Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Zehntes Kapitel

Inzwischen wurde bei Tante Löckchen drüben ein Fest gefeiert, wie es auch in den Annalen dieses an festlichen Ereignissen so reichen Hauses noch nicht verzeichnet war. Im Salon war eine regelrechte kleine Bühne aufgeschlagen, mit Vorhang und allen Requisiten; nur der Souffleurkasten fehlte, denn man konnte von Freda Nöhring füglich nicht verlangen, daß sie sich mit ihrem glänzenden Gesellschaftskleid in ein solches Loch hineinzwängte. Sie saß hinter den Kulissen und blieb während der Aufführung für die Gesellschaft unsichtbar. Auf den Stuhlreihen vor der Bühne waren Theaterzettel verteilt, alle säuberlich, kalligraphisch ausgeführt.

»Hoftheater Bennecke«, lautete die Überschrift; dann folgte »Ouvertüre zu Tannhäuser, vorgetragen von Fräulein Nanette Burow, Pianovirtuosin, Ehrenmitglied verschiedener zu gründender Kunstakademien«.

Dann: »Prolog von Herrn Percival Nöhring, gesprochen vom Dichter«.

Und endlich der Titel des Lustspiels mit den Namen der Personen und der Darsteller.

Eine halbe Stunde, bevor die übrigen Gäste sich versammelten, kamen die Darsteller an. Großer Vorbereitungen bedurfte es nicht; eine halbe Stunde genügte.

Percival nahm einen Theaterzettel auf und las; ein rasches Erröten ging über sein Gesicht.

»Prolog von Percival Nöhring – gesprochen vom Dichter.« Da stand es schwarz auf weiß – und war gelogen.

Die ganze Geschichte war ja kaum der Rede wert; Schottenbauer hatte ihn nicht nur ermächtigt, sondern sogar aufgefordert, den Prolog als den seinigen zu bezeichnen – und doch, indem er es nun schwarz auf weiß geschrieben, gewissermaßen verewigt sah, bereitete es ihm eine fatale Empfindung.

Er erhob die Augen und sah Freda vor sich stehen, die ebenfalls einen Zettel aufgenommen hatte und studierte. Was würde sie denn sagen? Aber sie sagte gar nichts. Gleichmütig legte sie das Blatt auf den Stuhl zurück, und als sie seinen fragenden Blick gewahrte, nickte sie ihm mit einem halben Lächeln ermunternd zu: »Nur los!«

Nur los also! Jetzt war ja auch nichts mehr an der Sache zu ändern. Einen Dienst konnte er dem Verfasser des Gedichts immerhin erweisen, und den wollte er ihm tun, er würde es prachtvoll sprechen, ein bißchen anders, als der gute Schottenbauer es ihm neulich heruntergeleiert hatte.

Der erste Klingelschlag draußen, welcher die Ankunft der ersten Gäste verkündete, scheuchte die Darsteller und die Souffleuse hinter den Vorhang, und nun kam es »trapp – trapp –« hereingeströmt; ein Ankömmling gab dem andern die Tür in die Hand. Die Stuhlreihen füllten sich; in der vordersten, der Mitte des Vorhangs gegenüber, saß Tante Löckchen in grauem Seidenkleide, eine große goldene Brosche vor der Brust, mit klingelnden Locken, indem sie den Kopf bald nach rechts, bald nach links wandte, Glück erwartend, Glück verheißend wie der gute Geist eines guten, freundlichen Hauses.

Die Tasten des Flügels erdröhnten unter Fräulein Nanettchens kurzen, kräftigen Fingern; die Tannhäuserouvertüre rollte hinter dem Vorhang hervor. Das Publikum geriet in Stimmung; eine brausende Applaussalve belohnte die unsichtbare Spielerin, nachdem sie geendigt hatte. »Nanettchen 'raus! Fräulein Nanettchen 'raus!« ertönte es. Hinter dem Vorhang hervor antwortete Nanettchens Stimme: »Danke, danke, danke! Rauskommen aber kann ich nicht, denn ich muß mich noch schminken!«

Ein Jubelgeschrei antwortete dieser Erklärung; Tante Löckchen ging beinahe auseinander vor Vergnügen; die erste Programmnummer war glänzend erledigt. Nun erfolgte ein allgemeines Kopfrecken – Percival Nöhring sollte mit seinem Prolog erscheinen.

