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30

Im Echo der Saalwände bebte und schwebte das letzte Wort des Inquisitors – flatterte und entschwebte über einer plötzlich entstandenen Grabesstille wie eine Libelle über einem regungslosen Teich. Auf allen Mienen malte sich Erstarrung. In den Saal getreten war der weiße Nachtmahr – den außer Giovanni niemand vermißt, niemand herbeigesehnt hatte: die Duchessa Eleonora di Toledo.

Sie konnte sich nur mühsam aufrecht halten. Auf die Schultern zweier ihrer Kammermädchen, zweier junger Negerinnen, hatte sie ihre dürren Arme gelegt. Kein Tropfen Blutes war in ihren Wangen und Lippen. Ihr noch immer schönes Gesicht blinkte alabastern, durchsichtig, totenblumenhaft aus einem schwarzen Zobelpelz hervor.

Mit müder Stimme rief sie den Tafelnden zu:

»Ihr sitzt zu lange bei Tisch!«

Bedrücktes Schweigen war die Antwort.

»Gewartet habe ich lange. Wartend schlief ich ein ... Ihr lacht hier, und mir schmilzt das Mark der Seele ... Länger warten kann ich nicht, Zeichen sah ich an Sonne und Mond ... Ihr eßt zu viel!«

Mit ungewohnter Zartheit entgegnete ihr Cosmo:

»Eleonora! Hier sitzen Gäste!«

»Ich weiß, Cosmo! Ich weiß, daß ich Eure Freudenfeier störe ... Gott trieb mich her, damit ich Gewißheit habe ...«

»Welche Gewißheit?«

»Daß meine Söhne noch leben ... Gott zeigte mir den dunklen Strom der Gefahr. Du kannst das schwarze Wasser nicht sehn, Cosmo ... Ihr alle könnt es nicht ... Ich aber sah – – –«

»Was?«

»Mir träumte schwer. Die Himmelsleiter sah ich und auf ihr zwei junge Panther, die zum himmlischen Palaste hinaufklommen. Schon waren sie nicht fern vom Engelhimmel ... Da flog ein Schwert herbei – ohne Flügel flog es und glich doch einem zornigen Vogel –, und die Klinge durchschnitt die beiden Panther, so daß sie blutend in die Tiefe stürzten ... Und sogleich verwandelte sich mein Traum. In ein schwarz verhängtes Gemach führte mich ein Engel. Dort standen zwei offene Särge. Der Engel sprach zu mir: ›Schau, du arme Frau, dort liegen die beiden Panther aufgebahrt!‹ ... Und ich sah, daß es zwei Knabenleichen waren.«

»Du hast vier Söhne, Mutter«, sagte Giovanni erschüttert – »zwei von uns lagen in den Särgen; wer waren die zwei?«

»Ich kann es dir nicht sagen, Giovanni. Der Engel ließ mich nicht so nahe heran, daß ich die Gesichter erkennen konnte.«

»Träume lügen, Eleonora! Menschen, die totgesagt wurden, leben lange!«

»So reden meine Negerinnen, Cosmo! Du bist zu klug, um so zu denken. War es nicht eine Warnung vorige Nacht, daß die Pferde wahnsinnig wurden, daß der Wagen wie ein Böckchen sprang? Meine Herzenskleinode, Giovanni und Ernando, saßen im Wagen ... Streckt der Tod nach ihnen die Krallen aus? ... Oder will er uns täuschen und legt heimlich Fallen für Gracia? ... für Gracia, den du mehr als deine Augen liebst, Cosmo!«

»Du hast noch einen Sohn, Mutter!« sagte Giovanni leise.

Doch Eleonora tat, als habe sie nicht gehört.

»Jesu Odem atme über euch, meine Kinder! Tausend Engel sollen über euch wachen! – und sie werden es, während ich mit dieser Perlenschnur dem Tod die Hände binde!«

Sie zeigte eine Perlenkette von unschätzbarem Wert.

