Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Zwanzigstes Kapitel

Am nächsten Morgen ging das Glückwunschtelegramm der Familie Nöhring nach Meiningen ab, und sodann stürmte der Regierungsrat, Schottenbauers Depesche in der Tasche, auf die Redaktion des städtischen Wochenblattes, um die Sache an die große Glocke zu bringen.

Mit Dank wurde die interessante Neuigkeit in Empfang genommen.

»Werden die Meininger mit dem Stücke reisen?«

Nun – davon stand in der Depesche eigentlich nichts, aber – »das versteht sich doch von selbst«.

»Also können wir's hinzufügen?«

»Fügen Sie's hinzu, in Gottes Namen!« lachte Herr Regierungsrat Nöhring.

In der Abendnummer des städtischen Wochenblattes erschien die Nachricht – und von dem Abend an war Schottenbauer der berühmte Mann der Stadt.

»Stellen Sie sich vor – ein Referendar vom ›hiesigen‹ Gericht – dessen Stück vom Herzog von Meiningen persönlich einstudiert – hat einen Bombenerfolg errungen – ist's denn wirklich möglich und wahr?«

»Da sehen Sie's, daß es wahr ist – schwarz auf weiß.«

Einigermaßen skeptisch verhielt man sich am Referendarstisch in der Bierstube.

Der Gardereferendar hatte das Monokel ins Auge geklemmt.

»Wo steht's zu lesen?«

»Na – im städtischen Wochenblatt.«

»Im städtischen Wochenblatt –- ach so –«

Das »Ach so« wirkte etwas ernüchternd.

Anders aber sah die Sache am nächsten Abend aus, als inzwischen die Berliner Zeitungen angelangt waren und die Nachricht des städtischen Wochenblatts vollinhaltlich bestätigt hatten.

Man hielt sie dem Gardereferendar vor die Nase.

»Da können Sie's lesen – ein kolossaler Erfolg.« Er lächelte verächtlich und sah in sein Bier.

»Mein Gott – ich glaub's Ihnen ja.«

Er hatte ein Gefühl, als wäre er empfindlich beleidigt worden, und seit diesem Augenblick hatte Schottenbauer, ohne es zu ahnen, einen Menschen zum Feinde, dem er nie das geringste zuleide getan hatte.

Anders Tante Löckchen und Herr Major a. D. Bennecke, die beide durch die Stadt zogen, die eine wie eine Glocke, der andre wie eine Posaune, und Schottenbauers Ruhm verkündeten. Tante Löckchen war glücklich, Herr Major Bennecke stolz. Er stellte die Bekannten auf der Straße.

»Was sagen Sie zu unserm Schiller? Was sagen Sie zu unserm Schiller?«

Natürlich war die Bezeichnung in ein paar Stunden in der ganzen Stadt herum.

Der erste teilte dem zweiten lachend mit, was er soeben vernommen hatte, daß der Schottenbauer, der Referendar – Sie wissen ja – »Schiller« genannt würde.

Der zweite hielt den dritten an und fragte ihn mit ernster Miene, ob er es auch schon gehört hätte, daß der Schottenbauer, der Referendar – Sie wissen ja – »sich Schiller titulieren ließe?«

Der dritte zeigte bereits ein vollständig empörtes Gesicht, als er dem vierten begegnete und ihm erklärte, »daß das denn doch ein starkes Stück sei«. – »Was denn?« – »Na, von dem Schottenbauer, dem Referendar – Sie wissen ja – daß der sich jetzt Schiller nennt!«

»Ah – nicht möglich!« – »Ja, verlassen Sie sich darauf!«

Es dauerte nicht lange, so war ein Flüstern und Zischeln in der ganzen Stadt, »über die unglaubliche Eingebildetheit dieses Referendars, dieses Schottenbauers«.

Insbesondere unter den Lehrern an der Schule, und hier wieder bei dem Lehrer für deutsche Literatur, herrschte eine tiefe moralische Entrüstung. Dieser, der zugleich Philosoph und in Philosophie stark war, beschloß, »diesen Herrn Schottenbauer denn doch einmal auf etwaigen Größenwahn zu beobachten«, und erwog bei sich, ob es nicht angezeigt sei, ihn mit einem satirischen Lustspiel in aristophanischem Stil zu geißeln – er schrieb nämlich im stillen selber Stücke.

