Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Achtes Kapitel

Es war, wie jener gesagt hatte: Blätter in allen Sprachen lagen zu Haufen auf dem großen Tisch inmitten des Raumes.

Papa Nöhring war müde geworden; ohne weiteres setzte er sich nieder und versenkte sich in eine deutsche Zeitung. Freda stand noch in der Tür. Plötzlich fühlte sie sich leise an der Hand berührt; es war der Fremde, der sie von der Schwelle zurück, aus dem Lesezimmer hinauszog.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag« – er lächelte, während er dies mit kaum vernehmbarer Stimme sagte – »einen Vorschlag« – hinter dem lächelnden Gesicht fing es an zu zucken wie ein Feuer, das herausbrechen, wie eine Leidenschaft, die sich nicht mehr bändigen lassen wollte – »wir wollen versuchen, ob Sie Glück haben.«

Er deutete mit einer Kopfbewegung nach dem Spielsaal.

»Glück?« Freda sah auf – sie verstand ihn nicht.

»Nun ja – da drin – vertrauen Sie mir zwanzig Frank an.«

»Spielen – ?« Fredas Augen taten sich ganz entsetzt auf.

Er zuckte die Achseln.

»Sie brauchen ja nicht selbst, wenn es Sie so in Schrecken setzt, ich werde es für Sie besorgen.«

Freda war ratlos; der Atem versagte ihr. »Mein Gott« – er knirschte beinahe vor Ungeduld, »zwanzig Frank – was ist denn das?«

Ob es der Ton seiner Worte war, die so klangen, als hielte er sie für geizig, ob es das herrische Gebaren war, das jählings aus ihm hervorbrach – Freda griff stumm in die Tasche, holte ein Zwanzigfrankstück hervor und hielt es ihm hin. Mit einem Griff riß er das Geldstück aus ihrer Hand.

»Ist ja alles nur zum Spaß«, flüsterte er ihr zu. »Warten Sie einen Augenblick – ich bin gleich wieder bei Ihnen!«

Damit war er verschwunden, und Freda blieb allein zurück. Sie setzte sich auf einen Stuhl und wischte sich mit dem Taschentuch über das Gesicht.

»Was war das? Wohin führte das?«

So überraschend, so plötzlich war das gekommen – sie hatte kaum Zeit gefunden, zu überlegen, geschweige denn, Widerstand zu leisten – wie zerschlagen fühlte sie sich, wie vernichtet.

Einige Minuten saß sie so dumpf und stumpf – dann näherte sich ihr ein hastiger Schritt – der Mensch stand vor ihr.

»Soll ich Ihnen etwas sagen? Soll ich Ihnen etwas sagen?«

In seiner Stimme war ein schnappendes Gellen, über sein Gesicht liefen rote Streifen. –

»Sie haben Glück! Sie haben Glück!«

Er öffnete die geschlossene Faust und hielt sie ihr vor die Augen – statt des einen Goldstücks, das sie ihm gegeben, lagen jetzt vierzig in seiner Hand.

Freda blickte auf das Geld, dann erhob sie das Gesicht und schaute ihm in die Augen – sie wußte noch immer kaum, was eigentlich vorging.

Plötzlich fühlte sie, wie er ihre rechte Hand ergriff, die Goldstücke hineindrückte und die Finger ihrer Hand über dem Golde schloß. Das alles geschah, ohne sie um Erlaubnis zu fragen; die Art, wie er mit ihrer Hand umging, war rauh und rücksichtslos, beinahe gewalttätig. »Was soll ich denn damit?« brachte sie endlich hervor.

»Was Sie damit sollen?« Er lachte mit dem heiseren, höhnischen Ton, den sie nun schon des öftern von ihm vernommen hatte – »nun – was Sie wollen. Es ist Ihr Geld.«

»Mein Geld – ? Aber wie komme ich denn dazu?«

»Aber, mein Gott, begreifen Sie denn nicht? Das haben Sie gewonnen!«

»Gewonnen?«

»Na ja – da drinnen, jetzt eben, an der Roulette! Ich sagte Ihnen doch, daß ich mit Ihren zwanzig Frank arbeiten wollte – da haben Sie den Gewinn. Ist's Ihnen nicht genug?«

Er hatte einen Stuhl neben den ihrigen geschoben, er saß jetzt unmittelbar neben ihr, so daß es aussehen mußte, als wären sie beide innig befreundet und vertraut.

