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XL.
Ehechronik.

Die Familie im sechsten Stock des Patagonia bestand nicht mehr nur aus zwei, sondern aus drei Personen. Ein kleines, braunes, schrumpeliges menschliches Wesen war vor etwa sechs Wochen eingetroffen und hatte zu endlosem Spektakel im Haushalt geführt. Es war trotzdem begeistert willkommen geheißen und nach einigen ziemlich temperamentvollen Auseinandersetzungen zwischen seinen Eltern Obed Larkin genannt worden. Während dieser sich noch im vegetativen Stadium befand, in dem er sich einzig der Nahrungsaufnahme hingab, hatte sein Vater seltsamer Weise ein lebhafteres Interesse an ihm als seine Mutter; erst als er einige rudimentäre Fertigkeiten erworben hatte, wie zum Beispiel lächeln, treten und Zehen in den Mund stecken, fing sie an, seine Reize zu entdecken.

Dann aber war Gertrude sehr krank geworden, und dies unter besonders schwierigen Umständen. Sie war unberechenbaren Launen unterworfen, und zeitweise lastete die Bürde der Armut so schwer auf ihr, dass sie unter ihr zusammen zu brechen schien. Aleck war nun Miteigentümer der Schule; sein Herz schlug für seine Arbeit, und man betrachtete ihn als erfolgreichen Lehrer. Wenn er jedoch erfolgreich war, wandte sie ein, wie konnte er da mit einem Gehalt von 2 500 $ zufrieden sein, was weniger war, als viele Angestellte erhielten, die weder über seinen Verstand noch über seine Bildung verfügten?

Aleck konnte dies in keiner Weise zu ihrer Zufriedenheit erklären, obwohl er sich schwer ins Zeug legte. Er versuchte sein Bestes, sein tapferes Herz zu bewahren unter allen Anfechtungen, und dachte hundert Mal, wenn ihre Launen ihn jenseits des Erträglichen quälten, an die Worte jenes Arztes, dass sie schwache Nerven geerbt habe. Er konnte nicht böse auf sie sein wegen eines körperlichen Leidens, das ihr bei ihrer Geburt vererbt worden war, durch IHN, der die Sünden der Väter an ihren Kindern heimsucht. Und außerdem liebte er sie so sehr, dass sein Herz, sogar wenn sie ihn auf die Folter spannte, sich ihr voller Zärtlichkeit und Mitleid zuneigte, und dankte Gott, dass ihm das Los zugefallen war, sie zu trösten und zu schützen. Er lehnte sich weder gegen sein Schicksal auf, noch verschwendete er Zeit mit vergeblicher Reue. Er hatte kein Leben von reiner Glückseligkeit erwartet und wusste, dass er zu einer solchen Erwartung auch kein Recht besaß; es gab hingegen Momente, in den Aleck sogar sein Leid segnete wegen des süßen Lohns, das es ihm manchmal einbrachte.

Ich kann es ruhig zugeben: der Verhaltenskodex im Patagonia war ein bisschen eigen. Wenn Gertie nach einem langen depressiven Anfall ihrem Gatten am Tisch gegenüber saß, nichts aß und seinen Appetit mit einer gewissen Feindseligkeit vermerkte, konnte es gelegentlich geschehen, dass sie sich von der Lächerlichkeit ihres eigenen Verhaltens betroffen fühlte und und kleine schwermütige Lacher von sich gab, auf die er mitfühlend einging, wenngleich er nicht die entfernteste Idee hatte, was ihre Freude hervorrief. Er war nur im Allgemeinen bemüht, jeglichen Impuls von Freude, den sie nur haben mochte, zu unterstützen. Wenn dann die Mahlzeit vorbei war, zerzauste sie ihm zur Versöhnung sein Haar, und er war für diese Aufmerksamkeit so dankbar, als sei es die zärtlichste Liebkosung gewesen. Vielleicht kam sie fünf oder zehn Minuten später in seine bescheidene Bibliothek, setzte sich auf seinen Schoß und schrieb sich selbst allerlei unausstehliche Eigenschaften zu, in der Hoffnung, dass er ihr widersprechen würde.