Von all diesem Gerede und Geklatsche hörten natürlich, wie es immer zu geschehen pflegt, diejenigen am wenigsten, die es am meisten interessiert hätte, Nöhrings.

»Nöhrings waren ja Partei – also wer würde denn zu ihnen davon sprechen?«

Und noch weniger als Nöhrings erfuhr derjenige, den es am nächsten anging, Schottenbauer selbst, der nun, nach Ablauf seines Urlaubs, ahnungslos, das Herz von Glückseligkeit erfüllt und in einer Stimmung, als wenn er die ganze Welt hätte umarmen mögen, von Meinungen zurückkehrte.

Gleich seine Rückkehr zum Gericht gab zu einer kleinen Geschichte Veranlassung, die mit Behagen weitererzählt wurde und auch zu Nöhrings gelangte. Wallnows waren es, die ihnen die Geschichte mitbrachten. Vom Vater her standen sie mit den Kreisen des Gerichts in Verbindung.

Heute morgen war Schottenbauer wieder eingetroffen.

»Na – und da ist er also zu seinem Direktor gegangen?«

Es war Papa Nöhring, der so fragte, als er nachmittags mit Wallnows und den Seinigen beim Kaffee saß. Therese Wallnow war ganz rot geworden und kicherte; sie hatte solche Lust, den Klatsch weiterzuerzählen, und wußte doch nicht, wie man es hier aufnehmen würde.

»Ja – da ist er also zum Direktor aufs Gericht gegangen, und der Direktor – ich erzähle ja nur, was ich gehört habe –«

»Der Direktor – –«

»Der Direktor soll ihn furchtbar angeblasen haben, weil er einen Tag über Urlaub geblieben wäre, und hätte gesagt, was er in Meiningen oder sonstwo für Allotria triebe, das wäre ihm einerlei, aber hier wäre er Referendar am Gericht und hätte seine Arbeiten zu machen. Und er schiene überhaupt sehr wenig Interesse für seinen Beruf zu haben, und darum würde er dafür sorgen, daß er ein wenig mehr zu tun bekäme; und wie der arme Schottenbauer nach Hause gekommen wäre, hätte man ihm einen solchen Haufen Akten aufs Zimmer gebracht, daß es ein vollständiger Berg gewesen wäre.«

Percival zündete sich knurrend eine Zigarre an.

»Wird wohl alles nicht so schlimm sein.«

Mit sanfter Stimme aber mischte sich Frau Wallnow ein.!

»Gott, weißt du, lieber Percival, das ist ja immerhin wahr, daß die Herren vom Gericht allerdings sehr wenig gut auf ihn zu sprechen sind.«

Papa Nöhring lachte laut auf.

Mutter Wallnow schien es als Ermunterung zu nehmen; ihr Redefluß wurde ergiebiger.

»Und was man sich in der Stadt überhaupt über ihn erzählt – wie fabelhaft eingebildet und hochmütig er mit einemmal geworden sein soll –«

Jetzt fuhr Papa Nöhring auf.

»Was sind denn das für alberne Klatschereien? Wer sagt denn das?«

Mutter Wallnow setzte ruhig die Kaffeetasse nieder. »Abscheuliche Klatschereien!« Das hatte sie den Leuten auch gesagt, denn sie kannte ja den Mann. Es war ja auch nur – weil es doch immer gut ist, wenn man weiß, was alles über jemand geredet wird – nur darum hatte sie zu Nöhrings davon gesprochen.

Mit sonderbar gemischten Gefühlen hatte Freda dem allem zugehört.

Wie die beiden Weiber dasaßen! Wie ihre engen, kleinen Seelen an der Scheelsucht, der Mißgunst leckten und schleckten, die sich über den Mann ergoß! Was hatte er ihnen, was hatte er den andern allen getan? Nichts. Wie sie die ganze Gemeinheit des Neides empfand! Wie sie die beiden da verachtete! Von der Seite sah sie sie an, sie waren schon wieder bis über die Ohren rot. So niedlich Theresens kleine Ohren an sich waren, so verhaßt Therese Wallnow und deren Mutter ihr im ganzen waren, die roten Ohren an ihnen waren ihr das Verhaßteste. Sie sahen so einfältig aus, diese Ohren, so recht wie die ewig aufgeregte, aller Bösartigkeit zugängliche Dummheit!

Alles dessen war sie sich bewußt, das alles sagte sie sich, das alles empfand sie – und während sie es tat, fühlte sie eine hämische Freude in sich selbst, daß sein Triumph ihm gleich eine solche Masse von Feindseligkeit auf den Hals lud.

