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21

Schon hatte sich Pier Vettori verabschiedet und war bis zur Tür gegangen. Die Klinke in der Hand, stand er unschlüssig da, lächelte verlegen (so daß man einige silberne Zähne in seinen Zahnlücken blitzen sah) und kehrte zu Cosmos Schreibtisch zurück.

»Du hast noch was auf dem Herzen, padre?«

»Ließ ich nicht meinen Handschuh liegen? ... Ja, richtig, was ich noch fragen wollte, figliuolo. Weißt du, daß die Fürstin Lodovica Malaspina – – –«

»Daß sie gefedert worden ist? Ich weiß auch, wer ihr den Bubenstreich gespielt hat.«

»Nicht das war's, was ich fragen wollte ... Was tut sie in Florenz?«

»Sie will sich rächen – an meinem Sohn ... Ich gab ihr die Erlaubnis.«

Etwas ungeduldig klangen die letzten Worte. Cosmo war ein Geheimniskrämer: in die Geheimberichte seiner Kundschafter gewährte er andern ungern einen Einblick. Was ihm bekannt war über Ränke Lodovicas, ging die Florentiner und auch seinen greisen Freund nichts an; – noch wußte er selbst nicht, wann und ob überhaupt er zum Schlag ausholen werde ... Leichtsinnig war es vielleicht von ihm, daß er den dreitägigen Waffenstillstand mit seiner Feindin schloß; doch wenn sie daraus seine Ahnungslosigkeit folgern sollte, – um so besser: so konnte sie das in Sicherheit wiegen und unvorsichtig machen ...

»Will sie sich bloß an Don Pietro rächen?« fragte Vettori.

»An wem denn sonst?«

»Unheimlich ist sie mir, figliuolo. Eine Sphinx ist sie ... Zwei meiner Schüler hatten ein merkwürdiges Erlebnis ...«

»Mit der Fürstin?«

Eben noch hatte Cosmo das Gespräch abbrechen wollen. Jetzt plötzlich lauschte er gebannt.

»Du hast heute keine Zeit, figliuolo. Ein andermal ...«

»Für dich habe ich hundert Stunden Zeit, padre. Komm, setz dich her ... Was für ein Erlebnis?«

»An der ligurischen Küste war es, unweit von Sarzana. Meine zwei Schüler machten eine Frühlingsreise und verirrten sich abends in einer Klippenwüstenei, wo nirgend eine Fischerhütte oder gar ein Gasthof zu erblicken war. Schließlich entdeckten sie zwei Schlösser am Meer. Da die Nacht sie überfiel, baten sie am Tor des einen, kleineren Schlosses um Herberge. Man ließ sie ein und führte sie durch Zimmer, deren Wände mit unanständigen Bildern bemalt waren.«

»Padre! ... War das Lodovicas Schloß?«

»Höre nur weiter, figliuolo! Meine beiden Schüler gelangten in einen hellerleuchteten Saal, wo auf fünfzehn Ebenholzsesseln fünfzehn nackte Mädchen saßen und mit der erhöht thronenden, sittsam in Silberbrokat gekleideten Schloßherrin den Phaedo des Plato lasen und über die platonische Philosophie diskutierten. Die Schüler wurden aufgefordert, sich an der Kontroverse zu beteiligen. Doch sie bestanden die Prüfung schlecht: nicht wie Erzengel benahmen sie sich, glotzten statt zu streiten die Schönen verliebt an und wurden darob aus der Burg gewiesen.«

»Das sieht ihr ähnlich, der Tollen! Sie selbst hat Froschblut und will die Welt in einen philosophischen Froschpfuhl verwandeln!«

»Wenn sie nicht der Welt Sand in die Augen streuen will mit ihrem Venus-Kastell, figliuolo!«

»Wie das?«

»Vor vier Wochen war ich in der Gegend dort wegen eines Bronzekopfes ... Da habe ich mich nach der Rocca di Venere erkundigt. Nun, einige meinten, die Fürstin sei ein Würgengel, der Jünglinge verlockt und verdirbt. Andere wiederum meinten, sie treibe den Kult der Kythere, um den keuschen Joseph ausfindig zu machen, der ihrer Hand, ihrer Schönheit und ihrer Reichtümer würdig sei.« »Das, padre, halte ich für möglich, so wie ich sie kenne. Doch ich bezweifle, daß sie den Makellosen finden wird, – mögen auch noch so viele in den Hörselberg pilgern.«

