Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Elftes Kapitel

Am Freitag war das Fest gewesen; am Sonntag darauf stand die Beschreibung in der Sonntagsbeilage des Amtsblattes, und am Dienstag früh brachte das städtische Wochenblatt die Beschreibung samt dem Gedicht noch einmal.

Neben der Zeitung, die wie gewöhnlich auf dem Frühstückstisch der Familie Nöhring lag, befand sich ein Schreiben der Redaktion des Wochenblattes »an Herrn Regierungsreferendar Percival Nöhring«, worin dieser, unter schmeichelhaften Komplimenten über sein Gedicht, aufgefordert wurde, dem Wochenblatte Novellen, Romane, Gedichte und Besprechungen, kurz Beiträge jeder ihm beliebenden Art einzusenden.

Der Brief machte die Runde um den Tisch, von Hand zu Hand, jeder dachte sich schweigend sein Teil.

Papa Nöhring machte ein Gesicht, als wenn er das große Los gewonnen hätte; Freda zeigte ein in sich gekehrtes abwartendes Lächeln; in Percival sah es ganz verwirrt aus.

Er war im stillen entschlossen gewesen, die ganze Geschichte als abgetan anzusehen und womöglich gar nicht mehr daran zu denken. Das Assessorexamen machen, Anstellung bekommen, Therese Wallnow heiraten – und fertig! Das war das Programm, das er sich gestern abend in kurzen Zügen entworfen hatte. Für die Poesie täglich eine Stunde nach dem Nachmittagskaffee, das würde ja wohl genügen. Statt dessen kam jetzt der Dichterruhm förmlich ins Haus gelaufen, kriegte ihn am Kragen und schleppte ihn mit Gewalt in die Öffentlichkeit. Er mochte wollen oder nicht, er war ein berühmter Mann. Und der berühmte Mann einer kleinen Stadt zu sein, ist etwas ganz andres als ein solcher in einer großen.

Da braucht man nicht erst durch Photographien, die in den Buchläden im Schaufenster ausliegen, den Leuten bekannt gemacht zu werden; jedermann kennt einen ja von Angesicht.

»Da geht ›unser‹ Percival«, heißt es, wenn man über die Straße geht; und wenn man in die Kneipe kommt, verbeugen sich die Kellner, und alle Köpfe wenden sich um, »da kommt ›unser‹ Percival«.

Man müßte ja ein Stockfisch oder ein Philosoph sein, wenn einem das keinen Eindruck machen sollte, und Percival Nöhring war weder das eine noch das andre. Die Geschichte schmeichelte ihm ganz gehörig. Dazu kam, daß er einen Teil des Lobes, das man ihm spendete, mit gutem Gewissen annehmen durfte; wenn in der Besprechung gesagt war, daß er das Gedicht prachtvoll gesprochen hätte, so war das ja nur die Wahrheit. Aber die Hauptsache – die Hauptsache! da stand das Gedicht, schwarz auf weiß gedruckt, in seiner gedruckten Gestalt jetzt erst recht machtvoll und gewaltig, und darüber stand sein Name, und die Menschen lasen, daß es von ihm sei, und das war nicht wahr!

Auf seiner ehrlichen, guten Seele lag das Bewußtsein wie ein Alp. Ob Freda Rat wußte? Sie wußte ja doch immer Rat. Sobald er es vermochte, richtete er es ein, daß er mit ihr allein war.

»Weißt du,« fing er ohne Umschweife an, »die Geschichte ist mir eigentlich ganz greulich!«

»Die – Geschichte –?«

»Na, daß das Gedicht da im Wochenblatt steht, und ich als Verfasser darunter! Ich weiß gar nicht, was ich machen soll!« Mit einem kurzen energischen Griff raffte sie den Brief der Redaktion auf und hielt ihn empor.

»Da!«

Er sah die Schwester fragend an.

