Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel

Pünktlich zur Mittagsstunde am übernächsten Tage stand Schottenbauer vor der Tür des Nöhringschen Hauses und klingelte um Einlaß.

Das Hausmädchen, das ihm öffnete, zeigte ein verständnisvolles Lächeln.

»Herr Schottenbauer möchten nur in den Salon eintreten und sich einen Augenblick gedulden, ließe das Fräulein sagen.«

Er begriff und nickte zufrieden. Aus der Brusttasche des Mantels, den er ablegte, holte er ein Paket hervor; dann trat er ein. Schmunzelnd sah das Mädchen ihm und seinem Paket nach. – »Aha.«

Der Salon war leer. Schottenbauer hatte Zeit, sich zu setzen. Er tat es, denn das Herz klopfte ihm an die Brust.

Die Tür zu Fredas nebenan belegenem Zimmer stand offen; auch hier schien niemand zu sein. Vorsichtig lugte er hinüber, dann erhob er sich und trat hinein.

Das also war der Raum, der sie für gewöhnlich umschloß – zum erstenmal sah er sich darin um. Es war ihm, als atmete er den Duft ihrer Persönlichkeit, der in dem Gemach schwebte. Dort das Fenster – ja, ja – an dem hatte sie gesessen, als er damals vorüberging. Ihr Stuhl auf dem erhöhten Tritt und ihr Nähtischchen davor.

Er trat hinzu und streichelte den Stuhl; dann gewahrte er ein Bild auf dem Tischchen – eine alte Photographie in Glas und Rahmen – Freda mit Percival Hand in Hand, beide noch ganz jung.

So also hatte sie ausgesehen, als sie noch ein Kind war. Eine ganze Lebensgeschichte erzählte ihm das alte Bild.

Mit welcher Zärtlichkeit sie zu dem Bruder aufblickte!

»O du geliebtes Herz, kannst du so leidenschaftlich lieben?«

Scheu blickte er sich um, dann nahm er die Photographie, und auf die Stelle des Glases, unter der ihr Gesicht sich befand, drückte er die Lippen. Hastig setzte er das Bild zurück, und mit dem Gesicht eines Schuljungen, der etwas Dreistes getan hat, schlüpfte er in den Salon zurück.

Kaum daß er dahin zurückgekehrt war, klappte eine Tür; ein Kleid rauschte durch das Speisezimmer, und es kam ein weicher Schritt – auf der Schwelle des Speisezimmers erschien Freda, in einen langen, dunklen Mantel eingeknöpft, unter dem ihre Füße in weißen Atlasschuhen hervorkamen.

Schottenbauer war aufgesprungen und starrte ihr wortlos mit leuchtenden Blicken entgegen. Auch sie sprach kein Wort; mit einem flüchtigen Lächeln begrüßte sie ihn. Dann trat sie in die Mitte des Salons und begann, kopfschüttelnd wie jemand, der sich seines eigenen Tuns schämt, den Mantel aufzuknöpfen.

Ihre Hände arbeiteten zögernd, langsam nur kam sie vonstatten; je weiter sich der Mantel öffnete, um so heißer wurde die Glut, die von Anfang an auf ihren Wangen gelegen hatte.

Jetzt war es soweit – nur mit den Händen noch hielt sie den Mantel zusammen. Es war, als wenn sie noch einmal überlegte – dann, mit einem letzten Entschluß, warf sie die dunkle Hülle zurück, so daß sie an ihr niederglitt, und nun, mit nackten Armen und Schultern, im weißseidenen ausgeschnittenen Kleid, stand sie da.

Mit einem Wonneschrei war er heran und kniend ihr zu Füßen. Beide Arme schlang er um sie her.

»O du Angebetete! Geliebte! Himmlisches Herz!«

Fredas Brust hob sich in schweren Atemzügen. Das Gesicht des Mannes glühte zu ihr auf, und sie sagte sich, daß dieser Mann da ein berühmter Mann war, auf dessen Tun und Schaffen tausend Augen blicken, dessen Namen tausend Lippen nannten – und so lag er zu ihren Füßen. In ihrer Erinnerung blitzte es auf – der Bärenkopf, und die Geschichte von Delila und Simson.

Das also waren die Männer und der Mann. –

Zwar von ihr selbst ja ging er aus, der Taumel und Rausch, der ihn überwältigte und wie einen Knecht zu ihren Füßen warf – aber Taumel und Rausch war es darum doch.

»Steh doch auf«, sagte sie endlich, und ihre Stimme klang beinahe hart.

Mit einem Sprung war er auf den Füßen und an dem Tisch, auf dem er vorhin sein Paket niedergelegt hatte. Mit fliegenden Händen riß er es auf.

