelte sich so zu einer Quelle noch tieferer Unzufriedenheit. Von frühester Kindheit an besaß sie eine Vorliebe zum Zeichnen; und ihr Auge fing mit unbeirrbarem Instinkt das Charakteristische dessen ein, was ihre Aufmerksamkeit anzog. Dieses fehlerlose Auge aber verdammte unterschiedslos, was ihre ungeübte Hand hervorbrachte. Ihre störrischen Finger verweigerten die Ausführung ihrer subtilsten Absichten. Sie zeichnete mit einer gewissen dreisten, schwungvollen Ungenauigkeit, die gänzlich unweiblich schien, und doch hatten diese rohen Skizzen etwas Einnehmendes und berührten den Betrachter mit jenem unbestimmbaren Zauber, der den Künstler vom Dilettanten unterscheidet. Wenn der Katzenjammer sie überkam, so wie ein Schauer den klaren Himmel überzieht, war das erste, das sie zerstörte, immer ihr Skizzenbuch. Sie riss jedes einzelne Blatt mit finsterer Genugtuung heraus und schaute zu, wie es sich im Ofen in feuriger Qual kräuselte, dann glühte und zitterte, bis der Luftzug es aufnahm und seine Asche zum Schornstein empor trug.

Gertrude durchlief diese Prozesse drei- oder viermal im Jahr und spürte nach jedem Autodafé eine fürchterliche Trostlosigkeit. Sie hätte Blut weinen können, so lag ihr ganzes Leben in langen öden Ausblicken vor ihr, ohne von einem einzigen Freudenstrahl gelindert zu werden. Aber unser Wesen ist in der Jugend von so seltsamer Vielschichtigkeit, dass diese heftige Verzweiflung in gewisser Hinsicht ihren eigenen Trost bildete. Es lag etwas darin, das ihren Stolz befriedigte und zugleich ihren Sinn für das Malerische ansprach. Sie neigte nicht zur Heuchelei oder kokettierte gern mit nicht vorhandenem Leid. Vielmehr bewahrte sie trotzig ihre charakteristische aufrechte Haltung sogar in ihrer Trübsal. Wenn sie nicht wie andere Mädchen war, dann deshalb, weil diese so tief unter ihr standen. Sie beneidete sie, und doch hätte sie nicht eine von ihnen sein wollen.

In ihrem achtzehnten Lebensjahr wachte sie eines Morgens auf mit einer Art kreativem Jucken und Kribbeln in ihrem Gehirn, als ob sie etwas tun oder umkommen müsse. Sie erhob sich aus dem Bett und kleidete sich an in einem diffusen Aufruhr, sprudelte förmlich über vor einer Art dunkler Energie, die sie abwechselnd glücklich und elend machte, sie aber nicht in Frieden ließ. Sie wusste nicht warum, aber es ergriff sie ein Verlangen, etwas mit ihren Händen zu gestalten – irgend etwas Großartiges und Schönes – sie wusste nicht was.

In New York hatte sie verschiedene Statuen gesehen, in Gips und in Marmor, und sie hatte heimlich einige Stunden bei einem Bildhauer genommen. Aber der Gedanke, ihm in seiner Kunst nachzueifern, war ihr nicht gekommen. Es schien so leicht zu machen – einfach seine Gedanken mit seinen Fingern und ein paar Modellierungsstöcken in solch eine geschmeidige Masse wie Ton hinein zu gestalten.

Während dieses Verlangen sie noch durchglühte, richtete sie mit der Hilfe von Tom, Mr. Larkins Stallknecht, ganz oben im Haus ein provisorisches Studio ein und verbarrikadierte sich dort eine Woche lang; ihre Mahlzeiten nahm sie in ihrem Zimmer ein. An solche Launen war ihre Familie von ihrer Seite so sehr gewöhnt, dass niemand sich wunderte; und wenn Mr. Larkin gelegentlich fragte, was mit ihr los sei, dann schien die Antwort, dass es ihr gerade nicht so gut gehe, keine weitere Nachfrage erforderlich zu machen.

