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XXXVII.
Vorausgehende Vorbereitungen.

Kate Van Schaak betrieb ihren Feldzug auf der Basis der Abnutzungsstrategie. Sie lehnte zwar die formelle Mitteilung von Verlobungen ab, hielt aber gelassen und entschlossen an ihrem Ziel fest, ließ es dann und wann mit eleganter, entschiedener Betonung verlauten und hielt den täglichen Böen von Missgelauntheit, die über sie hinweg fegten, mit bewundernswertem Gleichmut stand. Sie hörte sich bitterste Vorwürfe an, ohne dass Zorn in ihr aufstieg; sie machte umsichtig Zugeständnisse, wenn manchmal die Kritik an ihrem fiancé der Wahrheit nahe kam; und allmählich gewöhnte sie ihre Eltern an das Unvermeidliche, indem sie dafür sorgte, dass deren Geduld sich in nutzlosem Widerstand erschöpfte.

Die vier Sommermonate wurden wie gewöhnlich in Newport verbracht, wo die Van Schaaks ein bezauberndes Landhaus besaßen. Horace, der sich sehr darauf gefreut hatte, einen Teil seines Urlaubs in der alten Stadt am Meer zu verbringen, wurde in seiner Begeisterung erheblich abgekühlt, als Kate von ihm verlangte, sich bis zu ihrer Rückkehr nach New York ihr nicht zu nähern. Wenn eine andere als Kate einen solchen Wunsch an ihn gerichtet hätte, würde er Intrigen und Liebeleien vermutet haben, bei denen er nicht stören sollte; aber Kate, mit ihren klaren braunen Augen und sanften Brauen, war so weit über solche Dinge erhaben, dass sie des Bedenkens unwert schienen.

Ein anderer Verdacht dagegen drängte sich von selbst auf und war nicht so leicht abzuweisen – schämte sie sich seiner vielleicht ein bisschen, und war sie deshalb nicht bereit, ihn in ihrer Nähe zu dulden, bevor sie das Recht erworben hatte, seine Erscheinung entsprechend ihrem Geschmack nachzubessern? Falls dies der Fall wäre, hätte Horace große Lust gehabt, ihr unangekündigt ins Haus zu schneien, um ihre Wertschätzung für ihn auf die Probe zu stellen. Bei näherer Betrachtung dieses Vorhabens jedoch begriff er ihre eindrucksvolle Persönlichkeit: mit ihr durfte man keine Spielchen treiben; und es barg extreme Unabwägbarkeiten, sie mit unerfreulichen Überraschungen zu konfrontieren.

So geschah es, dass Horace den größeren Teil des Sommers trostlos in Torryville zubrachte. Er teilte seine Absicht, Miss Van Schaak zu heiraten, seinem Onkel mit und war etwas enttäuscht über die Haltung, mit der der alte Herr die Ankündigung aufnahm.

»Na gut, du hattest bei allem immer ganz schön deine eigene Tour,« sagte er, nachdenklich seine Lippen kräuselnd; »aber merk dir meine Worte: sie ist nicht die Sorte Mädel, mit der man leicht am gleichen Strang zieht.«

»Ich versteh' nicht, was du meinst, Onkel,« rief sein Neffe.

»Das war mir klar,« sagte Mr. Larkin mit seinem gerissenen Grinsen, »aber nach und nach wirst du's.«

»Ich wünschte, du würdest es mir jetzt sagen.«

»Also gut: sie ist nicht eingeritten, weder für den Sattel noch für die Zügel,« bemerkte der alte Herr unter Beibehaltung seines Pferdegrinsens.

