Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Sechstes Kapitel

Wenn man sich in der Stadt nach ihm erkundigt hätte, würde man vermutlich gar keine, bei seinen Kollegen eine spöttische Auskunft erhalten haben.

»Schottenbauer? Referendar? Ach so – ja – das ist eine Sage.«

»Eine Sage? Was sollte das heißen?«

»Na ja, eine Sage, daß ein Mensch dieses Namens am Gericht arbeitet.«

»Ein Jahr und etwas darüber war er am Orte, von irgendeinem andern Gericht, an dem er bisher tätig gewesen war, hierhergekommen. Wie er aber aussah, wußte man kaum. Er besuchte ja keine Gesellschaften, verkehrte nicht einmal mit seinen Kollegen, überhaupt mit niemandem.«

»Mit niemandem?«

»Mit keinem Menschen wenigstens.«

»Mit wem denn also, wenn nicht mit Menschen?«

»Mit seiner Muse!«

Ein allgemeines Gelächter hatte sich an dem Biertisch erhoben, an dem die Regierungs- und Gerichtsreferendarien abends zusammenzukommen pflegten. Dort hatte Percival Nöhring zum erstenmal von ihm sprechen hören.

»Mit seiner – Muse? Soll das heißen, daß er dichtet?«

»Na eben – und wie! Als wenn er's bezahlt kriegte.«

»Kriegt's aber gar nicht bezahlt«, setzte einer aus der Tafelrunde, ein Sachkundiger, hinzu.

»Wieso denn?« fragte Percival Nöhring, »wissen Sie was Genaueres?«

Natürlich wußte er etwas Genaueres. Es war ein wohlfrisiertes, elegantes Herrchen, das seinen Spitznamen »der Gardereferendar« nicht mit Unrecht trug.

Als solcher war er Gönner des Theaters – denn ein Theater war am Orte – und erlangte, was ihn sehr stolz machte, hie und da Zutritt hinter den Kulissen.

Er kannte auch den Theaterdirektor, und das machte ihn wieder sehr stolz, obschon er es hinter blasierter Gleichgültigkeit verbarg.

Ja, und bei einer solchen Gelegenheit hatte ihn neulich der alte Eduard – er nannte den Direktor stets beim Vornamen, um sein vertrautes Verhältnis zu ihm anzudeuten – mit so einem gewissen Schmunzeln gefragt, ob er seinen Kollegen, Herrn Schottenbauer, kennte?

Sein Kollege im strengeren Sinne wäre er nun ja nicht, hatte er erwidert, denn er wäre bei der Regierung und jener beim Gericht – aber was denn mit ihm los wäre?

»Hat mir ein Stück eingereicht«, hatte der alte Eduard gesagt und dabei den Mund von einem Ohr bis zum andern gezogen.

»Hört, hört!« erschallte es rund um den Biertisch.

Der Gardereferendar ließ den Lärm austoben. Er wußte, daß er noch mehr Bonbons in der Tasche hatte.

»Ein Trauerspiel.«

»Ein Trauerspiel!« Die Heiterkeit wuchs.

Jetzt klemmte der Berichterstatter das Monokel ins Auge und sah sich um.

»In fünffüßigen Jamben.«

Ein wieherndes Gelächter brach aus.

»In fünfbeinigen Jamben! Das ist ja ausgezeichnet! Wann wird's denn gespielt?«

»Am dreißigsten Februar.«

»Was? Wann? Am dreißigsten Februar?«

»So hat mir der alte Eduard gesagt.«

Man wollte sich totlachen über den Witz des alten Eduard.

»Aber konnten Sie denn nichts dazu tun, daß er's annahm? Das hätte ja einen Hauptulk gegeben!«

Der Gardereferendar zuckte die Achseln. Der alte Eduard wäre nicht zu bewegen gewesen, leider.

»Wäre ja ein sehr schönes Stück«, hätte er gesagt.

»Natürlich! schauderhaft schön!« antwortete der Chor.

»Nein« – der Gardereferendar war ein genauer Berichterstatter –, »es wäre wirklich was drin, hatte der alte Eduard gesagt, so etwas ganz Merkwürdiges eigentlich –«

»Na, aber warum führt er's denn nicht auf?«

»Ja – es wäre nicht für sein Publikum, hatte er gemeint.«

»Aha!« Und das Gewieher brach wieder aus.

»Stücke sind nu mal leider fürs Publikum!«

Auf die Art hatte Percival Nöhring den Referendar Schottenbauer kennengelernt. Er hatte den Abend mit den andern mitgelacht, dann aber war er gedankenvoll nach Haus gegangen. Im Grunde bestand ja eine Art von innerer Verwandtschaft zwischen ihnen beiden, denn im geheimen verbrach er doch auch Gedichte. Nur mit dem Unterschiede, daß er der Vernünftigere von beiden war, denn so »verrückt ernsthaft« nahm er die Sache denn doch nicht, daß er Trauerspiele schrieb und sie dem Theater einreichte.

Trotzdem konnte er sich nicht verhehlen, daß ihm der verrückte Kerl eigentlich imponierte.