»So, so, mein guter Herr Schottenbauer – man wandelt also nicht ungestraft unter Lorbeeren?«

Es war ja so bequem; sie brauchte keine Hand zu rühren, kein Wort zu sagen, die andern besorgten alles. Wie die Affen im zoologischen Garten, die zähnefletschend hinter dem herjagen, der sich auf eine höhere Stange setzen will, so waren sie hinter dem Manne her – sie brauchte nur zuzusehen und sich im stillen zu freuen.

All diese stille, heimliche Freude erlitt aber eine plötzliche Störung, als jetzt hastige Schritte im Flur draußen ertönten. Die Tür wurde aufgerissen – strahlend wie die verkörperte Freude stand einer in der Tür –

»Schottenbauer!«

Der Regierungsrat fuhr vom Sessel; wie ein Sturm war der Angerufene heran, und im nächsten Augenblick hielt er den alten Mann in leidenschaftlichen Armen umfangen.

Nach dem Vater kam der Sohn daran, den er gleich jenem umarmte und küßte, und dann, ohne weiteres, ging er auf Freda zu, ergriff ihre Hand und drückte sie zweimal, dreimal an die Lippen, indem er ihr mit lachenden, glückseligen Augen in die Augen sah.

Heute gab es keine Zurückhaltung, keine Scheu; wie konnte heute irgend jemand anders als gut und freundlich und lieb ihm gegenüber empfinden, dem das Herz überfloß von Liebe und Wohlwollen gegen alle Welt und alle Menschen?

»Ah – da sind ja die Damen auch!« – damit ging er begrüßend auf Therese und deren Mutter zu. Frau Wallnow war jetzt die teilnehmende Freude selbst.

»Percival,« rief der Regierungsrat, »hier dürfen Benneckes nicht fehlen!«

Er hatte noch kaum ausgesprochen, als Percival bereits hinaus war, um wie ein Sturmwind über die Brücke zu Onkel Bennecke und Tante Löckchen zu jagen.

»Schottenbauer nimmt sich inzwischen eine Zigarre – trinken Sie noch 'ne Tasse Kaffee?«

»Kaffee, Wein, Zigarren, alles, was Sie mir geben«, erwiderte Schottenbauer lachend; dann trat er vor Papa Nöhring, der sich wieder niedergelassen hatte.

»Herr Regierungsrat« – er faßte ihn an beiden Händen – »wie geht es Ihnen, Herr Regierungsrat? Ist es Ihnen gut ergangen in all der Zeit? Mir ist, als hätten wir uns ein Jahr lang nicht gesehen!«

Er streichelte dem alten Mann die Wangen, beugte sich über ihn und küßte ihn mitten auf das weiße Haupt; dann richtete er sich auf und sah sich im Zimmer um.

»Wahrhaftig,« rief er, »alles noch wie früher!«

Plötzlich breitete er beide Arme aus.

»O du Himmelherrgott, diese Seligkeit!«

Freda ging hinaus, um noch einmal Kaffee zu bereiten. Wenn es wirklich so war, daß sein Direktor ihn »angeblasen« hatte, und daß die Herren vom Gericht »so wenig gut auf ihn zu sprechen waren«, so schien's ihm keinen großen Kummer zu bereiten. Wie er so dastand, mit den ausgebreiteten Armen, dem lachenden Gesicht, sah er aus, als stampfte er all das Nesselkraut von Klatsch und Gezischel und Geflüster, das um ihn aufzuwuchern versuchte, mit einem Tritt in den Boden.

Ob er überhaupt etwas davon wußte – ob er es verachtete – wenn man ihn so sah, erschien er einem unverwundbar.

Als sie zurückkam, stand er schon wieder mitten im Zimmer. Er spielte dem Regierungsrat eine Szene vor, den großen Monolog des Helden. »Störe ihn nicht,« rief der Regierungsrat, »Schottenbauer ist jetzt Nesper!«

Freda blieb in der Tür stehen, bis daß er fertig war. In seinem Eifer sah er drollig genug aus. Die alte Spottlust regte sich in ihr.

»Also so hat Nesper ausgesehen? Dann sehen ihm seine Photographien aber nicht sehr ähnlich.«

Schottenbauer lachte hell auf, wie immer, wenn sie sich über ihn lustig machte.