Ein Klingelzeichen – ein letztes »Pst – Pst –« vom Munde Herrn Majors Bennecke, dem die jüngeren Mitglieder der Zuhörerschaft nicht andächtig genug waren – dann ging der Vorhang auf, und inmitten der Bühne stand Percival Nöhring im schwarzen Frack und weißer Krawatte, das Manuskript des Prologs in Händen.

Sein für gewöhnlich so heiteres Gesicht war ganz ernst, beinahe blaß; indem er die Augen über die Gesellschaft dahingehen ließ, wurde alles still.

Langsam, mit anfänglich etwas unsicherer, dann aber sich kräftigender Stimme begann er zu sprechen, und als er die erste Strophe zu Ende gebracht hatte, war ein atemloses Schweigen auf allen Lippen, ein staunendes Starren in allen Augen – niemand sprach es aus, aber ein jeder fühlte und empfand: das war ja etwas ganz Unerwartetes! Percival sprach weiter; der Inhalt des mächtigen Gedichts ergriff ihn selbst dermaßen, daß er immer besser, daß er wirklich gut sprach; dabei war er so ruhig und Herr seiner selbst, daß er die Gesichter der vor ihm Sitzenden zu mustern vermochte, daß ihm war, als läse er in jedem Herzen die staunende Frage: »Wo kommt das her?«

Wo kam es her, dieses Gedicht, dessen Gedanken, dessen Bilder im tönenden Rhythmus prachtvoller Verse vor diesen Bewohnern der kleinen Stadt dahinschritten wie Gestalten einer Welt, von der sie bisher nichts gewußt, kaum etwas geahnt hatten?

War das hier entstanden? Wirklich, hier am Orte?

Das war ja gar kein Prolog für eine Dilettantenaufführung, das war ja ein wirkliches, wahres, alle Höhen und Tiefen umfassendes Gedicht. Und solch einen Dichter hatte man hier mitten unter sich? Und solch ein Dichter war – Percival Nöhring?

Der Eindruck war ein so überwältigender, daß, als Percival geendigt hatte, zunächst eine lautlose Stille eintrat. Dann aber brach ein wahrhaft tosender Beifallssturm aus, geradezu ein Tumult.

Herr Major a.D. Bennecke schäumte förmlich vor Begeisterung und mußte mit Gewalt von seiner Frau daran verhindert werden, daß er die Bühne erstieg. »Ich muß dem Jungen einen Kuß geben!« erklärte er, »ich muß ihm einen Kuß geben!«

Der Vorhang, der sich herniedersenkte, machte es ihm unmöglich, seinen Vorsatz auszuführen; in Ermangelung des Sohnes kriegte er den Papa Nöhring zu packen, seinen alten Freund. »Nöhring,« sagte er, indem er ihn umarmte, »das ist ja kolossal! kolossal! kolossal! Das ist ja eine Pracht von Kerl, dein Junge! Ein Dichter von Gottes Gnaden mit Eichenlaub und Schwertern!«

Seine Worte knatterten wie Gewehrfeuer durch den Salon; im ganzen Salon war aber kein einziger, der ihnen nicht beigestimmt hätte. Nachdem die Aufregung sich gemäßigt hatte, ging der Vorhang zu dem kleinen Lustspiel auf. Glatt und ohne Anstoß spielte es sich ab. Die Rollen saßen fest, die Darsteller, von den bisherigen Erfolgen angefeuert, überboten sich in ihren Leistungen; nach dem Schlusse wurden sie dreimal, viermal herausgerufen.

Nun rückte Tante Löckchen mit dem Stuhle; alles erhob sich; das Theater war zu Ende. Tante Löckchen sah sich um – »und siehe, es war alles sehr gut gewesen«.

Die Darsteller kamen von der Bühne, um wieder Menschen unter Menschen zu werden; alles drängte sich, sie zu begrüßen; um Percival Nöhring bildete sich ein vollständiger Knäuel. Die älteren und gewichtigeren Mitglieder der Gesellschaft bemächtigten sich seiner Hände, die sie schüttelten und schüttelten; die jüngeren standen um ihn her, indem sie ihn mit offenen Augen anstarrten; es war, als getrauten sie sich gar nicht mehr an ihn heran, an den »berühmt« gewordenen Mann.