»Ich war vollkommen schrecklich, Aleck, nicht wahr?«

»Nein, Liebling, du warst nicht schrecklich; du kannst gar nicht schrecklich sein, selbst wenn du es wolltest.«

»Aber ich wollte es, Aleck; ich bin so schlecht gewesen, wie ich nur konnte!«

»Du wolltest schrecklich sein? Ach, Allerliebste, das kann ich gar nicht glauben.«

»Du kennst mich nicht, Aleck, ich weiß aber: ich bin vollkommen abscheulich, und ich kann nichts dagegen machen. Es ist eine Art Trübsinnsteufel in mir drin, der mich dazu bringt, dir die entsetzlichsten Sachen zu sagen und anzutun. Ich würde die Welt dafür geben, zufrieden und fröhlich zu sein, aber es hat keinen Sinn, es zu versuchen, ich kann's einfach nicht. Und dieser Trübsinnsteufel verlässt mich genauso plötzlich, wie er kommt. Und dann weiß ich, wie unglücklich ich dich gemacht habe, Aleck.«

Er wusste aus trauriger Erfahrung, wie gefährlich es war, ihr zuzustimmen, wenn sie sich in dieser Stimmung der Selbstanklage befand, oder auch nur die geringste Neigung zu dem Zugeständnis zu verraten, dass in ihrer Anklage ein Körnchen Wahrheit stecke. Die Strafe für ein so unvorsichtiges Eingeständnis war in der Regel strenger, als die Gerechtigkeit gebot.

»Nun, Mr. Larkin,« sagte sie dann, während sie ihre Arme von seinem Nacken so plötzlich fort nahm, als sei er ein Aussätziger, »wenn das deine Meinung über mich ist, dann ist es sehr schade, dass du das nicht früher heraus gefunden hast. Dann hättest du dir den Fehler sparen können, mich zu heiraten.«

Worauf sie von seinem Schoß aufzustehen und tief beleidigt den Raum zu verlassen pflegte, und er verbrachte dann den restlichen Abend vergeblich mit allen möglichen geistreichen Maßnahmen, sie wieder zu guter Laune zu beschwatzen.

Natürlich zog er daraus seine Lehren. Er wurde zu einem entschiedenen Fachmann in Sachen Gefühlsverlogenheit. Er wusste bis aufs i-Tüpfelchen, welche Antwort sie erwartete, und hatte keinerlei Skrupel, sie zu geben. Nach einiger Zeit verloren alle diese häuslichen Ausflüge in das Gebiet der Fiktion jeden Bezug zu seinem Gewissen. Mit bewundernswerter Unverfrorenheit erzählte er ihr zehnmal in der Woche, dass sie die liebenswerteste Frau der Welt sei und dass sie nicht das entfernteste Anzeichen von Launenhaftigkeit aufweise. Und wenn es ihrer Stimmung gelegen kam, diese Zusicherung zu diskutieren, dann räumte er mit der Miene eines Fachmanns ein, dass sie Geist habe und dass er keine Frau respektieren könne, die keinen hätte.

So vergingen Jahr um Jahr ihres Ehelebens. Ihr Wohlstand wuchs ein wenig, und sie konnten eine bessere Wohnung beziehen. Ein weiterer Junge kam und hätte beinahe den Namen Horace erhalten, aber Gertrude gestand eine solche Abneigung gegen diesen Namen ein, dass Aleck sich genötigt sah, ihn in Ralph zu ändern.