»Sitzt da in seiner einsamen Stube und schreibt Trauerspiele in fünffüßigen Jamben!«

Dabei kam es ihm immer wieder ins Gedächtnis, was der Theaterdirektor gesagt hatte, »daß in dem Stück wirklich etwas wäre – etwas ganz Merkwürdiges eigentlich.« Die andern hatten darüber natürlich hinweggelacht – er hatte es behalten, vielleicht weil er unbewußt mit dem Ohr des Rivalen zugehört hatte – und das Ohr des Rivalen hört scharf. Nun, als er über seinem Prolog druckste und ihn nicht fertigbekam, fiel ihm der »Dichter« Schottenbauer ein. Wie wär's, wenn er sich einmal an den wendete? Er hatte ihn inzwischen von Ansehen kennengelernt; auf der Straße war er ihm gezeigt worden. Ein kleiner, vierschrötiger Mann mit einem großen runden Kopfe; so ziemlich das Gegenteil von dem, wie die Menschen sich einen Dichter vorzustellen pflegen. Ein Gesicht, an dem man vorüberging, unschön, aber unsäglich gutmütig. Ein Mensch, der nicht »nein« sagen, der keine Bitte abschlagen konnte. Würde er es ihm abschlagen, wenn er ihn um den Prolog bat? Welch ein Gedanke!

Der unscheinbare, verlegene Mann, der sich auf der Promenade schüchtern vorbeischob, wenn Percival Nöhring, hochaufgerichtet in Schönheit und Eleganz, Arm in Arm mit den andern Löwen der Gesellschaft, des Wegs daherkam, er sollte »nein« sagen, wenn der strahlende Percival Nöhring zu ihm kam und ihn um das Gedicht bat?

Es gibt Menschen, die am stärksten sind, wenn sie bitten. Zu ihnen gehörte Percival Nöhring.

Außerdem schlug er damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenn er ihm den Prolog machte – na gut, so hatte er das Gedicht und konnte sein Versprechen halten. Machte er es nicht – na, so konnte er es eben nicht, so konnte er eben auch nicht mehr als er, Percival, selbst; dann wußte er, woran er mit dem »Dichter« Schottenbauer war, mit dem »Rivalen«.

Auf dem Gericht hatte er erfahren, wo er wohnte: am Wasser, in ziemlich entlegener Gegend – natürlich.

»Sie müssen über den Hof gehen, er wohnt nach hinten hinaus«, hatte man ihn belehrt.

Über den Hof – nach hinten 'raus – natürlich – immer besser.

An dem Nachmittag, als Freda ihn mit flatterndem Mantel in den Anlagen hatte verschwinden sehen, war er geradeswegs dahin gegangen, wo Schottenbauer im Fluß nach hinten 'raus wohnen sollte.

Durch den Flur des niedrigen Vorderhauses war er über einen engen Hof in das Hinterhaus gelangt. Eine dicke, asthmatische Frau stand am Fuß der Treppe, die hinaufführte.

»Wohnt hier Herr Referendar Schottenbauer?«

Sie zeigte mit dem Finger.

»Eine Treppe hoch.«

Es war beinahe dunkel geworden; die Hand am Geländer, tastete er sich die steile Treppe hinauf.

An einer Tür, die sich auf den Flur im ersten Stock öffnete, war etwas wie eine Visitenkarte angebracht. Den Namen zu entziffern, war nicht mehr möglich, der Flur war ohne Licht.

Percival klopfte an.

»Herein!« – und er trat ein.

Ein sonderbares Gefühl überkam ihn, indem er die Tür öffnete: auf der Treppe und im Flur unwirtliches, armseliges Dunkel – hier drinnen warmes, wohltuendes Licht; beinahe Gemütlichkeit und Behaglichkeit. Es war ein kleiner, quadratischer Raum, den auf der gegenüberliegenden Seite eine große Glastür abschloß, anscheinend auf einen Balkon hinausführend.

Ein Bücherregal befand sich an der Wand rechts; zur Linken öffnete sich eine Tür in ein zweites anstoßendes Gemach. Inmitten des viereckigen Raumes stand ein viereckiger Tisch, mit Büchern bedeckt. Auf dem Tisch stand eine hell brennende Lampe, vor dem Tisch, auf einen großen Foliobogen gebeugt, saß rauchend und schreibend ein Mann – und dieser Mann wandte jetzt dem Eintretenden das überraschte Gesicht zu.

»Herr Kollege Schottenbauer?« fragte Percival Nöhring mit hellklingender, liebenswürdiger Stimme.

Der schreibende Mann erhob sich mit einer hastigen Verbeugung, indem er rasch ein Löschblatt auf das beschriebene Papier warf, dann suchte er mit den Augen nach dem Gesichte des fremden Gastes, der noch im Halbdunkel an der Tür stand.

»Entschuldigen Sie zunächst, daß ich Sie überfalle,« fuhr Percival fort, indem er hervortrat, »mein Name ist Nöhring.«

»Ah – so –« Ein unmerkliches Lächeln huschte über Schottenbauers Züge. Er wußte ja sehr wohl, was der Name in der Stadt bedeutete.

