Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Dreizehntes Kapitel

Gut wäre es gewesen, wenn man heute abend hätte allein bleiben können – aber es sollte nicht sein.

Die Stille des grünen Zimmers, wo die drei Menschen im leisen, beinahe wortlosen Herzensaustausche beisammen waren, wurde durch ein gellendes Läuten der Hausglocke unterbrochen, und gleich darauf ertönte eine laute, fröhliche Stimme im Flur drunten – Percival war angekommen.

Schottenbauer und Freda richteten sich hastig auf: sie hörten ihn schon in langen Sprüngen die Treppe heraufkommen. Kaum daß Freda sich glattgestrichen hatte, erschien er bereits in der Tür.

»Na – nu?«

Mit beiden Armen hielt er den Türvorhang auseinander; seine Augen wanderten mit pfiffigem Lächeln von Schottenbauer zu Freda und von dieser zu Schottenbauer zurück.

»Na – nu?«

Schottenbauer, der ebenso verlegen wie Freda geworden war, raffte sich auf und ging ihm entgegen. Lächelnd streckte er ihm die Hand hin.

»Na – also ja.«

Ein Ausbruch stürmischer Heiterkeit war Percivals Erwiderung. Dann stürzte er auf Schottenbauer zu und umarmte ihn.

»Aber Mensch, das ist ja famos!« »Papa« – auch der Regierungsrat wurde umarmt; dann trat er vor die Schwester, faßte sie an beiden Händen und sah ihr aus nächster Nähe mit lachenden Augen ins Gesicht.

»Na – aber nun sagen Sie einmal, Herr Oberlehrer?«

Freda bog den Kopf zur Seite; die Art, wie Percival die Sache aufnahm, wirkte auf ihre Stimmung wie ein kaltes Sturzbad auf einen erhitzten Körper.

Percival schien es nicht zu bemerken; jedenfalls nahm er keine Notiz davon. Er lief an die Tür.

»Therese,« donnerte er hinaus, »Therese! Komm rasch! Hier ist etwas los! Etwas Riesiges!«

Therese war offenbar schon auf der Treppe gewesen, denn kaum, daß er nach ihr gerufen hatte, trat sie bereits ein.

»Nu mal gratulieren!« kommandierte Percival. »Nu mal schön gratulieren, dem Herrn Schottenbauer und der Frau Schottenbauer in spe!«

Beinahe unwillig zuckte Freda auf; Percival aber wollte sich vor Lachen ausschütten, und schon war Therese über sie hergefallen und hing an ihrem Halse.

»Aber Freda« – und sie bedeckte sie mit Küssen – »das ist ja reizend! Das ist ja wirklich ganz entzückend! Was wird Mama sich freuen und Tante Löckchen und Herr Major Bennecke!«

»Tante Löckchen,« sagte Percival, »gut, daß du daran erinnerst. Das ist was für sie! Radschlagen wird sie vor Vergnügen, wenn sie die Geschichte hört. Ich laufe gleich selbst hinüber und bringe ihr die Neuigkeit – oder noch besser – ich hole sie samt Onkel Bennecke gleich zu uns her.«

Er wollte vom Fleck aus hinaus – Schottenbauer hielt ihn zurück.

»Weißt du – ich denke beinahe – es hat damit eigentlich bis morgen Zeit.«

Percival sah ihn ganz erstaunt an; er verstand ihn offenbar gar nicht.

»Aber ich bitte dich, keine Idee! Wenn Tante Löckchen erfährt, daß wir ihr die Geschichte eine ganze Nacht lang verschwiegen haben, das verzeiht sie uns im Leben nicht mehr. Außerdem, warum denn nicht? Das kann ja ein riesig fideler Abend werden!«

Er war nicht zu halten; er schoß hinaus; gleich darauf hörte man die Haustür hinter ihm zuschlagen.

Schottenbauer mußte sich in die Störung ergeben. Denn eine Störung, eine fatale, war es ja in der Tat.

Nun mußte Freda hinausgehen, um Vorbereitungen zum Empfang der Gäste zu treffen; gleich in der ersten Stunde wurden sie so voneinander getrennt durch die trivialsten Dinge.

Ein Unmut erfaßte ihn. Daß Percival auch gerade heute hatte wieder kommen müssen!

