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III.
Gründungstag.

Die Kuratoren der Hochschule hatten Mr. Larkins Geburtstag als Feiertag im Kalender unter dem Namen »Gründungstag« festgelegt. »Toll-Tag« Unübersetzbares Wortspiel: »Larkin' Day«: Tag des Herumtollens. nannten ihn die Studenten und feierten ihn im Sinne ihrer eigenen Interpretation. Gelegenheiten zum »Herumtollen« waren in Torryville freilich eher begrenzt, und der Mangel an Vergnügungen hatte die jungen Männer zu allerhand verzweifelten Erfindungen angestiftet. Mit übermenschlicher Anstrengung brachten sie es fertig, eine der Kühe des Gründers in den Glockenturm der Kapelle zu hieven, wo sie damit fortfuhren, sie grün anzumalen. Sie setzten eine hübsche Sammlung lebender Mäuse auf das Katheder eines der Professoren, der unter Kurzsichtigkeit und Nervosität litt, und färbten eine die Bibliothek zierende Marmorbüste eines gewissen pompösen, aber unbeliebten College-Beamten mit blauer Tinte. Manchmal stiegen sie hinab zu den benachbarten Ortschaften und spielten den Bürgern alle möglichen rüden Streiche; und gelegentlich besuchte ein Teil von ihnen gutgläubige Farmer, denen sie dann einen aus ihrer Mitte als Sohn des Generals Grant Ulysses Simpson Grant (1822-1885) war Oberbefehlshaber des US-Heeres im Sezessionskrieg und 1869-1877 18. Präsident der Vereinigten Staaten. oder einer anderen Berühmtheit vorstellten und sich dabei köstlich amüsierten.

Die Hauptfeier des Tages bestand allerdings im ›Empfang des Gründers‹; er fand in einem großen, elenden, gefängnisartigen Wohnheim statt, das ›die Kaserne‹ genannt wurde. Hier versammelten sich Studenten beiderlei Geschlechts in einem geräumigen, tristen, unzureichend beleuchteten Saal mit schmucklos verputzten Wänden und schäbigem, weiß gestrichenem Gebälk. In der Mitte standen Mr. und Mrs. Larkin und schüttelten Hände mit einer Vielzahl von Leuten, ersterer mit seitlich geneigtem Kopf und launig scherzend, letztere steif und unbehaglich, mit angelegtem Ellbogen eine schlaffe Hand ausstreckend, die keinen Druck erwiderte. Ihr einseitiges Lächeln wirkte trauriger als je; und ihre dürftigen, zaghaften Bemerkungen, die sie, wegen ihres Mangels an Überzeugungskraft hinsichtlich ihrer Angebrachtheit, kaum zu Ende führte, verhalfen dem Betreffenden beim Weitergehen zu der Erkenntnis, dass das Leben eine trübsinnige Angelegenheit sei.

Junge Männer mit plumpen, aber ernsten Gesichtern und in den unterschiedlichsten Trachten marschierten auf, einige sich verbeugend, andere stolzierend, und wechselten einige unbeholfene Redensarten mit dem Mann, der sich selbst als ihren Wohltäter betrachtete; und ihre Mienen zeigten die Erleichterung, die sie überkam, sobald die Tortur überstanden war. Einige von ihnen, dem Vorurteil trotzend, das immer noch gegen die Koedukation herrschte, hatten weibliche Studenten, in sittsamen oder hilflos ambitionierten Aufmachungen, locker an ihren Armen hängen, als fürchteten sie deren Berührung; während andere, ihr Vorurteil auskostend, großspurig mit örtlichen Schönheiten einher kamen, die sich mit ergötzlicher Zuversicht an sie schmiegten.

Ein Dutzend Brasilianer mit dunklen, trägen Gesichtern, bildete nahe der Tür eine Gruppe; von hier aus machten die abenteuerlustigsten von ihnen Ausflüge in Richtung der hübschesten unter den Mädchen, und wieder zurückgekehrt erstatteten sie Bericht über ihre Heldentaten, die anschließend mit südlicher Gestik und Lebhaftigkeit diskutiert wurden. Zwei kleine, gelbgesichtige Japaner mit borstigem schwarzem Haar und Knopfaugen waren von einigen entschlossenen weiblichen Studenten bedrängt worden und wurden einem rigiden Kreuzverhör über die Regierung und die gesellschaftlichen Bräuche ihres Herkunftslandes unterworfen. Ein Serbe, zwei Russen und ein Bulgarier vervollständigten die Sammlung fremder Völkerschaften, so weit es die Nichtgraduierten Angehörigen der Hochschule betraf.

Es gab jedoch Professoren, deren Frauen verschiedene Nationalitäten und markant variierende Typen repräsentierten. Manche Männer sahen aus, als kämen sie direkt vom Pflug und erwarteten, zu diesem zurück zu kehren, während ihre Frauen von Mühsal und Kinderkriegen vorzeitig alt geworden waren; andere kamen als frisch Graduierte von Harvard und Columbia, im korrekten Abendanzug und mit einer Leichtigkeit des Benehmens, das einen Stich Ironie erhielt, sobald sie mit ihren rustikalen Kollegen ein Gespräch aufnahmen.

Dann war da der korpulente, untersetzte und melancholische Professor Dowd, der aus unerforschlichen Gründen eine lebhafte kleine Wiener Dame umworben und aus nicht weniger unerforschlichen Gründen nicht nur ihre Hand, sondern ihre Zuneigung gewonnen hatte. Sie war so niedlich, so petite, und wirkte, als sie durch die Menge herangetrippelt kam, wie die vollkommene Verkörperung entzückenden Leichtsinns – so wie eine rosige Hirtin mit Wespentaille à la Watteau im Gotteshaus der Pilgrim-Väter gewirkt hätte.

»Ach! Ich bin so frroh, Ssie zu ssehen, Mrs. Larrkin,« rief sie, mit unnachahmlichem ausländischen Akzent und lebhafter Gestik. »Es geht Ihnen gut, ja? Ah, ja, ich ssehe, es geht Ihnen gut. Sie ssehen sso schön und strrahlend aus. Und Ihr Gatte, ihm geht es gut – wie müssen Ssie stolz auf ihn ssein an einem Tag wie diessem, liebe Mrs. Larrkin – all das zu ssehen, was er errreicht hat – die Segnungen des Wissens in sso viele junge Leben hinein gebrracht zu haben. Er sieht so stolz und befehlend aus – wie ein Schenerrall auf einem Schlachtfeld.«

Mrs. Dowd fuhr fort, mit schamloser Verlogenheit ihre Komplimente auszuschütten, bis etwas in Mrs. Larkins verwunderten Augen ihr bewies, dass sie gerade Perlen vor die Säue warf. Da zwackte sie mit einem ungeduldigen Achselzucken ihren Mann, der sich in der Zwischenzeit mit dem Gründer unterhalten hatte, und ihm in unterdrücktem Zorn zuflüsternd: » Ah, mon Deu, qu'ell est bête,« schleppte sie ihn unwillig ab.