»Da? Was?«

»Schreib' etwas Eigenes, etwas Gutes, Schönes, Bedeutendes, und schick' ihnen das; dann kannst du mit gutem Gewissen deinen Namen daruntersetzen und bist wirklich der Dichter.«

Er schwieg.

»Es gibt ein Wort von Gutzkow,« fuhr sie fort, »ein wundervolles: »Der Held bereut durch eine zweite Tat.« Sie brach ab, als könnte sie nicht weitersprechen, als versagte ihr der Atem. Sie saß am Tische, die Arme flach aufgelegt. Über den Tisch hin sah sie den Bruder an, der mitten im Zimmer stand, mit den großen, stahlblauen Augen, mit einem forschenden, drängenden, flehenden und zugleich gebietenden Blick.

»Bist du ein Held? Ach, sei doch, sei doch ein Held!«

Percival sah wenig heldenmäßig aus in dem Augenblick. Er hatte eine Salbe von ihr haben wollen, und statt dessen gab sie ihm ein Schwert in die Hand – mit dem Temperament sollte der Teufel Schritt halten!

»Was ich später tue,« murmelte er, »das bleibt dahingestellt. Jetzt zunächst aber will ich zu ihm hin.«

»Zu wem?«

»Zu wem?« erwiderte er unwirsch, »zu dem Schottenbauer doch; es läßt mir absolut keine Ruhe; ich muß ihm die Geschichte erklären.«

Freda blickte gedankenvoll vor sich hin. Etwas war doch in diesen Männern, was ganz anders war als bei den Frauen.

Wäre es nach ihr gegangen, so wäre der Name dieses Menschen nie mehr genannt, jeder Gedanke an ihn überhaupt verbannt worden – und dieser Percy wollte selber zu ihm hingehen, Auge in Auge ihm gegenüberstehen – »Junge,« sagte sie langsam, »du bist doch wirklich ein ungeheuer anständiger Mensch.«

Percival erwiderte nichts; sie saß im Stuhl zurückgelehnt und sah ihn an. Indem sie ihn ansah, kam ihr die Sorge, wie es ihm ergehen würde, wenn er zu jenem in dessen eigene Höhle ging. Jedenfalls war er doch wütend, aufgeregt, der Mensch, in seiner Eitelkeit gekränkt wie ein giftiger Molch? Wenn er nun sein Gift nach ihm spritzte, nach ihrem Percy, ihrem Heißsporn?

Sie stand plötzlich auf und legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Weißt du,« sagte sie, »ich ängstige mich beinahe! Wenn er dir nun häßliche Sachen sagt?«

»Dann bin ich mit ihm quitt,« entgegnete er, »dann hab' ich getan, was ich tun konnte, tun mußte, und dann ist's gut. Dagegen wenn ich ihm jetzt auf der Straße begegne, muß ich bei ihm vorbeigehen wie ein begossener Pudel. Und das paßt mir nicht, das will ich nicht!«

In seinen Worten und in seinem Ausdruck war etwas so männlich Gebietendes, daß Freda allen Widerstand aufgab. Zärtlich nahm sie seinen Kopf zwischen die Hände und küßte ihn auf die Stirn.

»Du armer Kerl,« sagte sie begütigend, »daß du dich so aufregen mußt. Aber nicht wahr – du tust mir den Gefallen und ärgerst dich nicht, wenn der Mensch unangenehm wird? Und wenn er schimpft und schreit, dann nimmst du ruhig deinen Hut und gehst davon! Ja? Nicht wahr? Mir zuliebe?«

Percival schaute sie lächelnd an.

»Du denkst wohl, ich werde mich mit ihm duellieren?«

Seinerseits legte er nun den Arm um ihren Nacken, zog ihr Gesicht an sich heran und küßte sie.

