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30

Dem Glase Cyperwein, womit Giuliano nach Anlegung des Verbandes belohnt wurde, muß wohl – (anders läßt es sich nicht erklären) – ein Schlafmittel beigemischt gewesen sein. Er, der vermeint hatte, Schlummer werde ihm in dieser Nacht nicht beschert sein, schläft nunmehr allzulange und erwacht erst, als die Strahlen der Nachtmittagssonne fast schon waagerecht die Zimmer des Schloßturms röten und Dämmerung die tiefer gelegenen Mauern der Rocca zu umdunsten beginnt. Erschreckend, springt er aus dem Bett, – an der Tür seiner Kammer klopft es, der Burgfriseur tänzelt herein, legt ihm einen Barbiermantel um, füllt das Waschbecken mit heißem Wasser, verschönt ihn und ist ihm behilflich, raschestens in den schneeigen Atlasanzug zu schlüpfen.

Auf einer der Schloßterrassen wartet die Fürstin auf ihres Gastes Erscheinen. Unbeschreiblich schön ist die Aussicht von der Terrasse: hinab in die Waldeinsamkeiten und die panischen Felsenödnisse des Tales zwischen den beiden Marmorburgen, auf das hohe, lächelnde, türkisene Meer und auf einen langgestreckten Wolkenstreifen, worein der niederwärts gleitende Sonnenball eine blutende Wunde reißt.

Trauer angelegt hat Lodovica. Ihr rechter Arm ruht in einer schwarzen Binde. Ganz allein sitzt sie da und liest. Das Buch schlägt sie zu, als er beschämt herankommt. Lachend hält sie ihm die linke Hand zum Kusse hin und heißt ihn, neben ihr Platz zu nehmen.

»Spät kommst du, nach meinem Arm dich erkundigen, totes Kind! Meine Ärztin hat inzwischen den Verband gewechselt. Die Wunde heilt nach Wunsch.«

»Ach, warum habt Ihr mich nicht früher wecken lassen, Principessa!«

»Ich habe dich schlafen lassen, damit du Kräfte sammelst. Du wirst Kräfte nötig haben heute.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß ich mich selbst überwinden muß? Dazu bedarf es keiner Muskeln, Principessa! Ich bin schon mit zäheren Feinden (als ich mir bin) fertig geworden! Bei meiner Seele beteuere ich: ein zweitesmal werde ich Euer Verbot, badende Nymphen anzureden, nicht übertreten!«

»Das hat keine Gefahr heute. Denn die Mädchen wirst du heute nicht zu Gesicht bekommen. Sie richten den Bankettsaal der Rocca her als eine Totenhalle für die Aufbahrung der Marchesa Isotta; – sie bekleiden die Wände mit schwarzem Tuch, sie türmen rings um den Katafalk Blumen zu wahren Hügeln auf ...«

»Wißt Ihr, Principessa, daß die Marchesa einen Gemahl hinterläßt, – den man von ihrem Ableben benachrichtigen müßte?«

»Einen Gemahl? ... Wen meinst du? Doch nicht dich? ...«

»Nein: General Bragadino. Er und sie lebten seit vielen Jahren getrennt, doch sie war sein ehelich angetrautes Weib.«

»Höre, lieber Freund, über Bragadino wollte ich mit dir sprechen. Du hast doch unter seinem Dach gewohnt. Wie denkst du über ihn?«

»Ich glaube nicht, Principessa, daß Dankbarkeit mein Urteil trübt. Bragadino ist ein rauher alter Soldat, ergraut im Dienst, hart gegen sich selbst und andere, vor allem aber: stets gerecht. Trotz seiner Strenge vergöttern ihn seine Untergebenen. Er kann überaus jähzornig sein und hat doch das weiche Gemüt eines Kindes. Zu mir war er rührend gut ...«