Sie wurden gefolgt von Professor und Mrs. Wharton, die der Gründer mit Handschlag begrüßte, dass es sie bis in ihre Zehen prickelte. Professor Wharton unterrichtete in einem eher praktischen Studienzweig, der gewöhnlich nicht in einem Hochschulkurs enthalten ist, Mr. Larkin jedoch besonders am Herzen lag. Der Professor hatte ein pfiffiges, gemütliches, grobschlächtiges Gesicht, derbes braunes Haar und Kränze von getrocknetem Tabaksaft auf seinen Lippen. Seine Frau, groß, schlank und flachbusig, mit Resten verflossener Anmuth, sah aus, als könne sie, bei entsprechender Provokation, dem Betreffenden die Augen auskratzen.

»Nun, Professor,« begann Mr. Larkin, als er Mrs. Whartons Hand freigegeben hatte, »es sieht auf dieser Bergkuppe jetzt ziemlich anders aus als vor zehn Jahren, als Sie zum ersten Mal her kamen.«

»Das tut's wirklich«, sagte Mr. Wharton mit überzeugter Betonung.

»Sie würden nicht denken, dass es derselbe Ort wäre, hm?«

»Ich würde es Ihnen nicht einmal auf Ihren Schwur glauben, wenn Sie mir sagen würden, es wäre derselbe Ort, und ich wäre selbst noch nicht hier gewesen und hätte die Veränderungen Tag für Tag miterlebt.«

Mr. Larkin schmunzelte erfreut. Das war die Art von Rede, die er gern hörte.

»Es erscheint wie ein Wunder, Mr. Wharton, nicht wahr?« fuhr er fort, nicht geneigt, das angenehme Thema zu verlassen.

»Das tut es wirklich,« sagte Mr. Wharton noch ein Mal und sah dabei aus, als ob ihm die Sache in einem neuen, überraschenden Licht erschiene.

»Sie haben Grund, stolz auf Ihr Werk zu sein, Mr. Larkin,« bemerkte Mrs. Wharton mit schriller, knirschender Stimme.

»Nicht stolz, aber zufrieden, Mrs. Wharton,« antwortete der Gastgeber; »ein Mann kann nicht mehr als sein Bestes geben, wissen Sie, und Gottes Segen muss den Rest dazu tun.«

»Ein wahres Wort, Mr. Larkin. Aber nicht jedem von uns gibt Gott die Chance und den Willen, so große Dingen in seinem Dienst zu tun.«

Mr. Larkin wollte gerade antworten, als er an seiner Seite Reverend Arthur Robbins wahrnahm mit einer seiner Töchter am Arm und vier weiteren dicht hinter ihm im Schlepptau. Sie waren allesamt unscheinbar und trugen braune Kleider mit einer züchtigen Schleife am Hals. Ihr Aussehen und die kleinen, abrupten Bewegungen dieser vier Durchschnittsmädchen erinnerten unwillkürlich an Mäuse oder Eichhörnchen. Ihre kleinen Köpfe, ihre scheuen, dunklen, wachsamen Augen und ihr fliehendes Kinn unterstrichen diese Ähnlichkeit.

Nur Arabella, die jüngste, um derentwillen sich Mr. Robbins gerade bemühte, sich einen Teil von Mr. Larkins Aufmerksamkeit zu sichern, trug ihres Vaters Züge, wenn auch in etwas sparsamerer und weicherer Ausführung. Mr. Robbins nämlich war ein gut aussehender Gentleman, mit grauem, wohlgestutztem Backenbart und der Miene kultivierter Weltlichkeit, was ihn in Toryville etwas auffällig machte, wo man von einem geistlichen Würdenträger ein ganz anderes Erscheinungsbild erwartete. Seine jüngste Tochter hatte dieselben schönen Augen und und dieselbe warme Blässe, aber ihr Ausdruck besaß etwas Fieberisches, Beklommenes, während ihr Benehmen zwischen erschöpfter Trägheit und fast hysterischer Lebhaftigkeit wechselte.

Eine ängstliche Süße lag in ihrem Lächeln, als sie Horace Larkin erblickte, der sich – mit dem Rücken zur Wand – gerade dem Kreuzverhör einer der koedukativen Damen unterworfen sah im Hinblick auf seine Meinung zu Alexander Hamilton Alexander Hamilton (1757/1755-1804), einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, hatte in der amerikanischen Revolution bzw. im Unabhängigkeitskrieg führende militärische Positionen. Er gilt als einer der drei Väter der US-Verfassung; er schuf die erste amerikanische Bank und baute später das amerikanische Bankenwesen und die Marine auf und gilt als Begründer des Amerikanischen Systems der Politischen Ökonomie. Er trat für die Abschaffung der Sklaverei und für die Rechte der afrikanischstämmigen Bevölkerung ein. und den Einfluss dieses Staatsmannes auf die Gestaltung der Schicksale der Republik. Wie der junge Mann argwöhnte, hatte sie dies als Thema ihrer Abschlussarbeit gewählt und führte das Gespräch zu rein praktischen Zwecken.

Miss Robbins Lächeln lieferte Horace eine möglichst rasch zu ergreifende Gelegenheit, diese Konversation abzubrechen und aus den Unwegsamkeiten dürren Lernstoffs abzutauchen in die sanfte Umarmung zärtlicher Komplimente. Miss Robbins dahinsterbendes Gebaren in seiner Überspanntheit, wie er es bei mehr als einer Gelegenheit kennengelernt hatte, sagte ihm zwar ganz und gar nicht zu, doch trotz alledem besaß ihr offensichtliches Gefallen an ihm genügend Gewicht, um seine Meinung zu revidieren. Sie lauschte seinen höchst belanglosen Ausführungen mit ergebener Aufmerksamkeit und war sogar gesonnen, seinen Bemerkungen über Gott und die Welt tiefere Bedeutung beizulegen, als er selbst vermutet hätte. Ein Mann muss nachgerade übernatürlich dickhäutig sein, um solch heimtückischer Schmeichelei widerstehen zu können.

»Es sind Äonen vergangen, seit wir Sie zuletzt sahen, Mr. Larkin,« sagte Miss Robbins, als sie die Hand des jungen Mannes mit überschwänglicher Herzlichkeit drückte. »Ist es die Koedukation oder das Recht, das Sie so beansprucht?«

»Beides, Miss Robbins,« erwiderte Horace mit seiner gewohnten barschen Freimütigkeit. Was immer man ihm auch zur Last legte: um des Streitens willen gab er es stets zu, und so war es unmöglich, ihn zu hänseln.

»Also akzeptieren Sie tatsächlich die Koedukation?« fragte Arabella mit lockendem Zungenschlag, der um Vertrauen und Freundschaft zu flehen schien.

»Ich akzeptiere alles, was ich zu meinem Nutzen zu akzeptieren habe.«

»Und warum akzeptieren Sie mich dann nicht?«

Die Bemerkung war im Sinne eines gewagten Scherzes getan; in den Augen des Mädchens leuchtete jedoch ein abenteuerlustiges Feuer auf, das dem grellen Licht eines plötzlich geöffneten Hochofens gleichkam.

»Natürlich weil ich nicht annehme, dass es mir von Nutzen wäre,« antwortete er lächelnd; »weil es sogar gefährlich wäre.«

»Ich weiß kaum, wie ich das deuten soll,« erwiderte sie mit einem nervösen Lachen; »aber ich habe den Eindruck, das es nicht gerade höflich ist.«

»Höflichkeit ist nichts anderes als vernünftige Verlogenheit,« bemerkte er sententiös.

