Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Und während sich nun drüben in dem gastlichen Hause Tante Löckchens die Lichter entzündeten, stand diesseit des Wassers der Referendar Schottenbauer einsam in seinem einsamen, dunklen Zimmer.

Trotz der winterlichen Kälte hatte er die Glastür geöffnet und war auf den Balkon getreten; so war doch eine Schranke weniger zwischen ihm und ihr –- zwischen ihm und Freda Nöhring.

Ihm zur Rechten war die große Brücke. Die Laternen funkelten herüber. So oft ein Wagen mit dumpfem Rollen über den hölzernen Belag der Brücke von der Stadt zum jenseitigen Ufer fuhr, richtete er die Augen darauf hin. »Ob sie darin sitzen mochte?«

Seine Gedanken begleiteten sie, umkreisten sie, hingen an ihr, wie verzaubert und gebannt.

Freda Nöhring hatte ihm gestern, als er ihr auf der Brücke begegnete, einen Eindruck gemacht, der sich seines ganzen Innern bemächtigt, der ihn mit einem Schlage überwältigt hatte. Mit aller Gewalt einer phantasievollen Natur war er in sie verliebt.

Diese schlank aufgebaute Gestalt mit dem stolz gereckten Haupte, dieser Nacken, der sich mit so königlicher Gebärde zur Seite bog, als sie zu ihm hinschaute, es war ja wie die Verkörperung aller Frauengestalten, die je in seiner Dichterphantasie aufgegangen waren.

Er war keine sinnenkühle Natur, im Gegenteil.

Eine unaussprechliche Wonne erfüllte ihn, eine Wonne von Seele und Leib.

War's denn nicht wahr? Auf den ersten Blick hatte er ja doch erkannt, daß dies nicht nur ein schönes, sondern auch ein geistig bedeutendes Weib sei.

Schön, im landläufigen Sinne, hübsch, was man so nennt, war das Gesicht ja eigentlich gar nicht; dazu war das Untergesicht viel zuwenig weich, viel zu mächtig. Aber eben das war es ja, was ihn an dem Gesicht entzückte; es war ein mächtiges Gesicht, ein großes, ein bedeutendes!

Und dann der Blick, mit dem sie ihn angesehen, beinahe getroffen hatte, vor dem er beinahe zurückgeprallt war beim ersten Begegnen – immer wieder mußte er sich den Blick vergegenwärtigen; wenn er ein Maler gewesen wäre, so hätte er sich hingesetzt und das Gesicht und die Augen und den Blick gemalt, so lebendig war er ihm, so unablässig gegenwärtig. Weit aufgerissen waren die Augen gewesen, ganz seltsam weit, und als sie ihn erfaßten, war etwas Durchbohrendes darin gewesen, beinahe etwas Zorniges und Wildes, eine jäh aufflackernde Glut.

War das die Seelenstimmung, die gewöhnliche Seelenstimmung dieses Weibes? Und wie konnte es anders sein? Denn, was hatte sie mit ihm zu schaffen, den sie gar nicht kannte, den sie zum erstenmal sah? Und wenn es so war, welch eine leidenschaftlich erregbare Seele war es dann, die in diesem schönen Leibe wohnte! Welch eine große, mächtige Innerlichkeit! Welch ein Weib! Welch ein Weib!

Er trat vom Balkon zurück, er zündete die Lampe an, die im Nebenzimmer auf dem Tische vor dem Spiegel stand. Indem er die Glocke aufsetzte und über die Lampe hin sein Bild im Spiegel erblickte, blieb er sinnend, melancholisch davor stehen. Er sah, daß er ein kleiner, unscheinbarer Kerl war, ein Knirps.

Mit hastigem Griff nahm er die Lampe auf, um sie auf den Arbeitstisch zu setzen. Die gelben Foliobogen leuchteten im stillen Lichte auf.

Er stand vor dem Tisch; sein mißmutiges Gesicht heiterte sich auf, indem er auf das Papier niedersah, das beschriebene und das leere; dies war auch ein Spiegel, und ein besserer als jener dort nebenan. Aus jenem blickte Schottenbauer der Referendar, aus diesem Schottenbauer der Dichter.

Er warf sich auf den Stuhl und über seine Arbeit her. Aber die Wirklichkeit war stärker als die Phantasie; Freda Nöhring stand vor seiner Seele, und indem sie den gebieterischen Nacken reckte, traten die Gestalten seines Trauerspiels zurück.

Wie schön das heute mittag gewesen war, als er im Wohnungsanzeiger gesucht hatte, wo sie wohnte! Mit welch heimlichem Schauer er die Anlagen entlang gegangen war, die Häuser drüben zählend, Nummer für Nummer – jetzt muß es kommen – und jetzt – wie ihm das Herz im Leibe gezuckt hatte, als er das Haus gefunden hatte – und nun gar, als er sie am Fenster sitzen sah! Schade nur, daß sie so rasch aufgesprungen war; er hätte sie so gut ein Weilchen betrachten können, da sie, so ganz in ihre Arbeit versenkt, ihn gar nicht sah. Es mußte sie jemand aus dem Innern des Zimmers abgerufen haben – so hatte es ausgesehen.