Percival sah sich um – war ihm doch, als hätte er noch nie im Leben solch ein Zimmer gesehen. Und doch wußte er kaum, warum.

In die Gegend, wo das Haus sich befand, kam er selten, fast nie; und hier in der entlegenen Gasse, über den Hof hinweg, eine dunkle Hintertreppe hinauf, dieses stille, warme, lichterfüllte Gemach. Die Bücher dort im Regal – an der Wand, dem Schreibenden gegenüber, ein einziges Bild, eine Photographie nach einem Böcklin oder etwas ähnlichem – auf dem Tische die großen gelblichen Foliobogen, hell leuchtend im Lichte der Lampe, das sich darüber ergoß – alles so warm, so licht, so traulich in sich zurückgezogen.

»Geht das da auf einen Balkon?« fragte Percival, indem er auf die Glastür deutete.

»Ja, ja,« entgegnete Schottenbauer, »ich hab' die Wohnung gleich am ersten Tage, als ich hier angekommen war, durch einen glücklichen Zufall entdeckt; es ist ein herrlicher Blick.« Er riß die Glastür auf; man trat auf einen schmalen Balkon hinaus, von dem man, über das Bollwerk hinaus, in den Strom hinuntersah, der breit und mächtig an dem Hause vorüberzog.

»Nicht wahr?« fuhr er fort, »wie die Schollen so an einem vorbeitreiben! Und dann, bei Tage, wissen Sie, wenn die Krähen geflogen kommen und sich auf die Schollen setzen und mit ihnen den Strom hinuntertreiben! Und dann erst im Frühling und Sommer, wenn die großen Kähne mit vollen Segeln heraufkommen – stundenlang kann man stehen, sag' ich Ihnen, und nichts tun, als zusehen.«

Percival hörte ihm schweigend zu, indem er sich neben ihm über das Geländer des Balkons beugte.

»Bei dem würde Freda Verständnis für ihre Bewunderung des Treibeises gefunden haben«, dachte er im stillen für sich.

Indem er über den Strom hinwegschaute, bemerkte er, daß er sich hier gerade Tante Löckchens Haus gegenüber befand, und nun kam es ihm in Erinnerung, wie oft er, von Tante Löckchen kommend, das stille Licht am jenseitigen Ufer bemerkt hatte. Von hier also kam das her. Während er drüben in der Gesellschaft glänzte, deklamierte, den Mädchen den Kopf verdrehte und sich als »Dichter von Gottes Gnaden« feiern ließ, saß der hier einsam und still und schrieb Dramen in fünffüßigen Jamben.

Sie waren vom Balkon wieder in das Zimmer getreten, denn der Wind blies kalt herein. Schottenbauer wußte noch immer nicht, was der Besuch eigentlich bedeutete. »Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?« Er ging in das anstoßende Zimmer und kehrte mit einer Zigarrenkiste zurück.

Percival hatte seine hastigen Bewegungen verfolgt, unwillkürlich brach er in Lachen aus.

»Entschuldigen Sie,« sagte er, als der andere ihn fragend ansah, »was – hängt denn da an Ihnen?«

Indem Schottenbauer ins Nebenzimmer ging, hatte er bemerkt, wie etwas, das beinahe wie eine Schleppe von Fetzen aussah, hinter ihm herschleifte. Der Angeredete sah lächelnd an sich herab.

»Ah – Sie meinen meinen Schlafrock?«

»Ein – Schlafrock ist das?« –

Schottenbauer lachte gutmütig auf.

»Schlafrock, Tintenwischer, unter Umständen auch Wischtuch – alles in einer Person. Schön ist er nicht mehr, das ist wahr, aber ich habe ihn so lange und bin so dran gewöhnt und kann mich so schwer von alten Sachen trennen. So ein alter Rock, in dem man jahrelang an seinem Tisch gesessen und geschrieben hat – ist ja schließlich wie ein alter Freund.«

Percival Nöhring hatte sich die Zigarre angezündet und einen Stuhl genommen; Schottenbauer saß, wo er vorhin gesessen hatte.

»Seit Jahren schreiben Sie?« fing Percival langsam an.

Ein kurzes, verlegenes Lachen war die Antwort.

»Und – immer das da?«

Percival deutete mit dem Kopfe auf die Foliobogen.

»Das da? Was?«

Ein Zucken ging über Schottenbauers Gesicht. Er errötete.

»Immer – Trauerspiele?«

»Und daneben noch manches andere.«

Die Antwort kam hastig hervorgestoßen, rauh. Er rückte mit dem Stuhle näher an den Tisch, legte die Hand auf das Papier, und die Finger der Hand spielten nervös darauf herum. Dann warf er den Kopf zu Percival herum, und in dem Augenblick erlosch das Lächeln, das Percivals Mund umzuckt hatte.

Ein funkelnder Blick hatte ihn getroffen; die Nasenlöcher – beinahe hätte man sie Nüstern nennen können – blähten sich auf.