»Was hast du vor, Eleonora?«

Nicht sogleich beantwortete sie Cosmos Frage. Geheimnisvoll sagte sie:

»Ich brauche den Schlüssel zu unserer Grabstätte. Gib ihn mir, Cosmo.«

»Ich habe ihn nicht hier, Eleonora.«

»Geh und hole ihn. Dann werde ich dir sagen, was ich vorhabe!«

Zum Erstaunen aller Anwesenden stand Cosmo vom Tisch auf und verließ den Saal, um den Schlüssel zu holen ...

31

Mit Cosmos schwarzem Pflaster auf der Stirn lag Faustina in ihrer Schlafkammer. Auf einem Taburett am Kopfende ihres Bettes stand ein Kübel voll Schnee; und ihre Zofe Rentinola, eine Zwergin, kühlte ihr den Scheitel.

Auf dem Sklavenmarkt in Venedig war einst Rentinola gekauft worden. Doch Faustina ging mit ihr nicht wie mit einer Sklavin um, – längst hatte sie ihr die Freiheit geschenkt und verkehrte mit ihr, als wäre sie eine Freundin, eine Vertraute. Und so wie sie selbst ihr manches sagte, was sie vor anderen verschwieg, so erlaubte sie ihr unumwunden zu plaudern und hörte geduldig zu, wenn die Kleine ihr von ihren eigenen Herzensangelegenheiten und Kümmernissen berichtete. Schon seit einem halben Jahr wußte Faustina, daß Rentinola verlobt sei, und zwar verlobt mit Guerzolo, dem Pagen der La Delfina. Als einmal Guerzolo am Palazzo Pitti vorbeiging, hatte die Zwergin Faustina ans Fenster gerufen, um ihr ihren lässig dahinschlendernden, Zuckerwerk schleckenden Bräutigam zu zeigen. Nicht nach der Prinzessin Geschmack war der in Samt und Seide prangende Bengel, den sie da heimlich durch die Fenstervorhänge betrachtete; zwar leidlich hübsch schien er ihr – doch unheimlich, ja geradezu widerwärtig, so verlebt um den hängenden Mundwinkel herum, so schwarzumschattet rings um die wässerigen Augen. Gleich nachdem sie ihn gesehn, hatte sie Rentinola geraten, das Verlöbnis zu lösen; sie hatte gewarnt: der junge Mensch schaue wie ein Verbrecher aus ... Doch die verliebte Zwergin hatte heftig zu weinen angefangen, bis schließlich Faustina die harte Beurteilung des Pagen abmilderte und zugab, sie habe infolge der großen Entfernung die Gesichtszüge Guerzolos nicht genau sehen können.

Und somit war von ihr die Verlobung gutgeheißen worden, nie seitdem hatte sie gewarnt und hatte sogar kürzlich der Dienerin die Erlaubnis erteilt, in Begleitung ihres Verlobten sich die giostra dei tori – das Turnier der Stiere – auf der Piazza di Santa Maria Novella anzusehen.

Den ersten Eindruck nachzuprüfen, war Faustina unmöglich gewesen, da Guerzolo nie mehr unter den Palastfenstern vorbeiging. Und so widerspruchsvoll war ihr Herz, daß sie, die damals das Verlöbnis hatte lösen wollen, heute froh darüber war, durch Rentinola Beziehungen zum verrufenen, einer Gentildonna unbetretbaren Bezirk der Porta San Gallo zu haben. Denn dort – nicht weit von La Delfina – wohnte der cyprische Koch, und bei diesem – er, der Pastetenverkäufer, der Pferdebändiger der vorigen Nacht: ihr Lebensretter ...

»Ist er verheiratet?« fragte sie die Zwergin.

