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XXXIV.
Der Rabe speist mit dem Pfau.

In der Fabel von Äsop streiten sich die beiden über die besseren Eigenschaften, wobei der Pfau auf die Schönheit seines Federkleids verweist, während der Rabe einwendet, dass dies zur Hauptsache nichts nütze, nämlich zum Fliegen, woraufhin er sich – den Pfau beschämt zurück lassend – in die Lüfte erhebt.

Die Van Schaaks dinierten stets feierlich. Sie trafen daher selten besondere Vorbereitungen für Gäste, außer um etwa eine Extramenge von Blumen zu bestellen; denn ihr chef war in seinem Fach eine Eminenz und produzierte täglich kulinarische chefs d'?uvre. Der alte Mr. Van Schaak betrachtete das Dinieren als eine der feinsten Künste und erlitt als Strafe für seine gastronomische Hingabe regelmäßig heftige Gichtanfälle. Er lernte indes nichts dazu, sondern gab nach einigen vergeblichen Bemühungen wieder auf. Sumpfschildkröte, Tafelente, scharf gewürzte patés von komplizierter, gefährlicher Zusammensetzung waren für ihn, was die Welt, das Fleisch und der Teufel für diejenigen Menschen sind, deren Empfänglichkeit die normale Richtung einschlägt. Er zog sich mit äußerster Sorgfalt an und verwendete auf seine Toilette so viel Zeit, als sei er eine regierende Schönheit. Eine frische Rosenknospe durfte am Revers seiner Jacke nie fehlen. Die Krümmung seiner Hutkrempe entsprach immer dem letzten, vorschriftsmäßigen Geschmack. Er maß 1,75 Meter und war ›vollschlank‹; Gang und Haltung wirkten reichlich pompös, doch wie jeder Mann, der sich von Kleinigkeiten in Anspruch nehmen lässt, war er pingelig und leicht irritierbar. Seinen gepflegten, runden Kopf, der oben etwas flach wurde, bedeckte graues, noch ziemlich gut erhaltenes Lockenhaar; und sein fettes, ernstes Gesicht trug einen besonders feinen Haarschmuck in Gestalt eines gleichfalls grauen Schnurrbarts mit sorgfältig aufgezwirbelten Spitzen.

Kate, die einen Charakter gut zu beurteilen verstand, bildete sich nicht ein, dass diese rosarote Inkarnation des Knickerbocker-Anstands den von ihr zum Abendessen eingeladenen Herrn aus Torryville besonders gut würde leiden können. Sie hatte ihre Beweggründe in einiger Länge erläutern müssen und dabei unter anderem mit Dringlichkeit auf den Reichtum und die Wichtigkeit der Familie Larkin verwiesen sowie auf ihre Pflicht, sich für die ihr während ihres Besuchs bei ihrem Onkel gezollten Aufmerksamkeiten zu revanchieren.

Als Horace am Abend eintraf, fand sich Mr. Van Schaak daher mit seiner Anwesenheit ab, obwohl er es lästig fand, mit unbekannten Leuten fragwürdiger Herkunft zu dinieren. Dass sein Gast zudem noch Abgeordneter war, machte ihn für den alten Herrn besonders widerwärtig; und als Horace mit seiner üblichen sans- cérémonie-Miene eingetreten war und nach der Vorstellung seine Hand mit ländlicher Herzlichkeit geschüttelt hatte, zog sich Mr. Van Schaak wie eine Schildkröte in seinen Panzer zurück und verhielt sich nur mehr widerstrebend höflich.

Mrs. Van Schaak, deren Blick auf die Welt sich nicht bedeutend von der ihres Gatten unterschied, erkundigte sich scheinbar interessiert nach Geographie, Klima und Produkten von Torryville, als ob es sich um ein fremdes Land handle, und fragte ihn, wann er »in den Westen« zurückzukehren beabsichtige. Sie war eine große, stattliche Dame von etwa fünfzig Jahren mit grauen Haarrollen, einem plumpen Gesicht und einer etwas ausgeprägten Nase, dazu mit einem Blick verachtungsvoller Verwöhntheit. Sie war hübsch, sah aber aus, als könne sie privat unangenehm werden. Auf Horace wirkte sie höchst bedrückend, und er empfand ein anhaltendes Verlangen in den Spiegel zu schauen, ob irgend etwas mit seinem Anzug nicht stimme.