»Nun, Frauen sind so daran gewöhnt, mit vernünftiger Verlogenheit, wie Sie sie nennen, behandelt zu werden, dass Sie ihnen nicht vorwerfen können, sie als eine Art Recht vorauszusetzen.«

»Ich werde zur Zufriedenheit Ihres Herzens lügen, wenn Sie danach verlangen,« versetzte er, seinen Schnurrbart aufzwirbelnd, unter dem sein ironisches Lächeln lauerte.

»Wissen Sie, Mr. Larkin,« stieß sie hervor, als habe sie beschlossen, sich auf einen Wettstreit mit seiner verwirrenden Taktik einzulassen; »ich habe manchmal den Verdacht, dass Sie ein aussichtsloser Flirtpartner sind?«

»Ist Ihnen das zuvor nie in den Sinn gekommen?«

»Nein, das muss ich zugeben.«

»Dann schreiben Sie es sich in Ihr Notizbuch zur künftigen Verwendung.«

Eine wahrnehmbare Welle von Erregung durchzog die Versammlung, als Alexander Larkin mit seiner großen Cousine am Arm eintrat.

»Wie reizend Gertrude aussieht!« rief Araballa Robbins aus; »sie sieht aus wie die Königin von Saba!«

»Erlauben Sie mir, das zu bezweifeln,« antwortete ihr Gesprächspartner. »Die Königin war jedenfalls um Einiges mehr décolletée

»Ich bin mit der Mode jener alten Zeit natürlich nicht vertraut, aber ich meine auch bloß: sie sieht königlich aus. Und Ihr Bruder – er sieht aus wie Aladdin in dem Märchen.«

»Das ist, abgesehen von der Bekleidung, ein entschieden besserer Vergleich; denn mein Bruder verbringt, wie ich leider bekennen muss, sein Zeit zumeist in einem Märchen.«

»Sie wollen damit sagen, er ist verliebt.«

»Oh, nein! nichts weniger als das. Ich wollte bloß sagen, dass er das Leben durch eine rosarote Brille anschaut. Und wie Aladdin setzt er ein kindliches Vertrauen in die Wunderlampe, die er verborgen unter seinem Mantel trägt.«

Alexander, groß, blond und strahlend, war durch die Menge fortgeschritten und ließ seinen offen, furchtlosen Blick im Raum umher wandern, als suche er jemanden. In auffallendem Gegensatz zur Lebhaftigkeit seiner Züge stand die lustlose Apathie von Gertrudes Gesicht.

»Komm ein bisschen in Schwung, Gertie,« sagte er, ungeduldig ihren Arm schüttelnd; »du siehst verärgert aus.«

»Wenn ich verärgert bin, warum sollte ich nicht so aussehen?«

»Bin ich es, der dich geärgert hat?«

»Nicht mehr als sonst jemand.«

»Wer ist es dann?«

»Jeder.«

»Das ist erstaunlich für ein Mädchen deines Alters: mit jedem unzufrieden zu sein.«

»Es ist erstaunlicher für einen Mann deines Alters, mit jedem zufrieden zu sein.«

»Vielleicht. Aber so bin ich gemacht.«

»Und so bin ich – auf meine Art gemacht.«

»Das ist sehr schade.«

»Vielleicht. Aber ich kann es nicht ändern.«

Alexanders suchender Blick war mittlerweile auf einen dunkelhaarigen jungen Mann gestoßen, der sich, aufgrund einer Art nervlicher Gleichgestimmtheit, umwandte, als ob jemand ihn berührt hätte.

Als ihre Augen sich trafen, schritt der dunkelhaarige Mann rasch heran und vollführte Gertrude gegenüber eine formvollendete Verbeugung. Sein ernstes, vergeistigtes Gesicht, vom Typus Edwin Booths Edwin Booth (1833-1893), bedeutendster US-amerikanischer Schauspieler seiner Zeit; Bruder von John Wilkes Booth, dem Mörder Abraham Lincolns., ließ nervöse Beweglichkeit und schwermüthige Resignation erkennen. Eine Locke seines schwarzen Haares hing mit augenscheinlich absichtsvoller Nachlässigkeit von der Stirn herab, und ein paar haselnussbraune Augen ließen ihren Blick in müdem Hochmut über die buntgemischte Gesellschaft gleiten. Er hatte etwas von Hamlet, wie er seinen Kopf hielt, und es hätte lediglich Wams und Hose anstelle seines feinsäuberlichen Anzugs bedurft, um die Ähnlichkeit zu vervollständigen.

»Nun, Archie,« rief Alexander, als er eifrig seines Freundes Hand schüttelte, »du hast dich also doch entschlossen zu kommen?«

Dr. Hawk – denn das war der Name des Freundes – fuhr mit der Hand durch sein Haar und warf einen verträumt-anbetenden Blick auf Gertrude, bevor er antwortete.

»Wir sind erschöpft, mein Herz und ich,« äußerte er ziemlich zusammenhanglos.

»Sie meinen, Sie sind gelangweilt,« sagte Gertrude; »endlich eine mitempfindende Seele!«

Der Doktor verbeugte sich zur Kenntnisnahme des Kompliments. »Wie schade, Miss Gertrude, dass Sie und ich nicht geboren sind, bevor die Welt schon alt geworden war,« seufzte er und übersetzte seine Anbetung in einen weiteren brennenden Blick.

»Ja, bevor die Welt überhaupt geschaffen worden ist,« seufzte das Mädchen in spöttischer Nachahmung seines sentimentalen Tons.

»Sie sind wirklich grausam,« sagte er mit verletzter Miene.

»Entschuldigen Sie mich, Doktor, aber Sie wissen, das ist ein verbotenes Thema.«

Er wandte sich halb um, starrte beleidigt auf die Wände und an die Decke und schaute sie, nachdem er seine Fassung wiedergefunden hatte, erneut an.

»Die Menschheit verlangt meiner Meinung nach zu wenig vom Leben,« sagte er. »Sie ist zufrieden mit dem bloßen fragwürdigen Vorrecht des Daseins. Wie Schlegel Friedrich Schlegel (1772-1829), führender Vertreter der deutschen Frühromantik; sein Ziel war, Philosophie, Prosa, Poesie, Genialität und Kritik zusammenzuführen; in der Jenaer Wohngemeinschaft wurden 1799/1800 auch neue Formen des Zusammenlebens erprobt. sagt: ›Leben um des bloßen Lebens willen ist die Quelle aller Unanständigkeit.‹ Ich meinesteils bin nicht von dem Wahn eines Strebens befangen, das irgend einen Wert zu besitzen scheint, ich betrachte das Atmen als pure Energieverschwendung. Ich könnte ebensogut meiner luftholenden Apparatur eine Pause gönnen – für immer.«

Gertrude hatte diesem Diskurs mit langsam entfachter Belebtheit zugehört; ihren leuchtenden Augen war ihr Vergnügen daran abzulesen. Jedes Wort kam ihr vor wie aus ihrem eigenen Herzen gesprochen.