»Es wird dir sehr nahegehn ... Doch ich darf es dir nicht verschweigen.«

»Was denn, Principessa?«

»Wie General Bragadino umkam!«

»Er starb?! ... Traf ihn eine türkische Kugel? ... Woher habt Ihr's?«

»Mein Vetter Scipione Fieschi schrieb mir. Dir wird das Blut in den Adern vereisen, wenn du's hörst ... Die Ohren wirst du dir zuhalten, du wirst mich nicht weiterreden lassen ...«

»Ich werde Euch nicht unterbrechen, Principessa ... Sagt es schnell! Quält mich nicht länger! ... So sagt es doch!«

Und nun erzählt Lodovica das Furchtbare. Und wie sie es vorausgesehn hatte –: in Giulianos Adern vereist das Blut. Kein einzigesmal unterbricht er ihren Bericht. Nur ab und zu murmelt er mit weißen Lippen: »Mein Gott!« ... »O mein Gott!« ... »O allmächtiger Gott vom Himmel! ...«

Nach langer verzweifelter Gegenwehr hatte Bragadino die Festung Famagosta nicht mehr halten können. Mustapha Pascha sicherte ihm und seinem zusammengeschmolzenen Christenheer freien Abzug nach Kreta zu. Die Schlüssel der Festung abzuliefern, begab sich Bragadino mit drei venezianischen Offizieren zu Mustapha. Nach höflichem Empfang änderte plötzlich der Türke den Ton und beschuldigte Bragadino, ein mit Osmanli bemanntes Boot angegriffen zu haben, als die Venezianer die weiße Fahne bereits gehißt hatten. Unverzüglich ließ Mustapha die drei Offiziere köpfen, ließ dem General Nase und Ohren abschneiden und ließ ihn in ein Kerkerloch sperren, damit er dort neun Tage ohne Trank und Speise schmachte. Nach Ablauf dieser Frist aus dem Loch geholt, wurde Bragadino durch Geißelhiebe gezwungen, überschwere Lasten zu tragen, – einen ganzen Tag lang trieben sie ihn wie ein erschöpftes Reittier mit Geißelstreichen an, Steinlasten zu schleppen, bis er endlich zusammenbrach. Und jetzt banden die Unmenschen den völlig Entkräfteten an einen Pfahl und zogen ihm – auf Befehl Mustapha Paschas, der dabei stand und zuschaute – die Haut ab ... Auf einem eigens zu dem Zweck nach Konstantinopel beorderten Schiff überbrachte ein Abgesandter Lala Mustaphas dem Padischah die drei Köpfe der Offiziere und die mit Heu ausgestopfte Menschenhaut.

Große Tropfen rollen über Giulianos Wangen und Kinn. Mühsam hatte er, während Lodovica sprach, die Tränen zurückgehalten. Vergebens kämpft er noch gegen den Krampf des Kummers an. Es überwältigt ihn, es schüttelt ihn. Ein schreiartiges Winseln dringt aus seiner Kehle. Er bricht in ein wildes, lautes Geschluchze aus.

Mehrere Minuten lang läßt Lodovica seinen Schmerz sich austoben. Dann sagt sie:

»Hätte ich es vor dir geheimhalten sollen? Einmal mußtest du es ja doch erfahren ... Einen Schmerz muß man überwinden und niederstrecken wie einen Feind: wer einen Schmerz auf der Walstatt liegen ließ, ist freier, als er vordem war.«

Während sie so mit einer trostarmen Sentenz seinen Weinkrampf zu beschwichtigen sucht, späht sie nach der Tür hin, die aus den Gemächern der Rocca auf die Terrasse führt. Ihr verstohlener, ein Geschehnis erwartender Blick hätte – wäre er von Giuliano bemerkt worden – eine Warnung für ihn sein müssen. Doch schmerzübertäubt, sieht und hört er nicht, was um ihn vorgeht ... Da kommen Nella und Marietta auf die Terrasse. Sie haben durchsichtige Hemden aus spinnwebdünnem schwarzem Musselin an zum Zeichen der Trauer. Mit hastigen Schritten und, dem Anschein nach, tödlich erschrocken, eilen sie auf die Fürstin zu. Diese fragt verwundert:

»Was gibt es, Nella? Ihr seid ja beide so bleich ...«

»Principessa, – die Signora Marchesa ist nicht tot! ...«

»Was faselst du ...?«

»Sie lebt, Principessa! Wir legten sie auf die Erde, – da schlug sie die Augen auf!«

»Das kann nicht sein ... Ein solches Wunder – – –«

»Das größte Wunder, Principessa, ist, daß sie, die doch gelähmt und stumm war, jetzt sprechen kann!« »Komm mit, Giuliano! Laß uns hingehn und uns selbst überzeugen! ... Das muß ich mit eigenen Augen sehn, wenn ich das glauben soll!«

Durch den Nebel seines Schmerzes vernimmt Giuliano die Aufforderung der Fürstin. Was geht die Marchesa ihn an? Er weint um die entsetzliche Todesmarter seines Freundes Bragadino ... Das Verscheiden Isottas hat ihn gestern keine Träne gekostet, und über ihr Wiedererwachen empfindet er keine Freude ... Willenlos, gleichsam in einem mondsüchtigen Zustand, folgt er der Fürstin in die Totenhalle.

Mit schwarzem Tuch sind die Wände und die Fenster verhängt. Blumen, zu Bergen gehäuft, decken den Fußboden. Vier silberne, mannshohe Leuchter, in denen je eine armdicke Wachskerze schwelt, umgeben den Katafalk. Leichenhaft aufgebahrt liegt Isotta zwischen weißen Rosen und Kamelien da, umkniet von sechs in schwarze Musselinhemden gehüllten Mädchen. Mit glühenden Augen blickt sie die Eintretenden an, streckt ihren Geierhals vor, – wie sie es einst auch in Cypern zu tun pflegte. Allzu verweint ist Giuliano, um ihre Gesichtszüge genau erkennen zu können. Zwar neigt er den Kopf zum Gruß, seine Gedanken jedoch weilen bei Bragadino, dem unglückseligen Bragadino ...

»Gelobt sei Gott!« redet Lodovica die Marchesa an. »Welch ein Wunder hat der Allmächtige an Euch getan! –: Eure Seele hat er zurückgeschickt auf die Erde, hat Euch die Sprache wiedergegeben, damit ihr offenbaren könnt, was der Tod Euch gestern zu sagen verhinderte!«

»Sprechen ist mir schwer ... Fragt schnell, – ehe Gott mir den Mund schließt ... Was wollt Ihr wissen?«

»Was im Dokument, das niemand kennt außer Euch, über Messer Giuliano geschrieben stand.«

»Lorenzinos Sohn, ein Medici ...«, haucht Isotta.

31

Wenn in späteren Tagen Giuliano an die Geschehnisse dieses Abends zurückdachte und sich fragte, in welcher Geistesverfassung er – dem Ansturm unerhörter Eindrücke preisgegeben – das Unwahrscheinliche aufnahm, so kam es ihm vor, er habe sich, während Isotta sprach, in einem Rauschzustand befunden wie einer, der Tollkirschen aß. Dunkel entsann er sich, daß sein Schmerz um Bragadino durch ein ephemeres Hochgefühl verdrängt wurde, als er – gleich darauf – mit Lodovica nach dem größeren Marmorkastell hinüberritt und seinen getrübten Gedanken mit Möglichkeiten – als wären es jonglierte Bälle – zu gaukeln erlaubte: wäre er etwa doch ein Medici? Und demnach Lorenzinos Tochter, Donna Faustina, seine leibliche Schwester?! – Wie gut würde das seine Neigung zu ihr erklären, die er verehrt, ohne sie zu lieben. Denn lieben tut er nur die tote Violetta: von ihr wird er voll schmerzlichen Verlangens in die Grabeswelt gerufen, – wie der große Pan von der Nymphe, an deren Liebe er starb ...