Was drängst du dich an mich? Was suchst du? Was willst du? fragte der Blick. Eine jähe, leidenschaftliche Heftigkeit loderte in dem Manne auf.

Jetzt kam das Erröten an Percival. Er merkte, daß er recht täppisch vorgegangen war, und kam sich einigermaßen einfältig vor. Mit dem »komischen Kerl« da mußte man doch wohl etwas vorsichtiger umgehen! »Bitte, bitte,« wandte er hastig ein, »ich – ich erwähnte das nur, weil es mich – dem Anliegen näherbringt, das mich zu Ihnen führt.«

Schottenbauer war schon wieder beruhigt.

»Ein Anliegen?« sagte er lächelnd, und das Lächeln schien zu sagen: »Habe ich mir gedacht.«

»Ja – indem ich vorhin von Ihrem Balkon sah, habe ich bemerkt, daß Sie gerade gegenüber von Frau Majorin Bennecke wohnen –«

»Tante Löckchen«, unterbrach der andere leise.

»Ah – Sie kennen sie?«

»Bin ihr nie vorgestellt worden.«

»Aber – weil Sie den Namen nannten?«

Schottenbauer neigte lächelnd das Haupt und sah Percival mit einem Blick an, den dieser nicht recht verstand. Es war etwas darin – beinahe Mitleidiges – eigentlich beinahe ein wenig Beleidigendes. Es war auch so. Denn indem er ihn anschaute, sagte er für sich: »Du Esel. Du Esel – denkst du denn, weil ich in meinen Gedanken über die Straße gehe, ich höre und sehe und weiß nicht, was um mich her geschieht? Denkst du, ich kenne dich nicht und deine Kollegen und euch alle und weiß nicht, wie ihr von mir sprecht und über mich lacht, wenn ihr unter euch seid?«

Er hatte den Blick wieder abgewandt und stützte den Kopf in die Hand.

»Also – das Anliegen?«

Nun rückte Percival mit seinem Antrage heraus.

»Ich will Ihnen natürlich nicht vorgreifen,« schloß er, »aber – ich hatte mir so gedacht – wenn der Prolog vielleicht eine Verherrlichung der dramatischen Kunst enthielte –«

Schottenbauer erwiderte zunächst nichts, sondern nickte stumm in Gedanken vor sich hin.

Seltsame Gedanken waren es.

Eben hatte sich der Mensch dort darüber lustig gemacht, daß er Dramen schrieb – und jetzt bat er ihn um ein Gedicht zur Verherrlichung der dramatischen Kunst. Wie die verkörperte Wohlhabenheit saß jener da in seiner eleganten Kleidung – wie ein Bettler er in seinem zerrissenen Schlafrock – aber weil er etwas von ihm haben wollte, weil er ihn brauchte, besann er sich keinen Augenblick, ihn, den armen Teufel, nach dem er sonst im Leben nicht gefragt haben würde, in seiner ärmlichen Behausung aufzusuchen und anzubetteln!

Unwillkürlich schüttelte er das Haupt. Jetzt aber zog Percival alle Register seiner Liebenswürdigkeit.

»Sie täten uns allen einen so großen, wirklich großen Gefallen, und Frau Majorin Bennecke ganz besonders! Wenn Sie wüßten, was Frau Majorin Bennecke für eine Kunstfreundin ist! Und wie es sie kränken würde, wenn sie den Prolog nicht bekäme!«

Schottenbauer lächelte vor sich hin. Wie oft war er der alten, freundlichen Dame unterwegs begegnet; wie gern sah er sie an, sooft es geschah. Und dazu machte jetzt Percival Nöhring seine liebenswürdigen Augen, und wenn er die machte, bekam sein Gesicht wirklich einen so lieben, so herzigen Ausdruck.

Schottenbauer stand auf, trat an die Balkontür und drückte die Stirn gegen die Glasscheiben.

All die Gedanken, die soeben durch seinen Kopf gezogen waren, stürmten wieder auf ihn ein. Es war ihm ja bekannt, was für ein Leben in der Stadt herrschte, wie man zu Mahlzeiten, zu Bällen, zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten sich vereinigte, um vergnügt zu sein, um zusammen zu sein, um als Mensch unter Menschen zu sein – und abseits von all dem fröhlichen Treiben saß er in seiner Stube am Wasser wie ein Tier, das sich in seine Höhle zurückzieht, einsam und verlassen, und nur wenn sie etwas von ihm haben wollte, sah diese lustige, glänzende Gesellschaft sich nach ihm um.

Er besaß also doch etwas, was diese Kinder des Glücks nicht besaßen? Er, der Unscheinbare, der arme Teufel, konnte diesen Glänzenden, diesen Reichen etwas schenken?