»Viele werden es nicht sein, figliuolo, die sich tagsüber dahin verirren ... Aber das hörte ich: daß zuweilen viele, recht viele heimlich bei Nacht sich dort träfen. Und das seien zum Tode verurteilte Florentiner und Sienesen.«

»Schatten, padre?«

»Nein, Lebende.«

»Habe Dank für die Warnung, padre. Ich werde der Spur nachgehn ... Wir sehn uns also morgen den Schlachtwagen in Volterra an. Eines Geringern wegen, als Hektor einer war, hätte Achill den Schlachtwagen nicht bestiegen: man muß seinen Feind hochschätzen – und erst recht seine Feindin! ...«

22

Während Pier Vettori, hinausgehend, die Tür öffnete, sah Cosmo seinen grauhaarigen Leiblakaien Signore Sforza di Vicenzo Almeni draußen stehn. Er winkte ihn herein.

Sforza war ein gedrungener, mittelgroßer, wie ein Kavalier gekleideter und stets feierlich dreinschauender Mensch. Als einst Cosmo, fast noch ein Kind, den Thron bestieg, hatte er vom ermordeten Duca Alessandro – außer der Krone und manchen Palästen – auch diesen Lakaien wie ein Erbstück übernommen. Und seither hatte ihm Sforza treu als Kämmerer (zuweilen auch als Bravo) gedient und war allmählich sein dunkler Trabant geworden, unabtrennbar von ihm wie von jeder belichteten Gestalt ihr dunkler Schatten. Mit Landgütern und Dukaten und Wohlwollen wurde seine Verschwiegenheit belohnt.

Denn die war seine hervorstechendste Eigenschaft. Er hätte die lebende Chronik der mediceischen Paläste sein können, wäre sein Mund nicht allzeit versiegelt geblieben. Und nicht bloß die Sünden, deren Mitwisser er war, trug er ewig verschwiegen mit sich herum, – auch die unterdrückten Sünden seiner Seele: daß er Cosmos jüngste Tochter, die bernsteinhäutige Isabella Orsini, als sie noch ein Kind war, vergöttert und begehrt hatte, war von ihm weder durch ein Wort noch durch einen Blick jemals verraten worden.

Auf einem Tablett brachte Sforza eine Karaffe mit Limonade, zwei Gläser und eine Schale mit Makronen herein. Er füllte beide Gläser und trank das eine leer, bevor er das andere dem Duca anbot. Als Mundschenk Cosmos war er – sollte der Tod im Glase lauern – verpflichtet, den Tod an sich zu locken und zu sterben, bevor des Fürsten Lippen den Glasrand berührten ...

»Hast du der Fürstin Malaspina die Einladung überbracht? Hat sie zugesagt?« fragte Cosmo.

»Ihre Durchlaucht kommt zum Essen, Eccellenza.«

»Hast du sie beobachten lassen?«

»Auf Schritt und Tritt, Eccellenza. Der Conte Ginori, dessen Gast sie ist, weilt in Rom und hat ihr seinen leeren Palast zur Verfügung gestellt.«

»Hat sie Besucher empfangen?«

»Nur die Kurtisane La Delfina, die Dichterin.«

»Worüber sprachen sie?«

»Die Unterredung wurde leise geführt und konnte nicht deutlich gehört werden. Don Pietro wurde mehrmals genannt.«

»Falls Traiano Bobba zurück ist, schicke ihn mir her.«

23

Sforza ging hinaus; und gleich danach kam Cosmos Geheimschreiber herein, der den pomphaften Namen Traiano Bobba da Casale de'signori di Rosignano nel Monferrato führte.