Es brachte ihm große Erleichterung, als Adrian Van Schaak, Jr., mit seiner Frau eintraf, und die Konversation schoss wie eine lodernde Flamme aus der Asche. Dies lag allerdings nicht an dem ziemlich bornierten, behäbigen jungen Mann selbst, sondern an der lebhaften kleinen Dame, der er seinen Namen geschenkt hatte. Sie kümmerte sich nach Meinung der Älteren einen feuchten Kehricht um die Familienwürde und ließ, entschlossen sich zu amüsieren, alle weiteren Bedenklichkeiten links liegen. Horace stellte sie zehn Fragen, ehe er Zeit hatte, auch nur eine zu beantworten; sie erklärte, unter dem Eindruck, er stamme aus einer weit entfernten Gegend, dass »der Westen« ja so schrecklich lustig sei, und vertraute ihm nach fünf Minuten an, dass sie die Ostküstengesellschaft fürchterlich schwerfällig fand. Es stellte sich sogleich heraus, dass sie die Tochter eines dieser großen kalifornischen Millionäre war, den der drohende Zorn der Arbeiter in die Flucht geschlagen hatte, als Kearney Denis Kearney (1847-1907), irisch-stämmiger kalifornischer Arbeiterführer, der in seine antikapitalistische Demagogie auch rassistische Moment (gegen die Immigration von Chinesen) einfließen ließ. Die » Sand-Lotters« waren seit 1877 seine Anhängerschaft, benannt nach dem Versammlungsort, einem großen Sandhaufen gegenüber der Stadthalle in San Francisco. Als die kalifornische Wirtschaft seit den frühen 1880er Jahre sich stabilisierte, verschwand Kearney von der politischen Bildfläche. Die drohende Übernahme des Bundesstaates war ausgeblieben. und die Sand-Lotters auf gesetzliche Art die Kontrolle über den Bundesstaat zu gewinnen schienen. Sie trug Diamanten, die nur anzuschauen eine Frau hätte krank machen können, wenn sie nicht zugleich die Knochigkeit ihres Nackens und ihrer Schultern getröstet hätte. Sie war nicht hübsch, betrug sich aber, als halte sie sich dafür. Ihr Gesichtsausdruck nach jeder ihrer waghalsigen Reden bettelte um Applaus, und wenn er ausblieb, war sie beleidigt.

»Ich hoffe, Sie werden mich 'mal zum Abendessen ausführen, Mr. Harkness,« sagte sie zu Horace, sobald sie festgestellt hatte, dass er die Gabe der Rede besaß; »wissen Sie, mein Schwiegervater schulmeistert mich immer wegen meines fehlerhaften Verhaltens, wo er nur kann. Und ich mag das nicht, verstehn Sie?«

»Ihr Schwiegervater muss sehr schwer zufrieden zu stellen sein, wenn er an Ihnen etwas zu kritisieren findet,« sagte Horace mit artiger Verlogenheit. Er glaubte ehrlich, dass Wahrheit nur unter Männern existiere, und dass Aufrichtigkeit, wenn man sie Frauen gegenüber ausübe, die Zivilisation zu Schanden machen würde.

»Da! habe ich's nicht gesagt?« schrie Mrs. Van Schaak lebhaft; »das werd' ich ihm erzählen, so wahr Sie leben! Ich hatte immer den Verdacht, dass ich als Frau verkannt werde, und wenn eine so bedeutende Autorität sie Sie mir beipflichtet – dann ist ja alles klar!«

Ein großer blonder Herr mit englischem Backenbart und einer kahlen Stelle auf dem Oberkopf verbeugte sich an dieser Stelle vor der Gastgeberin und wurde Horace als Mr. Suydam vorgestellt. Mrs. Van Schaak, Jr., fügte sotto voce hinzu, er sei immens reich. Er hatte Immobilien am Broadway und der 5th Avenue geerbt, so dass sich bei ihm Millionen zu schwindelerregendem Kurs auftürmten. Er unterhielt einen Angestellten, dessen einzige Aufgabe darin bestand, Zinsscheine abzutrennen. Er war einfach wild auf Kate, und aller Voraussicht nach würde er sie früher oder später heiraten. Das alles teilte die indiskrete kleine Dame Horace in kaum einer Minute mit, während die Gesellschaft sich erhob und jeder sich auf den ihm bestimmten Partner zu bewegte.