»Sei unbesorgt, so schlimm wird die Sache wohl nicht werden.«

Noch einmal nickte er ihr zu, und dann, fest aufgerichtet, verließ er das Zimmer und gleich darauf das Haus. Freda sah ihm nach. Wie er dahinging – schlank, vornehm, schön von außen und innen und ohne Arg! Ach – wenn er es wagte, der Wurzelmann, ihr diesen da zu begeifern! An diesem da zu rühren! Eine Motte flog auf der Tischdecke umher; sie stürzte über sie her, hinter ihr drein, verfolgte sie, als sie zu entwischen versuchte, und ruhte nicht, bis daß sie sie gefangen und zwischen den Händen zerrieben hatte.

Um die Mittagsstunde, zu der Zeit, da er Schottenbauer neulich zu Hause getroffen hatte, machte sich Percival Nöhring auf den Weg nach dem Hause am Wasser. Der Gang war ihm recht herzlich zuwider – aber es mußte sein.

Über die Hintertreppe hinaufgelangt, klopfte er an; Schottenbauer war zu Haus. Über den Tisch gebeugt saß er da, heute einmal zur Abwechslung Gerichtsakten vor sich, aus denen er ein Referat zu verfertigen hatte. Einigermaßen überrascht blickte er zu dem Eintretenden auf.

»Guten Morgen«, sagte Percival, der sich zu möglichster Unbefangenheit zwang; dann schüttelte er ihm die Hand und setzte sich, wo er neulich gesessen hatte.

»Ich komme zu Ihnen,« fuhr er fort, indem er den Hut auf den Tisch warf, »weil mir die Geschichte höchst unangenehm ist, und weil sie ganz gegen meinen Willen gekommen ist, und das wollte ich denn sagen, und – darum komme ich zu Ihnen.«

»Was denn für eine Geschichte?« fragte der andre.

»Na – mit der Zeitung das; daß es in der Zeitung steht.«

Schottenbauer sah ihn mit einem beinahe dummen Ausdruck an.

»Steht etwas in der Zeitung? Wo denn? Was?«

»Ja – lesen Sie denn das städtische Wochenblatt nicht?«

Schottenbauer lachte.

»Nein – das tu ich freilich nicht.«

Percival errötete unwillkürlich; dann war ja die ganze Aufregung eigentlich überflüssig gewesen. Aber nun war er wieder in der Geschichte drin. Er zog das Zeitungsblatt, das er eingesteckt hatte, aus der Tasche.

»Dann können Sie's also lesen – da.«

Während Schottenbauer sich in den Artikel vertiefte, zündete Percival sich aus der Zigarrenkiste, die jener ihm zugeschoben hatte, eine Zigarre an. Verlegenheit versteckt sich am besten hinter einer solchen; Mundwinkel, die etwa verdächtig zucken möchten, klammern sich gern um solch einen Rettungspfahl.

Schottenbauer hatte zu Ende gelesen.

»Na,« sagte er, »was ist denn eigentlich los? Da steht ja, daß Sie's wunderschön gesprochen haben? Und es scheint ja ganz gut gefallen zu haben?«

»Ganz gut?« fragte Percival. »Kolossalen Eindruck hat's gemacht.«

Schottenbauer lächelte und wurde rot.

»Weil Sie sagten, die Geschichte wäre Ihnen so unangenehm?«

Percival wurde beinahe ungeduldig.

»Aber da sehen Sie doch, daß da steht, daß ich das Gedicht gemacht hätte?«

»Ach – so –.« Schottenbauer schien wirklich jetzt erst zu verstehen, um was es sich handelte.

»Ich hab's Ihnen neulich gleich gesagt,« redete Percival sich in den Eifer hinein, »daß ich auf die Art dahin kommen würde, mich mit fremden Federn zu schmücken.« Die Finger seiner Hand trommelten auf der Tischplatte; begütigend legte Schottenbauer seine Hand darauf.

»Mein Gott,« sagte er, »das tut mir ja aufrichtig leid, wenn's Ihnen so unangenehm ist.«

Percival riß die Augen weit auf.