Obed war unterdes recht hübsch gewachsen und hatte die faszinierendsten Eigenschaften entwickelt. Mit kaum drei Jahren begann er (wie sein Vater glaubte) Anzeichen einer ungewöhnlichen Intelligenz zu zeigen. Sein Stolz auf den Jungen und seine Zuneigung zu ihm kannte keine Grenzen, und er tat alles, was er konnte, um ihn zu verwöhnen.

In der Schule berichtete er seinen Kollegen stets Obeds letzte kluge Sprüche, bis er eines Tages in Puck Puck war das erste erfolgreiche Satire-Magazin in den USA, mit farbigen Cartoons, Karikaturen und politischer Satire im Hinblick auf die Tagespolitik. 1871 gegründet, war es zunächst eine deutschsprachige Produktion; seit 1877 gab es eine englische Ausgabe. eine Karikatur sah, die einen Mann allein am einen Ende eines Raumes darstellte, der untröstlich in einigen Photographien blätterte, während sich am anderen Ende des Raumes zwanzig oder dreißig Leute in lebhafter Unterhaltung zusammen drängten. Und unter dem Bild las er die Erläuterung: »Das ist der Unhold, der die gescheiten Sprüche seines fünfjährigen Sohnes erzählt.« Das war eine Warnung, die er nicht unbeachtet lassen konnte. Anstatt vor seinen Freunden mit der Klugheit seines Kindes zu prahlen, führte er nun ein Tagebuch, in dem er alle Beweise von Obeds Frühreife getreulich aufzeichnete.

Die meisten Frauen verstehen sich nach der Ehe nur als Mutter oder nur als Gattin. Die Stärke ihre Zuneigung fließt uneingeschränkt nur in die eine oder die andere Richtung, nie gleichermaßen in beide. Gertrude spürte nach der Geburt ihrer Kinder, wie ein neuer Liebesquell in ihrer Brust entsprang. Die alte Ziellosigkeit ihres Lebens, die dessen hauptsächliches Gebrechen gewesen war, peinigte sie nicht mehr. Jeder Augenblick des Tages besaß seine fordernden Pflichten, und wenn sie diese auch nicht immer erfreulich finden konnte, erfüllten sie doch ein Herzensbedürfnis und bewahrten sie davor, sich leerem Leid hinzugeben.

Sie war inzwischen vollständig überzeugt, dass sie als Bildhauerin zu Ruhm gekommen wäre, wenn sich ihr die Gelegenheit geboten hätte. Nachdem sie ihr Talent nicht mehr aktiv ausübte, war es keine Quelle des Ärgers mehr, sondern machte sie eher stolz. Es rettete sie vor der eintönigen Alltäglichkeit, die das Los der großen Mehrheit der Frauen bildet. Es machte sie außergewöhnlich und rechtfertigte ein erhöhtes Selbstwertgefühl. Aus ihrer gesellschaftlichen Stellung, so redete sie sich ein, mache sie sich nichts; und Aleck bestärkte sie, so weit es in seinen Kräften stand, in ihrer heilsamen Verachtung der Konventionen. Er war so unschuldig, dass er an ihre Aufrichtigkeit glaubte, wenn sie diese erdverhafteten Gemüter bedauerte, die in Wagen einher fuhren und nichts anderes im Kopf hatten als die neuesten Modefetzen und den Austausch hirnloser Höflichkeitsfloskeln. Als ob es je eine Frau gegeben hätte bis hinunter zu Sappho und Madame de Staël, die sich nicht nach dem Konventionellen gesehnt hätte!

In seinen zurechnungsfähigeren Momenten ahnte Aleck hin und wieder, dass er seine Frau verwöhnte. Es kam ihm vor, als ob sie, je mehr er sie zu erfreuen versuchte, desto schwerer zu erfreuen wurde. Wenn gelegentlich seine Freunde, Miller und Tuthill, die auch an der Schule tätig waren, ihm erzählten, wie sie mit ihren Frauen umgingen, entschloss er sich jedesmal, Gertrud ernsthaft vorzunehmen und ein für alle Mal seine Autorität über sie durchzusetzen. Aber irgendwie schien es nie eine Gelegenheit zu geben, mit diesem Disziplinierungskurs anzufangen. Entweder war Gertrude zu bezaubernd in ihrer Verdrehtheit oder zu anrührend süß mit ihrem Schmollmund, oder sie war nicht bei besonders guter Gesundheit, was vermutlich an ihrem unvernünftigen Verhalten lag. Und war er denn selbst ein so vorbildlicher Bursche, dass er sich zu Recht als Richter über sie aufwerfen durfte?