»Ein bißchen anders sah er schon aus – Gott sei Dank! Als ich zu ihm in die Garderobe kam, bevor das Stück anfing, und ihn da im Kettenpanzer, mit dem riesigen Schwert an der Seite, stehen sah – Herrgott – sehen Sie, wenn ich Ihnen beschreiben könnte, was das für ein Gefühl ist, wenn man die Gestalten seiner Phantasie so zum erstenmal Fleisch und Blut werden sieht –«

Er wurde in seinen weiteren Ausführungen durch das Rollen einer Droschke unterbrochen, die vor dem Haufe vorfuhr.

Tante Löckchen hatte es zu lange gedauert, zu Fuß bis zu Nöhrings herüberzugehen, der Major hatte eine Droschke spendieren müssen.

In Hut und Mantel, den beiden Männern voraus, kam sie hereingesegelt, mit ausgebreiteten Armen auf Schottenbauer los.

»Kindchen, Kindchen!« – sie packte seinen Kopf mit beiden Händen und küßte ihn ab. Er war jetzt Adoptivsohn des Hauses Bennecke, der jüngste, nicht der geringste.

Und nun mußte er erzählen, den ganzen Abend bis spät in die Nacht, von der Aufführung, von dem Herzog von Meiningen und den Meiningern.

»Nun aber schlafen Sie tüchtig aus!« sagte Papa Nöhring, als er ihm zum Abschied die Hand reichte.

Schottenbauer senkte den Kopf.

»Schlafen? Erst muß ich mich hinsetzen, Referate machen.«

»Aber das hat doch Zeit bis morgen?« Er zuckte die Achseln.

»In vierzehn Tagen spielen sie in Meiningen mein Stück zum zweitenmal; damit ich dazu wieder Urlaub bekomme, muß ich jetzt alles pünktlich abmachen – der Direktor ist etwas mißtrauisch geworden.«

Er lächelte, halb spöttisch, halb wehmütig, dann warf er den Kopf auf und schüttelte sich.

»Ist aber egal! Seit das hier fort ist, ist alles andere ganz egal!«

Er hatte die Faust auf die Brust gedrückt. Er schien etwas Bestimmtes zu meinen; man verstand ihn nicht recht.

»Das hier?« fragte Papa Nöhring, »was ist denn da?«

»Etwas Merkwürdiges«, erwiderte Schottenbauer mit schwerer Stimme.

Er machte eine Pause, als müßte er die Erinnerung in seiner Seele sammeln.

»Sehen Sie,« fuhr er dann fort, »die ganze Zeit – ich kann kaum sagen, seit wann, war es mir gewesen, als trüge ich hier auf der Brust eine Last, eine körperliche Last. Und zugleich, als wäre hier in meinem Innersten eine dunkle Stelle, wo es nicht hell werden wollte. Auch als ich hier so vergnügt bei Ihnen saß, daß erste- und das zweitemal, immer war die Last da, und immer der dunkle Fleck. Als ich nun in Meiningen am Abend vor der Aufführung aus dem Fenster meines Gasthofes zum Theater hinübersah, das schräg gegenüber lag, und sah, wie sich auf dem Schnürboden des Theaters das Licht entzündete – sehen Sie, Sie mögen lachen oder nicht – da war's mir, als wäre das ein großes geheimnisvolles Auge, das mir ins Herz blickte, und da zum erstenmal fing die dunkle Stelle in mir da drinnen an, sich leise, leise aufzuhellen.

Und wie nun die Aufführung zu Ende und der Vorhang zum letztenmal niedergegangen war, und wie ich aus dem Hause trat, und wie die tiefe, große Bewegung, die da drinnen geherrscht hatte, an mir vorüber- und hinausflutete wie das Rauschen des Meeres, das von lauter flüsternden Menschenlippen kam – und wie ich aufblickte und die goldenen Sterne über den grünen Thüringer Hügeln stehen sah – sehen Sie – in dem Augenblick war die Last plötzlich nicht mehr da und ist nicht wiedergekommen seitdem und wird nicht wiederkommen – denn seitdem weiß ich –«

Er brach plötzlich ab.

Die Umstehenden hatten schweigend gelauscht.

»Sprechen Sie doch weiter!« sagte Papa Nöhring.

Er schüttelte den Kopf, er konnte nicht.

Ihm gegenüber stand Freda; bei den letzten Worten hatte er sie angeblickt und gesehen, wie ihre Augen sich in sein Gesicht bohrten; und vor dem Blick war ihm das Wort im Munde zurückgetreten.

