Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Neunzehntes Kapitel

Briefe laufen langsamer als Telegramme, namentlich wenn sie erwartet werden.

Aber wer wartete denn auf seinen Brief? Percival gewiß nicht, der hatte an anderes zu denken. Papa Nöhring hatte ihn ja auch wohl darüber vergessen. Also – Freda doch nicht etwa gar? Lächerlich! Trotzdem hätte man so denken können, wenn man sah, wie sie am Abend, als nun wirklich ein Brief mit dem Poststempel »Meiningen« kam, ihn dem Dienstmädchen, das ihn brachte, aus der Hand riß.

Diesmal freilich lautete die Adresse an »Herrn Regierungsrat Nöhring« – das Schreiben zu öffnen, ging also nicht wohl an. Als sie aber so dastand, das verschlossene Kuvert in Händen, sah es doch aus, als hätte sie nicht übel Lust dazu. Und, was Wunder – hatte sie doch wieder einen langen, langweiligen Tag hinter sich. Hatte sie doch wieder von nichts gehört als von Kleinbürgerlichkeit und Schranken und Enge – nun kam das da und erzählte von einer andern Welt.

Noch immer hielt sie den Brief in den Händen, noch einmal besah sie die Adresse und den Poststempel. Ganz früh heute morgen war er auf die Post gegeben worden; also hatte er noch gestern abend, vielleicht in der Nacht, geschrieben, vielleicht gerade zu der Stunde, als sie vor ihrem Bett gelegen und gemeint hatte, ihn hinter sich stehen zu sehen.

Gab es denn so etwas? Merkwürdig!

Percival war aus dem Hause, der Vater allein in seinem Zimmer oben. Sie brachte ihm das Schreiben; während er es öffnete und las, setzte sie sich hinter ihn an den runden Tisch. Der Zufall fügte es, daß sie an der Stelle saß, wo jener gesessen hatte, als er seine Stücke vortrug.

»Soll ich dir vorlesen?« fragte der Regierungsrat.

»Nein – lies nur für dich – ich lese ihn nachher allein.«

So lässig, gleichgültig kam das heraus – und während sie nun saß, verkam sie schier vor Ungeduld, bis er fertig sein und ihr den Brief geben würde.

»Das ist ja alles sehr schön«, sagte Papa Nöhring endlich. »Die Aufführung steht unmittelbar bevor.«

Er reichte den Brief hinter sich; mit langgerecktem Arm nahm Freda ihn in Empfang. Das Gesicht des alten Mannes zeigte den vergnügten Ausdruck, mit dem er gestern von Percivals zukünftiger Anstellung hier am Ort gehört hatte. Beides gleich erfreulich für ihn.

Nun las sie:

»Meiningen, Am Abend des Tags, da ich geboren wurde.

Teuerster Herr Regierungsrat!

Wundern Sie sich nicht über die sonderbare Art, in der ich meinen Brief datiere; ich bin nämlich dahintergekommen, daß ich zwar vor vierundzwanzig Jahren zur Welt gekommen, aber heute erst geboren worden bin. Teuerster Herr Regierungsrat, wie wenig Stunden liegen zwischen dem letzten Händedruck, den ich mit Ihnen ausgetauscht, und diesem Augenblick, da ich im Zimmer meines Gasthofes bei zwei flackernden Kerzen sitze und an Sie schreibe und ein Tag hinter mir liegt, reich wie ein Leben und wunderbar wie ein Märchen.

Sie wissen ja wohl, lieber, verehrter Herr Regierungsrat, was für länglich-säuerliche, gurkenähnliche Gesichter die Herren vom Gericht bei uns zu Hause zu machen pflegen, wenn das Gespräch auf den schiefgegangenen Referendar kommt, der statt ordentlicher Referate Trauerspiele schreibt – und nun stellen Sie sich vor, wie diesem Menschen zumut sein mußte, als ihm hier an diesem wunderbaren Ort ein Mann entgegentrat, ein Mann, dem man es ansah, wenn man's nicht sonst erfahren hätte, daß es ein Fürst, ein Herzog sein müßte, und ihm die Hand reichte und sagte: ›Kommen Sie herein. Nun wollen wir Ihr Stück einstudieren, und ich denke, wir werden beide unsere Freude daran haben.‹

Mein Gott, mein Gott – es gibt also doch noch Orte auf der Welt, wo der Mensch nicht aufhört, zur Kategorie der ›Vernünftigen‹ zu zählen, wenn er was anderes will, als am großen Mühlrade des praktischen Lebens mitzudrehen! Einen wenigstens gibt's, und den habe ich heute kennengelernt, und der ist hier; denn sehen Sie, teuerster Herr Regierungsrat, hier steht die Sache umgekehrt, hier fängt der Mensch erst mit dem Künstler an!