Er hatte den rechten Arm auf die Lehne ihres Stuhles gelegt; es war ihr, als würde er jeden Augenblick den Arm sinken lassen und um ihren Leib schlingen. Sie fühlte sich unfähig zu jeder Bewegung, wie gefangen saß sie, wie unter einem körperlichen Zwang und Bann. Alles, was sie tun konnte, war, daß sie das Haupt zur Seite wandte und gedankenlos auf die Goldstücke niederstarrte, die sie in der Hand hielt.

»Gefällt Ihnen das?« fragte er, indem er sich zu ihr hinüberbeugte. »Ich verstehe mich auf den Rummel; Sie haben Glück, kann ich Ihnen sagen, Sie haben ein Glück, wie ich's selten erlebt habe! Und heute haben Sie offenbar Ihren glücklichen Tag! Das muß man benutzen; kommen Sie!«

Er nickte wieder mit dem Kopf nach dem Spielsaal hin, als wollte er ihr andeuten, daß sie aufstehen und ihm folgen sollte.

»Aber – spielen mag ich nicht«, stieß sie hervor.

Unwirsch zuckte er mit den Achseln; sein ganzes Wesen war wie mit ungeduldiger Leidenschaft geladen. »Was ist denn dabei? Hier spielt jeder vernünftige Mensch!«

»Aber – der Eisenbahnzug muß gleich kommen.«

»Keine Idee – Sie haben noch eine volle Stunde Zeit. Ich verspreche Ihnen, daß Sie pünktlich am Bahnhof sein sollen.«

Das Blut strömte ihr zum Herzen; schwer atmend saß sie da und konnte zu keinem Entschluß kommen.

Plötzlich fühlte sie, wie sein Arm sich um ihre Hüfte schlang.

»Aber mein Gott–«

Während sie aufzuckte und sich sträubte, hatte er sie schon emporgezogen.

»Aber so seien Sie doch nicht so! Wer wird denn so an seinem Glück vorübergehn? Das kommt Ihnen vielleicht im ganzen Leben nicht wieder! Ich werde für Sie spielen, Sie brauchen bloß dabei zu sein und zuzusehen; aber dabei sein müssen Sie; das Glück hängt an der Person; das ist eine alte Erfahrung; verlassen Sie sich darauf. Wenn Sie selbst dabei sind, haben wir noch einmal so viel Glück als vorhin – kommen Sie, kommen Sie.« Seine Stimme drang heiser flüsternd in ihr Ohr; beinahe besinnungslos, fühlte sie sich in der körperlichen und seelischen Gewalt dieses Menschen – ehe sie sich's versah, war sie mit ihm in den Spielsaal eingetreten; gleich darauf befand sie sich an einem der Roulettetische, ein Stuhl wurde ihr zugeschoben; sie sank darauf nieder und beugte das erglühende Haupt. Ihr war, als müßte alle Welt sich kopfschüttelnd nach ihr umsehen.

Wie ein wüster Traum umfing es ihre Sinne. Sie hörte wieder das Klappern der Kugel, die blecherne Stimme des Croupiers, und ein dumpfes Bewußtsein sagte ihr, daß diese Töne, denen sie vorhin als teilnahmlose Zuhörerin gelauscht hatte, jetzt auch ihr galten. Ein Schicksalsstrom war losgelassen, und sie saß mitten darin. Wie knisternde Funken ging es durch ihre Erinnerung; all die Zeitungsberichte fielen ihr ein, in denen sie gelesen hatte, wie dieser sich den Kopf zerschossen, jener Gift genommen und ein anderer sich von den Felsen gestürzt hatte, weil er in diesem Saale zum Bettler geworden war. Und in dem Räderwerke, das jene zermalmt hatte, war nun auch sie. Wer sagte ihr, ob nicht auf dem Platze, wo sie jetzt saß, kurz zuvor einer von denen gesessen hatte, die von hier hinaus und in den scheußlichen Tod gegangen waren.