Ein stolzes Gefühl schwellte ihm die Brust, und während er, die Stirn an die Scheiben gedrückt, die Augen auf den nächtlichen Strom gerichtet, noch so stand, erschien ihm das Bild der furchtbaren, süßen Göttin, der er in Verzweiflung diente, die ihn zu solchen Qualen verdammte, der dramatischen Muse. Er sah sie, an den eisernen Thron ihrer Schwester, der Weltgeschichte, gelehnt, sah, wie sie die goldenen Schätze im Schoß barg und damit zu den Menschen hinunterstieg, das Gedicht, das er zu ihrer Verherrlichung dichten sollte, brach jählings, wie eine Naturgewalt, aus den Tiefen seiner Seele hervor – und er fühlte, daß er ein Dichter war.

Tief aufseufzend, ohne seine Stellung zu verändern – denn die Phantasie hatte ihn gepackt und hielt ihn wie gebannt an seinem Platze –, wandte er das Gesicht zu Percival, und Percival sah staunend in zwei völlig verwandelte, große, leuchtende Augen.

»Vielleicht –« sagte Schottenbauer leise, »werde ich es machen – fragen Sie morgen wieder an.«

Percival saß stumm und konnte die Augen nicht vom Gesicht dieses Menschen wenden. Es war ihm ganz merkwürdig zumut; als er zu ihm kam, war ihm die ganze Sache eigentlich mehr wie ein Spaß erschienen, wie eine Gelegenheit, einen sonderbaren Kauz kennenzulernen, den man nachher, wenn man ihn nicht mehr braucht, wieder laufen läßt – jetzt hatte er plötzlich ein Gefühl, als stünde er vor einer ganz ernsthaften Angelegenheit, als würde er diese Stunde nie wieder vergessen, diesen Menschen dort nie wieder aus den Augen verlieren können.

»Also – morgen?« fragte er endlich.

»Ja, ja, morgen mittag.«

»Morgen mittag?« Im Tone seiner Frage spiegelte sich sein Erstaunen. Er dachte daran, wie er zwei Tage lang über seinem unglücklichen ersten Entwurfe gebrütet hatte.

Schottenbauer schien es nicht zu bemerken.

»Werden Sie ihn sprechen?« erkundigte er sich.

»Ja – wenn Sie nicht vielleicht selbst –« meinte Percival zögernd. Der andere warf den Kopf auf.

»Aber Sie wissen ja, daß ich bei Frau Majorin Bennecke ganz unbekannt bin.«

»Nun – ich dachte – wenn Sie vielleicht Besuch machten.«

Jetzt verließ Schottenbauer seinen Platz an der Glastür, an der er noch immer stand.

»Nein, nein, nein!« erklärte er.

»Aber – es ist eine so freundliche, kunstsinnige Frau!«

»Mag sein,« erwiderte Schottenbauer, »mag alles sein,« – mit langen Schritten, so daß die Schlafrockfetzen hinter ihm drein flogen, durchmaß er das Zimmer und, weil das Zimmer zu eng war, auch das Zimmer nebenan – »aber ich weiß – da kommt die ganze Gesellschaft zusammen – die ganze elegante,« – eine wilde Unruhe hatte ihn erfaßt; er fuchtelte mit den Händen; die Worte kamen abgerissen zwischen den murrenden Lippen hervor – »lauter feine Herren und Damen – Lackstiefel – wird nachher getanzt – spielt man eine lächerliche Rolle.« – Er warf sich auf seinen Stuhl und wandte den Kopf von Percival ab, der Glastür zu. »Hinter meinem Rücken mögen sie über mich lachen – ist mir egal – aber mir ins Gesicht – paßt mir nicht!«

»Aber ich bitte Sie«, versuchte Percival dreinzureden, »wer lacht denn?«

Schottenbauer warf den Kopf zu ihm herum und sah ihm gerade in die Augen; eine düstere Röte überflammte sein Gesicht.

»Sie und die andern und Sie allesamt!«

Percival murmelte etwas Unverständliches; konnte er darauf »Nein« sagen?

Schottenbauer achtete nicht darauf; seine Finger tanzten wieder auf dem Papier umher, das vor ihm lag.

»Mögen ja recht haben – haben vielleicht ganz recht – bin vielleicht ein Verrückter – vielleicht auch nicht – wird sich ja zeigen, wird sich alles zeigen – aber das Gedicht sprechen – tu ich nicht – vor denen da – in Lackstiefeln.« Er schlug mit der Faust auf das Papier. »Und ich will überhaupt nicht, daß man erfährt, daß ich's gemacht habe!«

»Aber das ist doch gar nicht anders möglich«, wandte Percival ein.

»Aber ich will nicht«, erklärte der andere mit rauher Entschlossenheit.

»Für Sie allesamt ist ja das Theater und das Gedicht und das alles nur Nebensache, und auf das Tanzen nachher kommt es an – und für so etwas mache ich keine Gedichte! Für mich ist so was etwas ganz anderes, ganz anderes! Und diese Menschen brauchen nicht zu denken, daß ich ein Gelegenheitsdichter bin, daß ich für so etwas Gedichte mache! Kommt mir gar nicht darauf an! Mache das Gedicht überhaupt nur für mich selbst, gar nicht für diese Leute, dieses – Publikum!«

Er verstummte, ein höhnisches Lächeln verzog seinen Mund. Er dachte daran, wie er vor einiger Zeit dem Theaterdirektor des Orts ein Stück eingereicht und dieser es abgelehnt hatte, »weil es nichts für sein Publikum« sei.