Die Aufmerksamkeit war so ausschließlich auf ihn gerichtet, daß man zunächst seiner Schwester, die ebenfalls hinter den Kulissen hervorgekommen war, kaum irgendwelche Beachtung schenkte. Herr Major Bennecke war es, der, indem er sie mit schallender Freude begrüßte, ihr den gebührenden Anteil am allgemeinen Interesse verschaffte.

»Fräulein Freda – mein Kompliment! Sie sehen aus – daß sich ein alter Knasterbart wie ich in Sie verlieben könnte!«

Er hatte recht; in ihrem ausgeschnittenen Kleide von meergrüner Seide, das den Hals und die Arme in jugendlicher Fülle hervortreten ließ, sah Freda Nöhring heute schöner aus denn je. Auf ihrem Gesicht lag sonnige Heiterkeit; ihre ganze Persönlichkeit atmete eine ungewohnte Liebenswürdigkeit.

Solch ein Triumph! Sie schwamm und badete förmlich darin und war gesonnen, sich dem Rausche des Augenblicks rückhaltlos hinzugeben. Der Gedanke daran, wie der Triumph zustande gekommen war, zog ja wohl blitzartig durch ihr Gemüt. Aber jetzt sollte nicht daran gedacht werden, jetzt wollte sie den Augenblick genießen und nichts als den Augenblick, jetzt wollte sie einmal glücklich, glücklich sein.

Ein glänzendes Abendessen folgte. Während man es genoß, wurde im Salon die Bühne abgebrochen, und als man aus dem Speisezimmer in den Salon zurückkehrte, ertönten bereits die ersten Klänge der Tanzmusik.

Tante Löckchen tanzte die Polonäse mit. Percival Nöhring mußte sie führen; er war heute mehr als alle Regierungs- und Oberregierungsräte, er war der Stern des Abends.

Auch um Freda Nöhring drängten sich die Herren; sie war ja heute wie eine Blume, die unter Eis und Schnee begraben gelegen hat und plötzlich in voller sommerlicher Pracht emporschießt.

Der Name Nöhring war auf aller Lippen und in aller Gedanken. Papa Nöhring schaute mit feucht verklärten Augen zu und brachte im stillen seinen Hausgöttern sein Dankopfer dar, die ihm solche Kinder beschert hatten.

Mitternacht war längst vorüber; eine Tanzpause war eingetreten; die Familienväter und -mütter fingen an, Zeichen zu geben, daß es nun bald genug sei.

Im Salon, in welchem die Tänzer und Tänzerinnen erhitzt und ermüdet umhersaßen und sich Kühlung fächelten, erschien plötzlich, aus dem Rauchzimmer kommend, ein älterer Herr, ein Oberregierungsrat, der sich in die Mitte des Salons stellte und für einen Augenblick das Wort erbat.

»Meine Herrschaften,« begann er, »es wäre schnöder Undank an unsern liebenswürdigen Wirten, wenn wir die Freuden des heutigen Abends zergliedern und sagen wollten, dies oder jenes war heute das Schönste. Trotzdem, meine Herrschaften, glaube ich in Ihrem und im Sinne unsrer liebenswürdigen Wirte zu handeln, wenn ich sage: Wir können diesen Abend nicht schöner beschließen, als wenn wir den großen Eindruck von Herrn Percival Nöhrings wahrhaft herrlichem Gedichte auf den Heimweg nehmen. Und so erlaube ich mir, im Namen der Gesellschaft an Herrn Percival Nöhring die Bitte zu richten, daß er uns seinen Prolog noch einmal spreche.«

Alle Hände wurden lebendig. »Bravo, bravo, bravo!«

Fräulein Nanettchen flog wie eine Kanonenkugel aus dem Geschützrohr hinüber, um die Herren aus dem Rauchzimmer herbeizuholen.

»Percival spricht noch einmal sein Gedicht!«

Im nächsten Augenblick drängte sich Kopf an Kopf, und ob er wollte oder nicht, Percival mußte in die Mitte des Salons treten, um das Gedicht noch einmal zu deklamieren. Indem er aufblickte, begegnete er den Augen Fredas, die ihm gerade gegenübersaß.

Ihr Gesicht war vom Tanze erhitzt; ihre Brust ging wallend auf und nieder, und über den Fächer hin trafen ihre Augen lodernd in die seinigen.