»Freda – das ist es, warum ich dich gebeten hatte, mir so zu erscheinen, wie du mir erschienen bist –«

Aus der Umhüllung kam ein goldener Fingerreif hervor, der in der Mitte einen Brillanten umschloß, ihr Verlobungsring, und dann noch etwas, etwas Großes, Funkelndes, Herrliches, ein Halsband von Perlen, an dem ein prachtvoller Amethyst hing.

Erschreckt fuhr sie zurück.

»Aber – nein –!«

»Aber ja, Freda, aber ja!«

Mit jubelndem Entzücken hatte er den Arm um sie geschlungen; dann ergriff er ihre schlaff niederhängende Hand, schob den Ring an ihren Finger und küßte ihre Hand, ihr Handgelenk und den weißen, nackten Arm bis zur Schulter hinauf. »Meine Braut ist sie nun, die Freda Nöhring, die stolze, geliebte! Und mein Brautgeschenk ist das! Mein Brautgeschenk!«

Wie ein unbändiger Junge sprang er im Zimmer umher, dann kehrte er zu ihr zurück.

»Komm, komm, das mußt du mir erlauben, daß ich es selbst um deinen Nacken lege – um diesen Nacken – o du Himmel und Herr –«

Er trat hinter sie, um ihr den Schmuck umzulegen, aber bevor er dazu gelangte, mußte er diesen Nacken, der wie eine Lilie vor ihm aufblühte, erst noch küssen; seine Lippen verirrten sich in den blonden Löckchen, die ihren Nacken umkrausten.

Ungeduldig schüttelte sie das Haupt; das brachte ihn zu sich. Mit fiebernden Händen schlang er die Kette um ihren Hals.

»Nun sieh sie an,« rief er triumphierend, »die Freda Nöhring, ob es ihr steht!«

Er zog sie vor den Spiegel, und wie angewurzelt blieb sie stehen.

Ihre Augen wurden weit und groß; ihre Lippen öffneten sich halb; ein Staunen erfaßte sie vor ihrem eigenen Anblick.

Er hatte die Wange an ihre Schulter gedrückt und weidete sich an ihrer Überraschung.

»Weißt du, wie du aussiehst? Wie die Walküre Odins, die ihm in Walhall den Becher kredenzt, weil sie die Schönste ist in der ganzen unendlichen Welt!«

Mit zärtlicher Hand strich er über ihren blonden Scheitel.

»Siehst du, da gehört noch ein Diadem hin, so eine Art Krone, verstehst du, dann siehst du aus wie eine Märchenkönigin des Nordens.« Lachend unterbrach er sich. »Aber dazu, weißt du, muß ich erst noch ein paar Stücke geschrieben haben.«

In Fredas Gesicht war ein Lächeln aufgegangen, das unwillkürliche Lächeln der Zufriedenheit, mit der das Weib seinen Schmuck und seine Schönheit betrachtet. Jetzt wurde sie wieder ernst. »Ja, aber sag' mir, das muß ja ein furchtbares Geld gekostet haben? Wie – kannst du denn das?«

Ein glückliches Lachen war seine Antwort.

»Aber Freda, hast du denn vergessen, daß mein Stück gespielt wird? In Berlin alle Abend, und auf soundso viel Theatern außerdem.«

»Bringt dir das so viel ein?« fragte sie.

»Ob mir das einbringt?« – die Hände auf dem Rücken, ging er im Zimmer auf und ab – »Gott, weißt du, als ich die Masse Geld in die Hand bekommen habe, ist es mir ordentlich unheimlich gewesen. Das da, siehst du, ist bloß von den Berliner Aufführungen; was mir die andern Theater einbringen, weiß ich noch gar nicht einmal. Und nun kommt das Königliche Theater in Berlin gleich mit zwei Stücken von mir, ich hab's euch ja neulich erzählt – siehst du, mir ist manchmal zumut, als hätte ich Fortunas Glücksbeutel in die Hände gekriegt. Gestern noch ein armer Teufel, und mit einemmal ein Krösus. Siehst du, als ich das alles schrieb, hab' ich eigentlich gar nicht daran gedacht, daß man mit so etwas Geld verdienen kann, so massenhaft. Aber jetzt freut mich das; jetzt ist es mir ein köstlicher Gedanke, daß ich mir das alles durch meinen Kopf und meine Hände erwerbe.«

Er hatte wieder den Arm um Freda gelegt, und sie mußte ihn auf seiner Wanderung durch das Zimmer begleiten.