Percival war ganz kleinlaut geworden.

»Aber – wenn ich das Gedicht spreche und nicht sagen darf, daß es von Ihnen ist – dann – das müssen Sie doch selbst einsehen – komme ich ja in eine ganz schiefe Lage.«

Er wartete auf eine Antwort, aber es kam keine.

»Dann glauben die Leute schließlich – es wäre von mir selbst,« fuhr er fort, »und ich schmücke mich, ohne es zu wollen, mit fremden Federn.«

Schottenbauer sah ihn überrascht, beinahe verblüfft an.

»Machen Sie denn auch Gedichte?«

Der Ton der Frage klang nicht sehr schmeichelhaft. Percivals Erscheinung hatte ihm offenbar gar nicht den Gedanken aufkommen lassen, daß so einer Gedichte machen könnte.

Percival errötete.

»Na, mein Gott,« sagte er verlegen, »ich reime Braten auf Salaten – Sie verstehen?«

Schottenbauer ließ den Blick auf ihm ruhen. Indem er ihn so ansah, wie er mit niedergeschlagenen Augen dasaß, bemerkte er zum erstenmal, was für ein hübscher Mensch es eigentlich war, was für einen angenehmen Ausdruck das Gesicht besaß. Die Art, wie er von seinen Dichtungen sprach, war so bescheiden – zum erstenmal regte sich etwas Wärmeres in ihm für den da drüben.

»Aber das trifft sich ja sehr gut,« sagte er freundlich, »dann lassen Sie doch die Menschen glauben, es wäre von Ihnen. Was schadet's denn? Von mir, das versichere ich Ihnen, erfährt niemand, daß Sie es nicht gemacht haben.«

Percival knurrte und murrte etwas Unverständliches. Der Gedanke wollte ihm durchaus noch nicht eingehn.

»Na, sehen Sie mal,« fuhr der andere fort, »die Sache liegt jetzt einfach so: machen tu ich nun das Gedicht, ob Sie es nachher nehmen wollen oder nicht, einerlei; die Idee ist in mir warm geworden, und nun muß sie heraus, da hilft nichts dagegen. Bleibt Ihnen also ganz freigestellt, ob Sie morgen kommen wollen oder nicht, und wenn Sie kommen, zwingt Sie niemand, das Ding zu nehmen. Sie wissen ja noch gar nicht, ob's was Vernünftiges wird, ob's Ihnen gefallen wird. Nehmen Sie's also nicht, gut, so bleibt's hier liegen, hier liegt schon so manches« – er schlug mit einem leisen Lachen auf die Papiere, die den Tisch bedeckten. »Wollen Sie's aber haben, dann müssen Sie's so nehmen, wie ich es Ihnen gesagt habe. Dürfen nicht sagen, daß es von mir ist, denn ich will nun mal nicht, daß man mich hier noch obendrein als ›Braten-Barden‹ proklamiert! Ich schenk's Ihnen, samt allem Ruhm und aller Ehre. Und wenn's Ihnen zu schwer ankommt, na – so denken Sie, ich schenk's der Frau Majorin Bennecke, der Tante Löckchen, der tät ich sowieso gern einmal etwas zu Gefallen.«

Er hatte sich erhoben und stand vor Percival, dem er mit gutmütig lachenden Augen ins Gesicht sah. Dieser war gleichfalls aufgestanden und blickte stummverwundert auf den sonderbaren Menschen herunter, den er beinahe um Kopfeslänge überragte. Alle möglichen widersprechenden Empfindungen kreuzten sich in ihm.

Wie er da vor ihm stand, der kleine vierschrötige Kerl, auf seinen kurzen, fest in den Boden gepflanzten Beinen! Wie ein knorriger Baumstamm, der zum Winde sagt: »Puste du nur – wollen sehen, ob du mich umpusten kannst.« Eigentlich zum Lachen – und doch, wenn man sein Gesicht sah, mit dem energischen Blick, wieder nicht zum Lachen. Und wenn einen die Augen so gutmütig schalkhaft ansahen wie jetzt, mußte man sie beinahe liebgewinnen, und den ganzen putzigen Kerl dazu.

»Ich schenk's Ihnen, samt allem Ruhm und aller Ehre« – wie das herausgekommen war, so voller Selbstvertrauen, und doch ohne Prahlerei, mit kurzem Auflachen, wie eine Welle, die aus dem Kraftgefühl aufspringt, sich selbst verspottend, wie nur der Starke sich selbst verspotten kann, wie die Handbewegung des freigebigen Reichtums: »da hast du's – ich habe mein Bewußtsein, und das ist mir genug.«

Wäre in Percival auch nichts rege gewesen als die Neugier, festzustellen, ob das alles wirklich in ihm vorhanden war, ob er wirklich einlösen würde, was er versprach – jetzt mußte er zugreifen.