Und ein Künstler ist dieser Herzog – ein Künstler – Maler und Dichter, Leiter des Ganzen und Beobachter des Kleinsten – alles so zusammen, daß man meint, die dramatische Kunst müßte vom Himmel heruntersteigen und die Arme um ihn schlingen: ›Sei du mein Verkünder!‹

Glauben Sie ja nicht, daß ich übertreibe; es ist so. Ich spreche so, weil ich begeistert bin, weil ich liebe; aber es ist die Nüchternheit, welche die Liebe verleumdet, wenn sie behauptet, daß sie blind mache. Nein, ist nicht wahr! Liebe macht das Herz weich, so daß sich das Bild des geliebten Gegenstandes darin abdrückt wie in weichem Wachs, mit allen geraden und krummen Linien.

Davon haben wir nun auch schon erfahren – aber darüber vorläufig weiter nichts – heilig ist das Schweigen. Und als mich nun der kleine dicke Intendanzrat – denn das ist das einzige, was mich bisher an diesem Götterorte zum Lächeln gebracht hat, daß man auch hier für nötig befindet, dem Menschen einen Ratstitel unter die Füße zu schieben, damit er ein bißchen höher steht – als der mich auf die Bühne führte und den Schauspielern vorstellte und ich nun allen diesen Männern die Hand drücken durfte, zu denen ich wie zu einer Schar von Heroen aufgeschaut hatte damals, als sie in Berlin den Julius Cäsar spielten und die Hermannsschlacht, dem herrlichen Nesper, der auf mich herniedersah, stark und sanft wie der Farnesische Herkules, und Teller mit dem prachtvoll charakteristischen Kopfe, und Kraußneck, der wie ein feuriger edler Hengst in die Verse des Dichters hineinschäumte, und all den andern, deren Namen, das fühl' ich, mich durch das Leben begleiten werden wie die Namen von Kameraden, neben denen man in der Schlacht gestanden hat, Grube und Kober, und Heine, und der junge Nollet, und Frau von Moser-Sperner, Fräulein Werner – Gott – Gott – Gott – Sie lachen gewiß, lieber Herr Regierungsrat, und sagen: ›Was gehen mich all diese Leute an?‹ – aber sehen Sie, es sind ja die ersten Namen, die ich in meiner Geburtsstunde vernommen habe – da werden Sie begreifen, was sie für mich sind. Und wie es nun anfing, und die Worte, die ich da fern von hier in meiner einsamen Stube am Wasser in tiefer Stille niedergeschrieben hatte, im Munde dieser Männer und Frauen lebendig wurden und daraus hervorstürmten, daß ich mir immer sagen mußte; ›Das hast du geschrieben, aber nun ist es nicht mehr dein, das alles hat dir eine geheimnisvolle Macht zugeflüstert, die auf dir gespielt hat wie auf einem Instrument, und nun kehrt das alles zu seinem geheimnisvollen Ursprung zurück und wird etwas, ein Ding für sich, das nach dir nicht mehr fragt, sondern dahingeht durch die Welt, seinen eigenen Gang,‹ – wenn ich Ihnen beschreiben könnte, was das für ein Gefühl ist! wenn ich's Ihnen beschreiben könnte!

Und als nun das Stück vor mir aufwuchs und sich reckte in seinen Gliedern, und als ich sah, daß die Glieder hielten und trugen, und als ich sah, wie das Stück in der Seele des einzigen Mannes, des ›Verkünders‹, des Herzogs, gelegen hatte, wie seine Seele darüber gebrütet hatte, daß es nun lebendig geworden war bis in die tiefste Faser der Seele und das letzte Kräuseln der Haut, wie es daraus hervorstieg, von prachtvollen Dekorationen umrahmt, in aller Farbenglut eines farbenfreudigen Malerauges gebadet, jede Szene angeordnet bis zur letzten Hergabe des letzten Tropfens dramatischer Wirkung – dieser Stolz! diese Wonne! diese tiefe, große Seligkeit!