Während Aleck sich mit diesem Disziplinproblem plagte, erklärte Gertrude, sie wolle eine schöne Radierung über dem Sofa; ob Aleck an einem Sonnabendnachmittag mit ihr einen Streifzug unternehmen könne, um etwas Geeignetes und Effektvolles zu finden? Sie wisse genau, was sie wolle, möchte sich aber lieber mit ihm beraten. Von dieser Rücksichtnahme ziemlich geschmeichelt, brach er mit ihr auf und machte die Runde durch jene Geschäfte, die sich auf Radierungen spezialisiert hatten. Bald indes wurde die hoffnungsloseste Verschiedenheit ihres Geschmacks offenkundig. Gertrude hielt nur nach Hunden Ausschau, während Aleck, wie sie verachtungsvoll beteuerte, ausschließlich nach Mädchen schaute.

»Nehmen wir 'mal an, Gertie,« schlug ihr Gatte nach dem zwanzigsten Ladenbesuch vor, »wir schließen einen Kompromiss. Ich bin bereit, wenn du damit einverstanden bist, ein Mädchen mit einem Hund zu nehmen.«

»Als ob das ein Kompromiss wäre,« versetzte Gertrude kämpferisch; »dann würdest du trotzdem deinen Willen haben.«

»Was würdest du statt dessen vorschlagen?« erkundigte er sich erschöpft.

»Also,« sagte sie, »ich – ich – würde einen Hund mit einem Mädchen vorschlagen.«

»Gut, Liebling. Triff du deine Wahl, ich muss noch schnell 'rüber zu Brentano's Ein Buchladen in New York. Das Unternehmen existiert als Ladenkette bis heute.. In einer Viertelstunde bin ich wieder da.«

Nachdem er seine Besorgung gemacht hatte, kehrte er zurück und traf seine Frau mit strahlendem Gesicht an der Tür. Sie bekundete große Freude, ihn zu sehen, und sprach lebhaft über alles Mögliche unter der Sonne. Als sie anderthalb Stunden später nach Hause kamen, sah sich Aleck mit sechs Hundeköpfen in einem Rahmen konfrontiert.

»Aber wo ist das Mädchen, Gertie?« rief er, zu vergnügt um sich zu ärgern.

»Also wirklich, Aleck,« erwiderte sie, schmeichelnd seinen Arm nehmend und ihm in die Augen schauend, »findest du nicht, dass Hunde bedeutend netter sind?«

»Nun ja, mein Liebling,« stieß er lachend hervor, »wenn sie gut diszipliniert sind, glaube ich fast, dass sie es sind.«

»Das glaube ich auch; aber weißt du, das ist genau das Schlimme mit Mädchen; sie lassen sich nicht disziplinieren.«

»Da bist du ganz sicher?«

Hier trat ein herausforderndes Glitzern in ihre Augen, in dem ein Funke des Vergnügens lauerte.

»Solltest du bei dem Thema irgend einen Zweifel haben, dann kannst du ja einen Versuch anstellen,« sagte sie mit humorvollem Trotz.