Er war ein junger, noch nicht dreißigjähriger, schlank-hoher Mensch mit schwarzem Spitzbart, lebhaften Äuglein wie Korinthen und einer auffallend hohen Stirn. Der Stirn sowohl wie der überlegenen spöttelnden Redeweise wegen pflegte ihn Cosmo »seinen kleinen Macchiavelli« zu nennen. Mag sein, daß Traiano – eine Zeitlang – den Ehrgeiz besaß, dem großen Menschenkenner und Menschenverächter nachzueifern; doch unterschied ihn von seinem Vorbild eine warmherzige Menschlichkeit. Er stammte aus Castelfranco und hatte von seiner Mutter nordisches Geblüt und Gemüt ererbt, – was sein Gespött leicht zu Humor abmilderte ... Der Krähe des Duca, Donna Faustina, deren Schicksal ihm sehr nahe ging, war er der einzige aufrichtige Freund bei Hofe. (Einige Jahre später verlobte er sich mit einer Seidenhändlerstochter, weil die eine entfernte Ähnlichkeit mit Donna Faustina hatte ...)

Cosmo kaute eine Makrone und blätterte in einem Stoß Papiere, die ihm Traiano auf den Schreibtisch gelegt hatte. Ohne aufzublicken sagte er:

»Ich reite morgen nach Volterra für zwei Tage. Du begleitest mich, und sonst nur Sforza. Triff die Vorbereitungen geheim, – niemand darf das Ziel meiner Reise erfahren und wie lange ich wegbleibe ... Hast du den Pastetenverkäufer ausfindig gemacht?«

»Ja, Eccellenza. Es ist, wie ich es mir gleich dachte, Seine Majestät – – –«

»Den die Fürstin Malaspina ...?«

»Sicherlich. Seine Majestät von Nirgendland ... Die Bettler, unter denen er lebt, nennen ihn den König von Cypern.«

»Nun, und was erfuhrst du?«

»Daß er heute in die Akademie der Stravaganti aufgenommen werden sollte. Darum setzte ich mich in die Weinschenke des Messer Semprebene.«

»Da tagen wohl die Hanswürste?«

»So ist es, Eccellenza. In der dunklen Taverne setzte ich mich an einen abseitigen Tisch, von wo aus ich gut beobachten und hören konnte. Lange brauchte ich nicht zu warten. Lärmend kamen drei der Verschrobenen mit zwei nicht minder verschrobenen jungen Damen herein und bestellten beim Kellner Mäusebraten, Blindschleichenkotelett, Küchenschabenfricassee – – –«

»Du übertreibst mal wieder, Traiano!«

»Nein wirklich, bei allen Heiligen! Das bestellten sie; und auch geräucherte Spulwürmer, Wanzenpasteten, geröstete Rattenschwänze, Spinnenkompott und gezuckerten Krötenschleim.«

»Ich wünschte, mein Sohn und seine Kumpane bekämen das aufgetischt und ihr Leben lang nichts anderes! (Gott vergebe mir den unfrommen Wunsch!) ... War Don Pietro nicht dabei? Er schläft wohl noch seinen Rausch aus?«

»Für Semprebene, den Tavernenwirt, war's ein Glück, denn der Prinz hätte ihn zum Krüppel geprügelt, weil er Mäusebraten, Spinnenkompott und gezuckerten Krötenschleim nicht herbeischaffen konnte.«

»Vergiß nicht die geräucherten Würmer, die hätte mein Sohn, der Feinschmecker, ganz besonders vermißt!« »Daß Seine Eccellenza Don Pietro nicht kam, war gewiß auch für den Pastetenverkäufer ein Glück, denn ihm hätte, brüllend vor Lachen, Seine Eccellenza eine Tonsur geschoren und wer weiß mit welchem Schermesser ... Während eben noch die drei Akademiker und ihre Begleiterinnen aus Wut über den Wirt einen Höllenspektakel gemacht hatten, verstummten alle plötzlich, als in die Taverne Messer Martelli, der Kleine Walfisch, hereingeschwommen kam mit seinem Schützling, dem Pastetenverkäufer.«

»Den dicken Martelli kenne ich ... Welchen Eindruck hattest du von seinem Schützling?«

»Was soll ich sagen ...? Es war, wie wenn plötzlich der seraphische Sankt Franciscus in den Weinkeller träte – ein wunderschöner Sankt Franciscus ... Nicht, um den Vögeln und den Fischen zu predigen – sondern den Schweinen und Säuen ...«

»Predigt er?«

»Nur mit den Augen, großen rehbraunen Augen ... Viel sagt er nicht. Was er sagte, erschien mir kindlich ... dann aber merkte ich, daß es durchaus nicht so kindlich war, wie es klang ... Er bat, daß man ihm die Statuten der Akademie verlese. Wohlweislich ließ das der Kleine Walfisch nicht zu.«