Es wird sich nun zeigen, dass Gertrude es schaffte, inmitten der allgemeinen Monotonie ein bewegtes Leben zu führen. Sie führte ihr eigenes, wenn auch nicht glückliches Leben. Ihre ursprüngliche Natur und ihr kraftvolles Blut trieben sie an, gegen ihr Los aufzubegehren und in ungewissem Eifer nach etwas zu tasten, das ihr Denken hob und ihr leeres Dasein erfüllte. Sie hatte endlich etwas gefunden, das ihr vorläufig Befriedigung verschaffte; aber selbst während sie in glücklicher Trunkenheit fortarbeitete – formend, verändernd, wiederum formend –, war sie sich halbwegs bewusst, dass sie nur das Opfer einer neuen Täuschung sei. Sie fürchtete den Kontakt mit ihrer gewohnten Umgebung, um nicht entdecken zu müssen, dass sie sich wieder nur selbst betrog. Der Ansporn künstlerischer Erregung befähigte sie gleichsam, nur die oberen Geschosse ihres Geistes zu bewohnen, und bewahrte sie davor, zum Erdgeschoss hinab zu steigen, wo sachliche Kritik auf sie wartete.

Es war Dr. Hawks Mitteilung, in der er ihr anbot, sie zu der Séance zu begleiten, die sie schließlich zu jenem Abstieg nötigte; und sie war ihm dafür keineswegs dankbar. Sie fühlte sich wie eine Fledermaus, die es ins Sonnenlicht verschlagen hatte, wie ein Nachschwärmer, der bei Tageslicht im verlassenen Bankettsaal erwacht. Dr. Hawk kam ihr in diesem Moment so gleichgültig vor, als sei er vom Mond herabgefallen. Alles schien so bleich und trocken und bedeutungslos. Aber nachdem der Bann einmal gebrochen war und sie sich einer neuen Phase der Trostlosigkeit stellen musste, konnte sie genau so gut mit Dr. Hawk vorlieb nehmen wie mit irgend einem anderen. Er hatte immerhin das Verdienst, ungewöhnlich zu sein und manchmal sogar unterhaltend.

Was Dr. Hawk vor allen Dingen interessant machte, war, dass er ›eine Geschichte‹ hatte oder dass er unter dem Verdacht stand, eine zu haben. Er war vor etwa acht oder zehn Jahren zur Hochschule gekommen und hatte mit Aleck Larkin eine tiefe Freundschaft geschlossen. Damals war er ein schlanker, rundschultriger junger Mann mit schwarzen Augen und bleichem Gesicht gewesen. Obwohl er kaum Geld besaß, zog er sich sorgfältig an und schaffte es trotz seiner abgenutzten Kleidung, immer auffallend gut auszusehen. Die seiner äußeren Erscheinung gewidmete Aufmerksamkeit und besonders sein malerisch fallendes Haar machten ihn zur Zielscheibe der Studenten, und es verging kaum eine Woche, ohne dass die Studentenzeitung Spötteleien über ihn enthielt.

In den früheren Tagen der Hochschule war es Mode gewesen, lieber Grobheit an den Tag zu legen, aus Achtung vor der Mehrheit, um dieser nicht affektiert zu erscheinen. Nichts war unpopulärer als »den feinen Herrn zu markieren«, und Archibald Hawk, der dieses Vergehens für schuldig erklärt wurde, erwarb den Ruf, alles zu verkörpern, was als anstößig galt. Er studierte angestrengt und gewann trotzdem nicht die Gunst der meisten Unterrichtenden; nur von Professor Dowd wusste man, dass er große Dinge von ihm erwartete. In den Seminarräumen quittierte man seine stets ungewöhnlichen Antworten oft mit Hohngelächter. Sie bekundeten eine Originalität, die sie erzwungen wirken ließ. Die Professoren, meist selbst höchst durchschnittliche Charaktere, konnten in ihnen nur Eitelkeit wahrnehmen und sympathisierten heimlich mit dem studentischen Blick auf ihren Urheber.

Im zweiten Jahr ihres Hochschullebens begann Aleck Larkin, dessen großzügige Natur sich gegen die Misshandlung von Hawk empörte, ihn zu verteidigen; und von dieser Zeit an war es mit seinem Martyrium vorbei. Er blühte in den literarischen Gesellschaften als hochkarätiger Redner auf; und wenn es auch nicht immer leicht war zu entscheiden, worüber er überhaupt sprach, erfreute sich er eines gewissen Grades von Anerkennung. Zur Hochform gelangte er allerdings erst in einem geistesverwandten tête-à-tête; dann entsprossen kluge Einfälle und überraschende Ideen spontan seinen Lippen, wie die Bläschen in einem Champagnerglas: es bedurfte nur eines kleinen wohlwollenden Schüttelns, und sie stiegen reizvoll empor. Er konnte stundenlang in Alecks Zimmer sitzen und über Wissenschaft, Poesie und Religion schwärmen; und Aleck, dem ungewöhnliche Ideen stets willkommen waren, weidete sich an seiner Beredsamkeit und belohnte ihn mit herzlichster Bewunderung.