»Aber was sollen wir Ihrer Meinung nach tun, Doktor?« sagte sie. »Worin besteht der Nutzen der Rebellion gegen etwas, dem Sie nicht nicht abhelfen können?«

»Es gibt nichts, dem wir nicht abhelfen können,« antwortete er, indem sein direkter Blick sie wiederum durchbohrte; »oder besser gesagt: es gibt nichts, dem Sie nicht abhelfen könnten, Miss Gertrude.«

»Wenn Gertie zum Beispiel einen dummen Partner hätte,« warf Alexander ein, »könnte sie ihn bei den Ohren nehmen und ihm befehlen, interessant zu sein?«

»Nein; aber lass sie ihn bei seinem Herzen packen, und er könnte nicht anders als interessant sein.«

»Ich würde ihn unerträglicher als je finden, Doktor,« stieß Gertrud lachend hervor.

»Du glaubst, dass Gertie anfangen sollte, Leute in sich verliebt zu machen,« fragte ihr Cousin, »um ihnen etwas zu geben, wofür es sich zu leben lohnt? Aber würde das nicht am Ende zu einem bedenklichen Kuddelmuddel in der Stadt führen, wenn sie alle daherkämen und auf sie Ansprüche erheben würden?«

»Sie dürften keine Ansprüche auf sie erheben,« schrie Hawk in plötzlicher Wärme; »das Recht in sie verliebt zu sein wäre für sich Lohn genug.«

»Bei allem gebührenden Respekt für Gertie: Ich bezweifle, dass sich viele finden werden, die solch einen Standpunkt einnehmen.

»Um so schlimmer für sie,« sagte der Doktor.

Es gehörte zu seinen Gewohnheiten, dreiste Komplimente solcher Art zu anzubringen, mit ernstem Gesicht und traurig-melodiöser Stimme, die sonderbar eindringlich nachklang. Gertrude musste sich beinahe körperlich anstrengen, um diesen Bann abzuschütteln, den er über sie geworfen hatte. Sie mochte ihn, weil sie ihn unterhaltend fand, zugleich aber hegte sie ihm gegenüber ein vages Misstrauen und fand es nötig, auf der Hut zu sein.

»Wir wollen etwas erfinden, um diese Leute davor zu bewahren, sich gegenseitig zu Tode zu langweilen,« sagte sie mit plötzlich wiederauflebender Energie. »Ich empfinde eine Art Verantwortlichkeit für sie. Ich würde sie gern bei den Schultern nehmen und schütteln.

»Das ist keine so schlechte Idee,« sagte Alexander, »du musst es nur zu Musik tun. Sonst könnte es sein, dass es ihnen nicht gefällt; oder besser: du lässt sie dich schütteln.«

»Du meinst, wir sollten tanzen?«

»Ja, warum nicht?«

»Wäre das nicht ziemlich würdelos bei einem ›Gründer-Empfang‹?«

»Nicht halb so würdelos, wie in einem kühlen Raum herum zu stehen und öde Plattitüden über das Wetter und die Entwicklung der Hochschule auszutauschen.«

»Willst du dann mit Vater sprechen?«

»Wir werden beide mit ihm sprechen.«

Mr. Larkin, stolz auf seine eigne Liberalität, war nie abgeneigt, irgend einen Vorschlag in Erwägung zu ziehen. Zuerst war er zwar einigermaßen unsicher, ob der Anstand den Tanz beim gegenwärtigen Ereignis zulasse; aber als er entdeckte, dass seine Frau aus religiösen Gründen dagegen war, schwenkte er um und behauptete, dass er nichts lieber möge, als junge Leute zu sehen, wie sie sich vergnügten.

»Was sagen Sie, Pfarrer?« fragte er, sich Mr. Robbins zuwendend, der Mrs. Larkin gerade erklärte, wie die jüngsten geologischen Entdeckungen die biblische Schöpfungsgeschichte bestätigt hätten.

»Fragen Sie nicht mich,« sagte scherzend der Geistliche, »ich habe mit Ihrem Gewissen nichts zu schaffen, wie Sie wissen; ich hüte nur das von Mrs. Larkin.«

»Nun, sie ist mein Gewissen. Ich hab' sonst keins. Sie unterhält so 'was zum Nutzen der Familie.«

»Dann sollten Sie ihr die Frage vorlegen.«

»Ne, ich hab' gemerkt, dass ihr Gewissen betriebsunsicher ist, irgendwie abgenutzt von zu vielem Gebrauch.«

Nachdem die Erlaubnis erteilt war, wurde ein hysterisches Klavier mit einer Art affektiver Störung aus einem Studentenzimmer jenseits des Saales herbei geschafft, und ein junger Geiger untermalte den Walzer-Takt durch rauhes, unmelodiöses Kratzen auf seinen Saiten. Die presbyterianischen und baptistischen Geistlichen nahmen sehr ostentativ ihren Abschied (wenn auch nicht aus musikalischen Gründen), als der Lärm begann, und drückten Mrs. Larkin ihr Bedauern aus, dass ihr Ehemann ein solch sündiges Vergnügen gutheißen könne; aber der Gründer, für dessen Ohren dieses Bedauern bestimmt war, lachte verschmitzt und zufrieden über sein Geschick, »Pfarrer zu ärgern«.

Die Musik dauerte zehn Minuten lang mit ihren kratzenden und rumpelnden Geräuschen im Dreiviertel-Takt, bevor jemand es wagte, sich auf die Tanzfläche zu begeben. Da entschlossen sich Aleck und Gertrude aus philanthropischen Gründen, die Initiative zu ergreifen; und ein Dutzend Paare folgte augenblicklich ihrem Weckruf. Rasch war die obere Hälfte des Saales mit Tänzern angefüllt, deren Köpfe – mit eher geringem Bezug auf die Musik – auf und nieder wippten. Es gab viele, die gut tanzten, aber die weitaus größere Anzahl wusste gar nicht, ob sie tanzen konnte oder nicht, dachte allerdings, man könnte es ja 'mal versuchen.

Junge Mädchen mit netten, unschuldigen Gesichtern ohne jede Arglist mühten sich gewissenhaft ab, ihre Füße in rhythmischer Bewegung zu halten; junge Männer umfingen mit einem Arm locker die Taille ihrer Partnerin, während sie in feierliche Zuckungen verfielen, ohne den Blick von ihren Stiefeln zu erheben.

Da war Professor Ramsdale, einer der Harvard-Absolventen, der die Mädchen fest umklammert hielt und sich mit ihnen gemächlich unterhielt, während er in waghalsigem Leichtsinn herumwirbelte, alle Augenblicke in gegenläufiger Richtung, und seinen Weg durch die sich drängenden Paare schlängelte, ohne jemals einen Zusammenstoß zu riskieren. Die Frivolen unter den Senioren hassten ihn, wenn sie ihn Walzer tanzen sahen, und hätten sich gern an ihm gerächt, hätte seine Popularität bei den Seriösen ihn nicht vor Belästigung geschützt.

Unter den weiblichen Studenten gab es viele, die ohne Maß verunglimpfend über ihn herzogen, aber keine hatte das Herz, sich zu versagen, wenn er sie zum Tanz aufforderte. Hübsch war er nicht, jedoch groß und athletisch, und sein Plaudern kam in aller Regel abgehackt und fragmentarisch. Sein blondes Haar war sehr kurz geschnitten, ein Schnurrbart unbestimmbarer Farbe kräuselte sich über einem kräftigen, sinnlichen Mund; seine blauen, ernsthaften Augen, deren Weiß gelb durchädert war, standen etwas vor und erinnerten mit ihrem steifen, feierlichen Blick an Fischaugen. Ob er scherze oder ernst mache, konnte man seinem Gesichtsausdruck nicht entnehmen, welcher, wenn es der Spiegel seiner Seele sein sollte, auf jeden Fall ein sehr unvollkommener war.