Eine kleine Frau mittleren Alters war unterdes ganz geräuschlos aufgetaucht und wurde als Miss Terhune vorgestellt. Sie fand sich aus unliebsamer Notwendigkeit Adrian Van Schaak, Jr., zugesellt, der innerlich fluchte, äußerlich jedoch seinen Arm mit tadellosem Anstand bot. Auch Horace war geneigt, sich gegen die Vorsehung aufzulehnen, als er den verhassten Mr. Suydam mit Kate losmarschieren sah, während er die Ehre hatte, den Schluss der Prozession mit der Gastgeberin zu bilden. Zum Ausgleich hatte er freilich Kate zu seiner Rechten und im Gesicht von Mrs. Adrian, Jr., den lebhaften Ausdruck von Bedauern, seiner verlustig gegangen zu sein.

Das Esszimmer hatte palastähnliche Dimensionen. Die Wände waren in Eiche getäfelt, jede Paneele geziert mit erlesenen Schnitzereien; auch die Eichendecke trug reiches, aufwendiges Schnitzwerk. Ein Kranz reflektierender Gaslichter hing zu Häupten der Speisenden und sandte sein weiches Licht hinab. An den Fenstern gab es durch Vorhänge abtrennbare, tiefe Nischen mit gepolsterten Sitzen, die zu amourösen Vertraulichkeiten einluden.

Der Verdacht, der seit dem gestrigen Besuch in Horace aufgekeimt war, dass er ein Landei und Hinterwäldler sei und dass es eine Vielzahl von Dingen außerhalb seines Weltbildes gebe, klopfte erneut an die Tür seines Bewusstseins und verlangte Zutritt. Er war so wenig an Demut in seinem Selbstwertgefühl gewöhnt, dass dieser ständige Verdacht ihm ungemütlich wurde. Dann wiederum drang sich ihm der Gedanke auf, dass er verteufelt viel schlauer war als alle diese verweichlichten Kerle zusammen, und es juckte ihn geradezu, sich hier Geltung zu verschaffen, um ihnen den Beweis seiner Überlegenheit zu liefern.

Bis jetzt hatte absolute Langeweile den Tisch beherrscht, indem offenkundig vorbedachte, künstliche Bemerkungen nur in trägen Tropfen fielen. Mrs. Van Schaak hatte sich mit einer so nichtssagenden Zurückhaltung, dass jede Neigung seinerseits, sich von ihrem Interesse geschmeichelt zu fühlen, konterkariert worden wäre, erkundigt, wo er den Sommer zu verbringen gedenke, wo er den letzten Sommer verbracht habe und ob er nicht glaube, dass ordinäre Leute sehr langweilig seien? Mr. Van Schaak hatte, um sich beliebt zu machen, seiner Schwiegertochter ans Herz gelegt, ihr paté de foie gras in großen Gläsern statt in kleinen zu kaufen, weil letztere nun wirklich minderwertige Qualität enthielten, und er setzte gerade an zu seiner üblichen, bei jedem Essen sich wiederholenden Lektion über die Notwendigkeit, den alten plebejischen Adam in ihr, der nach Kalifornien roch, beiseite zu tun und abzutöten, und statt dessen einen neuen aristokratischen Adam von distanziertem Knickerbocker-Anstand zu kultivieren. Kate hatte mit Mr. Suydam den Junior-Patriarchs'-Ball Ein Debütanten-Ball der New Yorker High Society; er wurde seit der Saison 1885/86 jährlich von der » Society of Patriarchs«, einer nur 25 Herren der New Yorker Oberschicht umfassenden Gesellschaft, im Delmonico's, damals das feinste Retaurant der USA, veranstaltet. Der Gründer dieser Gesellschaft, Samuel Ward McAllister (1827-95), hatte die Anzahl von 400 New Yorkern namhaft gemacht, auf die es einzig ankomme. Bereits um 1890 zeichnete sich aber der Niedergang des überkommenen Patriarchentums ab. Der Übergang zu einer neuen tonangebenden Schicht, die von den Knickerbockers als »neureich« und plebejisch abgelehnt wurde, ist z.B. in einigen Romanen von Edith Wharton Thema, besonders in » The House of Mirth« (1905) und » The Age of Innocence« (1922). Der vorliegende Roman zeigt auch diesen Wandel bereits an. besprochen, und um Horace ins Gespräch zu ziehen, wiederholte sie für ihn die letzte Bemerkung jenes Herrn.