Und allernächstens soll es nun gespielt werden, und darum will ich nun schließen und für heute nichts weiter sagen, weil ich zuviel, zuviel zu sagen hätte – und will nur noch sagen, daß ich mitten in all der Herrlichkeit wohl hundertmal an das grüne Zimmer und den runden Tisch gedacht habe, und daß ich auch jetzt daran denke, und daß ich jetzt aufstehe und Ihnen um den Hals falle und Sie küsse, lieber Herr Regierungsrat, und alle küsse – aber darüber vorläufig weiter nichts – heilig ist das Schweigen. Nur daß ich Sie noch bitten wollte, lieber Herr Regierungsrat, daß Sie alle grüßen, die um den runden Tisch gesessen haben, alle! alle! von Ihrem

Sie innig liebenden

Walther Schottenbauer.«

Der Regierungsrat Nöhring hatte sich wieder zu seinem Schreibtisch gewandt; hinter ihm war es so still geworden, daß er sich endlich herumdrehte, weil er glaubte, seine Tochter hätte das Zimmer verlassen. Nein – sie saß noch da; der Brief lag vor ihr auf dem Tische. Als der Vater sich umwandte, stand sie auf, um hinauszugehen.

»Na,« rief er ihr nach, »hat's dir gefallen, was er schreibt?« Sie murmelte etwas zur Antwort; er konnte nicht verstehen, was es war.

»Willst du Percival nicht den Brief zeigen?«

Freda blieb an der Tür stehen.

»Ach,« sagte sie, »der hat ja jetzt keine Gedanken für so etwas.«

Sie ließ den Brief auf dem Tische liegen und ging. Unten fand sie Wallnows, die inzwischen mit Percival angekommen waren.

In der Nacht, als der Regierungsrat Nöhring bereits im Schlafzimmer war und im Bett lag, hörte er, wie jemand sein Wohnzimmer nebenan betrat. Es war ein weicher Schritt.

»Bist du's, Freda?« rief er.

Er hörte, wie sie auf dem runden Tisch umhertastete.

»Ich – hatte geglaubt,« erwiderte sie, »ich – hätte meine Schlüssel liegenlassen.«

Gleich darauf war sie wieder hinaus. Sie hatte den Brief nicht mehr gefunden, weil der Vater ihn bereits ins »Archiv« gelegt hatte.

Eine seltsame Unruhe war in ihr. Sie machte noch einen Rundgang durch das nächtlich stille Haus. Dabei vernahm sie, wie der Märzwind draußen um das Haus brauste und die kahlen Baumwipfel im Garten niederbeugte. Sie sagte sich, daß es der Frühling sei, der sich verkündigte, und das erste Frühlingswehen wühlt ja bekanntlich das Blut im Menschen seltsam auf. Wahrscheinlich kam es daher, daß sie so erregt war.

Dann, als sie sich niedergelegt hatte und Stille ringsumher war, fiel ihr der Ausdruck wieder ein, den sie in dem Briefe gelesen hatte – »heilig ist das Schweigen«. – Zweimal war das Wort darin vorgekommen, sie erinnerte sich ganz deutlich. – Der nächste Tag verging und der darauffolgende, ohne daß sich etwas ereignete.

Was sollte sich denn auch ereignen?

Alles war ja im schönsten Geleise; das sah man Percival und Papa Nöhring an den Gesichtern an. Freda störte ihre Heiterkeit nicht; sie schien ebenfalls vollkommen ruhig. Nur wenn sie für sich allein am Fenster vor dem Nähtische saß, geschah es, daß ihr die Arbeit öfter als früher in den Händen niedersank, daß sie das Haupt in die Hand stützte und sich in langem, träumendem Denken verlor.

Jedesmal war es ein weiter Weg, den ihre Gedanken gingen, jedesmal wunderte sie sich, daß hier solche öde Stille herrschte, während es einen Ort auf der Erde gab, wo jetzt die Hörner zum Streite riefen, zum Streite für eine große Sache.