»Siehst du, es klingt komisch, aber es ist wirklich, wie ich dir sage: als ich das erste Geld bekam – ihr wart damals noch nicht zurückgekommen, oder wenigstens hatte ich euch noch nicht wiedergesehen, und ich wußte auch noch gar nicht, ob wir uns überhaupt wiedersehen würden – wie gesagt also, wie ich das bekam und die Hand aufmachte und den Haufen Goldstücke so darin fühlte – hu – ganz kalt kam mir das Zeugs vor. Und nun, seit ihr wieder da seid, wie ich neulich zum zweitenmal die Hand vollgestopft bekommen habe, mit einemmal war es ein ganz anderes Gefühl, und die Goldstücke waren ganz warm.« Er unterbrach sich.

»Das glaubst du wohl nicht? Kannst es aber wirklich glauben. Und weißt du, woher das kommt? Weil sich mir in dem Augenblick das Geld in etwas ganz anderes verwandelte und gar kein Metall eigentlich mehr war. Sondern das waren mit einemmal lauter Teppiche, so dick wie Moos, und Stoffe von Seide und Atlas und Samt und Perlenhalsbänder und Brillantendiademe und Armspangen, und über die Teppiche sah ich zwei Füßchen hinhuschen, zwei weiße, zarte Füßchen, und die freuten sich, daß man ihnen eine so weiche, warme Unterlage gegeben hatte; und in die Seiden- und Samtkleider sah ich eine Gestalt hineinschlüpfen, und die freute sich, daß sie so reizend gekleidet war; und die Perlen schmiegten sich um einen Hals, die Spangen um zwei Arme, die Diademe um einen blonden Kopf; und wie das nun alles zusammen funkelte und knisterte und rauschte, da war es alles zusammen ein Weib, ein süßes, einziges, geliebtes, da war es die Freda, die Freda Nöhring. Und die Freda Nöhring streckte beide Arme aus, verstehst du, so, wie wenn jemand sich so recht in lauter Behagen reckt, und sagte: ,Das freut mich, daß wir jetzt so viel erwerben und uns das Leben so schön machen können, denn was dem Schottenbauer gehört, das gehört ja mir, und was der Schottenbauer erwirbt, das erwerbe ich ja –'«

Mit einem Ruck blieb er stehen und schloß sie in seine Arme. Seine Augen, in Zärtlichkeit schwimmend, tauchten sich in die ihrigen.

»Und nun sage mir doch einmal, ob du mich denn eigentlich ein bißchen lieb hast?« So, wie ich dich liebe, kannst du mich ja gar nicht wiederlieben, das weiß ich. Aber nur, ob du mich ein bißchen lieb hast, das sage mir doch einmal ehrlich heraus.«

Mitten ins Herz traf seine Frage sie. Ihr Innerstes erbebte; sie senkte die Augen.

»Ach, weißt du« – ihre Lippen bewegten sich beinahe tonlos – »so – solltest du nicht fragen. Du – bist solch ein merkwürdiger Mensch, da – kann man gar nicht so einfach wie bei andern Menschen sagen – ob man –«

Sie fühlte, wie die Umarmung, in der er sie hielt, sich lockerte. Unwillkürlich faßte sie seine Hände fester; kopfschüttelnd, mit staunendem Blick sah sie ihm ins Gesicht.

»Was für ein reicher Mensch du bist.«

Ob ihre Art und Weise ihm kalt, ob ihre Antwort ihm wie ein Ausweichen erschien – ein Zucken ging über sein Gesicht, und in seinen Augen sprühte das dunkle Leuchten auf, das sie so manches Mal und immer dann an ihm gewahrt hatte, wenn sie es zu arg mit ihm getrieben und seine Geduld erschöpft hatte.

»Weil ich so viel Geld verdiene?« fragte er kurz und spöttisch.

»Nein – so meinte ich es nicht.«

Und so hatte sie es wirklich nicht gemeint, wenigstens nicht bloß so. Zwar hatte es Eindruck auf sie gemacht, als sie sich vergegenwärtigte, daß dieser Mann, der gestern noch ein Habenichts gewesen war, ohne fremde Hilfe, einzig durch eigene Kraft sich dahin aufgeschwungen hatte, daß man ihn heute beinahe reich nennen konnte – aber das war es doch nicht allein, was sie gemeint hatte. Nein – sondern als sie ihn jetzt so sprechen gehört und ihm dabei in das glühende, lachende, zärtliche Gesicht gesehen hatte, war ihr der Unterschied zwischen ihnen beiden zum Bewußtsein gekommen.

So von heißer Liebesseligkeit war sein ganzes Wesen erfüllt, daß sein Gefühl aus ihm hervorbrach wie ein reißender Strom. Alles, was er hatte, konnte und besaß, warf er ihr zu Füßen. »Da nimm hin, da nimm hin! Alles ist dein!« Wie ein Verschwender, wie ein Reicher, ja wirklich wie ein Krösus – so hatte er sich selber genannt.