»Aber man kann doch Mädels nicht wie ein Pferd einreiten, Onkel?!«

»Wirklich nicht? Nun, alles was ich sagen will, is': wenn du's nicht tust, wirst du deshalb nach und nach Kummer kriegen. Dann wirst du's versuchen, wenn's schon zu spät is'. Und dann is' das Spiel aus. Leb wohl, John! Is' nich' nett, sein eigner Anwalt in 'nem Scheidungsfall zu sein.«

»Aber, Onkel, jetzt 'mal Scherz beiseite: warum sagst du mir nicht einfach, was du gegen Kate Van Schaak hast?«

»Du lieber Himmel! ich hab' ja gar nix gegen sie. Sie kommt mir nur ziemlich aufgeblasen vor. Und ich sollte nix von Frau'n versteh'n, wenn die nicht zu der hartgaumigen Sorte gehört, die schwer aufzuzäumen ist; gut im Trab, wenn man sie in Gang gebracht hat, aber verdammt schwer in Gang zu bringen.«

Wenn Horace Sentimentalität auch fern lag, konnte er solchen respektlosen Reden über die Frau, auf die er seinen Namen übertragen würde, nichts abgewinnen. Wenn es nicht sein Onkel gewesen wäre, der sich so geäußert hatte, würde er ihm gegenüber seinem Unmut unmissverständlich Luft gemacht haben. Aber das ist der Nachteil, wenn man ein testamentarisch Begünstigter ist: man genießt nicht den Luxus uneingeschränkter Aufrichtigkeit.

Unter allen Beschwerden des langen heißen Sommers, die Horace zum Teil vorausgesehen hatte, fehlte glücklicher Weise eine. Reverend Mr. Robbins hatte in Folge der jüngst eingetretenen schweren Krankheit seiner Tochter Urlaub genommen und war mit seinem ganzen Stamm in die Adirondack-Wildnis Die Adirondacks sind ein Gebirge im nordöstlichen Teil des US-Bundesstaates New York; der höchste Gipfel, Mount Marcy, misst 1626 Meter. gezogen. Es hieß, dass Bellas Lungen in Mitleidenschaft gezogen seien und dass sie schon mehrere Blutungen gehabt habe. Andere erklärten, sie leide an Nervenschwäche und Hysterie. Aber was es auch sein mochte, Horace war von der unerfreulichen Unvermeidlichkeit des Zusammentreffens mit Mr. Robbins und seinen Nagetieren auf dem Postamt oder auf der Straße befreit, und dafür war er gebührend dankbar.

Er besaß außerdem eine Quelle des Trostes, die bei Liebhabern in seiner Lage viele Leiden lindert. Jede Woche trafen Briefe von Kate mit schöner Regelmäßigkeit ein. Sie verrieten keinerlei Überschwang, waren aber ordentlich und ansprechend geschrieben, enthielten ebenso weise wie konservative Kommentare zu der sie umgebenden Gesellschaft, zu Bällen, Segelwettkämpfen und -niederlagen, und gelegentlich Anspielungen auf ihre bevorstehende Hochzeit. Von letzterem abgesehen gab es nichts, weder von der Sache noch von der Darstellung her, was nicht zur Veröffentlichung geeignet gewesen wäre.

Was Horace in diesen Briefen vermisste (und dies manchmal heftig), war die persönliche Note, der Ton von Vertrauen und Hingabe. Den angemessenen Ton sogenannter Liebesbriefe kannte er zwar nicht aus eigener Erfahrung; er war aber zu der Annahme gelangt, dass er sich ganz anders anhören müsse als die stets bloß vernünftige Kameradschaftlichkeit, die jene an ihn adressierten Briefe charakterisierte. Es schien ihm, wenngleich seine Gefühlsbedürfnisse sich stark in Grenzen hielten, dass sie beide mit einem Fehlstart begonnen hätten; denn die Aufsätze zur Zeitgeschichte, die ihm Kate jeden Sonnabend zuschickte, zwangen in irgendwie zu Antworten in Form philosophischer und soziologischer Abhandlungen. Ich muss zugeben, dass einige davon ziemlich brillant gerieten und sogar einen Platz in einem der führenden Magazine verdient gehabt hätten. Er war sich natürlich bewusst, dass es sein Verstand war, der ihm ihre Wertschätzung sicherte, und unterließ daher nicht, dessen Stärke auszuspielen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Allerdings konnte er nicht so tun, als gefiele ihm dieses Erfordernis, oder als entspräche es dem, was er als richtig empfunden hätte, aber er sah keinen Weg, dem abzuhelfen, und fügte sich daher.