»Mr. Suydam glaubt,« sagte sie in freundlicher Gelassenheit, »dass die Junior Patriarchs' werden aufhören müssen, weil so viele anstößige Leute es schaffen, dort einzudringen.«

Horace, der nur zu gut wusste, dass er selbst von Mr. Suydams Standpunkt aus anstößig war, wollte diese Bemerkung gern als Herausforderung annehmen. Es ärgerte ihn, diesen weichlichen, aufgeblasenen Snob vertraulich mit Kate über Themen sprechen zu sehen, von denen er notgedrungen ausgeschlossen war. Er sah hier seine Chance und entschied sich zu einem Lanzengang mit Mr. Suydam.

»Wer sind diese ›anstößigen Leute‹?« fragte er, nicht laut, aber mit einem Signalton in seiner Stimme, der jeden aus seiner Teilnahmslosigkeit riss.

»Wer sie sind …« wiederholte Suydam verblüfft, »oh, das sind wohlhabende Handelsleute und Makler … und Geschöpfe, von denen niemand je zuvor gehört hat.«

»Verzeihen Sie, wenn ich neugierig erscheine,« fuhr Horace fort, »aber wer ist ›niemand‹?«

»Jetzt machen Sie mich aber ganz verlegen … ›niemand‹ ist – nun – ähem – ich bezog mich auf Leute von gehobenem gesellschaftlichen Niveau wie die Van Schaaks und die Livingstons und Ihr ergebener Diener, wenn Sie wollen.«

»Das ist aber eine ziemlich ausufernde Bescheidenheit von Ihrer Seite, möchte ich meinen. Ich hätte nie gedacht, dass Sie sich selbst als ›niemand‹ bezeichnen würden.«

Es war natürlich ein billiger Scherz, und Horace war kein bisschen stolz auf ihn. Aber in dieser dichten, schwerfälligen Atmosphäre langweiliger Anständigkeit, die den gesellschaftlichen Kreis der Van Schaaks umhüllte, hätte jede kleinste Präsentation von Witz eine Sensation verursacht. Der junge Adrian schaute auf seinen Vater und konnte sich das Lachen kaum verkneifen; aber der alte Herr, der eine solche Unbeschwertheit nicht gutheißen würde, hustete in seine Serviette und sah eher schockiert als amüsiert aus. Nur Mrs. Adrian, Jr., gab ein helles Lachen von sich, das sie plötzlich abbrach, als sie merkte, dass niemand einstimmte. Die alte Mrs. Adrian wandte Horace ihre Augen zu und starrte ihn wie eine Lokomotive an. Um die Verlegenheit zu lösen, fühlte er sich verpflichtet, etwas zu sagen.

»Es ist eine merkwürdige Tatsache,« sagte er leichthin lächelnd, »wie wenig wir bereit sind, aus der Geschichte zu lernen. Der neue Mann und die neue Nation, die die Zukunft in ihrer Tasche haben, sind immer anstößig für die ehrwürdige Aristokratie, die, wie jemand sagte, ihre Zukunft bereits hinter sich hat.«

Die Bemerkung war an die Gesellschaft im Ganzen gerichtet, aber niemand schien gesonnen, sie aufzunehmen, abgesehen von Mrs. Adrian, Jr., die fröhlich ausrief:

»Ach, jetzt werden Sie persönlich!«

Ihr Betragen war so unnachahmlich drollig, dass Kate einfach lachen musste; und sobald sie dieses Zeichen gegeben hatte, stimmten alle wie in einen Akkord mit ein. Dieser unerwartete Beifall ermutigte Mrs. Adrian.

»Ich wusste es,« sagte sie, »in dem Augenblick, als ich Sie sah, dass Sie etwas Gewichtiges in Ihren Taschen haben; aber ich ahnte nicht, dass es die Zukunft ist.«

»Darf ich Ihnen zu Ihrem Scharfblick gratulieren?« versetzte Horace lachend.

»Danke! Aber von jetzt an sollten Sie wissen, dass ich meine Augen auf Sie halte. Ich werde mir anschauen, wie die große Zukunft aus Ihren Taschen aufsteigt, wie Afrit aus der Flasche in ›Tausend und einer Nacht‹ In der orientalischen Erzählwelt verkörpert der Dschinn, hier Afrit, einen Geist, der sich gegen ranghöhere Geister auflehnt und zur Strafe in einer verschlossenen Flasche eingesperrt wird, aus der er sich nicht befreien kann. Er ist jedem Menschen zum Dienst verpflichtet, der diese Flasche öffnet und ihn befreit. – In der Sammlung der Märchen von »1001 Nacht« ist er ursprünglich gar nicht enthalten, sondern gehört zu den 14 Ergänzungen, die der französische Orientalist Antoine Galland in seine weit verbreitete Übersetzung eingefügt hat, so auch die von Aladin und der Wunderlampe. Galland ließ sie sich 1709 von dem in Paris lebenden maronitischen Christen Hanna Diyab in die Feder diktieren.