Ungeachtet dieses Wermuthtropfens erweckte er den Eindruck einer robusten, zuverlässigen Persönlichkeit; was immer er von sich gab (vielleicht weil er so überaus wenig sagte), wurde wohlwollend aufgenommen und schien keinen Widerspruch zuzulassen. Er war in der Stadt als hartnäckiger Verehrer Gertrudes bekannt, und man sagte über ihn, dass er, wenn ihn jemand beschuldigte, sieben Mal um ihre Hand angehalten zu haben, darauf antworte, er werde es sogar siebzig Mal tun. Aber das klang so wenig nach ihm, dass seine Freunde dem keinen Glauben schenkten. Dass Gertrude ihn aus irgend einem Grund ablehnte, wurde allgemein angenommen, obwohl es eine Andeutung gab, dass ihre Ablehnung kaum ernsthaft sein konnte, weil sie, nachdem sie ihn zurückgewiesen hatte, fortfuhr, seine Aufmerksamkeiten hinzunehmen.

Seit dem Augenblick, als Gertrude mit ihrem Cousin in die Empfangshalle eingetreten war, hatte sie die Augen ihres unermüdlichen Bewunderers auf sich gerichtet gefühlt. Während sie mit Aleck tanzte, folgten sie ihr mit ruhigem, ausdruckslosem Blick.

»Bring diesen Ramsdale dazu, jemand anderen anzustarren, Aleck,« sagte sie; »der brennt mir gleich ein Loch in den Hinterkopf!«

»Wen lohnt es hier sonst anzustarren?« fragte Aleck in galanter Manier.

»Oh, Aleck! Das von dir! Das ist zu viel!«

»Gar nicht. Vergiß es. Oder schreib es lieber meinem Konto gut, als ein Guthaben, das ich anzapfen kann, wenn meine Stimmung wechselt.«

»Warum starrt er nicht Bella Robbins an?«

»Das wäre eine undankbare Aufgabe. Sie hat nur für Horace Augen.«

»Aber für ihn hat sie eine Menge.«

»Augen?«

»Ja.«

Sie tanzten einige Minuten weiter mit gemächlich-launigen Drehungen.

»Oh je, was für ein Durcheinander ist diese Welt!« seufzte das Mädchen; »warum kann nicht jeder den anderen in Ruhe lassen?«

»Wenn man das täte, würde die Welt in eine Million Stücke zerfallen.«

»Um so besser.«

»Die Zivilisation würde aufhören.«

»Noch besser. Ich hab' schon immer einen Hang zur Wildheit gehabt.«

»Der Mensch ist ein Herdentier.«

»Ich bin kein Herdentier.«

»Na klar bist du das; du bist nur ein bisschen mäkelig in deiner Herdenhaftigkeit.«

Sie erhob ihre großen, dunkelblauen Augen langsam zum Gesicht ihres Cousins empor, und er schaute lächelnd in sie hinein und sah die kleinen flammenähnlichen Linien der Iris, die sich von den Pupillen aus verbreiteten, und kleine wolkige Punkte, die sie doppelt so blau erscheinen ließen.

»Bist du vielleicht gerade etwas unausstehlich, Aleck?« fragte sie mit bedeutsamer Sanftheit.

»Oh, ja, ich bin ein bisschen – was immer du willst. Aber du sieht so entzückend aus heute abend, Gertie, dass du es dir leisten kannst, großmütig zu sein.«

Die Musik brach mitten im Takt ab, weil dem Geiger die vierte Saite riss; aber mehrere Paare hopsten immer noch hoffnungslos weiter, bis sie begriffen, dass sie den Tanzboden für sich allein hatten. Da hörten sie verwundert auf und gingen ohne vorgetäuschte Feierlichkeit davon.

Doktor Hawk und Professor Ramsdale eilten beide von gegenüberliegenden Seiten des Saales auf Gertrude zu; der athletische Professor rannte dabei in blindem Eifer einen Studienanfänger nieder, bei dem er entschuldigend stehen blieb. Dadurch gewann der Doktor einen Vorteil, und Gertrude ebenfalls. Sie zog nämlich im Ganzen die Gesellschaft des Doktors der des Professors vor.

Letzterer starrte, als er das Rennen verloren sah, mit seinen ruhigen Fischaugen auf den Rücken seines Rivalen, der ihm mit herausfordernder Bravour zugekehrt war; dann ging er ohne eine Spur von Groll über sein Niederlage fort und tröstete sich mit einem koedukativen Fräulein, das seine Aufmerksamkeit mit unverhüllter Dankbarkeit entgegennahm. Die Musik hob bald wieder aufs Neue an, nunmehr ohne Geige, und das Maß ihrer Glückseligkeit war voll, als er es zum Tanz aufforderte.

»Sagen Sie mir, Professor,« sprach sie, als er ihr den Arm um die Taille legte und sie über die Tanzfläche schwang, »worin sehen Sie das Wesentliche von Schopenhauers Ethik? Glauben Sie, dass Hartmann Schopenhauer angemessen deutet?«

»Nein,« antwortete Ramsdale phlegmatisch; aber er versagte sich weitere Mitteilungen. Statt dessen fragte er sich verbittert, ob das Leben es wert sei, gelebt zu werden.

Sein glücklicher Rivale war offenbar von derselben Frage bekümmert.

»Leben, Leben, Leben!« rief er dramatisch, als Alexander sich davon gemacht hatte. Er legte großen Wert darauf, nie das zu sagen, was man von ihm erwartete, und für Gertrude, die in fader Alltäglichkeit zu ersticken wähnte, war es dieses Überraschungsmoment, das ihn anziehend machte. Er war einer der wenigen Männer, die es verstanden, sie nicht zu langweilen.

»Hat man Sie sitzen lassen, Doktor, oder was ist los?« fragte sie lachend.

Hawk zog seine Brauen missbilligend zusammen.

»Ich kann mir gut eine Frau vorstellen, die mich zurückweist, Miss Gertrude,« sagte er mit möglichster Tiefe in seinem melodiösen Bass, »aber die mich sitzen lässt: niemals!«

»Wieso das eine mehr als das andere?«

»Das Maß einer Frau ist der Mann, den sie liebt – der Mann, den sie fähig ist zu lieben. Die Frau, die fähig wäre mich zu lieben, wäre aus eben diesem Grunde unfähig, mich sitzen zu lassen.«

»Damit haben Sie sich selbst ein hübsches Kompliment gemacht.«

»Ich würde sagen, es war ein hübsches Kompliment an Sie

Seine dreiste Schlagfertigkeit unterband für einen Moment ihr volles Verständnis. Als ihr die Bedeutung aufdämmerte, überflog ein entrüstetes Erröten ihre Wangen, während das Leben in ihren Augen plötzlich einer kühlen Leere wich.

Dem Doktor wurde klar, dass er einen Fehler begangen hatte, aber anstatt sich selbst dafür die Schuld zu geben, warf er sie Gertrude vor. Einen Augenblick lang hasste er sie regelrecht.