Die Politik befand sich im ersten Teil des Sommers in einem Stadium der Stagnation. Mitte August indes starb der ehrenwerte Reuben Studebaker, der den Landkreis im Senat des Bundesstaates für ein Vierteljahrhundert vertreten hatte, an der Brightschen Krankheit Die akute oder chronische Nierenentzündung mit Proteinurie und Hämaturie sowie u. U. auch Hypertonie und Ödemen wird vor allem in der englischsprachigen Literatur zu Ehren des britischen Arztes und Nephrologen Richard Bright (1789-1858) als Bright's disease bezeichnet. Der Name Bright-Krankheit oder Brightsche Krankheit ist im deutschen Sprachraum dagegen kaum noch verbreitet. und hinterließ seine senatorischen Schuhe als Ziel munteren Wettbewerbs. Der Ehrenwerte Reuben war kein Einwohner von Torryville gewesen; aber von Mr. Dallas und seinen Kollegen wurde der Anspruch erhoben, dass aus einer Art traditioneller Rotationsregel die Nachfolge rechtmäßig an seine Gemeinde zu fallen habe, von der Torryville den Mittelpunkt und die hauptsächliche Zierde bildete.

Mr. Studebaker, das wurde freimütig bestätigt, war kein vorbildlicher Abgeordneter, da er in jede Bestechung verwickelt gewesen war, die sich in der Legislative seit seinem Eintritt in die Politik ereignet hatte. Aber er hatte es geschafft, sich bei seiner Wählerschaft in Gunst zu halten, indem er für deren Gebiet eine Zweigstelle des Irrenhauses, Verbesserungen der Kanalisation und andere Begünstigungen erwirkt hatte sowie profitable Aufträge auf Kosten der Steuerzahler für bedeutende Bürger der Stadt. Er hatte sich als Vorkämpfer ländlicher Schlichtheit und Tugend im Gegensatz zur zügellosen Lasterhaftigkeit von New York aufgespielt und sich zusätzliches Prestige gesichert, indem er bei jedem Angriff auf das Schatzamt der Metropole die Führung übernahm.

Es war natürlich schwierig, einen würdigen und fähigen Nachfolger für einen so nützlichen Repräsentanten zu finden, und die Presse sowie die öffentliche Meinung schlugen lange Zeit hohe Wellen, bevor man zu einer Entscheidung kam. Da entdeckten die republikanischen Zeitungen mit fabelhafter Einhelligkeit, dass der Ehrenwerte Horace Larkin der Mann sei, der durch Talent, Charakter und seinen unübersehbaren Dienst an der Öffentlichkeit bestimmt sei, den Platz des seligen Senators einzunehmen.

Die demokratischen Journale erhoben vergeblich Anklagen wegen Bestechung und Korruption und wiesen darauf hin, dass die republikanischen Zeitungsherausgeber nur Marionetten des Ehrenwerten Obed als des Inhabers von Aktien ihrer Zeitungen seien. Wie immer es sich damit auch verhalten mochte: Horace zeichnete sich als Mann der Stunde ab, wurde von der Parteiversammlung nominiert und innerhalb der obligatorischen Zeit gewählt.