Seine Gedanken dürsteten nach dem geliebten Weibe. Am liebsten hätte er sich in einer weltenfernen Ecke mit ihr niedergesetzt, den Arm um sie geschlungen und stundenlang jeden Zug in ihrem Antlitz studiert, jede Linie darin mit seinen küssenden Lippen nachgezogen – mit dem allem war es nun also nichts.

Jetzt ging Freda hinaus, um nach ihrer Wirtschaft zu sehen – er hatte das Gefühl, daß sie noch schneller ging, als es eigentlich nötig gewesen wäre, ja sogar, daß sie gar nicht einmal ungern ging: hatte sie also nicht das Bedürfnis, mit ihm allein zu sein? War es ihr wohl gar erwünscht, daß andre dazukamen, deren Gegenwart seiner Zärtlichkeit Schranken auferlegen würde?

Ein finsteres Mißtrauen stieg in ihm auf. So ganz ohne Gruß und Blick war sie hinausgegangen, und dann so rasch, rasch, rasch die Treppe hinunter, beinahe als fürchtete sie, daß er ihr nachkommen und sie auf dem Flur draußen, wo niemand es sah, festhalten und umarmen und küssen könnte.

Ob er nicht einfach fort und nach Hause gehen sollte? Aber der Gedanke an Papa Nöhring – und fortgehen von da, wo sie war? An deren Anblick er sich weiden konnte, mit dem Gedanken, daß diese Menschenwonne nun sein Besitztum war?

Also blieb er mit Papa Nöhring und Therese allein und erstattete Bericht über die Aufführungen seines Stücks, und indem er es tat, erschrak er beinahe über sich selbst, als er fühlte, wie gleichgültig es ihn ließ, von seinem Werke zu reden und daran zu denken.

Lange dauerte es indessen nicht, so rollte die bekannte Droschke vor, die regelmäßig von jenseits des Wassers dahergerasselt kam, wenn sich etwas Wichtiges bei Nöhrings begab. Tante Löckchens freudiger Diskant durchzitterte das Haus; des Herrn Major a. D. fröhlicher Baß mischte sich darein, und dann wurden Schottenbauer sowie Freda unter einer Flut von Küssen begraben.

»Wo habt ihr den Percy denn gelassen?« fragte Papa Nöhring.

»Ach, der,« entgegnete Herr Major Bennecke, »der ist ja jetzt der reine Sektierergeist geworden; unterwegs ist er beim Weinhändler ausgestiegen, um ein paar Flaschen Champagner zu holen.«

Er hatte noch kaum ausgesprochen, als Percival erschien, vier silberköpfige Flaschen unter den Armen.

»Aber Junge,« lachte der Regierungsrat, »wo soll denn das hinaus? Du wirst ja rein toll jetzt mit deinem ewigen Sekt.«

»Papa,« erwiderte er, »soll ein Abend wie dieser unbegossen bleiben? Das würde ich ja noch bereuen, wenn ich künftig einmal als Oberpräsident im Grabe liege.«

Und nun kam der Abend und ging, wie er unter solchen Umständen kommen und gehen mußte. Man saß zusammen, man aß und trank und war vergnügt; Percival ließ seine Champagnerpfropfen knallen und brachte einen humoristischen Toast aus. Die große, feierliche Stimmung, die vorhin in diesen Räumen geherrscht hatte, verflachte sich und plattete sich ab, und Schottenbauer wurde sich bewußt, wie der Alltag des menschlichen Lebens mit den größten Ereignissen fertig wird. Zwei Menschen hatten sich verlobt – und was ihm ein Ereignis erschienen war, wie es noch keines gegeben hatte und keines wieder geben würde, war für diese vergnügten Menschen etwas so Außerordentliches nicht. Es hatten sich schon früher Menschen verlobt, würden sich auch künftig welche verloben – also was weiter?

Freda war für ihn so gut wie gar nicht vorhanden. Zwar saßen sie jetzt nebeneinander, das durfte natürlich nicht anders sein, aber sie war so mit der Tafel und mit dem Gespräch und mit den andern beschäftigt, daß er kaum einmal verstohlenerweise ihrer Hand habhaft werden und sie drücken konnte. Beinahe mit Gewalt mußte er sich erinnern, daß dies ja nicht mehr die Freda Nöhring von früher, daß es seine Freda, seine Braut war, und immer wieder, wie ein bohrender Wurm, kroch der Gedanke in ihm herauf, daß sie es eigentlich zufrieden war, nicht mit ihm allein sein zu müssen.