Ein lähmendes Angstgefühl preßte sie auf den Stuhl nieder. Die Regeln des Spieles waren ihr vollständig fremd; die Zahlentabelle, die das grüne Tuch des Spieltisches bedeckte, vor welchem sie saß, war ihr unverständlich. Sie begriff nicht, warum der Croupier nach der Beendigung eines Spielgangs hierhin und dorthin Geld warf und sodann mit seinem Rechen die übrigen Einsätze an sich zog. Sie war ratlos, hilflos – und in dieser Betäubung ihrer Sinne und Gedanken blickte sie unwillkürlich zu dem Menschen auf, zu dem fremden, unheimlichen, schrecklichen Menschen, der zwei Schritte von ihr an den Tisch gelehnt stand, Einsätze machend, Goldstücke einstreichend und dabei lächelnd und lächelnd, als säße er an der Wirtstafel in Bordighera, als handelte es sich um eine Bagatelle, um eine Sache, nicht der Mühe wert, daß man darum mit einer Wimper zuckte. Alles, was ihr unverständlich und fremd, war ihm geläufig und bekannt; der Vorgang, der sie erdrückte – er beherrschte ihn. Ein Grausen überschwemmte ihr Herz, wenn sie den Menschen ansah, und zugleich fühlte sie sich ihm unterworfen – sie wäre am liebsten aufgesprungen und meilenweit von ihm fortgelaufen, und zugleich sagte sie sich, daß sie ohne diesen Menschen verloren gewesen wäre, verraten und verkauft an dem fremden, schrecklichen Ort, unter den fremden, schrecklichen Menschen, daß er in diesem Augenblick ihr Ritter war, der für sie kämpfte, der Helfer, an den sie sich klammern konnte, klammern mußte, der einzige – einzige –

Mit bleiernen Gliedern saß sie am Tisch, immerfort in der dumpfen Erwartung, als würde sich im nächsten Augenblick irgend etwas Schreckliches ereignen und auf sie niederfallen. Dann sah sie, wie jener das Spiel unterbrach und die Uhr hervorzog.

Er machte eine Verbeugung zu ihr hin, als wollte er ihr andeuten, daß sie aufstehen und kommen sollte, daß es nun Zeit sei.

Eine Verbeugung konnte man es kaum nennen; es war eigentlich nur ein Kopfnicken, eine vertrauliche Bewegung, wie ein Kamerad sie dem andern macht, wie zwei Menschen sie austauschen, die sich verstehen. Dabei sah er ihr mit einem dreisten, lachenden Blick in die Augen.

Mechanisch gehorchend erhob sie sich und trat an seine Seite. Mit dem Zeigefinger winkte er ihr, ihm zu folgen. Ohne ein Wort zu sagen, führte er sie abseits, in eine entlegene, menschenleere Ecke des Saales. Dort angekommen, bedeutete er sie, auf dem Sofa Platz zu nehmen, das in der Ecke stand, und als sie sich niedergelassen hatte, setzte er sich an ihre Seite. Alsdann griff er in die Tasche seines Beinkleides, einmal, zweimal und dreimal, und mit jedem Griffe holte er eine Handvoll Goldstücke hervor, die er auf das Sofa zwischen ihnen beiden legte, so daß ein Haufen von Zwanzigfrankstücken, ein Berg entstand.

»Das haben wir gewonnen,« sagte er, jedesmal, so oft er eine Handvoll niederlegte, »das haben wir gewonnen, haben wir gewonnen.«

Plötzlich, ehe sie es verhindern konnte, hatte er sie an beiden Händen gefaßt; er beugte sich zu ihr hinüber, so daß sein Gesicht dem ihrigen unmittelbar gegenüber war, so daß seine Barthaare sie beinahe berührten. Das Lächeln auf seinem Gesicht war zu einem Grinsen geworden, zu einem frech vertraulichen, gemeinen Grinsen. »Fräulein Kompagnon – ich gratuliere.«

Mit einer krampfhaften Bewegung warf Freda Kopf und Oberleib zurück, so weit sie vermochte, dann riß sie ihre Hände aus seinen Händen und machte Miene, aufzuspringen.

Mit verblüfftem Lachen sah er sie an.

»Aber so nehmen Sie doch Ihr Geld an sich!« Mit beiden Händen schaufelte er die Goldstücke auf und drückte sie ihr in die Hände, in den Schoß.

Sie sträubte sich, sie widersetzte und wehrte sich; aber gewaltsam, beinahe roh bezwang er ihren Widerstand. Dabei lachte er unausgesetzt.