Doch kaum hundert Schritte von der Rocca entfernt erlosch der Irrlichtertanz der unmöglichen Möglichkeiten, und immer stärker wurde sein Mißtrauen gegen die eignen Sinne. Daß tags zuvor die Sterbende niemand anders als Isotta gewesen, – daran läßt sich allerdings nicht zweifeln. Die Wiedererwachte, aus dem Todesschlaf Zurückgekehrte jedoch – war das die Marchesa? Mit verweinten Augen und im schummrig erhellten Raum hatte er ihre Gesichtszüge nicht deutlich sehn können ... Und war das ihre Aussprache, ihr Tonfall, war das überhaupt ihre Stimme gewesen? Er hatte in Cypern Isotta ein levantinisches Italienisch reden hören; – die ins Leben zurückgekehrte aber sprach Toscanisch – ein so reines Toscanisch, als stammte sie aus Siena. Und nachträglich fiel ihm ein, daß die Ärztin sich neben dem Katafalk nicht befand ...

Welch einen Wert also konnte die Aussage einer falschen Isotta haben?

Neben der schweigsamen Lodovica trabend, lächelte Giuliano schmerzlich vor sich hin und dachte:

»Durch nichts konnte sie mir besser beweisen, daß ich kein Medici bin, als durch diese Spiegelfechterei! Getäuscht ist nur sie, – nicht ich! ...«

32

Lakaien halten brennende Wachsfackeln und Reitknechte stürzen diensteifrig herbei, als die Fürstin und ihr Begleiter das Castello delle cento camere erreicht haben und im hinteren Burghof sich aus den Sätteln schwingen. Gelbliche Festbeleuchtung strahlt aus allen Burgfenstern in die schwarze Nacht hinaus.

Und jetzt führt Lodovica Giuliano in die geheimnisvolle Camera d'oro. Ein geheiligter Raum ist die Goldkammer. Bloß bei seltenen Anlässen gestattet die Fürstin ihren Gästen, die goldene Schwelle zu überschreiten.

Nicht nur die Schwelle ist aus purem Golde gestanzt. Schwere Goldplatten überkleiden die Wände, die Decke und den Fußboden der Camera d'oro. Das Übermaß des Goldgeflimmers tut den Augen weh.

Versammelt stehn hier die Fuorusciti, überragt von guelfischen Fahnen und Standarten.

Voll ehrerbietiger Scheu weicht die in Seide rauschende Menge auseinander und läßt eine Gasse frei für die Fürstin und den jungen Mediciprinzen, die Hand in Hand hereinkommen. Lodovica führt Giuliano an einen Tisch heran. Ein mit einem malachitgrünen Tuch bedeckter Gegenstand liegt auf dem Tisch.

»Knie nieder, Giuliano! Kniet alle nieder!« befiehlt sie. Widerspruchslos gehorchen alle. Es wird grabesstill.

Lodovica zieht das Tuch weg. Da erblickt Giuliano auf dem Tisch einen großen goldenen Teller; und auf dem Teller – als wäre es Johannes des Täufers Haupt – liegt ein bärtiger, braungelb eingetrockneter Mumienkopf.

Feierlich redet sie Giuliano an:

»Dies ist der Kopf deines Vaters, Giuliano, der Florenz vom Tyrannen Alessandro befreit hat und darum von den Meuchelmördern Cosmos in Venedig erdolcht wurde. Das Haupt Lorenzinos haben seine Freunde einbalsamieren lassen, damit er – unbeerdigt – eine sichtbare Mahnung bleibe, bis sein Bluträcher die Tat vollbringt, die seiner schweifenden heimatlosen Seele Ruhe unter der Erde schaffen wird. Schwöre ihm und uns, Giuliano, daß du seiner Seele Ruhe schaffen wirst!«

Langsam hat sich Giuliano erhoben und starrt den Mumienkopf an. Doch kein Laut kommt aus seinem Munde, regungslos steht er da.