Dann seufzte sie und nahm ihre Arbeit wieder auf.

Es war doch ein abgelegener Ort, wo sie wohnte; nicht viel besser als ein Kirchhof. –

Am Abend des zweiten Tages aber oder vielmehr in der Nacht, Mitternacht war schon vorüber, wurde das Haus Nöhring in ungewohnter Weise aufgeschreckt.

Stürmisch riß es an der Klingel. Als man die Haustür aufschloß, stand, vom Märzschnee triefend, der Telegraphenbote davor.

Da war's!

Das Dienstmädchen hatte dem Boten die Depesche abgenommen. Freda war die erste, die hinzukam. Mit dem Lichte in der Hand stieg sie die Treppe herab. Als Papa Nöhring und Percival bald darauf aus ihren Zimmern erschienen, um sich nach dem Grunde der nächtlichen Störung zu erkundigen, fanden sie Freda bereits vor, die im Salon unter der Hängelampe am großen Tische saß und ihnen, ohne ein Wort zu sprechen, die geöffnete Depesche hinschob.

»Aus Meiningen?!«

Freda nickte schweigend.

Papa Nöhring raffte die Depesche auf; die Hände flogen ihm.

»Überwältigender Erfolg! Verzeihen Sie die Störung, die Freude ist zu groß. Tausend Grüße! Schottenbauer.«

Er hatte laut vorgelesen. Jetzt ließ er das Blatt auf den Tisch zurückfallen; zwei große Tränen liefen ihm über die Backen; und plötzlich, wie von einem instinktiven Gefühle getrieben, schlang er beide Arme um Fredas Nacken und küßte ihr dreimal, viermal das Gesicht.

»Mein Gott,« sagte er, »der liebe, liebe Kerl!«

Es war, als wenn er das Bedürfnis empfände, seine Freude an jemandem auszulassen; merkwürdig nur, daß er gerade seine Tochter dazu ausersah.

Freda schien es ebenso zu empfinden; sie saß wie leblos in der Umarmung des Vaters; ihr Gesicht war weiß wie Wachs. Percival ging mit großen Schritten auf und ab. Es wurde beraten, ob man ihm vom Fleck aus einen telegraphischen Glückwunsch senden sollte. Aber das Telegraphenbureau im Innern der Stadt hatte keinen Nachtdienst; man hätte bis auf den Bahnhof hinauslaufen müssen, und das Wetter war gar zu abscheulich.

»Morgen ist auch noch ein Tag«, meinte Freda mit leisem Lächeln.

»Ja, ja – morgen ganz früh. Aber schlafen können wir jetzt doch nicht gleich wieder«, erklärte Papa Nöhring; »Percy, hol' uns eine Zigarre! Freda, mach' uns einen Punsch! Dann wollen wir auf ihn anstoßen, auf den lieben, famosen Kerl.«

Das war eine Idee! Alles war wie elektrisiert.

Percival ging hinauf in des Vaters Zimmer, wo die »feinste Sorte« stand, Freda eilte nach der Küche. Bald darauf kam sie zurück, den Teekessel auf dem Tablett; die Spiritusflamme loderte hoch auf; noch einmal schoß sie hinaus, um die Flasche mit dem Punschextrakt und Gläser und Löffel zu bringen; in ihren Bewegungen war eine ungewohnte, beinahe fröhliche Geschäftigkeit, auf ihren Wangen verbreitete sich ein liebliches Rot.

Nicht lange, so brodelte das Wasser; Freda ergriff drei Gläser, und mit kundiger Hand mischte sie für den Vater, den Bruder und sich selbst einen kräftigen Punsch. Dann wurden die Gläser hochgehoben.

»Er soll leben, unser Schottenbauer!« sagte Papa Nöhring, »er soll wachsen, blühen und gedeihen!«

»In aeternum!« fügte Percival hinzu. Dann wurde angestoßen, und wieder war es sonderbar zu sehen, wie Nöhring, Vater und Sohn, instinktmäßig zuerst an Fredas Glas stießen, beinahe, als gälte der Glückwunsch ihr zugleich.