»Wohlweislich? Wieso?«

»Weil es abgeschreckt hätte ... Ich kenne die Statuten, Eccellenza, – sie sind zum größten Teil denen, die Macchiavelli für die ›Bizarre Compagnie‹ entwarf, ziemlich wörtlich nachgeschrieben. So z. B. heißt eine Vorschrift: Die Mitglieder der Akademie verpflichten sich, Schlechtes voneinander zu reden. Ein anderes Statut lautet: Je mehr Worte und je weniger Gedanken einer vorbringt, um so mehr soll er geehrt werden.«

»Ist das abschreckend, Traiano? ... Man könnte auf die Vermutung kommen, die ganze Welt sei eine Akademie der Stravaganti, ein Narrenhaus, eine ›Bizarre Compagnie‹, – denn wo auf der Erdkugel werden Wortemacher nicht am höchsten geehrt? ... Wenn du mir nicht verfänglichere Statuten nennen kannst ...«

»Das kann ich, Eccellenza! Eines schreibt vor: Ist ein weibliches Mitglied – eine Stravaganta – allzuschön und wird dies von zwei Zeugen beschworen, so muß sie zur Strafe eine Handbreit über dem Knie ihre Schenkel entblößen ... Mir fällt gerade kein weiteres Statut ein, aber da sind noch viel tollere. Unser seraphischer Jüngling hätte die Flucht ergriffen.«

»Dann müßte er ja Lodovica gefallen ... Wurde er in die Akademie gewählt?«

»Einstimmig. Erst mußte er ein kurzes Examen bestehn, nämlich drei Wahrheiten sagen, die sich nicht widerlegen lassen.«

»Die Zeit widerlegt alle Wahrheiten – sie ist klüger als die menschlichen Hansnarren ... Was waren seine Wahrheiten?«

»Die erste war: Vergangenheit ist ein Land der Gespenster.«

»Nein, Traiano, kindlich ist nicht, wer so spricht! ... Wie war die zweite Wahrheit?«

»Man entgeht wohl der Strafe, aber nicht dem Gewissen.«

»Nie und nimmer ist das ein Heiliger! ... Zu wem spricht er so? Zu sich selbst? ... Wie war seine dritte Wahrheit?«

»Nicht jeder Pastete sieht man an, was sie enthält.«

»Oho! Diese Pastete möchte ich öffnen! Und, bei meinem Leben, ich werde diese Pastete öffnen! ... Donner und Blitz! Wer ist der Kerl? Er ist mir unheimlich! ... ein König von Cypern? – welch ein Blödsinn –: der Enkel Catarina Cornaros müßte graue Haare haben! ... Ein gedungener Mörder? – würde der mit eigener Lebensgefahr meine Kinder retten? und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem er eine Goldbörse zurückweist? ... Zum Teufel, was ist das für ein Mensch? Was will er mit seinen Wahrheiten? Warum entblößte er sich in der Weise? Was bezweckt er mit der Kühnheit? ... Kannst du mir es erklären, Traiano?«

»Eccellenza, ich habe bloß eine Erklärung: er glaubte, vor lauter Weinschläuchen zu sprechen; – und er hatte eigentlich recht, denn keiner außer mir war feinhörig genug, um aufzuhorchen ... Ihm aber machte es eine diebische Freude, zu tun, was der blöde Neffe des Tarquinius tat, als er ins Donnergetöse eines Wasserfalles hineinrief: ›Ich heiße Brutus der Königsfeind, und das weiß niemand als ich allein!‹«

»Brutus?! ...«

Jählings erhob sich Cosmo und sah Traiano Bobba düster und forschend ins Gesicht. Dann schritt er im engen Kabinett zwischen Tisch und Fenster auf und ab.

»Hast du einen Hintergedanken, einen besonderen Anlaß, daß du Brutus nennst?«

»Ich versuchte nur durch ein Gleichnis zu erklären, Eccellenza ...«

»Durch ein unsinniges Gleichnis, Traiano! Selbst zu einem Wasserfall würde ein Assassine nicht sagen: ›Achtung! ich bin ein Meuchler, – nehmt euch in acht vor mir! ...‹«


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