Ramsdale, der seinen beobachtenden Blick nie abgewendet hatte, erkannte, dass dies nun seine Chance war. Mit unerschütterlicher Ernsthaftigkeit verabschiedete er sich von seinem koedukativen Fräulein und bot sich genau in dem Moment an Gertrudes Seite an, als sie eine geeignete Fluchtmöglichkeit suchte. Sie ergriff seinen Arm fast bereitwillig und beantwortete die feierlich-spöttische Ansprache des Doktors mit frostigem Hochmut. Der Professor erstrahlte regelrecht in stolzer Freude. Er trug im Triumph seine Beute davon, während der Boden unter seinen Füßen Wellen zu schlagen schien. Sein Gesicht allerdings verriet keine Spur von Erregung.

»Gestatten Sie mir die Freude, mit Ihnen den nächsten Walzer zu tanzen, Miss Larkin?« erkundigte er sich im Ton feierlichster Prosa.

»Ich gestatte sie Ihnen, Mr. Ramsdale.«

»Ich danke Ihnen.«

Die Kapelle, unterdessen angereichert durch eine Piccoloflöte, schlug den ersehnten Walzer an, und er verlor keine Zeit, seinen Arm fest um Gertrudes Taille zu legen und hinaus auf den unbesetzten Tanzboden zu segeln. Er tanzte so natürlich, wie Fische schwimmen, und fast ebenso elegant. Sie empfand es nach der ermüdenden Unterhaltung mit Doktor Hawk als puren Luxus, in der Beuge eines athletischen Arms zu ruhen und sich passiv in allen möglichen Wendungen und Drehungen immer um und herum führen zu lassen, ohne sich verantwortlich zu fühlen und sich anstrengen zu müssen, und sich nur instinktiv dem Rhythmus der Musik hingeben zu können.

Zu ihrem Bedauern ertönte ihres Partners Stimme, und es klang ein zäher, verdrossener Ton aus ihr, der auf etwas verwies, das sie nicht recht zu erfassen wusste, obwohl es alles andere als schwer zu verstehen war.

»Haben Sie die neue Uni-Mannschaft gesehen?« wiederholte der Professor.

»Nein.«

»Sie rudern mit sehr guter Kondition.«

»Tatsächlich?«

»Alles stämmige Männer. Ich glaube an stämmige Männer, Sie auch?«

»Ob ich an stämmige Männer glaube? Nun, ich weiß nicht. Ich hab' ein paar schlanke Männer kennen gelernt, die ich auch sehr gut leiden konnte.«

»Ich meine: in einem Boot.«

»In einem Boot? Oh, ja. Aber einen Mann, den ich auf dem trocknen Land mag, kann ich auch in einem Boot leiden.«

Tatsache war: sie hatte kaum zugehört und antwortete aufs Geratewohl. Sie überprüfte in ihren Gedanken Doktor Hawks dreiste Bemerkungen und fragte sich, was er wirklich damit gemeint haben könnte. Falls er sich in sie verliebt hatte, war das gewiss nicht der richtige Weg, es ihr mitzuteilen. Falls ihn reine Eitelkeit antrieb – oder eine anlagebedingte Eigenschaft, alles äußern zu müssen, was im in den Sinn kam – dann gehörte er bestraft, und bestraft sollte er werden. Wie sie ihn bestrafen würde, konnte sie noch nicht entscheiden, aber sie hatte Zeit genug, darüber nachzudenken, bevor sie wieder zusammen trafen.

»Der Bootsführer wiegt nur vierundneunzig Pfund,« erwähnte Ramsdale, während er plötzlich seinen Schritt von langsamem Gleiten zu einem raschen Dreiviertel-Takt änderte.

»Tasächlich?« antwortete sie abwesend, »wie bemerkenswert!«

»Oh, nein, das ist nicht besonders bemerkenswert; er ist erst sechzehn Jahre alt.«

»Dann muss er sehr groß sein für sein Alter,« sagte sie, um überhaupt etwas zu sagen.

»Aber nein, er ist ziemlich klein für sein Alter,« erwiderte ihr unerschütterlicher Partner.

»Hatten Sie nicht gesagt, die ganze Mannschaft bestünde aus stämmigen Männern?«

»So ist es, aber der Bootsführer ist nicht die Mannschaft.«

Sie musste lachen, trotz ihres Ärgers, und obwohl er nicht begriff, worüber sie sich amüsierte, stimmte er mit einem gutmütigen Knurren ein. Er verehrte sie dermaßen hingebungsvoll, dass er instinktiv tat, was ihr seiner Meinung nach gefallen musste. Eine Zeit lang zermarterte er sich das Hirn, um einen anderen Gesprächsgegenstand zu finden, und verfiel schließlich auf einen scheinbar geeigneten.

»Finden Sie nicht auch, dass die Landschaft um Torryville sehr schön ist?« erkundigte er sich mit dem sicheren Gefühl, dass es hier endlich ein Band der Sympathie gebe.

»Nein,« antwortete sie mutwillig; »ich finde sie abscheulich.«

»Die Wasserfälle und die Schluchten scheinen mir ganz hübsch,« fuhr er ohne die geringste Betroffenheit fort.

»Mir kommen sie schrecklich langweilig vor.«

»Wegen des Steigens, meinen Sie?«

»Nein, sie anzuschauen – und über sie zu reden.«

»Ich sehe, Sie mögen die Natur nicht.«

»Ich mag gar nichts – und niemanden.«

»Ist das nicht ziemlich unangenehm, sich in einem solchen Zustand zu befinden?«

»Nein, danke. Es ist ein sehr angenehmer Zustand – der einzige angenehme Zustand.«

Ein Staunen ergriff langsam das Innere von Mr. Ramsdales Hirn, ohne freilich seine unbeweglichen Züge in Mitleidenschaft zu ziehen. Es besaß nur geringe Bekanntschaft mit dem schönen Geschlecht und fühlte sich nicht zuständig, dessen Stimmungen zu interpretieren. Er dachte an Virgils berühmtes mutabile et varium, usw.; und es kam ihm so vor, als ob Dido mit Æneas auf dieselbe Manier umgesprungen wäre. Es gab eine Menge geschichtlicher Beispiele, die man hinzuziehen konnte, und alle klassischen Schriftsteller stimmten darin überein, dass es nicht ernst zu nehmen war. Aber trotzdem verlor eine solch unüberlegte, unlogische Rede nie ihre Macht, Leid und Unbehagen zu erzeugen.

Gleichwohl war Gertrude in einer misslichen Stimmung immer noch besser als überhaupt keine Gertrude, und Ramsdale hielt sie hündisch ergeben in halber Umarmung fest, so lange die Musik weiterhin eine Ausrede für eine solche Glückseligkeit zur Verfügung stellte. Als es mit dieser Ausrede vorbei war, bot er ihr den Arm und geleitete sie zu einer langen Tafel aus unlackierten Brettern, auf der Kaffetassen, Platten und Pyramiden von Butterbroten aufgestapelt standen. Es handelte sich durchgehend um derbe, nahrhafte Kost. Am einen Ende der Tafel war etwas angerichtet, das man beschönigend Eiscreme nannte, jedoch wie gefrorene Maisstärke oder Eiercreme schmeckte.

Hier trafen sie auf Horace und Miss Robbins, die mit ihrem kläglichen Lächeln seinem gebieterischen Vortrag lauschte. Sie sprachen über Miss Kate Van Schaak, eine junge Dame aus New York, die Bella kürzlich besucht hatte.