»Jetzt ist nur eins schade,« sagte Papa Nöhring, indem er sich die Zigarre anzündete, »daß Benneckes nicht hier sind – würden die sich freuen!«

In dem Augenblick sprang Freda auf, rückte einen Stuhl neben den Vater, so daß sie zwischen ihm und Percival saß, und ehe sich's die beiden Männer versahen, hatte sie den linken Arm um den Hals des Vater, den rechten um den des Bruders geworfen, und nun zog sie, übermütig lachend, erst den Kopf des einen, dann den des andern an sich heran und küßte sie, einen nach dem andern.

»Aber Papa, wen brauchen wir denn noch? Wen brauchen wir denn noch?«

Dann nahm sie ihr Glas vom Tische auf. »Prost ihr beiden!« und sie tat einen herzhaften Schluck.

Papa Nöhring und Percival waren einen Augenblick ganz verdutzt, dann brachen sie in lautes, fröhliches Lachen aus.

»Die Freda,« sagte Percival, »heute ist sie doch wieder mal urkomisch, die Freda!«

So lange war es her, daß sie das geliebte Wort nicht von seinen Lippen vernommen hatte – mit einem Sprunge war sie über ihn her, griff mit beiden Händen in seine braunen Locken und schüttelte seinen hübschen Kopf hin und her.

»Und was bist denn du? du – du – ach, du nichtsnutzig geliebter Bengel du!«

Dazu küßte und küßte sie ihn, und dann, ganz wie ermattet von der Freude, sank sie auf ihren Stuhl zurück.

Wer sie gesehen hatte in diesen letzten Tagen, wie sie stumm und blaß und mit erloschenen Augen und Zügen durch das Haus gegangen war, und wer sie jetzt sah, wie sie sich im Überschwall der Zärtlichkeit auf den Bruder stürzte, so daß ihr der zarte Stoff des Schlafrocks, den sie übergeworfen hatte, als sie vorhin aus dem Bette sprang, um die schlanken Glieder flatterte, wer sie jetzt sah, wie sie mit strahlenden Augen, mit glückatmendem Gesicht zwischen Vater und Bruder saß – der mußte sich fragen, ob dies wirklich ein und dasselbe Weib war.

So Tür an Tür wohnten in ihr Verzweiflung und jauchzende Freude, so den ganzen Menschen nahm die jedesmalige Stimmung mit sich fort – und jetzt, in diesem Augenblick, war die Freude an der Herrschaft. Das war ja wieder eine Stunde wie in der alten Zeit, nur noch schöner, als es je gewesen war, weil sie inzwischen die Seligkeit der alten Zeit durch den Verlust zu würdigen gelernt hatte. Alles, was sie liebte, um sie vereint; alles, was sie nicht mochte, da draußen und fernab von ihr.

Fühlten denn die beiden nicht, daß es so am schönsten war?

»Trinkt,« sagte sie, »trinkt! ich mache euch noch ein Glas.«

Sie ermunterte sie, trank ihnen zu, lachte sie an; sie sollten vergnügt sein wie sie.

Die Hand des Vaters in der einen, die des Bruders in der andern Hand, wie ein harmloses Kind, das keine Bedürfnisse hat, als von den Seinen geliebt zu werden, sich anschmiegend bald an den einen, bald an den andern, mit einer so lieblichen Gebärde, als wollte sie hinter ihnen Schutz suchen gegen alles das, was da in der Ferne stand, was aus der Zukunft herüberblickte – ach, daß es doch keine Zukunft gäbe! Daß dem Menschen die Macht verliehen wäre, zum Augenblick zu sagen: »steh still!« – Dies wäre der Augenblick gewesen.

Papa Nöhring und Percival schauten dem allem lächelnd zu, ließen es sich gefallen, daß sie ihnen noch ein Glas Punsch bereitete und mit ihren Lippen, die für gewöhnlich etwas scharf waren und jetzt wie rote Rosen blühten, die Gläser kredenzte, und stellten, jeder für sich, fest, daß all ihre Glückseligkeit von der Nachricht herrührte, die Schottenbauer aus Meiningen gesandt hatte, und daß sie bis über beide Ohren in Schottenbauer verliebt sei.


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