»Nein, Signorina. Wie soll er eine Frau ernähren – er kann ja kaum sich selbst ernähren, der arme König von Cypern!«

»Welch ein König könnte das sein? Die meisten könnten nicht einmal Pasteten backen.«

»Aber die meisten Könige, Signorina, sind hinter den hübschen Frauen her ...«

»Und er nicht?«

»Er läuft keiner Frau nach. Außer einer – das ist La Delfina. Doch die läßt ihn nicht in ihr Haus.«

»Warum nicht?«

»Weil er sie überreden will, ins Kloster zu gehn.«

»Du machst mich neidisch auf eine Hure, Rentinola! ... Würde er auch mich ins Kloster schicken ...?«

»Schlagt ihn Euch aus dem Sinn, Signorina. Seit voriger Nacht sprecht Ihr immerwährend von ihm. Gefiel er Euch so gut?«

»Er hat Augen, die man nicht vergißt, Rentinola! ...«

32

Es klopfte. Und schon trat Don Gracia ein, rosig, blond, strotzend von Gesundheit; aber seine Knabenstimme hatte einen Sprung wie ein geborstenes Glas.

»Ich muß mit dir allein sprechen, Faustina.«

Sie gab der Zwergin ein Zeichen, sich zu entfernen.

»Jetzt sind wir allein mit Gott – den kann ich nicht hinausschicken, Gracia ... Was hast du auf dem Herzen?«

»Habe ich ein Herz, Faustina?«

»Hat es dir Tolla gestohlen? Das war unrecht von ihr, das durfte sie nicht tun; – ich habe es ihr auch gesagt und habe sie tüchtig ausgescholten ...«

»Erlaubst du, daß ich dir den Scheitel kühle?«

»Das erlaube ich nur, wenn du schwörst, mich nicht mit Schneebällen zu füttern wie deinen Bruder Giovanni!«

»Das sahst du also?«

»Nicht ich – aber andere sahen es und waren empört. Schämst du dich nicht? ... Ein so zarter und sanfter Knabe wie du – und plötzlich solch eine Roheit!!«

»Ach, schilt mich, Faustina! Du wirst mich noch viel strenger schelten ...«

»Ja, das müßte ich. Weil ich weiß, daß der Kern in dir gut ist, möchte ich nicht, daß du so einer wirst wie dein Bruder Pietro.«

»Schwesterchen, gutes ... Bist du böse, wenn ich dich so nenne?«

»«Warum sollte ich böse sein? ...«

»Eigentlich sollte ich dich Mutter nennen ... Habe ich denn eine? ... Ich werde bald sterben, Schwesterchen.«

»Laß dich nicht auslachen, Gracia!«

»Wärst du im Speisesaal eben gewesen, könntest du nicht lachen!«

»Was war im Speisesaal?«

»Mutter kam herein und sprach von einem Traum ...«

»Vor allen Gästen?«

»Ja. Sie hat uns, ihre Söhne, als Leichen gesehen ... Das heißt nur zwei von uns ... Schwesterchen, ich habe Angst! ... Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich Angst habe!«

»Aber Gracia, Kind! ... Deine Mutter ist krank ...!«

Plötzlich brach er in lautes Schluchzen aus, umklammerte sie.

»Rette mich, Faustina! Rette mich!«

»Was meinst du! Du kannst es doch nicht glauben? ... Das ist doch unsinnig, Gracia, – es ist ein Wahn deiner kranken Mutter ... Warum solltest du sterben?«

»Ich muß sterben ... Oh, ich fürchte nicht den Tod.«

»Was fürchtest du denn?«

»Frage nicht ... Ich kann es dir nicht sagen ... Es ist zu grauenhaft! ...«

»Um Himmels willen, was ist mit dir, Gracia?«

»Hilf mir! Hilf mir! Hilf mir!«

»Wie soll ich dir helfen, wenn ich nicht weiß, was dich so traurig macht?«

»Traurig? ... Ach, wäre ich bloß traurig! ... Du kannst das nicht verstehn ...«

»Komm, sei doch vernünftig und überlege: selbst wenn der Traum Wahres offenbarte, – warum nimmst du an, daß es dich treffen muß? Sollte der Teufel einen von euch holen, so wird es Pietro sein; sollte Gott einen von euch zu sich nehmen, so wird es Giovanni sein, der zu gut für diese Erde ist: bei den Engeln droben würde er unter seinesgleichen leben ...«