»Aber was sagen Sie denn dazu? Ihnen muß es doch in erster Linie unangenehm sein?«

»Mir unangenehm? Wieso denn?«

Er sah ihn so treuherzig an, daß Percival wirklich nicht mehr wußte, was er sagen sollte. »Wie – so? Wenn man Ihnen Ihr Gedicht fortnimmt? Und es einem andern zuschreibt?«

Schottenbauer lachte wieder auf, ganz laut und hell; dann erhob er sich und ging schweigend im Zimmer auf und ab. Percival sah verblüfft hinter ihm drein. Er verstand ihn absolut nicht.

Einem eitlen Menschen ist es völlig unmöglich, sich in die Seele eines andern, der nicht eitel ist, zu versetzen.

Und dieser Mensch da war nicht eitel.

Es war ihm wirklich gleichgültig, ob das Publikum Tante Löckchens und die Leser des städtischen Wochenblatts von ihm wußten, daß er ein Dichter sei oder nicht. Etwas ganz andres war in ihm, etwas ganz Mächtiges, das ihm die Brust weitete und keinen Raum ließ für alberne Kleinigkeiten, und das jetzt, indem er sich plötzlich zu dem Bruder Freda Nöhrings umwandte, wie ein warmer Strom aus seinen Augen quoll.

»Seien Sie doch nicht so furchtbar stolz,« sagte er zu Percival, vor dem er stehengeblieben war, und dem er die Hände auf die Schultern legte, »eine Schande ist es ja doch nicht, daß das Gedicht auf Ihren Namen geht; ich hab's Ihnen doch gemacht, weil ich glaubte, ich täte Ihnen einen Gefallen damit, wenn ich's machte, und – ich – sehen Sie – tue Ihnen wirklich gern einen Gefallen.«

Er lächelte beinahe schüchtern und verlegen; im Ton seiner Stimme war eine solche Zärtlichkeit – plötzlich wurde er feuerrot, wandte sich von Percival hinweg und trat an die Balkontür.

Percival wußte wieder einmal nicht, was er sagen sollte. Das war ja geradezu die verkehrte Welt.

Er war hergekommen, um dem da Erklärungen zu geben, eigentlich, um ihn um Entschuldigung zu bitten, denn gewissermaßen kam er sich doch wie ein Dieb vor – und jetzt gab ihm der da gute Worte und bat ihn, sich's doch um Gottes willen gefallen zu lassen, daß er mit seinem Geiste vor den Leuten einherstolzierte. – Was war denn das für ein Mensch? Ein Dummkopf? Das konnte man doch wahrhaftig nicht sagen, und er, der gute Percival Nöhring, erst recht nicht. Aber ein ganz absonderlicher Kauz, ein furchtbar unpraktischer Kerl – ja – einer von denen, die dazu da sind, daß sie von den übrigen ausgebeutet und dafür ausgelacht werden; so einer, in der Tat. Es war ja wirklich zum Lachen eigentlich, warum lachte er denn nicht? Weil Percival Nöhring freilich kein bedeutender, aber auch kein gemeiner Mensch war, und weil ihm ein dunkles Gefühl sagte, daß, wenn er jetzt über den da lachte, er eine nichtsnutzige Gemeinheit begehen würde, und weil plötzlich etwas in ihm emporstieg, etwas Weiches, Warmes, wie eine große Rührung, wie ein Gefühl, das ihn zwingen wollte, aufzustehen und dem da um den Hals zu fallen und zu sagen: »Du bist ein famoser, famoser Kerl!« Bevor er aber dazu gelangte, fing der andere wieder an.

»Das war doch neulich«, fragte er, ohne sich umzuwenden, »Ihre Fräulein Schwester, mit der Sie über die Brücke gingen?«

Percival stutzte auf.

»Neulich – auf der Brücke? Ach so – jawohl.«

Schottenbauer behielt das Gesicht abgewandt; von hinten aber konnte Percival sehen, wie er bis in die Ohren rot geworden war.