Und während die warme Lebensflut ihre Füße umspielte, stand sie darin und hatte ein Gefühl, als blieben ihre Füße kalt wie Marmor, der nicht warm werden kann. Während dieser Strom von Liebe zu ihrem Herzen emporschwoll, hatte sie ein Gefühl, als bliebe ihr Herz hart wie tauber, dumpfer Stein. Königlicher Reichtum war in seiner Seele – und in ihrer – was?

Eine Verzweiflung erfaßte sie; Tränen traten ihr in die Augen.

Sobald Schottenbauer das sah, verwandelte sich sein Gesicht zum tiefsten Schrecken.

»Freda – warum weinst du?!«

Mit weich-inbrünstiger Zärtlichkeit preßte er sie an sich.

»Hab' ich dich gekränkt mit der einfältigen Frage, die ich eben getan habe? Sei mir nicht böse – es – es fuhr so aus mir heraus. Ich bin solch ein Hitzkopf –«

Sie hielt seine Hände und beugte das Haupt.

»Nein – nein – du hast mich nicht gekränkt.«

Sie hatte leise antworten wollen, aber das Gefühl preßte ihr Herz und Kehle zusammen, so daß ihr Wort mit einem dumpfen Klagelaut hervorkam.

Er zog sie zum Sofa; dort setzte er sich neben ihr nieder.

»Meine Freda – meine Freda – siehst du, vom ersten Tage an, da ich dich gesehen, habe ich dich ja so maßlos geliebt. Zu keinem Menschen, weißt du, habe ich je ein Wort von dem sagen können, was ich gerade unter der Feder hatte und schrieb. Aber wenn du an meiner Seite wärst, hab' ich mir gedacht, dir würde ich alles sagen können, dir würde ich alles anvertrauen, mit dir all meine Pläne besprechen können. Und nun, siehst du, weil ich nun denke, daß mir das alles nun wirklich werden soll, daß ich mit dir zusammen sein und leben soll, daß ich gewissermaßen mit dir zusammen schaffen und schreiben soll – siehst du, Freda, das ist es ja, was mich so glückselig macht. Und wenn ich dir vorhin gesagt habe, daß es mich freut, daß ich dir schöne Kleider und Schmucksachen schenken kann, dann mußt du mir darum nicht böse sein; es ist ja etwas Äußerliches, das weiß ich ja; aber ich sagte es ja nur, weil ich so unsäglich froh bin und irgendeinen Ausdruck dafür brauchte. Aber das Eigentliche ist es ja natürlich nicht; das Eigentliche ist das, was ich dir jetzt eben gesagt habe; und nun sage mir dies eine doch« – er hielt ihre Hände mit sanftem Druck umfaßt–, »kannst du dir nicht vorstellen, daß es schön und wundervoll sein wird, wenn wir so miteinander und füreinander leben und durch Welten wandern, die wir uns selbst erschaffen, und in die wir dann später, wenn wir sie durchmessen haben nach allen Richtungen, die andern Menschen eintreten lassen, damit sie sich an unserm Werke erfreuen?«

Ihre Hände von seinen Händen umspannt, mit vorgebeugtem Oberleib saß Freda auf ihrem Platz. Sie lauschte den Worten, die er zu ihr sagte; mit einem Gefühl von Andacht lauschte sie ihnen.

So hatte ihr Bild sich in seiner Seele gemalt, vom ersten Tage an, so groß, so rein, so über all ihr Verdienst!

Langsam wandte sie sich zu ihm. Aller Ernst, alle Wahrheit, aller Adel ihrer Seele war in dem Blicke, mit dem sie ihn ansah.

»Was du da sagst, ist herrlich und schön« – ihre Stimme hatte einen Klang wie eine Glocke –, »du mußt nicht denken, daß ich dich falsch verstanden habe«, – sie legte beide Hände auf seine Schultern; in einem Seufzer schwoll ihre Brust ihm entgegen; dann war es wie ein letztes Zaudern und Zögern in ihr, und zum erstenmal in freiwilligem Kuß schmiegten Freda Nöhrings Lippen sich auf seine Lippen.

»Wollen wir uns nun bald gehören?« raunte er fragend in ihr Ohr, »ganz gehören und bald Hochzeit machen?«

Er fühlte, wie sie in seinen Armen erschauerte.

»Ach –« sagte sie leise, »laß mir Zeit.«

Dann erhob sie sich. Den Mantel, der immer noch am Boden lag, raffte sie auf, und indem sie Schottenbauer mit weicher, schwerer Neigung des Hauptes zum Abschied winkte, ging sie hinaus, um die Alltagskleidung wieder anzulegen.


 << zurück weiter >>