Er langte nach dem Hute und streckte die Hand aus. »Morgen mittag also.«

Schottenbauers Hand kam ihm langsam entgegen, dann aber griff sie fest zu.

»Morgen mittag.«

Sie hielten sich einen Augenblick fest. Percival fühlte eine warme, trockene, feingliedrige Hand, die in merkwürdigem Kontrast zu dem vierschrötigen, beinahe plumpen Körper stand, zu dem sie gehörte. In den Fingern der Hand war ein Zucken, Tasten und Befühlen, als wollte sie die Hand des andern und damit diesen andern selbst kennenlernen. Beider Augen ruhten ineinander, als sagte ihnen ein Gefühl, daß sie sich von nun an noch manchmal im Leben begegnen würden, noch manchmal. Dann nahm Schottenbauer die Lampe vom Tisch auf.

»Ich leuchte Ihnen die Treppe hinunter«, sagte er. »Sie brechen sonst Hals und Beine.« Als Percival hinuntergestiegen war und den Hof erreicht hatte, hörte er, wie droben die Tür des Zimmers wieder zugeschlagen wurde – jetzt saß er also wieder an seinem Tisch, vor den gelben Foliobogen. Während er kopfschüttelnd aus dem Hause trat und den Heimweg einschlug, geschah da oben, da hinter ihm vielleicht ein Wunder, und der leere nichtssagende Bogen Papier verwandelte sich in atmendes Leben, in Zauber, Wonne und Duft, in das, was man ein Gedicht nennt.

»Merkwürdig!« –

Wenn es nur erst morgen mittag gewesen wäre! Eine unbezwingliche Neugier hatte ihn erfaßt, ein Verlangen, eine Unruhe – er wußte selbst nicht, was es war.

Sobald er am nächsten Tag mit seiner Arbeit auf der Regierung fertig war, machte Percival Nöhring sich auf den Weg nach der Gasse am Fluß. An der Haustür traf er mit Schottenbauer zusammen, der eben vom Gericht kam.

»Sie sehen, ich bin pünktlich«, sagte Percival liebenswürdig. Der andere nickte.

»Bitte, kommen Sie nur 'rauf. – Aber nun müssen Sie sich noch einen Augenblick gedulden,« fuhr er fort, nachdem sie eingetreten waren, »ich muß es bloß noch aufschreiben.«

»Sie wollen es ins reine schreiben?« meinte Percival, »o bitte – machen Sie sich keine Mühe, geben Sie mir das Brouillon.«

Schottenbauer schob ihm einen Stuhl hin.

»Nein, es ist noch nicht auf dem Papier; aber es soll nicht lange dauern; bedienen Sie sich inzwischen mit einer Zigarre.«

Während Percival sich aus der Kiste, die er vor ihn hinstellte, eine Zigarre nahm und sie anzündete, setzte er sich vor den Tisch, und dann begann er, das Gedicht Strophe nach Strophe auf den Bogen zu setzen. Es war wie eine rein mechanische Tätigkeit, als schriebe er von einer unsichtbaren Vorlage ab; nur von Zeit zu Zeit richtete er, wie nachdenkend, den Kopf für einen Augenblick auf, dann ging es weiter. Percival sah ihm mit offenem Munde zu. – Wie machte der Teufelskerl das?

Er dachte daran, wie er an seinem Prolog gebastelt und geleimt hatte. Sobald unter Hängen und Würgen eine Strophe fertig geworden war, hatte er sich auf das Papier gestürzt, um sie festzunageln, denn im nächsten Augenblick, das fühlte er, würde er sie wieder vergessen haben, und der da schrieb sein langes Gedicht herunter, von der ersten bis zur letzten Zeile, aus dem Kopfe, ohne zu feilen und zu ändern, gleichmütig wie ein Kopist. –

»Gleich sind wir so weit«, sagte Schottenbauer jetzt, indem er den Bogen zwischen zwei Löschblätter legte. Er hatte drei Folioseiten vollgeschrieben und ging auf die vierte über.

Noch ein paar Minuten – dann drückte er abermals das Löschblatt auf und erhob sich von seinem Sitze.

»Da haben Sie das Ding, wenn Sie's haben wollen«, sagte er, indem er Percival den vollgeschriebenen Bogen hinschob.

Wie ein Stoßvogel fiel dieser darüber her. Aber die Handschrift machte ihm zu schaffen; sie war eckig, krakelig und nervös.

»Sie können's nicht recht lesen,« meinte Schottenbauer, indem er das Papier wieder an sich nahm, »ja – ich hab' ein bißchen rasch geschrieben.«

»Ich werd's Ihnen vorlesen – aber ganz ohne rethorischen Schwung«, setzte er mit einem kurzen Lächeln hinzu.

Dann nahm er den Bogen vor, und mit eintöniger, beinahe verlegener Stimme begann er, das Gedicht herunterzulesen. »Herunterzulesen«, es gab keinen andern Ausdruck dafür, wie wenn es ihm vollständig gleichgültig gewesen wäre, was für einen Eindruck es auf den Hörenden machen würde.