»Nein, dein Wort reicht mir, Liebling. Du wirst es am Besten wissen.«

»Aber jetz' 'mal ehrlich: findest du diese Hunde nicht süß, Aleck?«

»Na ja, das könnt' ich g'rad nicht behaupten; aber ich werd' mich bestimmt nach einer Weile an sie gewöhnen.«

»Also, Aleck, das ist jetzt absolut schrecklich von dir, so 'was zu sagen. Das sagst du nur, um mich fertig zu machen.«

»Nun, Liebling, um ehrlich zu sein, ich glaube, ich fange schon an, das Bild immer mehr zu mögen, je öfter ich es anschaue. Weißt du, man kann nie gleich beim ersten Mal sagen, ob einem ein Bild gefällt. Man muss mit ihm leben.«

»Ja, genau. Das hab' ich schon immer gesagt. Und meinst du nicht, dass Collie Calypso t o t a l schön ist?«

»Ja, sie ist wirklich sehr hübsch. So treue Augen, und eine so ernste Würde in ihrem Gesichtsausdruck!«

»Also, Aleck, das ist jetzt a b s o l u t bezaubernd. Ich wusste ja, dass du mir am Ende zustimmen würdest.«

Zehn Minuten wurde diese Diskussion mit Schmeicheleien und spielerischen Drohungen fortgeführt, bis Aleck dazu verführt war zuzugeben, dass alle sechs Hunde Schönheiten waren und dass er sie alle mochte – ja, sie sogar lieber hatte als Mädchen.

Gertrude freilich wurde es nach dem ersten Siegesrausch langsam unbehaglich. Die Vollständigkeit ihres Sieges machte sie besorgt. Dunkle Regungen von Großzügigkeit keimten in ihr auf. Als das Abendessen beendet war und und Aleck sich in sein Arbeitszimmer zum Rauchen zurückgezogen hatte, ertrug sie tapfer seine verhasste Pfeife (die er seit Obeds Geburt aus wirtschaftlichen Gründen angeschafft hatte) und setzte sich auf seinen Schoß. Sie bestand darauf, dass er weiter rauchte, erklärte, dass sie sich jetzt an seine Pfeife gewöhnt habe, und verwirrte ihn durch ihre Liebenswürdigkeit und ihre großherzigen Angebote.

»Aleck, du armer Junge,« sagte sie, »hast du schon 'mal darüber nachgedacht, dass ich nicht halb so nett zu dir bin, wie du zu mir?«

»Nein,« erklärte Aleck lachend; »wie könnt' ich auf so eine absurde Idee kommen?«

»Aber Aleck, es ist wirklich so. Du gehst immer auf mich ein, und ich tu' das bei dir nie.«

»Nein? Oh, mein Liebling, ich glaub', da liegst du ganz falsch.«

»Dann sag mir ein einziges Beispiel!«

Er grübelte ernsthaft mehrere Minuten und entdeckte endlich einen Fall; sie aber griff ihn umgehend auf und widerlegte ihn, worauf sie ihn mit bußfertiger Zärtlichkeit umarmte und ein paar Tränen vergoss. Sobald hingegen Aleck, von ihrer gefühlvollen Stimmung ermutigt, ihr ein bisschen zärtlichen Unsinn ins Ohr flüsterte und ihre Liebkosungen mit beglücktem Überschwang erwiderte, zierte sie sich plötzlich, hob ihr Gesicht von seiner Brust mit einem kleinen Stirnrunzeln schuldbewussten Trotzes und sagte im Tone gewichtiger Vorhaltung:

»Aber Aleck, hör auf, so herum schwärmen! Warum musst immer so schwärmen, wenn ich dich 'mal berühre? Du weißt, dass ich viel zu gut für dich bin; aber du bist der Einzige, den ich hab', deshalb … das verstehst du doch sicher?«

Die aus dieser Erklärung zu ziehende Schlussfolgerung war unter keinen Umständen schmeichelhaft, aber er hatte zu diesem Zeitpunkt einen Großteil dessen, was sie sagte, in einem Pickwick-Sinn The Posthumous Papers of the Pickwick Club (1836), der erste Roman von Charles Dickens, in dem die Haltung des humorvollen Vergebens gegenüber menschlichen Schwächen eine zentrale Rolle spielt. zu deuten gelernt. Denn seine Liebe zu ihr umfing jedes ihrer Worte und Taten mit einem warm strahlenden Licht und verlieh ihnen unwiderstehlichen Charme.

