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57

»In Böotien« – so beginnt die kleine Novellistin –, »in Böotien ist ein Venus-See; wer daraus trinkt, wird liebestoll. Ich verlange nicht von dir, Giuliano, daß du das glaubst. Aber denken könnte man tatsächlich, daß Cosmo aus dem böotischen See getrunken hat, denn immer war er liebestoll. Zu Besuch beim Kardinal Farnese in Parma, vernarrte er sich in deine Amazone und zog sie an den Florentiner Hof. Feinfühlig erspürte Fürstin Lodovica, wen sie verdrängt hatte, und schloß – um Cosmo zu trotzen – die Verdrängte in ihr Herz. Als Freundin der Donna Maria und als deren Ehrendame lebte sie im Pittipalast. Damals war die Amazone allmächtig in Florenz.«

»Verstand ich recht? Auch in seine älteste Tochter war er verliebt gewesen?«

»Aber sie nicht in ihn. Das arme schüchterne Ding war keine wilde Isabella. Daß die Amazone dazwischenkam, begrüßte Donna Maria als Erlösung. Daher ihre Freundschaft ... Cosmo ist ja ein Menschenfresser, ein Mädchenfresser. Ich möchte nicht von ihm verspeist werden ...«

»Das wünsche ich dir aufrichtig, Semiramide.«

»Ich bin gefeit, ich bin eine Republikanerin ... Wenn aber –, so würde ich ihn schön zappeln lassen, wie Lodovica es getan hat. Daß Lodovica sich ihm versagte, daß mehr als ein Jahr lang sein Werben um sie fruchtlos blieb, steigerte seine Liebestollheit. Sonst hätte er früher die zunehmende Bleichsucht Marias bemerkt. Die Ärzte waren ratlos. Da behauptete eine alte Wärterin: eine blutsaugende Strega fliege nachts zu Maria. Heimlich befestigte die Wärterin ein scharfes Messer am Fensterkreuz. Und schon am nächsten Morgen ward Blut am Fenster entdeckt.«

»Menschenblut, Semiramide?«

»Damals wurde, nach langen Verhandlungen, die öffentliche Verlobung der Donna Maria mit dem Prinzen Alfonso d'Este gefeiert. Gleich zu Beginn des Festes, als alle Gratulanten versammelt waren, schwanden der Braut die Sinne, sie mußte ohnmächtig weggetragen werden ...«

»Du spannst meine Neugier auf die Folter, Semiramide. Wen hatte das Messer am Fenster geschnitten?«

»Einen kindjungen Pagen, Malatesta Malatesti, der Nacht für Nacht sie besucht hatte. Am Oberarm verletzt, sagte er ihr: seine Wunde sei eitrig geworden und könne nur geheilt werden, wenn sie nachts in die Schloßkapelle schleiche und aus dem ewigen Lämpchen, das dort vor einem Heiligenbilde brennt, das Öl stehle; – mit dem heiligen Raub müsse die Wunde bestrichen werden. Und Maria stahl das geweihte Öl, um dem Pagen ihre Treue zu beweisen. Durch diese unheilige Tat wurde sie ihm noch mehr als zuvor versklavt, was ja auch wohl seine Absicht gewesen war ... Nach der Ohnmacht beim Verlobungsfest entlockte Lodovica der Freundin das Geständnis ihrer Sünden. Schwanger war Donna Maria, und die Fürstin versprach, ihr zu helfen. Sie traf alle Vorbereitungen für eine Entführung Marias durch Malatesta. Die Liebenden sollten als Barfüßler über die nördliche Grenze ins Amazonenreich fliehn. Eine Nonnenkutte wurde für Maria besorgt.«

»Ein schwarzes Leichenhemd, Semiramide! – ich ahne es!«

»Am Vorabend der geplanten Entführung tötete beim Scheibenschießen mit der Armbrust Malatesta aus Versehn einen Kameraden, einen gleichaltrigen Pagen. Er wurde eingekerkert. Und nun, in ihrer Verzweiflung, beging Donna Maria eine Unvorsichtigkeit: sie versuchte durch ihre alte Wärterin den Gefängniswärter Malatestas zu bestechen. Es mißlang, und Cosmo erfuhr es. Was er erfahren, mußte Lüge sein: einstige Liebe und Familienstolz bäumten sich auf gegen die furchtbare Wahrheit ... Dennoch stellte er seine Tochter zur Rede. Sie blickte ihn an wie ein erjagtes Häschen den Jagdhund, leugnete weder, noch gestand sie ein. Er wurde roh gegen sie, er schlug sie. Von dem Moment an verstummte sie ganz. Keiner ihrer Angehörigen vernahm seitdem ein Wort aus ihrem Munde; alle Versuche, eine Antwort von ihr zu erlisten, öffneten ihr die Lippen nicht ...«