Lautlos hörte Percival zu, ganz in starrem Staunen gefangen. Solch ein Gedicht! Und so vorgetragen! Wenn er das vorzulesen gehabt hätte – Donnerwetter! Die Verse des Gedichtes rollten an ihm vorüber wie ein träger, schwerer Strom; aus den Wellen aber blitzte und blinkte es hervor in sprühenden Funken, in flimmernden Lichtern; Wort, Gedanke und Bild in unerschöpflicher Fülle, in drängender Gewalt, ein Reichtum, der sich gar nicht zu fassen und zu lassen vermochte. Mit weit aufgerissenen Augen saß Percival immer noch laut- und regungslos da, als der Vorlesende jetzt geendigt hatte. Er konnte sich noch gar nicht fassen; das war ja ein Erlebnis, etwas ganz Fabelhaftes.

Schottenbauer warf das Papier auf den Tisch.

»Na – wollen Sie's haben?«

Mit einem Griffe hatte Percival es an sich gerissen.

»Und das wollen Sie mir wirklich geben?«

»Ja, ja – ich hab's Ihnen ja gesagt.«

Percival wußte nicht, was er sagen sollte.

»Und in dieser Geschwindigkeit – solch ein Gedicht –«

Er blickte in das Manuskript.

»Ich werde es mir abschreiben und Ihnen das Original dann zurückbringen.«

Schottenbauer sah ihn an. »Wozu denn?«

»Aber – so etwas – können Sie doch nicht so fortgeben. Das müssen Sie doch bei sich behalten?«

Statt aller Antwort sprang Schottenbauer auf, kniffte den Bogen zusammen und drückte ihn Percival in die Hand.

»Da haben Sie's,« rief er, »und nun nehmen Sie's, sprechen Sie's, behalten Sie's, machen Sie damit, was Sie wollen! Ich schenk's Ihnen, ich hab's Ihnen gesagt, ich will nichts mehr damit zu tun haben!«

In leidenschaftlicher Erregung ging er hin und her. Kopfschüttelnd sah Percival ihm zu.

»Aber warum wollen Sie denn Ihr eigenes Fleisch und Blut so verstoßen?«

»Ich hab's gemacht, und nun bin ich's los, und nun geht's mich nichts mehr an!«

Er trat an die Kommode, die unter dem Bücherregal stand, riß ein Schubfach auf und griff mit beiden Händen hinein. Ein dickes, schweres Pack Manuskripte, lauter lose Foliobogen wie der, auf den er soeben das Gedicht geschrieben hatte, kam zum Vorschein. Er hielt sie Percival vor das Gesicht.

»Da,« sagte er knirschend, »sehen Sie da! Ist das noch nicht genug? Soll das da auch noch dazu? Damit es zum Mäusefraß wird? Nein – fort damit! Ist genug! Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, nehmen Sie's und reden Sie nicht mehr davon!«

Mit einem Wurf schleuderte er die ganze Papiermasse in das Schubfach zurück, so daß eine Staubwolke sich erhob, dann warf er die Kommode wieder zu.

»Meine Wirtin,« fuhr er fort, »die weiß, wozu meine Sachen gut sind – da – bitte, kommen Sie einmal her!«

Er war an die Balkontür gegangen; Percival stand auf und trat hinzu.

Schottenbauer zeigte auf die Türfugen; mit säuberlich geschnittenen Streifen eines Manuskripts waren dieselben verklebt.

»Ach – so etwas –« sagte Percival. Er dachte daran, mit welcher Sorgfalt Freda seine Manuskripte bewahrte. Jedes Schnipselchen. Sogar die Fetzen des verunglückten Prologs hatte sie aufgehoben, des Prologs, an den zu denken, ihm jetzt geradezu die Röte ins Gesicht trieb.

Schottenbauer lachte laut.

»Ja, nicht wahr? Oh, daß die Erde, der die Welt gebebt, vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!«

Dann unterbrach er sich.

»Ja, sie wird ihm was beben, die Welt! Wird ihm was! dem großen Cäsar, ja!«

Das letzte ging in einem dumpfen, grollenden Murmeln unter; dann warf er den Kopf zu Percival herum.

»Na – und nun wünsche ich Ihnen viel Glück mit Ihrem Vortrag bei Tante Löckchen.«

Percival lächelte; er fühlte sich an die Luft gesetzt.

»Aber so viel werden Sie mir doch noch erlauben,« sagte er, »daß ich Ihnen danke?«

Er hielt ihm die Hand hin. Zögernd wie gestern, beinahe zögernder noch, legte Schottenbauer die seinige hinein; in der zuckenden Hand wählte die Erregung nach, die ihn soeben durchschüttelt hatte.

»Leben Sie wohl!« erwiderte er, »leben Sie wohl!« und wandte das umdüsterte Gesicht von Percival hinweg, der Balkontür zu. Das Gedicht in der Brusttasche bergend, verließ ihn Percival, und so kam er zu den Seinigen zurück, die bereits mit dem Mittagessen auf ihn warteten.


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