»Im Grunde ist sie treu und gut,« sagte er zu sich, wenn dies einer besonderen Bestätigung bedurfte; »und ich würde sie nicht anders haben wollen.«

Und dieses Vertrauen auf ihre grundlegende Güte wurde durch das gegenwärtige Beispiel nicht enttäuscht. Als sich Gertrude am Morgen nach dem Radierungsausflug aus dem Schlummer erhob und ihre Augen auf die sechs ernsten Gesichter der Hunde des Herzogs von Buccleugh trafen, wurde sie fast genauso ernst wie diese. Sie konnte den geheimnisvollen Wandel, den sie durchgemacht hatten, nicht begreifen; sie hatten über Nacht jeglichen Hauch von Schönheit eingebüßt. Am nächsten Tag bildeten sie bereits ein Ärgernis, und am dritten schließlich eine Heimsuchung. Ihre ernsten vorwurfsvollen Augen folgten ihr, wohin sie ging. Sie vermochte sie nicht länger zu ertragen. Ohne Aleck in Kenntnis zu setzen, zog sie ihr Straßenkostüm an, suchte den Händler auf und tauschte ihre Hunde gegen eines von Boughtons George Henry Boughton (1833-1905), angloamerikanischer Landschafter und Genremaler. altenglischen Mädchenbildern, und zwar das hübscheste, das sie finden konnte.

Als Aleck abends nach Hause kam, gab es einen geistreichen Wettbewerb der Großherzigkeit, der in einer kleinen Szene streng vertraulicher Natur endete:

»Lehre nur und lenk' mich,
      Liebster Mann,
All dein Denken denk' ich
      auch fortan.« Robert Browning, A Woman's Last Word, Nr. VII. – Hier in der Übersetzung von Edmund Ruete (Ausgewählte Gedichte von Robert Browning. Bremen 1894. S. 101.)

»Aber,« rief Aleck, der in seiner Großzügigkeit nicht ausgestochen werden wollte, »du hättest wenigstens ein oder zwei von den Hunden behalten sollen, dafür dass ich mein Mädchen bekommen habe.«

»Nein, Aleck,« antwortete sie scheinbar ernsthaft, »für sechs Hunde kannst du nicht mehr als ein Mädchen erwarten. Ich würde sagen, das war ein gerechter Gegenwert.«

   

Im Leben dieser zärtlichen Tändler gab es natürlich auch eine ernstere Seite, als diese spielerischen Scharmützel zum Ausdruck bringen. Aleck hatte nie ganz seine literarischen Bestrebungen aufgegeben, und obwohl er mit Nachteilen aller Art zu kämpfen hatte, sah er einen Funken Hoffnung beständig auf seinem Pfad tanzen, der ihn zu frischen Anstrengungen lockte. Verschiedene seiner Gedichte fanden ihren Weg in die Zeitschriften und wurden von einem einzigen freundlichen Kritiker, dem Aleck zu Zeiten seines Wohlstandes einst 20 $ geliehen hatte, außergewöhnlich gelobt. Es war schon seltsam, dachte er, welchen Weg dieser Schuldner wählte, mit ihm abzurechnen. Wenn er ihn mit aller Macht verrissen hätte, wäre er weniger überrascht gewesen.