»Ich hoffe, es wird nichts so Schreckliches sein.«

»Nein, aber etwas genauso Großes.«

Der alte Mr. Van Schaak, der diese Art von Scherzen hauptsächlich deshalb nicht zu schätzen wusste, weil er ihre Pointen nicht mit bekam, wandte sich an dieser Stelle selbst mit gütiger Überlegenheit an Horace.

»«Haben Sie gerade gesagt,« fragte er »dass Sie anstößige Leute mögen?«

So weit war er im Begreifen einer komplexen Ansicht bislang noch nie gekommen.

»Ja,« sagte Horace forsch; »ich bin selbst ein Plebejer, und ich mag Leute meiner Art. Amerika ist ein plebejischer Staat, ein rauher, kraftvoller und aggressiver Emporkömmling unter den Nationen dieser Erde, und all die ehrwürdigen Länder Europas mögen ihn daher nicht – finden ihn anstößig. Warum sollte man dies also nicht einfach als Auszeichnung und Quelle von Stärke anerkennen, anstatt selbst eine kleine nachgemachte Aristokratie aufzubauen, die mit größter Leichtigkeit durch ein paar harte geschichtliche Tatsachen niedergestreckt werden kann?«

Mr. Van Schaak war gänzlich unfähig zu einer Diskussion dieser Art, und um seine Empörung im Zaum zu halten, trank er ein Glas Champagner, schaute jedoch Suydam mit einem unmissverständlich mahnenden Blick an, diesen blasphemischen Bilderstürmer herunter zu putzen.

»Dann wollen Sie damit sagen,« begann der blonde Millionär, »dass die Amerikaner sich ihrer Vorfahren schämen sollten.«

»Nein, ich versuchte vielmehr zu sagen, dass sie das nicht tun sollten.«

Damit war ein weiterer Punkt gewonnen, und Mr. Suydam, der erkannte, dass er in puncto Witz kein Gegner für Horace war, wäre wieder in Schweigen versunken, wenn er nicht die mahnenden Blicken von allen Seiten gespürt hätte, die ihn baten, für ihre Sache in die Bresche zu springen. Doch der Wein, den er getrunken hatte, und seine Angst vor einer Blamage erregten ihn ungebührlich und flößten ihm Unbehagen ein.

»Wenn ich jemanden so sprechen höre wie Sie,« sagte er dreist, »habe ich immer den Verdacht, dass mit seinen eigenen Vorfahren nicht viel herzumachen ist.«

»Da missverstehen Sie mich erneut,« entgegnete Horace mit gelassenen Lächeln; »ich stehe durchaus zu meinen Vorfahren; Ausflüchte und Verheimlichung missbillige ich. Mein Vater war ursprünglich Sattler; dann wurde er Steinmetz und so etwas wie ein Erfinder; mein Großvater war Farmer. Ihr Leben war unbedeutend und schäbig, keine Frage; und ihre Manieren, fürchte ich, waren nicht die besten; aber sie waren gute, ehrliche Leute, und sie waren Teil der Kraft dieses großen, neuen, rauhbeinigen Kontinents, der Ihre und meine Zukunft enthält.«

Nahezu eine Minute verging in schweigendem Essen. Mrs. Van Schaak heftete wiederum ihren Lokomotivenblick auf Horace, dessen prächtige, lächelnde Unerschütterlichkeit sie sogar mehr ärgerte als seine anstößige Herkunft. Mit einem Mann zu Abend zu essen, dessen Vater Sattler gewesen war! Es war eine Schande, die zu verwinden es Jahre brauchen würde! Sie entdeckte plötzlich eine Reihe plebejischer Charakterzüge an ihrem Gast, die sie zuvor nicht bemerkt hatte, besonders sein steifes, stoppeliges Haar, das nicht ordentlich nach links gescheitelt war, den barbarischen Akzent und die Direktheit seiner Ausdrucksweise sowie die Röte und die plumpe Form seiner Ohren. Dann trug er noch ein weißseidenes Nackentuch, das unzweideutig auf fragwürdige Vorfahren verwies. Sie überließ mit Freuden ihrer Tochter die Aufgabe, ihn für den Rest des Abends zu unterhalten, und schwor sich im Geiste, ihn nicht mehr über ihre Schwelle zu lassen.