»Sie würden sich unbedingt in sie verlieben, Mr. Larkin,« sagte sie gerade in ihrem matt lockenden Ton. Sie hatte ihn bereits zuvor häufig ermahnt, sich in dieses oder jenes Mädchen zu verlieben, das sie verdächtigte, von ihm gemocht zu werden, bloß um sich mit seinen unverblümten Weigerungen zu trösten.

»Kate ist ein so entzückendes Mädchen,« fuhr sie fort; »sie ist ein vollkommener Engel.«

»Dann taugt sie nicht für mich,« erwiderte Horace mit dankenswerter Entschiedenheit.

»Wieso das?«

»Engel haben in der Regel kein Geld.«

»Da irren Sie. Kate ist ein reicher Engel. Sie hat eine Menge Geld. Aber Sie beabsichtigen gewiss keine Geldheirat, Mr. Larkin?«

»Nicht ganz. Ich beabsichtige in erster Linie eine Ehe mit Gesundheit, sodann mit Vermögen und drittens mit Ausgeglichenheit.«

Bellas Herz sank ins Bodenlose; sie fiel weder durch Gesundheit noch durch Vermögen auf; ja, beides ging ihr sogar völlig ab. Sie hoffte dennoch, dass ihre Ausgeglichenheit hinreichte, ihre anderweitigen Mängel zu kompensieren.

»Dann beabsichtigen Sie keine Liebesheirat?« sagte sie und schaute mit ihrem beschwörenden Lächeln in sein Gesicht.

»Nein,« antwortete er kurz.

»Aber das ist eine schreckliche Aussage, Mr. Larkin.«

»Ich verstehe nicht, was daran schrecklich sein soll. Wenn ich eine gesunde und ausgeglichene Frau hätte, die darüber hinaus einen materiellen Anspruch auf meine Dankbarkeit hätte, dann würde ich sie gewiss lieben.«

»Aber würde sie Sie auch lieben?«

»Ich würde sehr wenig in dieser Beziehung von ihr verlangen. Um ehrlich zu sein, Miss Bella, all dieses Gerede über Liebe ist zu neunzig Prozent Quatsch. Wir sprechen über Liebe, als sei sie eine ungeheure, überwältigende Macht in unserem Leben, der wir uns blind zu unterwerfen haben. Aber dringt eine solche Leidenschaft tatsächlich in das Leben vieler moderner Männer und Frauen der Vereinigten Staaten ein? Im Mittelalter waren die Männer leidenschaftlicher und nicht so vernünftig – barbarischer, in anderen Worten – ich weiß, dass Liebe, Hass, Habgier und all die wilden, animalischen Triebe diejenigen mächtigen Kräfte waren, die sie verkörperten. Zu unserer Zeit haben wir ebenfalls Wilde dieser Art, die unfähig sind, ihre Naturen zurück zu halten; aber die meisten von ihnen befinden sich im Zuchthaus, und die nicht dort sind, gehören da hin.«

»Menschen, die zu leidenschaftlicher Liebe fähig sind, sollten ins Zuchthaus?!« rief das Mädchen erschreckt.

»Ja, wenn Sie so wollen,« versetzte Horace, erfreut über das Paradox.

»Und Sie wären gern ihr Wärter?«

»Wenn ich nichts Besseres zu tun hätte: ja; aber im Augenblick finde ich die Rechtstätigkeit profitabler.«

»Mr. Larkin, ich glaube nicht daran, dass Sie meinen, was Sie sagen,« rief sie kläglich. »Sie haben eben selbst gesagt, dass Sie beabsichtigten, Ihre Frau nach der Hochzeit zu lieben.«

Horace zwirbelte seinen Schnurrbart einen Moment und schaute mit seinem forschenden Blick in das ernste und etwas erregte Gesicht des Mädchens. Es stellte amüsiert fest, welche Macht er über sie hatte und wie vollständig er sie mit seinen Worten beeinflussen konnte, indem er jede beliebige Gefühlsregung hervorrief. Zugleich meldete sich sein Gewissen mit einem kleinen Ziepen, und ihn ergriff eine Art herablassender Güte wegen ihrer Hilflosigkeit. Dass sie in ihn verliebt war, wusste er schon lange; aber wenn früher diese unerwiderte Zuneigung eher lächerlich gewirkt hatte, wurde sie nun plötzlich zu einer verdienstvollen Sache und einem bedenkenswerten Anspruch. Er hatte sie für diesen Abend genug schockiert; nun konnte er es sich leisten, sich ihrer Empfindsamkeit zu fügen, so weit es seine Würde zuließ.

»Es ist so, Miss Bella,« begann er ohne Eile, während er den Anhänger seiner Uhrkette mit dem Zeigefinger auf und ab wippte, »dass Liebe vor der Ehe einen harten Kampf ums Dasein ausfechten muss, eine lange Verlobungszeit hindurch, mit den Streitereien der Verliebten, ihren vorläufigen Techtelmechteln und anderen Unvermeidlichkeiten. Sie wissen selbst …«

»Auf keinen Fall, Mr. Larkin,« unterbrach sie eifrig.

»Ich meine: durch Beobachtung, nicht durch Selbstversuch,« gab er lachenden Auges zurück. »Sie wissen, wie oft die Liebe vorzeitig stirbt, und ihre kleine Leiche wird nach der Hochzeit dürftig zu einem Scheinleben herausgeputzt. Die Eheleute gehen auf Zehenspitzen, um sie nicht zu stören, obwohl beide wissen, dass nicht 'mal die Posaunen des Jüngsten Gerichts sie zum Leben erwecken könnten. Wenn andererseits Liebe nach der Hochzeit entsteht, ist sie ein solch heikles kleines Ding, und es hängt soviel von ihrem Überleben ab, dass kein vernünftiger Mensch es der rauhen und wahllosen Behandlung aussetzen würde, die es so oft in den Händen unverständiger Liebender zu erleiden hat. Durch solch zarte Fürsorge während ihrer Kindheitsphase hat Liebe eine viel größere Chance zum Überleben und wird bald stark genug sein, um auf sich selbst aufzupassen.«

Der junge Mann schlürfte geruhsam seinen Kaffee aus einer dicken weißen Steingut-Tasse und ließ zwei, drei Schnitten unter seinem Schnurrbart verschwinden, während er diesen fantasievollen Vortrag über das Wesen der Liebe ablieferte. Er wirkte solide, zuverlässig und männlich-aggressiv, wie er da in seinem eng geknöpften Gehrock stand (er hatte ein hartnäckiges Vorurteil gegen den Schwalbenschwanz Gehrock (auch scherzhaft Bratenrock genannt, weil er zuletzt nur noch zu feierlichen Anlässen getragen wurde): doppelreihige Jacke für Herren mit knielangem, angesetztem Schoß aus meist dunklem Tuch (19. Jh.) – Schwalbenschwanz: das in der Mitte gespaltene Rückenteil der Jacke eines Fracks.) und sententiöse Phrasen von sich gab, an denen er selbst nicht weniger Freude hatte als seine Zuhörer. Er stand mit etwas gespreizten Beinen und balanzierte gelegentlich während des Sprechens auf den Zehen. Die vier Finger seiner Hände steckten, solange diese nicht beschäftigt waren, in seinen Hosentaschen, während die Daumen sich langsam am Saum seiner Weste auf und ab bewegten und so mit der Arbeit seines Gehirns Schritt hielten, wie ein Pendel an einer Uhr.