Für Gertrude dagegen waren diese Lobestropfen äußerst süß. Sie behielt die Zeitungsausschnitte in ihrem Nähkästchen (in dem sie auch ihre Börse und alles Sonstige aufbewahrte, nur nicht das, was dort hinein gehört hätte) und las sie halb mechanisch für sich, wenn sie ihr jüngstes Kind fütterte. Sie hatte nie den Eindruck gehabt, als könne Aleck ein bedeutender Mann sein – ein bedeutender Mann in Verkleidung, wie sie es vor sich selbst nannte. Aber wenn die Welt meinte, dass sie in seiner Einschätzung Unrecht hatte, war sie durchaus bereit, sich überzeugen zu lassen. Sie hoffte sogar leidenschaftlich, sowohl ihretwegen als auch um seinetwillen, dass er als Schriftsteller Ruhm erlangte, und möglichst noch, solange sie beide jung genug wären, ihn zu genießen.

Mit jedem Monat und jedem Jahr, das verging, nahm ihre Ungeduld zu, bis sie eines Tages auf einen Zeitungsartikel stieß, der sich darüber ausließ, dass literarischer Ruhm selten in der Jugend errungen werde und dass Thackeray, George Eliot und Balzac bereits auf die vierzig zugingen, ehe sie aus dem Dunkel hervor traten. Sie schnitt diesen Artikel aus und legte ihn in ihr Taschenbuch; und immer wenn ihr das Herz schwer wurde, nahm sie ihn heraus und verfolgte tapfer die Ähnlichkeiten zwischen den Lebensumständen ihres Ehemannes und denen der großen Autoren. Und wenn er dann einmal einen kleinen Erfolg verbuchte, sah sie in diesem ein Versprechen, dass all ihre sehnsüchtigen Träume erfüllt würden.

Eines Tages las Aleck zufällig einen Aufsatz von Edmund Clarence Stedman Edmund Clarence Stedman (1833-1908), zur Zeit des Romangeschehens einer der einflussreichsten amerikanischer Dichter und Literaturkritiker., in dem die Überzeugung Ausdruck fand, dass das gegenwärtige Zeitalter eher Romane als Versepen erfordere und dass man in einer Periode des Übergangs lebe, in der die Poesie in den Hintergrund trete. Poesie sei nicht mehr die Hauptschlagader, in der die intellektuelle Lebenskraft des Jahrhunderts pulsiere. –

Diese Feststellung machte ihn überaus betroffen und veranlasste sogleich eine innere Selbsterkundung. War er ein Dichter von Gottes Gnaden – jemand, dem eine pathetisch-rhythmische Ausdrucksform naturgemäß und zwingend war? Bedrängte ihn nicht eher eine dunkle schöpferische Sehnsucht, die nach irgendeiner Form des Ausdrucks verlangte und die poetische nur gewählt hatte, weil sie die würdigste und befriedigendste schien? Wäre es nicht der Mühe wert, einen Versuch in Prosa zu unternehmen, wenn der Lohn der Schriftstellerei in dieser Richtung lag?

Bald trat ihm der Entwurf für eine Kurzgeschichte vor das innere Auge, und es kostete ihn drei schlaflose Nächte, sie in allen Einzelheiten zusammenhängend auszuarbeiten. Er teilte Gertrude nichts davon mit, bis sie vollendet und von einer der führenden Zeitschriften angenommen war. Es handelte sich um eine Episode aus dem politischen Leben, die er in seiner Jugend selbst miterlebt hatte, verknüpft mit einer realistischen ländlichen Liebesgeschichte. Dieses Werk hatte etwas stark Anrührendes und wies einige großartige Formulierungen auf. Für die durch sie verursachte kleine Aufregung war ihr der Autor sehr dankbar, denn sie öffnete ihm den Weg zu den Zeitschriften und stimulierte seinen Ehrgeiz.