Sie hatte ja vorhin, als er sprach, hinter ihm in den Kulissen gesessen; jetzt sollte sie mit eigenen Augen sehen, wie der Heißsporn sprach und wie sich Männer und Weiber zu seinen Füßen neigten.

Sie war schön wie eine berauschte Mänade; und indem er sie ansah, überkam auch ihn ein trunkenes Vergessen. Es war sein Gedicht, er war wirklich ein Dichter, und wenn er es noch nicht war – hol's der Teufel – so schwur er sich zu, daß er es von nun an wirklich werden wollte! Er warf das Papier beiseite; er konnte es ja auswendig; und nun mit groß ausladenden Gesten, mit rollendem Pathos sprach er das Gedicht noch einmal.

Sobald er geendet, brach der Jubel wieder stürmisch aus; im nämlichen Augenblick ergriff der Oberregierungsrat das Blatt, das Percival beiseitegelegt hatte, und schwang es empor.

»Herr Nöhring,« rief er, »solch ein Gedicht darf nicht verlorengehen! Morgen geb' ich's in Druck für unsre nächste Sonntagsbeilage!«

Der Oberregierungsrat hatte die Herausgabe des amtlichen Kreisblattes zu überwachen, welches wöchentlich zweimal erschien und des Sonntags eine Beilage belletristischen Inhalts brachte.

Als Percival Nöhring dieses hörte, bekam er einen Schreck. Die Geschichte fing an, ihm über den Kopf zu wachsen.

Er fand aber keine Zeit zu Einwendungen irgendwelcher Art, denn schon war Fräulein Nanettchen zwischen ihm und dem Gewaltigen des Kreisblattes.

»Lieber, einziger Herr Oberregierungsrat,« sagte sie, »das Amtsblatt ist ja wunderschön – aber es liest's ja kein Mensch. Im städtischen Wochenblatt, da muß unser Dichter abgedruckt werden, damit die Menschen erfahren, was für einen gottbegnadeten Dichter sie unter sich haben!«

»Ja, ja, jawohl,« mischte auch Tante Löckchen sich ein, »ins städtische Wochenblatt, da gehört es hinein!«

Der Oberregierungsrat, der mit guter Miene die Bemerkung, daß kein Mensch das Amtsblatt läse, hinuntergeschluckt hatte, erhob beschwörend die Stimme.

»Meine Damen – meine Damen – eins schließt ja das andre nicht aus, keineswegs aus. Wir bringen in unsrer Sonntagsbeilage eine Besprechung dieses entzückenden Festes und das Gedicht – der Nachdruck wird gestattet, und den nächsten Tag kann das städtische Wochenblatt den ganzen Artikel samt dem Gedicht bringen. Ich gehe selbst auf die Redaktion des Wochenblattes – sind Sie nun zufrieden?«

Nun war Fräulein Nanettchen zufrieden, Tante Löckchen zufrieden, alles war zufrieden – nur Percival Nöhring stand da und wußte nicht, was er sagen und tun sollte.

In diesem Augenblick fühlte er, wie sich zwei Arme von hinten um seine Schultern legten. Er wandte sich und sah in Fredas Gesicht, das unmittelbar vor seinem Gesicht war.

Unbekümmert um die Menschen, die ringsumher waren, blieb sie vor ihm stehen, die Augen in die Züge seines Gesichtes gesenkt, als wollte sie darin studieren. Dann drückte sie beide Hände auf seine Ohren und schüttelte seinen Kopf leise hin und her.

»Junge,« sagte sie flüsternd, »sei kein Esel.« Indem sie das sagte, lächelte sie, und es war ein Lächeln eigentümlicher Art; es zuckte um ihren Mund, sprühte aus ihren Augen, es war wie ein verhaltenes Lachen, das, wenn es laut geworden wäre, vielleicht ganz toll und unbändig geklungen haben würde.

Percival sah sie verdutzt an; er verstand den Ausdruck in ihrem Gesicht nicht. Und wie sollte er auch? Wußte er doch nicht, was sich heute nachmittag begeben hatte, was in ihr vorgegangen war, als sie den Bärenkopf unter ihren weißen Fuß trat.