»Und – Ihre Fräulein Schwester – ist in der Gesellschaft bei Tante Löckchen, wo Sie das Gedicht gesprochen haben, auch gewesen?«

»Natürlich.«

»Und – hat es Ihrer Fräulein Schwester – einigermaßen gefallen?«

»Einigermaßen? Rein wie toll ist sie gewesen, als ich ihr das Gedicht gezeigt habe.«

Ein tiefer Atemzug hob Schottenbauers Brust. Er kam von der Balkontür zurück und blieb wieder, gesenkten Hauptes, stehen.

»Hat sie – erfahren, von wem es war?« »Natürlich hab' ich ihr gesagt, daß Sie es gemacht haben.«

Mit einem Schritt war Schottenbauer heran; mit einem Griff hatte er Percival an beiden Händen gepackt. Er wollte etwas sagen, aber er konnte nicht; es war, als wenn er erstickte; er nickte nur mit dem Kopfe; dazu preßte und preßte er, als wenn er ihm danken wollte, Percivals Hände, und sein Gesicht war wie mit Blut übergossen.

Percival brachte auch kein Wort hervor – so also stand die Sache?

Langsam erhob er sich vom Stuhl; dann standen beide, ohne sich anzusehen, voneinander entfernt, der eine ebenso verlegen wie der andere.

Percival griff zum Hute; nun konnte er gehen – und doch hatte er ein Gefühl, als könnte er so nicht gehen.

Wenn er ihm jetzt Adieu sagte und die Tür hinter sich schloß, dann war alles wieder, wie es gewesen war, das heißt, alles war aus. Auf der Straße würden sie sich grüßen, wenn sie sich begegneten, und weiter nichts. Denn der da drüben, der schüchterne Junge, würde von selbst nicht kommen, der würde bleiben, wo er war. Das Schicksal hatte ihn mit einem merkwürdigen Menschen zusammengeführt, mit einem bedeutenden, und jetzt sollte er die Tür zwischen ihm und sich zumachen und sagen: bleib' ein jeder, wo er hingehört – du in deiner Einsamkeit mit deinen großen Gedanken, ich in meiner Gesellschaft, bei denen »in Lackstiefeln und Frack«?

O nein – so bloß ein »Frack- und Lackstiefelmann« war er denn doch auch nicht; so ganz unbedeutend, daß ein wirklich interessanter Mensch ihn nicht interessieren sollte, war er denn doch auch nicht.

Und dazu kam ja nun noch etwas hinzu: dieser Mensch liebte seine Schwester.

»Ganz unglaublich« – das war sein erster – »ganz natürlich« – sein zweiter Gedanke.

Ein armer Teufel ohne Sold und Lohn, vielleicht sogar ohne Brot – und die stolze, verwöhnte Freda – ganz unglaublich! Ein Mann, der Gedichte im Kopfe trug, vor denen Mann und Weib, alt und jung sich beugte wie vor einer höheren Gewalt – und die kluge, die geistesgewaltige Freda – ganz natürlich!

Bisher hatte sich kein Mann noch mit seiner Liebe an Freda herangewagt. Das wußte er ja, und er wußte auch, warum. Sie war ihnen unheimlich, denen »in Lackstiefeln und Frack«, war ihnen ungemütlich, denn sie war ihnen zu klug. Darum gingen sie an ihr vorüber wie am Feuer. Natürlich. Denn wenn ein Strohkopf dem Feuer zu nahe kommt, läuft er Gefahr, daß er verbrennt.

Und nun kam dieser da, und kaum, daß er sie einmal gesehen, wußte er, was für ein Weib diese Freda war! Kaum, daß er ihr einmal begegnet, war er in sie verliebt! Alles, was die andern abstieß, der Ernst in ihrem Gesicht, die Strenge, die Mächtigkeit, gerade das riß ihn hin, zog ihn zu ihr, wie das Feuer sich zum Feuer hingezogen fühlt.