»Die würden ihn nicht haben wollen, Faustina. Er ist ein gefallener Engel.«

»Wer? Doch nicht Giovanni?«

»Jawohl – Giovanni! Pietro ist viel besser als er!«

»Was redest du da!«

»Ich aber, Schwesterchen, – (erschrick nicht, Schwesterchen!) – ich bin hundertmal schlechter als Giovanni! Denn ich werde ihn töten wie Kain seinen Bruder Abel!«

»Gracia! Bist du bei Sinnen?«

»Ich fürchte mich vor mir selbst, Schwesterchen! ... Rette mich! Hilf mir! Hilf mir! Hilf mir!«

»Das ist ja heller Wahnsinn! Immer hast du Giovanni mehr geliebt als die anderen Geschwister ... Was ist geschehn?«

»Ich war heute früh bei einer Kurtisane.«

»Du? ...«

»Frage nicht, wie ich hinkam. In ihrem Hause hat sie ein Schlafzimmer, das sie an heimliche Liebespaare vermietet. Dort haben Giovanni und Tolla kürzlich geschlafen.«

»Das ist eine freche Lüge! Tolla ist meine Freundin – ich lege die Hand ins Feuer für Tolla! ... Wer ist die Kurtisane, die dir das weisgemacht hat?«

»Die Dichterin La Delfina. Die lügt nicht.«

»Dann ist es eine Verwechslung, dann hat sie ein anderes Liebespaar für Giovanni und Tolla gehalten ... Sahst du denn die beiden dort?«

»Nein. Aber La Delfina gab mir einen Zettel, darauf steht von Tollas Hand geschrieben: ›Ich komme morgen um 18 Uhr.‹«

»Hast du den Zettel bei dir? Zeig her! ... Nie im Leben hat Tolla das geschrieben!«

»Ich kenne doch Tollas Handschrift, Schwesterchen!«

»Aber dies ist nicht ihre Handschrift! Ich kenne ihre Handschrift besser als du –: Stöße von Briefen Tollas besitze ich, – nicht einmal ähnlich sehn sich ihre und diese Buchstaben ... Ist dies dein ganzer Schuldbeweis? Mehr hast du nicht vorzubringen? Und daraufhin willst du ein Brudermörder werden wie Kain?«

»Ich will ja nicht, Faustina!« schluchzte er. »Du wirst mich davor bewahren! Du tatest es ja schon: mir ist jetzt ganz leicht ums Herz ... Ach, wüßtest du, wie sehr ich Tolla liebe!«

»Auch dafür müßte ich dich ernstlich schelten ... und ich täte es, wärst du nicht so verweint. Ein andermal – (verlaß dich darauf!) – werde ich's dir noch ausreden! ... Wohin soll denn das führen? Sie ist viel älter als du, Kind! Du bist ein Püppchen in ihrer Hand.«

»Sterben möchte ich, Schwesterchen!«

»Dich, kleiner Gracia, kann man weder in der Hölle noch im Himmel brauchen. Du mußt noch lange auf Erden bleiben und dir vornehmen, nie wieder Leuten Schnee in den Mund zu stopfen ... Ja, und den Kopf hast du mir nicht gekühlt – hast mir sogar den Kopf recht heiß gemacht!«

Von Schluchzen geschüttelt, sah er ihr Lächeln nicht, verstand ihre Worte nicht, fühlte bloß die Güte ihres Mitleids. Mit einem Kuß näßte er ihre Hand und lief weinend hinaus.


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