»Wenn ich nur begriffe, was Ihnen eigentlich ist? Sie haben ein Glück, wie es noch gar nicht dagewesen ist. Ist das eine Schande? Ist das ein Verbrechen?«

Freda stöhnte auf. Mit verzweifelter Energie raffte sie die Goldstücke zusammen und packte sie neben sich auf das Sofa, wo sie zuvor gelegen hatten. Ein Schauder ging durch ihre Glieder.

»Es wird Zeit,« sagte sie rauh, »ich muß zu meinem Vater, wir müssen auf den Bahnhof!«

Noch einmal riß er die Uhr heraus.

»Sie haben noch Zeit.«

»Nein – nein« – und sie versuchte aufzustehen.

In dem Augenblick aber legte sich sein Arm um sie, und von eiserner Kraft fühlte sie sich auf dem Sitze festgehalten. Sie wurde leichenblaß, ein Zittern überlief sie vom Haupte bis zu den Füßen; ihre Lippen preßten sich aufeinander, ihre Augenlider senkten sich.

Ohne den Arm von ihr zu lassen, saß der Mann neben ihr und sah sie von der Seite an. Und indem er sie ansah, verwandelte sich sein Gesicht; die höfliche, lächelnde Maske fiel, und eine wüste, gierige, brutale Fratze kam darunter hervor. Wie er sie dasitzen sah, hintenüber gesunken an die Lehne des Sofas, in tödlichem Erbangen, wie er das Zittern des schönen Leibes in seinem Arme, diese blasse Wehrlosigkeit in den Fängen seiner rohen Gewalt empfand, öffneten sich seine Lippen mit einem Ausdrucke wilder, hungriger Begehrlichkeit, beinahe fletschend, und es kam ein Augenblick, wo es so aussah, als würde er sich über sie stürzen und ihr Gesicht bedecken und beflecken mit plumpen, dicken, scheußlichen und abscheulichen Küssen.

Aber er bezwang sich. Weniger vielleicht, weil eigenes Gefühl ihn zurückhielt, als weil er sich scheute, im Angesicht der Leute, die den Saal füllten, einen Auftritt herbeizuführen.

Lautlos saß er neben ihr, die stieren Augen auf sie gerichtet, den Wogenschlag ihrer Brust beobachtend, die sich stürmisch hob und senkte, wie ein Pirat, der seine Beute bewacht, wie ein Peiniger, der sein Opfer belauert.

Allmählich lockerte sich der Griff seines umschlingenden Armes, so daß sie etwas freier aufzuatmen vermochte.

»Sagen Sie mir in aller Welt, was eigentlich los ist?« begann er, »warum Sie sich so unmotiviert aufregen? Die Damen, die mit Ihnen im Hotel zusammen wohnen, tun jeden Tag dasselbe, was Sie heute getan haben – bloß daß sie nicht solches Glück haben wie Sie.« – Das Lachen, mit dem er dies letzte begleitete, sollte beifällig klingen; Freda hörte nur den gemeinen Klang desselben, der zu der Plumpheit seiner Ausdrücke paßte.

Während sie noch immer mit halbgeschlossenen Augen saß, kehrte ihr die Überlegung zurück, die eisige Ruhe, die dem Menschen in den Augenblicken äußerster Gefahr kommt.

Denn daß sie sich in einer solchen befand, das fühlte sie. Daß sie sich in der Gewalt eines gewerbsmäßigen Spielers, eines Menschen befand, in dem der Golddurst aufgewacht war und jede Rücksicht, jedes feinere Gefühl, sogar die angelernten Formen äußerlichen Anstandes erstickte, dessen war sie sich bewußt.

Der Instinkt sagte ihr, daß sie sich jetzt ruhig verhalten, daß sie ihn zu Ende sprechen lassen mußte, um ganz zu erfahren, mit wem und mit was sie es eigentlich zu tun hatte. Darum hielt sie sich ruhig und schlug die Augen auf, gerade vor sich hinblickend, ohne ihn anzusehen.

Dabei ahnte sie freilich nicht, wie der Anblick dieser Augen, die in hilfloser Not in die Welt hinausgingen, in dem Menschen neben ihr die ganze Hölle des Verlangens auflodern ließ.