Freilich, ja; das war der Mann, um Freda zu verstehen; und Freda war das Weib, um diesen da zu würdigen!

Einem plötzlichen Gefühle gehorchend, trat Percival auf Schottenbauer zu. Er streckte ihm die Hand hin, und die Worte kamen, beinahe wie unbewußt, aus ihm hervor:

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen – Sie haben mir zwar gesagt, daß Sie nicht in Gesellschaften gehen – aber ich möchte Sie dennoch einladen – und da, wohin ich Sie einlade, brauchen Sie keine Lackstiefel anzuziehen.«

In seiner zögernden Art hatte Schottenbauer seine Hand ergriffen und sah ihn fragend an.

»Mein Vater«, fuhr Percival fort, »ist ein großer Freund von Literatur und Poesie; also können Sie sich denken, daß in unserm Hause überhaupt Sinn dafür vorhanden ist; so möcht' ich mir den Vorschlag erlauben – wissen Sie, wo wir wohnen?«

Schottenbauer nickte und wurde wieder bis über die Ohren rot.

»Also kommen Sie einmal zu uns und lesen Sie uns Ihr Stück vor – ja?« Ein Zucken ging um Schottenbauers Mund und durch sein Gesicht. Percival fühlte, wie seine Hand kalt wurde vor innerer Erregung.

»Es – sind schon mehrere da«, erwiderte er dann leise, mit verlegenem Lächeln.

»Na, um so besser,« rief Percival lachend, »also eins nach dem andern – allesamt!«

Ein abermaliges Zucken in des andern Gesicht. – »Und da – würden wir dann ganz unter uns sein?«

»Nur mein Vater, meine Schwester und ich – wenn Sie aber wollen, laden wir noch ein paar Menschen dazu.«

»Nein, nein!« Mit einem Ruck hatte Schottenbauer seine Hand aus Percivals Hand gerissen. »Niemand weiter! Niemand!«

Gesenkten Hauptes, in tiefer, stummer Erregung stand er da.

»Und das – würde Ihnen wirklich Freude machen? Ihrem Herrn Vater – und Ihnen – und – ?«

»Meinem Vater und mir und meiner Schwester,« half Percival ihm ein, »wirkliche, aufrichtige Freude, ja.«

Ein Leuchten brach aus Schottenbauers Augen; mit beiden Händen erfaßte er Percivals Hände.

»Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen! Ich – ich – ja, ich werde kommen – werde Ihnen etwas vorlesen – ich–«

Seine Zunge wurde gar nicht fertig mit dem Schwall von erregten Worten, die aus seinem Innern herauf wollten – er ließ Percivals Hände fahren, ging im Zimmer auf und ab, riß die Balkontür auf und schloß sie wieder, nahm Bücher vom Tisch auf und legte sie wieder hin, endlich griff er nach der Zigarrenkiste.

»Darf ich Ihnen nicht noch eine Zigarre anbieten?«

Percival lachte unwillkürlich laut auf.

»Nein, nein, danke! ich bin noch vor dem Essen.«

»Tut mir wirklich leid«, sagte Schottenbauer. Er sah sich im Zimmer um, als ob er irgend etwas suchte, was er dem andern hätte anbieten, womit er ihm hätte einen Gefallen erzeigen können. Als er nichts fand, blieb er vor ihm stehen, und beide sahen sich an, und beide fingen gleichzeitig an zu lachen, der eine mit gutmütig zugekniffenen, der andere mit weit offenen, verklärten Augen.

»Auf Wiedersehen also – nächstens?« fragte Percival, indem er ihm zum Abschiede noch einmal die Hand bot.

»Ja, auf Wiedersehen! Bald!«

Vom Hofe drunten sah Percival noch einmal zurück und hinauf – am Flurfenster droben stand Schottenbauer und nickte ihm nach: »Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!«


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