Zum Schluß, als er schon wieder nahe an die Stimmung gelangt war, in welcher er den Franz Moor oder Richard den Dritten »hinzulegen« pflegte, erklärte Percival, daß er nun in nächster Zeit sein erstes großes Fest zu geben gedächte.

Ein Völkerfest sollte es werden.

»Damit du weißt, Freda, es soll dein Brautdiner vorstellen, verstehst du? Also fein, wenn ich bitten darf. Das weißseidene ausgeschnittene Kleid, weißt du, in dem du neulich bei unserm Hochzeitsdiner warst – alle Achtung – ich kann dir sagen, es stand dir famos.«

»Natürlich,« meinte Tante Löckchen, »was soll eine Braut denn auch anders tragen als Weiß – Gott, Frettchen, mein Frettchen eine Braut!« – sie unterbrach sich, um über Freda herzufallen.

»Nur das Halsband,« fuhr Percival fort, »das du umhattest –«

»Ist von der Mama her«, entgegnete Freda kurz.

»Weiß ja, weiß ja – ist auch ganz schön, aber etwas altmodisch, hm?«

Sie lächelte ihn an.

»Herr Assessor werden vorliebnehmen müssen – andere hab' ich nicht.«

In dem Augenblick fühlte sie, wie eine Hand sich auf die ihre legte; Schottenbauer war es, der zärtlich ihre Hand streichelte und sie mit einem glücklichen Lächeln ansah. Nachdem man aufgestanden war, zog er sie in eine Ecke des Salons, so daß sie ein wenig von den andern entfernt standen.

»Morgen früh«, sagte er, »muß ich nach Berlin, und komme vor abends spät nicht zurück – übermorgen erst werde ich dich wiedersehen. Um welche Zeit darf ich dann kommen?«

»Oh,« erwiderte sie mit einem flüchtigen Lächeln, »ich stehe früh auf.«

»Es ist,« sagte er, »– weil ich eine Bitte an dich habe,« – er wurde ganz verlegen – »eigentlich eine etwas komische Bitte.«

»Nun, was denn?«

Er näherte sich ihrem Ohr.

»Ich habe dich noch nie in ausgeschnittenem Kleid gesehen – wenn ich nun so um die Mittagsstunde käme – würde es dir sehr unbequem sein, wenn du –?«

Freda lachte kurz und leise auf.

»Aber geh doch – um Mittag im ausgeschnittenen Kleid?«

Sein Gesicht spannte sich wie das eines Kindes, das jemand überraschen will.

»Es ist – siehst du – ich kann's dir jetzt nicht sagen – du wirst sehen, warum ich dich darum bitte.«

Sie hatte das Haupt gesenkt. Er faßte sie an beiden Händen.

»O bitte, mir zuliebe! Ja?«

Sie zögerte. Es regte sich etwas in ihr, als sollte sie ihm mit einem kurzen »Nein« ihre Hände entreißen.

»Mir zuliebe« – wie er das gesagt hatte. Sie sah ihn an mit dem schwer zu enträtselnden Blick, den er schon früher an ihr wahrgenommen hatte – »mir zuliebe« – jemand, den man liebt, tut man wohl etwas zuliebe, aber – aber jetzt riß sie sich wieder zusammen – war sie schon wieder so weit, daß sie Pflicht und Vernunft vergessen wollte? Sie drückte seine Hand. »Gut also – wenn du übermorgen mittag kommst, wollen wir sehen, was sich tun läßt.«

Er dankte ihr mit einem beglückten Aufleuchten der Augen.

Und als man sich nun trennte, um nach Hause zu gehen, waren zwei Menschen, die kopfschüttelnd ihre Behausung suchten, Schottenbauer und Freda; kopfschüttelnd darüber, daß man so nach Hause ging, nachdem man sich verlobt hatte, so, als wenn nichts Besonderes geschehen wäre. Beide seufzten, indem sie darüber nachdachten; aber der eine vor Kummer, die andere wie in Erleichterung.


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