»So überlegen Sie doch nur« – in der Aufregung, in der er sich befand, holperten ihm die Worte aus dem Munde – »was ich Ihnen neulich gesagt habe; Sie sind dazu gemacht, daß Sie die Welt beherrschen – warum wollen Sie denn durchaus nicht? Das ist doch geradezu unvernünftig! Sie sind schön, das werden Sie wohl selbst wissen – und dazu haben Sie Glück im Spiel. In ein paar Tagen können Sie ein Vermögen zusammen haben – wenn Sie jemand finden, der die Sache versteht, der Ihnen dabei hilft, und der bin ich.«

Wieder griff er nach ihrer eiskalten Hand, wieder näherte sich der spitzige Bart ihrem Gesicht – »denn das werden Sie wohl auch gemerkt haben, daß ich die Sache verstehe.«

Ein selbstgefälliges, heiseres Kichern kam wie ein »Nicht wahr?« hinter den Worten her.

Freda gab keinen Laut von sich; sie saß wie erstarrt.

»Also sehen Sie – was ich Ihnen vorschlagen wollte – Sie haben sich mir schon einmal anvertraut und haben es nicht zu bereuen gehabt – also vertrauen Sie sich mir weiter an. Ich arbeite für Sie, ich bin nur für Sie da, ich garantiere Ihnen den Gewinn. In ein paar Tagen sind Sie reich; dagegen, daß er reich wird, hat niemand etwas einzuwenden, dagegen wird auch ihr Vater nichts haben. Geld ist Macht, dann sollen Sie erst einmal sehen, was leben heißt – jetzt haben Sie ja von dem allem keine Ahnung! Und wie gesagt, zu fürchten brauchen Sie sich nicht; ich bin immer bei Ihnen, und ich verstehe die Geschichte. So gewissermaßen – verstehen Sie – als Ihr Impresario; Sie wissen ja, was das heißt? Denken Sie zum Beispiel an die Patti oder an andre berühmte Frauen, von denen alle Welt spricht und denen alle Welt zu Füßen liegt – Herrgott, so denken Sie doch nur« – in seinen Augen war ein unreines Feuer, ein wüstes Flackern und Flimmern – »seit ich heute so glücklich gewesen bin – Sie wissen, als der Rabe Ihren Fuß nicht loslassen wollte – solch ein Fuß mit solchem Spann, sehen Sie – ich verstehe mich auf so etwas – solch ein Fuß ist dazu gemacht, daß er der Welt auf den Nacken gesetzt wird und daß die Welt ihn küßt und anbetet und –« Ihrer Selbstbeherrschung zum Trotz zuckte Freda auf und riß ihre Hand zurück, die er noch immer mit seinen heißen, feuchten Fingern umklammert hielt.

»Ja, was wollen Sie denn?« drang er mit verdoppeltem Eifer auf sie ein, »warum fürchten Sie sich denn fortwährend? Das ist ja doch ganz unvernünftig! Weil Sie da oben in irgendeinem kleinen deutschen Nest gesessen haben, wo man von der Welt nichts weiß – Herrgott im Himmel – hier sind Sie in der großen Welt. Und hier ist auch noch nicht einmal die eigentliche große Welt, die ganz eigentliche, darum sehen Sie, wenn wir hier unsre Sache gemacht haben, gehen wir weiter; es gibt noch andre Orte auf der Welt. Außerdem ist es nicht praktisch, daß man immer aus ein und derselben Quelle schöpft – da wird das Glück überdrüssig, das ist eine alte Erfahrung – also da ist zum Beispiel Nizza, und hinter Nizza noch etwas ganz andres, nämlich Paris. Da gehen wir hin, da führe ich Sie hin, da gehören Sie hin! An Orte, wo man schöne Frauen zu ehren und zu feiern weiß, da gehören Sie hin, da sollen Sie einmal sehen, was leben heißt und was Freude am Dasein, und was herrschen heißt, und daß es nichts Prachtvolleres gibt, als zu herrschen und der Welt zu kommandieren –«

Er war in eine Art von wüstem Taumel geraten. Je länger er sprach, um so überzeugter wurde er von der Unfehlbarkeit dessen, was er sagte.

Freda erwiderte keinen Laut. Das faßte er dahin auf, daß sie nichts einzuwenden wüßte. Seine gemeine Natur ließ keine andre Bedeutung für ihr Verstummen zu, als daß sie zur Erkenntnis käme, wie recht er hätte, wie herrlich die Zukunft sei, die er ihr ausmalte. Jetzt also »nur nicht locker lassen«! Jetzt nur die letzten Bedenken des »zimperlichen Frauenzimmers« beiseitefegen!