Erklären konnte sie es ihm doch nicht; für so etwas gibt es keine Worte. Ob Delila viel Worte gemacht hatte, als die Philister zu ihr kamen und ihr zuflüsterten, daß sie ihnen Simsons Geheimnis verraten möchte? Schwerlich. Sie hatte gewiß keinen Laut von sich gegeben; hatte nur so vor sich hingelächelt, mit einem Ausdruck – »wir werden ja sehen – aber ihr wißt ja, wo mein Herz ist, wenn es zu wählen hat, zwischen meinen Blutsverwandten, meinem Bruder und dem Fremden – ihm!«

Solch ein Lächeln war das in Fredas Gesicht.

»Sei doch ruhig, Junge! dummer, schwacher, einzig geliebter Junge, sei doch ruhig! Weißt du denn nicht, daß du einen Bundesgenossen hast, der stärker ist, als du ahnst? Stärker als du, als all diese sogenannten starken Männer, und stärker auch als er, vor dem du in diesem Augenblick zitterst und bangst?«

Sie nahm ihren Fächer, und mit dem geschlossenen Fächer zog sie ihm, bei den Haarwurzeln über der Stirn beginnend, langsam einen Strich über Stirn und Nase herab, indem sie ihm unabänderlich lächelnd in die Augen sah.

Es war, als wenn sie seine Gedanken bannen, als wenn sie ihn hypnotisieren wollte. Und ihr Vorhaben schien ihr zu gelingen, denn in sein Gesicht, das vorhin beinahe verstört gewesen war, kehrte das Lächeln zurück. Er fühlte wieder einmal instinktmäßig, wie überlegen ihm die Schwester war. Als Freda ihn wieder lächeln sah, ließ sie von ihm ab, gab ihm noch einen leichten, zärtlichen Fächerschlag auf die Wange und wandte sich, als wäre nichts gewesen und geschehen, zu der Gesellschaft zurück.

Inzwischen war es aber so spät geworden, daß man nun ernstlich ans Nachhausegehen denken mußte.

Es wurde noch Kaffee herumgereicht; dann begannen einzelne der Gäste sich zu empfehlen. Zu diesen gehörten Fräulein Therese Wallnow und deren Mutter.

Als die beiden Damen Tante Löckchen die Hand zum Abschied reichten, stand Percival plötzlich neben ihnen.

»Wie kommen die Damen denn nach Haus?«

»Nun – wie?« entgegnete Therese Wallnow lächelnd, »wie gewöhnlich doch. Zu Fuß.«

»Aber dann gestatten Sie, daß ich Sie begleite?«

Die Wallnowsche Wohnung lag zehn Schritte entfernt; Percivals Eifer war eigentlich auffallend. Therese Wallnow schien es zu fühlen; sie errötete. Vielleicht kam ihr Erröten auch daher, daß Tante Löckchen verdächtig aufkicherte und Percival mit dem Finger drohte, oder daher, daß Freda, die dabeistand, einen langsam beobachtenden Blick über Therese und den Bruder dahingehen ließ.

Es war kein übermäßig wohlwollender Blick.

»Papa!« wandte sich Percival an den Vater, »wartest du mit Freda noch einen Moment? Ich bin gleich wieder zurück.«

Papa Nöhring ließ statt aller Antwort ein behagliches Lachen hören. Freda lächelte etwas scharf.

»Aber laß uns nicht zu lange warten; es ist spät.«

Ob Percival die Mahnung der Schwester noch vernommen hatte – große Beachtung schenkte er ihr jedenfalls nicht, sondern wie ein Sturmwind war er hinter den Damen Wallnow einher, die bereits Mäntel und Überschuhe draußen angelegt hatten und ihres Ritters warteten.

Fredas Gesicht war nicht mehr so strahlend, wie es bisher gewesen war; ein leichter Schatten wölkte sich darüber. Aber die Verfinsterung dauerte nicht lange. Sobald Percival zurückkam, und er kam wirklich bald zurück, klärten ihre Züge sich wieder auf. Nun gehörte er ja wieder ihr, und mehr noch als vorhin; die andre war ja fort.

Nöhrings waren die letzten, die gingen; der Abschied war der zärtlichste. Tante Löckchen schwoll über von Dankbarkeit, Herr Major a. D. Bennecke von Begeisterung. In der viersitzigen Nöhringschen Mietskutsche wurde Fräulein Nanettchen bis vor ihre Haustür mitgenommen.


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