»Zaudere nicht, Giuliano!« ruft Lodovica drängend. »Es ist Sohnespflicht, den Vater zu rächen! Alle die hier knien, werden dir huldigen und Treue geloben, sobald du geschworen hast, ein Befreier von Florenz zu werden, wie dein Vater ein Befreier von Florenz gewesen ist!«

»Ihr verlangt von mir, Fürstin, daß ich Cosmo töten soll?«

»Schwöre, daß du es tun willst, Giuliano, – und wir alle werden dir behilflich sein, die Lilienkrone von Florenz zu erlangen, die der Usurpator dir stahl!«

Mit beiden Händen ergreift Giuliano den Teller, hebt ihn und drückt den Tellerrand an seine Brust, so daß sein Gesicht dem Gesicht des Toten ganz nahe ist. Und er redet mit dem einbalsamierten Haupte ... Früher als die übrigen rings knienden Zuhörer spürt Lodovica aus dem absonderlichen Klang seiner Worte einen Nebenton heraus, – einen besinnlichen Narrenton: der war ihr schon einstmals in Semprebenes Taverne aufgefallen, als der von den Stravaganti gehänselte Pastetenbäcker sich seiner Haut durch gespielte Einfalt erwehrte. In diesem Ton hatte er »Ich lebe in der Hölle« gesagt, und »Der Mond ist leichter zu treffen als ich: ich bin zu weit weg! ...«

Wie traumverloren nickt Giuliano dem Toten nachdenklich zu und flüstert:

»Als ich mit Norfolk in Mesopotamien reiste, sah ich beim Volk der Gestirnanbeter solch ein unverwesliches Haupt, – das war lebendig und konnte sprechen. Kannst auch du sprechen, totes Haupt?«

»Komm endlich zur Sache, Giuliano! Hundert Freunde warten auf deinen Eid!« drängt Lodovica voll Ungeduld.

»Gleich, gleich, Principessa! ... Die Gestirnanbeter setzen einen Menschen, der dem Planeten Merkur gleicht, in ein Bad von Öl und Borax, bis der Kopf ganz von selbst sich vom Körper löst, und dann stellen sie Fragen an das weissagende Haupt ... Auch ich will dich fragen, Haupt, – du sollst mir die Rätsel des Lebens lösen! –: Kann ich dein Sohn sein, Haupt? Ich bin ja du! und du bist ich! Jedes Knöchelchen an dir ist ja auch an mir! Du und ich – wir sind Brechungen eines Lichtstrahls. Wie also kann ich, da ich du bin, mein eigner Vater sein? ...«

Mehrmals hatte Lodovica vergebens versucht, ihn zum Schweigen zu bringen, während er, ihre leisen Zurufe überhörend, immer hastiger weitersprach. Jetzt endlich glückt es ihr, ihn zu unterbrechen, sie faßt ihn am Ärmel und zischt ihn wutbebend – doch immer noch im Flüsterton – an:

»Hast du den Verstand verloren? Vergiß nicht, wo du dich befindest!«

Verträumt lächelnd entgegnet Giuliano:

»In einem Labyrinth befinde ich mich, erlauchte Fürstin, – ich finde mich in den hundert Kammern nicht zurecht ... Oh! zürnt mir nicht! –: es bewegt mich so, dies merkurische Haupt zu betrachten ... – obwohl es mein Vater schwerlich ist.«

»Du aber bist Lorenzinos Sohn! – die sterbende Marchesa hat es bekundet und du hast es gehört!«

»Meine Ohren hörten es, Principessa; – mein Herz blieb taub.«

»Verspottet uns der Prinz – oder ist er krank?« ruft einer der Knienden barsch. Ein Gemurmel und leises Murren geht durch die Reihen.