»Ist es durchaus nötig, daß Sie jetzt schon nach Bordighera zurückfahren?« fing er unvermittelt wieder an, »es geht nämlich heute abend noch ein Zug.«

Unwillkürlich maß sie ihn mit einem Blick. »Natürlich jetzt«, preßte sie zwischen den bleichen Lippen hervor.

Er ließ ein dumpfes Murren hören.

»Es ist nur, weil ich Ihnen schon gesagt habe, daß wir mehr Glück haben, wenn Sie selber dabei sind.«

Freda biß mit den Zähnen in die Unterlippe. Dann rückte sie zur Seite, schob den Goldhaufen, der noch immer auf dem Sofa lag, von sich, so weit sie vermochte, zu ihm hin.

»Das ist Ihr Geld – nehmen Sie es – machen Sie damit, was Sie wollen – ich habe nichts zu schaffen damit! Während sie diese Worte herausstieß, sah er ihr mit einem lauernden Blick in die Augen. Dann faßte er ihre Hand, die ihm den Goldhaufen zuschob, und hielt sie, trotz ihres Zuckens, fest.

»Begreifen Sie doch nur – das hier ist ja für den Anfang ganz gut, aber es ist nicht genug. Es kann doch auch sein, daß wir nicht fortwährend Glück haben, daß wir zwischendurch ein paarmal verlieren; dann sind wir aufgeworfen. Außerdem – wir wollen doch nicht so ein Zwanzigfrankstück nach dem andern eingrapsen, wir wollen einen großen Schlag machen. Wenn man einen Schlag machen will, muß man etwas riskieren können – also – was ich sagen wollte – Sie führen ja die Kasse – haben Sie sie bei sich?«

Freda fühlte es wie einen jähen Krampf in der Brust; zweimal, dreimal mußte sie schlucken, um Luft zu bekommen –

»Lassen Sie meine Hand los!« stöhnte sie.

Er ließ nicht los.

Sie warf den Kopf zu ihm herum und traf ihn mit einem Blick, vor dem er trotz all seiner Unflätigkeit erschrak.

»Beruhigen Sie sich doch nur,« sagte er rasch, »seien Sie doch vernünftig – wenn Sie die Kasse jetzt nicht bei sich haben, ist's ja auch gut – heute abend bringe ich Ihnen Bescheid, was wir ausgerichtet haben, und morgen können wir dann weiter sehen.« Ein Knirschen kam von ihren Lippen.

»Sprechen Sie nicht von ›wir‹ – was erlauben Sie sich? Lassen Sie meine Hand los – lassen Sie augenblicklich meine Hand los, oder ich rufe laut um Hilfe!«

Das war Ernst; er fühlte es und ließ ihre Hand fahren.

Wie von einer Feder emporgeschnellt, sprang sie auf die Füße und stand vor ihm. Er war gleichfalls aufgestanden – sie sahen sich Auge in Auge.

Das freche, vertrauliche Lächeln war von seinem Gesicht wie weggewischt; mit blöden Augen starrte er das Weib an, das vor ihm stand; er sah ein völlig verwandeltes Wesen. In der maßlosen Erregung, die sie beherrschte, hatte ihr schlanker Körper sich in allen Gelenken gereckt, so daß sie größer erschien als vorher; keine Spur von Angst und Scheu war mehr in ihren Augen, sondern nur ein sprühender Zorn, eine ungeheure Verachtung; ihre Lippen zuckten und bebten, als suchten sie das Wort und könnten es nicht finden, das für diesen da gehörte, für diesen –

Endlich hatte sie sich so weit in der Gewalt, daß sie sprechen konnte:

»Ich gehe jetzt – wenn Sie sich erlauben, mir auch nur einen Schritt zu folgen – so rufe ich um Hilfe! Wenn Sie sich in Bordighera ein einziges Mal noch erlauben, mich oder meinen Vater anzusprechen – sich bei Tisch mir und meinem Vater wieder gegenüberzusetzen – so werde ich den Wirt bitten, daß er uns vor Ihnen beschützt!«

Mit einer königlichen Gebärde warf sie den Nacken empor und wandte ihm den Rücken. Mit festem, sicherem Schritt ging sie zum Saale hinaus. Sprachlos blieb jener stehen und stierte hinter ihr drein mit dem Ausdruck eines Menschen, der einen Schlag ins Gesicht, eine Züchtigung erhalten hat und nicht zur Besinnung darüber kommen kann, was ihm geschehen ist.


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