Auf Kate machte Horace' Geständnis seiner plebejischen Herkunft einen ganz anderen Eindruck. Ihr Empfinden war schwer zu bestimmen, aber sie fühlte sich zu ihm hingezogen und im selben Moment von ihm abgestoßen. Seine Weigerung, sich von dem sie umgebenden Glanz blenden zu lassen, freute sie; denn es war nicht barbarische Kaltschnäuzigkeit, was er zu erkennen gab, sondern die Selbstachtung eines Mannes, der sich seiner Stärke bewusst war und in jeder Beziehung das Gegenteil eines Snobs darstellte. Es machte ihr Spaß, wie er seine plebejische Flagge hisste, die er vor keiner Macht der Welt einholen würde. Was immer er sonst auch war, sagte sie sich immer wieder – er war eindeutig ein Mann. Und wie viele unter ihren Bekannten hätten diese Bezeichnung schon in vollem Umfang verdient? Suydam, mit seinen Millionen und seiner starren Korrektheit, verblasste zur Bedeutungslosigkeit neben ihm und war nur noch ein blonder, hochnäsiger Langweiler.

Sie entnahm der breiten Reihe von Rosen in der Mitte der Tafel eine Knospe und steckte sie Horace ins Knopfloch. Es handelte sich um eine Aufmerksamkeit, die von jemand anderem nichts bedeutet hätte; aber von der mit ihrer Gunst so kargen Kate Van Schaak gewann es den Rang einer Absichtserklärung, die ihrer Verwirklichung vorangeht.

Horace, der seine Werbung bislang ohne die geringste Mitwirkung von ihrer Seite betrieben hatte, spürte freudige Hitze in sich aufsteigen, ließ aber nach außen von diesem Hochgefühl nichts sichtbar werden. Kate war sich auch bewusst, ein Zeichen gesetzt zu haben; doch war dies mit Absicht geschehen, und das Gefühl der Peinlichkeit kannte sie gar nicht.

Sie saßen zusammen und unterhielten über die Larkin-Hochschule, über das Abendständchen, das ihr die Studenten dargebracht hatten, über die Schönheiten des Frühlings in Torryville, und etwas in ihrer Persönlichkeit machte die banalsten Bemerkungen in ihrem Mund brillant und eindrucksvoll. Sie hatten etwas von ihrem seltenen, erlesenen Selbst entliehen und gewannen so ein neues Aroma.

Gegen zehn Uhr wurden die Zigarren auf einem Tablett aus gehämmertem Kupfer gereicht, auf dem ein geflügelter Genius die Enden abbiss und eine pompejische Lampe Feuer gab. Die Damen zogen sich in den Salon zurück; Mrs. Adrian, Jr., schnitt Horace eine kleine Grimasse, um anzuzeigen, wie sie ihn um das Rauchvergnügen beneidete.

Die Konversation erlahmte, und lange peinliche Lücken gähnten zwischen den einzelnen Bemerkungen. Schließlich unternahm Mr. Suydam den Versuch, Mr. Van Schaak ein Reitpferd zu beschreiben, das er kürzlich gekauft hatte; und Adrian, Jr., bekannte nachdrücklich, dass er, wenn das Tier sein gutes Ende finden würde, kein Liebhaber von Pferdefleisch sei. Sie gerieten in einen einigermaßen lebhaften Disput, an dem Horace sich nicht beteiligte. Er war froh, als seine Zigarre aufgeraucht war, was ihm das Recht gab, sich wieder zu den Damen zu gesellen.

Nach fünf Minuten steifer, farbloser Unterhaltung mit der Gastgeberin fiel er erneut in die Hände von Mrs. Adrian, Jr., die alle indiskreten Einzelheiten, an sie gerade dachte, ausplauderte und ihm damit einen hübschen Einblick in ihre häuslichen Beziehungen gab. Er förderte diese Vertraulichkeit nicht etwa, sondern es amüsierte sie offensichtlich, die Familie ihres Gatten ein wenig durch den Kakao zu ziehen, um sich für ihre Missbilligung zu revanchieren, und Horace vermochte ihr keinen Einhalt zu gebieten.

Kurz vor elf nahm er Abschied mit dem Gefühl, dass er, trotz des schlechten Eindrucks, den er auf die alten Leute gemacht hatte, dennoch Verbündete in der Festung besaß und es nur eine Frage der Zeit sein würde, dass sie die Waffen streckte.



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