Nach seiner Abschlussprüfung studierte Hawk in New York Medizin und dann in Wien. Wie er sich in diesen Jahren über die Runden brachte, blieb für seine Freunde ein Geheimnis; ein Gerücht lief um, dass er sich in seiner Jugend mit einem Mädchen verlobt habe, das einiges Geld besaß, und dass er mit strengem Blick auf sein Fortkommen auf ihre Ergebenheit spekuliert habe. Dass sie ungebildet und unattraktiv, aber ihm verzweifelt zugetan sei, wurde als selbstverständlich gefolgert, und dass er widerwillig treu bleibe, aus Angst vor Enthüllung, schien ebenfalls ins Bild zu passen. Was sein Dilemma noch tragischer machte, war die (auf undurchsichtige Hinweise begründete) Mutmaßung, dass er sich während seines europäischen Aufenthalts in eine hohe Dame verliebt habe, deren Rang leidenschaftliche Bekenntnisse verbot. Eine andere Vermutung besagte, er habe eine interessante Taktlosigkeit begangen und leide nun an schlechtem Gewissen.

Wie auch immer es sich damit verhalten haben mochte: es war nicht zu verkennen, dass er an irgend etwas litt. Seine große dunklen Augen schienen ein trauriges Geheimnis zu verbergen, und man konnte nicht lange mit ihm sprechen, ohne sich zu fragen, worin es bestehen möge. Besonders junge Mädchen peinigte sein unergründlich trauriges Lächeln, aus dem sie alle möglichen Anhaltspunkte ableiteten, ohne auch nur einen bestätigen zu können. Arabella Robbins gegenüber, die es, aufgestachelt von quälender Neugier, gewagt hatte, ihn auf seinen rätselhaften Kummer anzusprechen, sagte er mit einem Seufzen schmerzhafter Erinnerung:

»Mein liebes Kind, wenn es etwas gibt, das Ihrem Geschlecht zu begreifen verwehrt ist, dann ist es Ihre Macht, Unheil anzurichten.«

Damit hatte er immerhin eingeräumt, dass eine Frau in den Fall verwickelt sei; ansonsten aber blieb das Feld für Vermutungen so weit wie zuvor.

Hawks Rückkehr nach Torryville rechnete man auf das Konto seiner Freundschaft zu Aleck Larkin. Als ihm während seines Verweilens in Wien seine Mittel (woher sie auch stammten) ausgingen, hatte Aleck seinen Onkel veranlasst, an ihn ein Darlehen zu vergeben; und als er sein Studium abgeschlossen hatte, war er keineswegs abgeneigt, den Rat seines Freundes anzunehmen und seine berufliche Laufbahn in Torryville zu beginnen.

Er zählte darauf, dass ihm der Einfluss der Familie Larkin Popularität bringen werde, und wurde in diesem Punkt nicht enttäuscht. Mr. Larkin konnte freilich nicht dazu verleitet werden, seinen alten Blutsauger Anspielung auf das alte Hauptmittel der Ärzte bis zur Mitte des 19. Jh., den Aderlass., Dr. Sawyer, zu verabschieden; dieser trug keine Krawatte und verschrieb gegen alle Leiden, die in Torryville heimisch waren, Chinin.

Mrs. Larkin dagegen unterbreitete Dr. Hawk die gesamte Liste ihrer Krankheiten und fand ihn sehr sympathisch. Er behandelte all ihre Symptome mit Respekt und diskutierte sie mit professionellem Ernst. Mrs. Larkin hatte während ihres ganzen Lebens nie den Luxus einer so zarten und taktvollen Behandlung erfahren. Sie sehnte sich förmlich nach den Visiten des Doktors und schickte nach ihm bereits, wenn sie auch nur nieste, wie ihr Ehemann im Scherz beteuerte.

Weitere Damen folgten ihrem Beispiel, und Hawk erfreute sich bald des Rufes, der Damenarzt par excellence zu sein. Da er nicht als »echter Kerl« galt, war er als Arzt inakzeptabel bei den männlichen Kranken von Torryville, die eine eindeutige Diagnose, starke Heilmittel und rasche Genesung forderten.



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