Es war etwas Verzehrendes in dem Blick; eine Spannung, als wartete sie auf das Wort, das jetzt von seinem Munde kommen wollte, und als würde sie sich darüber herstürzen wie über ein lebendiges Wesen und es mit den Zähnen packen und zerreißen –

»Seitdem also wissen Sie –?« setzte Papa Nöhring wieder ein. »Seitdem – weiß ich –« Die Zunge stockte ihm; es war, als wenn seine Worte nicht den Weg fänden, weil seine Gedanken nicht bei ihnen waren; seine Augen hingen an dem Weibe, dessen Blicke sich mit den seinigen kreuzten. Ihre Augen senkten sich nicht, wichen und wankten nicht; um ihre Lippen begann es zu zucken. »Sprich doch heraus, wenn du den Mut hast!«

Es war ihm, als hörte er das Wort. Seine Wangen übergossen sich mit dunkler Glut, eine lodernde Flamme sprang in seinen Augen auf und schoß zu ihr hinüber.

»Seitdem weiß ich, daß die deutsche Literaturgeschichte nicht mehr an meinem Namen vorbeigehen kann.«

Sobald er das gesagt hatte, wandte er sich ab und griff nach seinem Hut.

Alles schwieg. Noch einmal kam er zurück, Fredas Blick vermeidend, auf den Regierungsrat zu.

»Sie denken, daß ich ein Prahlhans bin? Nicht wahr? Aber Sie haben das in Meiningen nicht erlebt – den Abend – das – das haben Sie nicht mit angesehen und erlebt –« Der alte Nöhring ergriff seine zuckende Hand.

»Ich denke gar nicht, daß Sie ein Prahlhans sind; ich weiß, daß das, was Sie sagen, ganz richtig ist, und Sie haben vollkommen recht, wenn Sie stolz sind auf einen ehrlichen Sieg in einer famosen Sache. Wissen Sie, was mir nicht gefallen haben würde? Wenn Sie hierhergekommen wären und so getan hätten, als wäre das alles nichts so Besonderes gewesen, und als freuten Sie sich darüber nicht aus voller Seele; sehen Sie, dann würden die Menschen wahrscheinlich gesagt haben: ›Bravo – das ist ein verständiger junger Mensch, der Schottenbauer, der weiß, daß man nach einem Triumph hübsch bescheiden zu sein hat – hübsch um Nachsicht zu bitten hat und um Vergebung bei den Menschen.‹ – Jawohl – nicht wahr? Ihr Fettschwänze und Neidhammel! Um Verzeihung, daß man mehr kann als ihr! Aber ich hätte nicht so gesagt, sondern ich hätte gesagt, er ist entweder ein blasierter Esel, der Schottenbauer, oder ein Heuchler und ein bescheidener Lump! Und das alles beides sind Sie nicht, und das gefällt mir an Ihnen, daß Sie es nicht sind, und darum bleiben Sie so, wie Sie sind, Schottenbauer, bleiben Sie so. Denn Sie haben etwas, was heutzutage die allerwenigsten haben, Sie sind ein naiver Mensch.«

Er war gestikulierend im Salon auf und ab gegangen, während er so sprach; Schottenbauer und die andern hatten ihm schweigend zugehört.

»Sehr wahr! Sehr wahr!« rief jetzt Percival. Schottenbauer schwieg; seine Blicke hingen nach wie vor an Freda Nöhring.

Sie hatte den Arm auf das Klavier gestützt, und so, gesenkten Hauptes, stand sie da.

Ob die Worte des Vaters einen so besonderen Eindruck auf sie gemacht hatten? Ob etwas darin war, was sie beschämte? Eine leise Röte war in ihrem Gesicht aufgestiegen, und jetzt, indem sie Schottenbauers Blick empfand, verstärkte sich die Glut, wuchs bis zu den Schläfen hinauf und wurde dunkler und dunkler. – Nie war sie ihm schöner erschienen. Es entstand eine kurze, stumme Pause; dann ging er noch einmal zu dem Regierungsrat heran.

»Haben Sie Dank und – leben Sie wohl!«

Noch einmal blieb er stehen, noch einmal zögerte er, als hätte er noch ein letztes Wort auf dem Herzen – dann, ohne etwas weiteres zu sagen, wandte er sich und ging rasch hinaus.


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