So hatte er denn seinen einsamen Spaziergang fortgesetzt, weit hinaus vor die Tore der Stadt, und so war er dann, als es zu dunkeln begann, zurückgekehrt in sein einsames Gemach, und hier saß er nun und dachte an sie.

Er dachte an sie, und sein Denken war ein tiefes, seliges Träumen.

Die Zukunft tat sich vor ihm auf wie eine weite grüne Wiese, von Blumen übersät, und durch die grünende Flur schritt er dahin, lauschend auf die Worte, die klugen, sinnigen Worte, die sie zu ihm sprach, die an seiner Seite dahinging, die Teure, die Schöne, die Geliebte!

In Gedanken lächelnd, nickte er vor sich hin, nach der Stelle hin, wo neulich Percival Nöhring gesessen hatte. Es war ihm, als sähe er die hübschen, freundlichen Augen, und das Herz wurde ihm warm, weil er ihm einen Gefallen hatte erweisen können; er war ihm ja so gut – war's denn nicht ein Stück von ihr, war's nicht ihr Bruder?

Ob er der Schwester gesagt haben mochte, daß er ihm den Prolog gemacht hatte? Vielleicht – vielleicht auch nicht – es war ihm gleichgültig. Mochte Freda es wissen oder nicht. Jedenfalls würde Percival ihn heute abend sprechen, und während er hier saß, gerade in diesem Augenblick vielleicht, lauschte sie da drüben den Versen, die er gedichtet hatte, seinen Worten, seinem Gedicht, gerade in diesem Augenblick vielleicht beugte sie den gebieterischen Nacken, weil das Flügelrauschen der Poesie darüber hinging, und während sein Körper fern von ihr in einsamer Stube saß, schmiegte seine Seele sich an ihr stolzes, schauerndes Herz.

Ein Wonnestrom ging durch alle seine Glieder. Er sprang vom Sessel und riß die Balkontür auf, als wollte er dabei sein, da, wo sie war. Schwarz lag die Nacht auf dem Strom; ein eisiger Dunst stieg vom Wasser auf, und durch den Dunst blickten die Fenster in Tante Löckchens Haus matt leuchtend, mit halbersticktem Glanz herüber. Es war, als wenn eine kalte Hand ihm winkte »zurück« – er trat zurück und schloß fröstelnd die Tür.

Der kurze Vorgang war ja wie ein Sinnbild seines ganzen Lebens gewesen: draußen die Nacht – hier drinnen das Licht, das er sich entzündet; rings um ihn her das Dunkel der Unbekanntheit, die Kälte der Ablehnung – hier drinnen er mit seiner glühenden Seele, die dennoch durchdringen würde durch Dunkel und Kälte, durch Unbekanntheit und Ablehnung – dennoch! dennoch!

Er ging in seiner Wohnung auf und ab, von einem Ende derselben bis zum andern, so daß die Schlafrockfetzen hinter ihm herflogen.

Das, was Freda Nöhring heute von ihm kennenlernte, das Gedicht, war ja nur ein Tropfen von der Flut, die ihn erfüllte, nur ein einzelner Akkord von der großen Melodie, die sein Inneres durchwogte. Einst würde sie das ganze Meer an ihre Füße spülen sehen, die ganze gewaltige Melodie vernehmen; dann würde er nicht mehr vor ihr stehen, wie er jetzt vor ihr stand, als der kleine, unscheinbare Kerl, als der Knirps, sondern als einer, vor dem sie sich beugen mußte, die stolze Freda, weil alle sich vor ihm beugten, als der Dichter.

So würde es kommen, und sie würde sich beugen; der flammende Blick der stolzen Augen würde übergehen in staunendes Fragen, das staunende Fragen in süßes Bangen, und alsdann würde eine neue, eine andere, eine schönere Flamme aus den herrlichen Augen aufschlagen, und das würde die Liebe sein! die Liebe – die Liebe! Er blieb mitten im Zimmer stehen und breitete die Arme aus.

So würde es kommen, so mußte es kommen! Denn er glaubte an sich; es war noch kein Augenblick in seinem Leben gewesen, da er nicht an sich geglaubt, da er nicht heimlich über die gelacht hätte, die ihn auslachten. Er glaubte an sich, weil er an die ewige Gerechtigkeit der Dinge glaubte. Er sagte sich, daß jede wahrhafte Kraft einen Wert im Haushalt der Welt darstellt, und daß die Welt mit ihren Werten rechnet, damit rechnen muß, ganz gleichgültig, ob die Menschen wollen oder nicht.

Und die Kraft war in ihm, das wußte er; und wenn er es nie gewußt hätte bis heute, so würde er es erfahren haben in diesem Augenblick, da diese Kraft auf ihn fiel wie die Hand Gottes auf einen Propheten, da sie ihn auf den Stuhl vor seinem Schreibtische zwang und ihm die Feder in die Hand drückte, so daß er wie ein schnaubender Löwe über das Trauerspiel herfiel, das aus den gelben Foliobogen unter seinen Händen erwuchs.

Tief in der Nacht, als seine Lampe erlosch, war ihm, als flüsterte eine Stimme ihm zu, daß eine Zeit kommen würde, wo man das, was er in dieser Stunde geschrieben, das Schönste nennen würde, was er jemals geschrieben hatte.


 << zurück weiter >>