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27

Doch aller Heimlichkeit zum Trotz, – Florenz erfuhr es und bald ganz Europa. Es hatte sich nicht vertuschen lassen wie einst der Mord an Don Gracia. Und auch im Herzen Cosmos wollte es sich nicht vertuschen lassen wie jene andere Greueltat, die eine Liebestat an seinem liebsten Kinde gewesen war ...

Die Erinnyen trieben Cosmo nach Pisa. In anderer Umgebung, – dem Orte des Frevels entrückt, wo Blutgeister umgingen – hoffte er Vergessen und den verlorenen Schlummer der Nächte zu finden. Er war Fürst und niemand Rechenschaft schuldig. Nur sich selbst. Vor dem Gerichtshof seiner Seele verteidigte ihn eine der beiden Stimmen, die in ihm nicht verstummen wollten. Ein Kapitalverbrechen hatte ja Sforza begangen, als er ihn an seine rebellischen Kinder verriet, und hatte dadurch das Leben verwirkt. Nichts war Cosmo vorzuwerfen, außer, daß er das Henkeramt eigenhändig ausgeübt hatte.

Der Kontroverse der beiden Stimmen überdrüssig, suchte er Zerstreuung. Eines Abends ging er, sich eine Seiltänzerin ansehn, von der ganz Pisa mit Entzücken sprach. In einem Operntheater trat sie auf.

Um nicht angegafft zu werden, setzte er sich in den Hintergrund einer dunklen Loge. Über das Parkett, über die Köpfe der Zuschauer hinweg war das Seil gespannt.

28

Das Mädchen – ihr Künstlername war Esmeralda – trat schüchtern aus einer Bühnenkulisse hervor, verbeugte sich ziemlich ungeschickt mit eckiger kindhafter Grazie. Ein blödes Lächeln wich nicht von ihren schwermütigen Lippen. Sie erklomm eine Leiter, tastete, oben angelangt, mit den Zehenspitzen nach dem Drahtseil, bevor sie den ersten festen Schritt darauf tat. Und plötzlich lief sie, schwebte sie durch den Raum. So ängstlich sie geschienen hatte, so ihrer selbst sicher war sie jetzt, eine kleine Königin in ihrem luftigen Feenreich.

Noch nicht zwanzig Jahre alt mochte Esmeralda sein. Vom Nabel abwärts bis zu den Oberschenkeln trug sie ein schwefelgelbes Höschen, mit glitzernden Metallflittern, falschen Perlen, falschen Rubinen bestickt. Ihr Rumpf, ihre Arme und Beine steckten in einem kreideweißen Trikot. Etwas unendlich Rührendes haftete ihrem schmächtigen, überschlanken Körper an: obgleich erwachsen und voll entwickelt, glich sie einem schlafwandelnden Kinde.

Die Zuschauer jubelten ihr zu, als sie auf dem Drahtseil knieend fünf goldne Bälle emporwarf und fing. Cosmo war fasziniert. Er, der Frauenkenner, mußte sich eingestehn, daß ihm eine so bezaubernde Erscheinung nie begegnet war. Esmeralda überstrahlte Semiramide, verdrängte sie aus seinem Herzen ... Und mit einem Male entsann er sich, daß die Schönheit Esmeraldas schon in vergangener Zeit einst seine Augen geblendet und einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hatte. Verschüttet in einer Schutthalde seines Gedächtnisses war ihr Bild, – und plötzlich stand es vor ihm: das Bild eines achtjährigen Kindes. Niemand anders war Esmeralda als seine kleine Feindin Cammilla Martelli, das Töchterchen des Kleinen Walfisches, Tänzerin schon damals. Im Ballettröckchen war das Kind an jenem Karnevalstag ins Gemach hereingekommen und hatte ihren Vater gewarnt vor ihm, dem schwarz gekleideten Almosenspender, den sie einen ›schwarzen Kobold‹, einen ›schwarzen Teufel‹ nannte. Und Messer Antonio Martelli hatte versprochen, sie ihm zu bringen, sobald sie erwachsen sein würde ...

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Diesen Abend schon, gleich nach der Vorstellung, mit dem Kleinen Walfisch und Cammilla zu verbringen, versagte sich Cosmo. Nicht einmal nach Messer Martelli Erkundigungen einzuziehn, hielt er für passend. Zu sehr fühlte er sich beobachtet und mußte vermeiden, daß ein Gerede entstehe.

In der Nacht stritten nicht mehr die beiden Stimmen ihn ihm, sondern Semiramide und Cammilla. Sie rangen miteinander, sie kämpften um den Vorrang. Die schließlich unterlag, war Semiramide.

Als er am nächsten Morgen heimlich den Kleinen Walfisch zu sich kommen lassen wollte, erhielt er den Bescheid: Cammilla und ihr Vater hätten Pisa verlassen.


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