»«Was geschah mit Malatesta?«

»Wegen des unheilvollen Armbrustschusses – denn alles andere durfte nicht ans Licht der Sonnen – verurteilte ihn das Polizeigericht der Acht zu lebenslänglichem Kerker. Nachdem er drei Jahre geschmachtet hatte, wurde er befreit.«

»Durch wen?«

»Durch seinen älteren Bruder Jacopo – von dem du vorhin sagtest, du habest ihn gekannt. Dieser Jacopo Malatesti war Hauptmann im venezianischen Heer auf Cypern; an Geld und Freunden fehlte es ihm nicht; als ihm die Tragödie zu Ohren kam, setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, bis ihm glückte, was der alten Wärterin mißglückt war: er ließ durch einen bestochenen Wärter Wachsabdrücke von den Kerkerschlüsseln fertigen. Neue Schlüssel wurden geschmiedet, die so butterweich in die Türschlösser glitten wie ein Florett ins Feindesherz ... Malatesta floh zu seinem Bruder nach Cypern, denn seine Geliebte lebte längst nicht mehr.«

»Wie starb Donna Maria?«

»Warum unterbrachst du mich, Giuliano, – ich hätte es dir in der richtigen Reihenfolge erzählt ... Als er noch nicht lange in Haft war, durften Freunde ihn besuchen; und einem gab er einen Brief an Donna Maria mit. Darin verlangte er von ihr, sie solle sich die Leibesfrucht von einer Hebamme (deren Namen und Wohnung er angab) abtreiben lassen. Denn wenn das Kind zur Welt käme, wäre sein Kopf verloren. (Nicht um die Geliebte, nur um sein teures Leben zitterte der Selbstsüchtige!) ... Diesen Brief verheimlichte Maria ihrer Freundin Lodovica. Nachts, ohne Begleitung, kam sie in die Spelunke der Hebamme; – die Wachtposten des Pittipalastes hatten die vermeintliche Nonne unbehelligt durchgelassen. Als alle Zaubersprüche wirkungslos geblieben waren, durchstach die alte Hexe Marias Unterleib mit einer langen Nadel, so daß keine Wunde zu sehn war ... Nur noch kurze Zeit währte hiernach die Krankheit Marias: das verwesende Kind im Mutterleib zog die arme Mutter mit sich hinab ins Grab.«

»Du weinst, Semiramide?«

»An dieser Stelle muß ich immer mit Tränen kämpfen ... Es ist zu schön und schrecklich ... Ach! das Leben ist eine Mistgrube! ...«

Plötzlich läßt sie ihr schwarzes Lamm zu Boden gleiten und setzt sich auf Giulianos Schoß.

»Ach, was bin ich unglücklich! ... Tröste mich! ...«

58

Zum Glück für Giuliano geht die Tür auf und Messer Luigi di Maso degli Albizzi erfüllt die Stube mit Moschusduft und mit dem Glanz seines weißgeschminkten, immerzu starr lächelnden Antlitzes. Der Gang und die steife Kopfhaltung lassen beginnende Gehirnerweichung vermuten. Überaus kurzsichtig muß er wohl sein, oder er tut so, als wäre er es, denn er übersieht, daß sein Töchterchen von den Knien, auf denen es gesessen, herabgleitet wie vorhin das Lamm.

Nach zeremoniöser Begrüßung will Giuliano sein Ansuchen vorbringen. Albizzi unterbricht:

»Der Haushofmeister hat mir's gemeldet. Wenn Euer Gnaden unsere Gastfreundschaft annehmen will, so tut Euer Gnaden unserem schönen Paradies viel Ehre an. Euer Gnaden wird gewiß schon gespürt haben, daß hier der modus florum herrscht, der harmonische Blumenton. Und meine Tochter, das Maienblümchen, wird dafür Sorge tragen, daß – solange Euer Gnaden bei uns weilt – Harmonie, Heiterkeit und Anmut in Flor stehn ...«


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