Miss Robbins, die ihn beim Essen mit derselben Hingabe betrachtete, wie wenn er sprach, versuchte gar nicht erst die Genugtuung zu verbergen, die sie darüber empfand, das er ihren Gefühlen Zugeständnisse machte.

»Dann glauben Sie also doch an die Liebe?« rief sie erfreut, mit dem Teelöffel voller Eiscreme, der sich auf dem Weg zu ihrem niedlichen Mund befand, einhaltend.

Horace stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch, wischte mit der Serviette einige Krumen von seinem Rock und bot Miss Robbins, nachdem er sie von einem Unterteller befreit hatte, seinen Arm.

»Sie glauben an die Liebe, nicht wahr?« wiederholte sie beschwörend.

»Ich habe nichts dergleichen gesagt,« antwortete er und maß sie mit einem amüsierten Ausdruck. »Ich fürchte, wie müssen noch 'mal ganz von vorne anfangen.

   

Es war etwas nach zehn, als die Gäste sich zu verabschieden begannen, und der Gastgeber wie seine Gattin bezeigten durch halbunterdrücktes Gähnen, dass sie gegen ihre Abgänge keine Einwendungen hatten.

»Ich hoffe, Sie hatte einen angenehmen Abend,« oder »Ich hoffe, Sie haben sich gut amüsiert,« sagten sie zu einander, als Mr. Larkin zum Händeschütteln antrat; und die Antwort lautete: »Ja, ich danke Ihnen vielmals,« oder »Ja, es war ein absolut entzückender Abend«, je nach dem, ob der verabschiedete Gast von männlichem oder weiblichem Geschlecht war. Während einige lebhafte Paare noch verweilten, kam ein grob aussehender Funktionsträger in Hemdsärmeln herein und fing an, die Tafel abzuräumen und eine Gasflamme nach der anderen zu löschen. Weit entfernt sich davon beleidigen zu lassen, nahmen sie es gutwillig auf und scherzten vertraut mit ihm über seinen Mangel an Gastfreundlichkeit.

Draußen herrschte nasskalte Luft, und der Mond, dessen Gesicht von einem nebligen Spinnennetz umschlungen war, versuchte vergeblich, sich zu entschleiern. Weißer Nebel schwebte über der Oberfläche des Sees und zog in Fetzen die Hügel hinauf. Aus dem Nebel aber erklangen die heiteren Stimmen junger Leute: kleine schrille Lacher, launische Ausrufe und hysterisches Kreischen, was alles zu dessen Veranlassung in demselben Verhältnis stand wie das Gackern einer Henne, mit all dem teilnahmsvollen Tumult eines Hühnerhofs, in Bezug auf ein kleines unschuldiges Ei.

Man betrachtete es in Torryville als absolut schicklich, dass junge Männer die jungen Mädchen von Partys nach Hause begleiteten und den Weg so lange hinaus zu zögerten, wie sie es für angebracht hielten. Der Begleiter war eine unbekannte Persönlichkeit, und Eltern empfanden sich als peinliche Eindringlinge, wenn sie zufällig auf ihre Tochter stießen, während sie ›in Begleitung‹ war. Es kam daher auch Mr. oder Mrs. Larkin, während sie in einem hohen Buggy Leichter, gefederter Pferdewagen, einspännig und zweirädrig, mit einer Sitzbank, im Gegensatz zur Kutsche ohne Verdeck. (einem Denkmal der Unbequemlichkeit) den Abhang hinunter fuhren, nicht in den Sinn, sich nach Gertrude zu erkundigen oder sich darüber Gedanken zu machen, wie oder wann sie nach Hause käme. Sie wußten, dass junge Männer für ein Mädchen ihres Alters unterhaltsamer waren als ihre Eltern, und sie sahen keine Unschicklichkeit darin, wenn sie sie hierin ihren Vorlieben folgen ließen.

Der Gewinner bei dieser Regelung war diesmal Professor Ramsdale, der in einem Zustand stiller Glückseligkeit den steilen Hang hinunter marschierte und dabei Gertrudes Arm ebenso fest umschlungen hielt, wie er es zuvor mit ihrer Taille getan hatte. Er unternahm ein paar krampfhafte Versuche, poetisch zu werden, in der Hoffnung, sie dadurch zum Sprechen zu bewegen. Sachlich berichtete er, wie er bei einer Gelegenheit, als er auf dem College war, das starke Bedürfnis verspürt habe, ein Gedicht an den Mond zu schreiben, nach zwei Stunden Mühsal jedoch nicht weiter als bis zur ersten Zeile gekommen sei. Da fragte sie natürlich, wie die erste Zeile lautete, worauf er antwortete: »Oh, der Mond!«, kam aber nicht weiter.

Das erschien so unwiderstehlich lustig, dass sie anfing zu lachen, und sie lachte nahezu den gesamten Weg weiter, bis sie die Straßen des Ortes erreichten. Ramsdale war von ihrer Anerkennung seines unbeabsichtigten Humors so beschwingt, dass er die Gelegenheit ergriff, etwas zu erwähnen, das er schon lange auf dem Herzen hatte.

»Könnten Sie sich vorstellen, den Mut aufzubringen, das ruhige und ereignislose Leben eines Gelehrten zu teilen, Miss Gertrude?« fragte er mit einer Beredsamkeit, die deutliche Zeichen von Vorbereitung trug.

»Das würde stark davon abhängen, wer dieser Gelehrte wäre,« sagte Gertrude boshaft.

Etwas in ihrer Stimme entmutigte ihn, aber nach einer nachdenklichen Pause begann er erneut:

»Nehmen Sie an, ich wäre derjenige, der Sie liebte?«

»Oh, das würde keinen so großen Unterschied machen,« antwortete sie unbekümmert; »die Frage würde eher lauten, ob ich ihn liebte.«

»Nun, angenommen, Sie täten es?«

»Das ist eine sehr gewagte Vorstellung, Mr. Ramsdale. Sie gehört zu jenen Dingen, die in der lateinischen Grammatik beim Konjunktiv Imperfekt eingeordnet werden.«

»Warum das?«

»Weil es den Tatsachen widerspricht.«

Der neckische Ton, in dem sie dies sprach, schien ein wenig Hoffnung zu lassen, dass sie es nicht ernst meine. Und entschlossen, das Thema nunmehr zum Abschluss zu bringen, fasste er nach einer weiteren Pause den Mut zu bemerken:

»Ein weinumranktes Landhaus in einer ruhigen Universitätsstadt würde Ihren Ehrgeiz nicht befriedigen, Miss Gertrude, oder?«

»Das hinge alles davon ab, wer darin lebte.«

»Angenommen, ich wäre es?«

»Dann verstehe ich nicht, was das mit meinem Ehrgeiz zu tun haben soll.«

»Ich meine natürlich im Falle unserer Heirat.«

»Ah, da kommen Sie wieder mit dem Konjunktiv Imperfekt,« stieß sie lachend hervor; »aber im Ernst, Mr. Ramsdale, Sie sind ein so guter Mann, dass Sie eine Frau im Indikativ Präsens verdienen. Nicht mich.«



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