Bevor jedoch dieser verheißungsvolle Vorgang abgeschlossen war, beanspruchte noch ein weiteres, kaum weniger wichtiges Unternehmen die Aufmerksamkeit des Kandidaten. Ursprünglich hatte er vorgehabt, ein Haus auf dem Hügel, das seinem Onkel gehörte, zu mieten und es in geeigneter Weise zum Empfang seiner Braut herrichten zu lassen. Aber als er sich an den unerreichbaren Glanz ihrer gegenwärtigen Umgebung erinnerte, sank ihm der Mut. Er konnte es sich nicht leisten, ärmlich vor ihr zu erscheinen. Möbel in Kirsch- oder schwarzem Nussholz, Morris-Tapeten Das Multitalent William Morris (1834-1896) war ein britischer Maler, Architekt, Dichter, Kunstgewerbler, Ingenieur und Drucker, weiterhin einer der Gründer der Arts and Crafts Movement und früher Begründer der sozialistischen Bewegung in Großbritannien. Er ist u.a. einer der Pioniere der Fantasy-Literatur ( The Well at the World's End erschien auf Deutsch 1981 als »Die Quelle am Ende der Welt«). Die Design-Firma Morris & Co. wurde 1861 gegründet; der erste Tapetenentwurf von Morris erschien 1864. Die Firma besteht bis heute. und Axminster-Teppiche, was bisher für ihn den Höhepunkt an Pracht dargestellt hatte, waren seit seinem Dinner in Gramercy Park zu unerträglicher Alltäglichkeit abgesunken; das alles drückte nur das nutzlose Streben aus, sich über bloß respektable Schäbigkeit zu erheben. Da er nun den Vogel Phönix gefangen hatte, oblag ihm die ehrenvolle Pflicht, den Käfig angemessen auszustatten.

Nachdem er gebührend Mittel und Wege erwogen hatte, brachte er die Angelegenheit vor seinem Onkel zur Sprache und erbat seinen Rat. Sie führten ein langwieriges, ernstes Gespräch, das nur deshalb nicht hitzig wurde, weil sie füreinander tiefen Respekt unterhielten. Der alte Mr. Larkin missbilligte eindringlich Horace' Vorhaben, auf einem Grundstück halbwegs den Hügel hinauf, das ihm gehörte, ein feines Haus zu errichten, bot ihm aber zuletzt ein Darlehen von 25 000 $ an.

Und so wurde umgehend ein Architekt engagiert, Pläne wurden unterbreitet, und vor Ende Juli war das Grundstück in Angriff genommen und der Grundstein gelegt. Ein halbes Dutzend Pläne, alle ehrgeizigen Stils, wurden Kate vorgelegt, und sie machte unverzüglich ihre Vorlieben deutlich. Die kühle Art indes, mit der sie auf sein Unternehmen einging, das für ihn eine Angelegenheit von höchstem Lebensinteresse darstellte, enttäuschte und verletzte ihn. Hatte er nicht nur ihretwegen sein Kapital aus guten Investitionen zurückgezogen und Dreiviertel davon in ein Haus gesteckt, dass ihrem Geschmack entsprechen sollte, nicht seinem? War er nicht das Risiko eingegangen, das Wohlwollen seines Onkels zu verlieren, indem er für ihr Leben einen Rahmen anstrebte, der dem genügsamen Millionär einfach absurd erschien?

Und auf diese Opfer antwortete sie nur mit dem sachlichen Vorschlag, dass sie in ihren Privaträumen sehr tiefe Schränke verlange und das Marmorbad so eingerichtet haben wolle, dass sie in dieses hinuntersteigen könne, anstatt hineinsteigen zu müssen. Es gab eine Fülle anderer Spezialwünsche im Hinblick auf Licht, Luft und Lotgerechtheit, dabei jedoch kein Wort des Dankes oder der Zuneigung. Sie war wenigstens ehrlich, dachte Horace verbittert, und dabei bezaubernd beständig.

Er hatte die Prosa des Lebens verherrlicht und seine Poesie verschmäht; nun hatte das Leben ihn beim Wort genommen. Denn dies war nun Prosa ohne jeden Abstrich.



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