»Habt noch etwas Geduld mit ihm, meine Freunde!« ruft Lodovica. »Allzu plötzlich und überraschend kam ihm die Mitteilung, daß er fürstliches Blut in den Adern hat, daß er ein Thronerbe ist!«

»Ich bin der König von Cypern; – meine Mutter Catarina Cornaro ist freilich schon hundertundfünfzig Jahre alt – – –«

»Genug der Narreteien!« schreit Lodovica Giuliano an. Sie packt ihn am Arm und schüttelt ihn, so daß Lorenzinos Haupt beinahe vom Tellerrand gleitet. Viele der Knienden erheben sich empört. Und wieder fährt sie ihn an, noch lauter schreiend:

»Glaube nicht, daß du mit den Possen dich deiner Pflicht entziehen kannst!«

»Welcher Pflicht, Principessa?«

Diesmal ist es einer der Verschworenen, der die Frage beantwortet:

»Der Pflicht, Signor, Eures Vaters Tod zu rächen! Doch gefahrvoll ist die Tat, welche die Pflicht von Euch verlangt, und uns scheint, daß Ihr Deckung hinter Spötteleien sucht, weil Ihr Angst habt und ritterliche Ehre nicht kennt!«

Diese Beleidigung übt eine unerwartete Wirkung auf Giuliano aus. Sein eben noch lächelndes Gesicht verfinstert sich. Den goldenen Teller mit dem Haupt stellt er dröhnend auf den Tisch. Die Arme über der Brust verschränkt, wendet er sich seinen Anhängern zu. Seine Blicke fordern die Enttäuschten heraus, die in tiefster Ehrerbietung ihn zuerst begrüßt hatten und jetzt feindselig ihn umringen wie ein Rudel hungriger Wölfe ... Und er scheut sich nicht, sie noch mehr, als bisher, zu reizen.

»Angst?« ruft er. »Was ist das, Angst? Wie sieht sie aus, die Angst? Ist sie eitel Wind? Hat sie Mark und Knochen? Hat sie einen Nabel, zehn Zehn, eine Nase und einen Schopf? Schafft mir das schlotternde Weibsbild her, denn bis heute habe ich seine Bekanntschaft noch nie gemacht. Ich fürchte ja nicht einmal euch, edle Herren! Glaubt ihr's mir nicht? Seht, die Pflicht – meine Pflicht – schreckt mich nicht; den verlangten Eid zu leisten, schreckt mich nicht: ich schwöre – (vernehmt es, ihr seid ja meine Eidzeugen!) – so wahr ich Messer Giuliano da Cipro bin, schwöre ich, daß ich Cosmo – der mir Gutes tat – vor Meuchelmördern schützen werde; vor euch und sogar vor mir selbst, falls ich ein Meuchler an ihm werden sollte!«

Unbeschreiblich das Tohuwabohu und wilde Durcheinander nach diesen Worten. »Er will uns verraten! Er will uns ans Messer liefern, der Verräter!« und ähnliche Rufe erschallen. Die Verschworenen toben, brüllen, mehrere ziehen die Degen, wollen sich auf Giuliano werfen ...

Da tritt jählings Stille ein. In die Camera d'oro schreiten waffenklirrend die drei afrikanischen Leibtrabanten und eine Anzahl geharnischter Hellebardiere. Dem Neger Achmed erteilt die Fürstin den Befehl:

»Mit deinem Kopf bürgst du für das Leben Seiner Hoheit des Prinzen Giuliano de' Medici! Geleitet Seine Hoheit in den Säulensaal!«

Und nachdem Giuliano, umringt von Bewaffneten, hinausgeführt worden ist, spricht Lodovica zu den Verschworenen beschwichtigend und zuversichtlich:

»Vergebt ihm den unsinnigen Trotz und habt Geduld mit ihm! Ein Vollblutfüllen läßt sich nicht an einem Tage schirren und kirren. Doch ich habe Zucker und Peitsche, ihn gefügig zu machen. Und ich verspreche Euch, daß er nach einer Woche stolz sein wird, Euer Prinz und Anführer zu sein!«


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