Auf Drängen seiner Frau begann er einen ausgewachsenen Roman mit dem Titel »Der Pferdefuß«, der im Verlauf von anderthalb Jahren zu einem so vereinnahmenden Gegenstand wurde, dass er die Hälfte des tatsächlichen Lebens um die Familie herum in Anspruch nahm. Wenn Aleck nach Hause kam von der Schule, wo er in seinem privaten Arbeitszimmer schrieb, lautete Gertrudes erste Frage: »Wie geht's deinem Pferdefuß?« Dann folgte eine lebhafte Diskussion über das Schicksal des Helden und die Reden und Taten der Heldin, dann wurde deren Bekleidung der Kritik unterzogen, wobei, auf Seiten der Dame, die Toiletten, die Aleck sich ausgedacht hatte, unerbittlicher Spott traf.

Der kleine Obed, der seinem Vater zur Seite saß und der Unterhaltung zuhörte, erregte viel Heiterkeit durch seine unschuldigen Fragen zu diesen fiktiven Personen, an deren Realität er fest glaubte. Er hörte den Satz: »Wie geht's deinem Pferdefuß?« so oft, dass er ihn für einen ganz normalen Gruß hielt, und wenn Mrs. Tuthill seine Mutter besuchte, erschreckte er (nach langem Zureden, doch höflich zu sein) die Dame, indem er sagte: »Wie geht es Ihnen? Und wie geht's Ihrem Pferdefuß?«

Unter den vielen Plänen, deren Verwirklichung vom Erfolg des Romans ihres Mannes abhing, hegte Gertrude einen mit sehnlichsten Vorgefühlen. Sie wollte ein eigenes Haus. Ihre schlechte Laune, die immer wiederkehrte, wenn auch in längeren Abständen als früher, führte sie auf die Unbequemlichkeiten zurück, die mit dem Leben in einem Apartmenthaus zusammenhingen. Wenn die Dampfheizung um fünf Uhr am Morgen mit einem Radau wie einer anhaltenden Gewehrsalve begann und alle uneinsichtigen Triebe im Menschen aufjagte, dann behauptete sie, dass es stärkere Nerven erfordere als sie besitze, den Tag über eine ausgeglichene Laune zu bewahren. Wenn die fröstelnden alten Jungfern im obersten Stock eine Temperatur von sechundzwanzig Grad verlangten und die Leitungen, indem sie durch die niedrigeren Etagen führten, diese Wohnungen auf dieselbe Temperatur brachten, schien es, als werde dem Dasein eine unnötige Last hinzugefügt und ein wenig Gotteslästerung müsse entschuldbar sein. Diese Erleichterung indes war Gertrude verwehrt. Sie musste ihr Kreuz schweigend tragen. Aber es führte bei ihr zu Depressionen.

Hausfrauliche Sparsamkeit gehörte nicht zu ihren Tugenden; und alles war mit dem Haushalt zu tun hatte, ärgerte sie und regte sie auf. Sie dachte, wenn sie ein eigenes Haus hätte, wäre es mit all diesen Plagen vorbei. Bedienstete hatten etwas gegen Etagenwohnungen, aus einleuchtenden Gründen; aber wenn man ihnen uneingeschränkte Herrschaft in einem Haus gab, machten sie bei weitem weniger Ärger, wie sie gehört hatte. Sie war sehr darauf aus, diesen Versuch anzustellen.

Eine Plage, die Aleck zu Beginn ihres Ehelebens befürchtet hatte, war ihnen glücklicher Weise erspart geblieben. Gertrudes Mutter, die Comtesse Karlowitz, wie sie sich nannte, starb etwa sechs Monate nach dem Besuch ihrer Tochter bei ihr und wurde auf Alecks Kosten bestattet. Comte Karlowitz stand, wie sich herausstellte, in Verbindung mit einer Fälscherbande, und da er selbst ins Visier der Polizei geraten war, hatte er sich mit unbekanntem Ziel davon gemacht. Seine wechselvolle pittoreske Geschichte wurde mit allerlei Photographien in der Sunday World veröffentlicht. Aleck las sie mit bebendem Herzen und gratulierte sich, dass es einige Fakten gab, die dem Reporter entgangen waren. Der Name Larkin wurde in dem Artikel nicht erwähnt.



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